Deutschland gegen Portugal und Viecher & Blühgut: Fußball und Garten als Welt in der Nußschale

Es mag wichtigere Themen geben. Die Eurokrise beispielsweise, auch Finanzkrise, am liebsten aber Schuldenkrise genannt, die durchs Armsparen des Volkes, Reduzierung der staatlichen Steuereinnahmen und Abwürgen der Wirtschaft geheilt werden soll. Geht’s noch dümmer? Das kann doch allenfalls kurzfristig im Billiglohnland eines Exportweltmeisters klappen, der auf Binnennachfrage nicht groß angewiesen ist… Einzig genial in diesem Tollhaus war die Strategie der Finanzmarktlobbyisten, die es vermochten, das Wort Bankenkrise klammheimlich aus dem Diskurs zu entfernen. Das hat bis vor wenigen Tagen geklappt. Jetzt, wo Spaniens Banken wanken, ist das Wort endlich wieder im Spiel.

Womit wir im Leben angekommen sind. Denn was ist der Euro gegen die Europameisterschaft im Fußball, was herumfuchtelnde Weltuntergangs-Demagogie gegen die wahren Dramen hinter dem Gartenzaun?

Diesen Krempel hier lassen wir, zwei recht, zwei links, schlicht fallen und freuen uns auf das einzig wichtige Endspiel:

06.06.2012

Schuldenkrise

Ahnungslos in die Euro-Dämmerung

Eine Kolumne von Wolfgang Münchau

Die meisten Bürger ahnen es noch nicht, doch das Endspiel um den Euro hat begonnen: Entweder Europas Regierungen schaffen noch schnell eine politische Union oder die Währungsgemeinschaft zerbricht. Egal, für welchen Weg sie sich entscheiden – für eine billige Lösung ist es wahrscheinlich längst zu spät.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/wolfgang-muenchau-die-euro-zone-steht-vor-dem-zusammenbruch-a-837214.html

Werfen nur noch einen kurzen Blick zurück und fragen uns, was gewesen wäre, wenn Dominique Strauss-Kahn der Kanzlerin am 15.5.2011 massiv klargemacht hätte, daß Griechenland sofort geholfen werden müsse, um den Dominoeffekt zugunsten der gegen die Eurozone Spekulierenden zu vermeiden: wäre sie dann endlich endlich bereit gewesen, der widerlichen anti-Griechenland-BILD-Kampagne entschlossen die Stirn zu bieten?

Aber so ist das mit den Medien und den von ihnen erzeugten Stimmungen immer wieder: da legte die deutsche Mannschaft ein erstes Spiel hin, bei dem die Zuschauerin zu keinem Zeitpunkt die Ahnung beschlich, sie könne es verlieren. Eine solide stehende Abwehr, ein hervorragender Torhüter, gelungene Kombinationen im Mittelfeld – nur mit der Dynamik im Angriff haperte es noch etwas: die verständliche Angst, Fehler zu machen, bremste den Elan. Noch ist die Elf eben nicht eingespielt. Dann wird das Spiel sogar mit einem grandiosen Tor von Gomez in der 72. Minute gewonnen – und trotzdem wird genörgelt, was das Zeug hält. Der Fernseh-Kommentator Gottlob hielt nicht, was sein Name versprach, fand mithin Lahm zu lahm, Schweinsteiger nicht weltmeisterlich genug (obwohl es ja nur um die Europameisterschaft geht) und den überwiegenden Ballbesitz sowie die Spielkontrolle der deutschen Mannschaft nicht weiter der Rede wert.

So einigten sich die zur Einheitsmeinung tendierenden Medien rasch auf die Formel des glücklichen Siegs. Als ob Portugal die bessere Mannschaft gewesen wäre und der deutsche Sieg unverdient. Wie hätten sie wohl getönt, wenn die Deutschen es wie die Niederländer gemacht hätten: überlegen gespielt, aber 0:1 verloren? Auch die nölende Trantüte, die das Spiel Frankreich gegen England in Grund und Boden redete, paßt ins Bild. In der 70. Minute tönte sie, daß sich die Fehlpässe häuften, daß sich die Mannschaften nicht mehr weh tun würden, ein Nichtangriffspakt zum Halten des 1:1 sei zu besichtigen… Die verdutzte Zuschauerin sah nichtsdestotrotz eine packende Torraumszene nach der anderen und Torchancen zuhauf. Und natürlich hätte Frankreich gewinnen müssen, das meinte auch der verschwörungstheoretisierende Kommentator, der sich am Schluß den Freud’schen Versprecher leistete, Frankreich und England hätten sich 1:0 getrennt.

Dasselbe Phänomen findet sich beim Gärtner. Der kauft eine Knolle, deren Verpackung ihm eine Fülle wundersamster Lilienblüten vorgaukelt. Und dann registriert er mürrisch, wieviel raumgreifendes Grünzeug die Knolle produziert. Ist entsetzt, daß dann nicht viele, sondern manchmal nur ein Stengel dem Gewirr entwächst. Wenn er Pech hat und das Klima nicht stimmt, wird nicht einmal die übliche einzige Blüte Wirklichkeit. Der Jammer faßt ihn an.

(Da ich ja nur die Schönheit wahrnehme, habe ich die Mickrigkeit des Ertrags im Hinblick auf den Aufwand gar nicht erst fotographiert…)

So ist die Welt nun mal: Erwartungen, Wünsche und Träume sind groß, die Realität ernüchternd. Und selbst wenn das Ergebnis stimmt, gibt der Kritikaster keine Ruhe.

Versuch macht kluch, sagt sich der Gärtner, der per defintionem ein geduldiger Mensch ist. Medienmenschen dagegen werden nicht klug. Sie arbeiten mit Emotionen, wo Betrachtung und Analyse angebracht wäre.

Die Klasseleistung von Jérôme Boateng, der den Ballzauberer Ronaldo kaltstellte? Der auf keinen Übersteiger hereinfiel, auf keine Körpertäuschung, der stur nur den Ball betrachtete und entschlossen durchgriff? Tja, das war ja bloß eine Bringschuld. Denn BILD hatte ihn bereits abgeschossen, nachdem der offenbar naive Mann sich am Vortag, zusammen mit einem Freund, vor dem Abflug zur EM in einem Köpenicker Hotel mit der Notorikerin Gina-Lisa Lohfink getroffen hatte. Nun, man braucht die Dame nicht zu kennen, Hauptsache, daß BILD sie kennt, die ihren Absturz seit einer Germanys Next Top Model-Kandidatur im Jahr 2008 hautnah begleitet.

Was machte Boateng mit Gina-Lisa im Hotel?

Lukas Heinser weiß im BILDblog vom 5.6.2012 die Antwort:

 So wirklich genau weiß es auch „Bild“ nicht. Die einzige beteiligte Person, der „Bild“ ein Statement entlocken konnte, ist Gina-Lisa Lohfink selbst — und ihre Antwort dürfte nicht ganz dem entsprochen haben, was sich die „Bild“-Redakteure erhofft hatten:

Was lief in der Nacht in Zimmer 248?

Die TV-Blondine: „Wir haben uns nur unterhalten!“

Aber wer ist überhaupt diese Gina-Lisa Lohfink? Also mal ab von den Bezeichnungen „Nacktmodel“, „Ex-Topmodel“, „sexy Blondine“, „TV-Blondine“ bzw. schlicht „Blondine“, die ihr „Bild“ allein in diesem einen Artikel verpasst?

Die Zeitung erklärt es ihren Lesern gerne:

Die Blondine wurde „berühmt“, als sie 2008 in der Model-Show „Germany’s Next Topmodel“ mitmachte.

Diese Anführungszeichen um „berühmt“ sind natürlich eine Gemeinheit. Frau Lohfinks Teilnahme bei Heidi Klums Casting-Show liegt immerhin schon vier Jahre zurück und sie wäre vermutlich schon vergessen wie so viele andere Kandidatinnen, wenn — ja, wenn eine Zeitung sie nicht seit vier Jahren immer wieder mit Aufmerksamkeit beschenken würde:

[…]

Die 268 Treffer bei Bild.de können Sie ja selbst durchgehen!

http://www.bildblog.de/39289/was-macht-eigentlich-gina-lisa/

Hach, und die Springer-Kollegen von der WELT wollen jetzt auch einen Nannen-Preis und recherchieren mutig, was die Hanseln von BILD & Co. denn so getrieben haben:

10.06.12

Löws Rechtsverteidiger

Jerome Boateng kämpft sich aus der Luder-Falle

Sportlich hat sich Jerome Boateng gegen Cristiano Ronaldo rehabilitiert. Doch sein nächtlicher Ausflug zu Gina-Lisa bleibt ein Lehrstück, wie schnell ein Fußballstar in eine Inszenierung geraten kann. Von Jürn Kruse

[…]

Es war offenbar eine Inszenierung, in die Boateng hineingeraten war. Denn es gibt keinen Grund für einen Reporter, um 2 Uhr in der Nacht im Berliner Ortsteil Köpenick vor einem Hotel herumzulungern, nur in der Hoffnung, dass sich dort Stars die Klinke in die Hand geben würden. Doch Boateng war dort, Gina-Lisa Lohfink auch und dazu ein Fotograf. Irgendwer muss ihm die Info vom Treffen gesteckt haben. Boateng wird es wohl nicht gewesen sein. Womöglich die Managerin der früheren „Germany’s Next Topmodel“-Kandidatin? Mal nachfragen. Ein erster Anruf endet kurz nach der Vorstellung des eigenen Ansinnens. Aufgelegt. Vielleicht ein Versehen. Also noch mal probieren. Wieder aufgelegt. Beim dritten Mal geht die Mailbox ran.

Dabei ist Lohfink (25) doch auf jede Öffentlichkeit angewiesen, will die generalüberholte Blondine mit ihren Auftritten in Diskotheken und Fernsehshows Geld verdienen. Und ihr Marktwert dürfte in der abgelaufenen Woche deutlich gestiegen sein. Sie hat den Zeitungen, Magazinen und Fernsehsendern die größte Geschichte vor der EM geliefert.

Arthur Boka, Stuttgarter Bundesliga-Profi und einst mit Lohfink liiert, erkannte das Muster: „Ich bin mir sicher, dass Jerome in eine Falle gelockt wurde“, sagte er der Münchner „TZ“ und beschrieb die Inszenierung so: „Ich glaube, dass der Fotograf in das Hotel bestellt wurde. Dann wurden die Bilder verkauft, und Gina-Lisa hat Geld dafür bekommen“, sagt er: „So bekommt sie Aufmerksamkeit und bleibt im Gespräch.“ Und im Gespräch bleibt sie tatsächlich: Jeden Tag legt die gelernte Arzthelferin nach, gibt Details aus der Nacht preis und beteuert in der „Bild am Sonntag“: „Ich will Boateng nichts Böses.“ Doch schweigen – es wäre das Beste für Boateng – kann sie nicht. Dann wäre das Theaterstück schließlich vorbei – und die Bühne der Aufmerksamkeit müsste für Micaela Schäfer oder Daniela Katzenberger geräumt werden.

http://www.welt.de/sport/fussball/em-2012/article106489085/Jerome-Boateng-kaempft-sich-aus-der-Luder-Falle.html

Soviel Heuchelei gehört zwar zur Welt, aber nicht zur Gartenwelt. Da geht es nämlich ganz offen fies, gemein und hinterhältig zu, wenn sich des Nachts oder nach Regenfällen schleimige Gesellen auf den kürzesten Weg in die leckere Lupine, auf die köstlich mundende Tagetes oder in die Blumentöpfe mit den Petunien und Verbenen machen.

Jakob Augstein irrt (nein, nicht wegen der nichtblühenden Igel, wo er recht hat, hat er recht):

Jakob Augstein

Igel blühen nicht

Jakob Augstein bramarbasiert über Lust und Last des Gärtnerns.

  • Elke von Radziewsky
  • Datum 16.03.2012 – 15:16 Uhr

[…]

Die ganze Welt ist ein Garten, der Garten die Welt. Man könnte das wirklich so sagen.

[…]

Und so ist das ehrgeizige Buch ein eigentümliches geworden. Eine der unhaltbaren Behauptungen: „Lassen Sie bloß die Finger von Rittersporn.“ Dieser total überschätzten Pflanze. Das könnte noch ironisch sein. Vielleicht hat Jakob Augstein zu viel vom Rittersporn-Papst Karl Foerster gelesen. Ernst ist es ihm mit der Ablehnung jeglicher Nutzpflanze (Spalierobst ausgenommen). Der plötzliche Hang zur Nutzgärtnerei sei eine ostdeutsche Infektion, nach 1989 in den Westen rübergeschwappt. Und vollkommen ungebremst ist seine Mission: „Im Garten kommen wir dem Ziel am nächsten: Herrschaft, Kontrolle, Ordnung.“ Schützen Sie gefährdete Pflanzen mit einer geballten, am besten dreifachen Dosis Schneckenkorn. Kein schlechtes Gewissen. Igel kommen eh nicht vor. Und wenn schon: „Igel blühen nicht.“

http://www.zeit.de/2012/12/L-SM-Garten

Wenn die Welt ein Garten ist und der Garten die Welt (so sehe ich das auch), ist es nicht möglich, Herrschaft, Kontrolle und Ordnung hineinzubekommen. Ein paar Glücksmomente lang, so wie hier, mag das angehen:

aber nach einem Starkregen sieht das Idyll schon wieder ganz anders aus. Stützen einziehen, hochbinden, die Tatwaffe einstecken:

und immer schön fachgerecht entsorgen:

Die Auswechselung zur rechten Zeit nicht versäumen:

Tatsächlich geht es dem Gärtner wie dem Fußballtrainer: ob er am Spielfeldrand hin- und herrennt, flucht, gestikuliert, sich die Haare rauft oder aber versteinert auf der Trainerbank sitzenbleibt und sein bestes Pokerface herzeigt – auf dem Platz geht alle Theorie zuschanden. Die Viererkette hält nicht, die Standardsituationen mißraten, die Kombinationen klappen nicht. Wo ist das Spiel ohne Ball geblieben? Warum tappen die Spieler in die Abseitsfalle? Die schöne Taktik zerfällt in Stückwerk und Einzelaktionen.

Woran liegt es, daß Garten- Spiel- und Lebensentwürfe in der Regel so kläglich scheitern?

Am Wetter. Am Gegner. An der eigenen Mannschaft, die nicht hören will. Am inneren Schweinehund. Am Übereifer. Am Schiedsrichter. Am Schicksal, dem unabänderlichen. (Denn der Schöpfer in seiner unerforschlichen Weisheit gesellte den Pflanzen die Schnecken, den Rosen die Blattläuse und den Lilien das Lilienhähnchen bei. Um von den kleineren Übeln des Lebens zu reden.)

http://www.hausgarten.net/blog/7188-lilienhahnchen-feuerroter-kafer-mit-vorliebe-fur-lilien/

Der neuen Lupine hatte ich Schneckenfreiheit versprochen. Für eine Nacht hat das auch geklappt. Leider hat meine couragierte Aktion sie um zwei Blüten gebracht. Wie schnell diese blöden Stengel aber auch abknicken…

Und so heißt es auf dem Platz, im Garten und im Leben:

Machen wir das Beste daraus!

Und fiebern dem neuen Spiel heute abend entgegen. Wenn es jetzt in Schönheit stirbt und verlorengeht, gibt’s wieder mal ganz was Neues zu lesen. Nein, nicht das:

Jerome Boateng und Freundin Sherin

Neun Tage nach dem Nacht-Treff mit Nacktmodell Gina-Lisa Lohfink kommt jetzt heraus: Der Nationalspieler und die Mutter seiner Zwillinge sind schon länger getrennt

Geheimes Liebes-Aus

13. Juni 2012 01.10 Uhr, BZ

Nein, Gewissensbisse muss er nicht haben, denn er hat niemanden betrogen. Jerome Boateng (23) kann treffen, wen er will und wo will – nur nicht unbedingt, wann er will.

http://www.bz-berlin.de/archiv/geheimes-liebes-aus-article1480625.html

Geheime Dinge, die in der Zeitung stehen, gibt es doch schon mehr als genug…

 

Update, 13.6.2012, 23:25

 

Was sich der medienkritischen Beobachterin schon beim ersten Spiel der deutschen Mannschaft erschloß, zeigte die deutsche Mannschaft im zweiten Spiel: 2:1 gegen die Niederlande vulgo Holland. Schweinsteiger bereitete vor, Gomez vollstreckte meisterlich. Lahm war gar nicht lahm, Boateng warf sich mit Verve in einen Scharfschuß aufs Tor und kriegte eins in die Rippen. Das mediale Gerede von Rehabilitation (wofür eigentlich?) und Bringschuld sollte nun langsam zu Ende sei. Das Gegentor trübt die positive Bilanz nicht: durch die Einwechslung von Klose für Gomez kurz aus dem Tritt gekommen, ließ die deutsche Mannschaft eine Einzelleistung zu, die ihresgleichen sucht (und wohl kaum wiederholbar ist): da schießt der Stürmer zwischen den Beinen des Verteidigers hindurch aufs Tor – unhaltbar für den Torwart.  Ein Glücksschuß. Das erwartbare Pressing des Gegners machte die Sache noch einmal spannend…

Ein tolles Spiel. Congrats.

Und dann die reporterdämliche Frage an Philipp Lahm:

»Warum ist es dann doch noch ein Zitterspiel geworden?«

Ei, Kall, mei Drobbe…

In der Halbzeitpause wurden sechs gefräßige Gartengegner zur Strecke gebracht – ganz ohne Einsatz der Taschenlampe. Ein rundum gelungener Abend. Und daß eine der beiden abgebrochenen Lupinenblüten in der Vase statt in rosa nun in gelb erblüht, belegt, daß man von der Natur noch nicht allzuviel weiß, dämlichen Computersimulationen zum Trotz…

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Nichts gelernt aus dem Kachelmann-Verfahren: Unschuldsvermutung ade

Über den Zusammenhang der feministischen Verteufelung des männlichen Geschlechts und der Erosion der Unschuldsvermutung hatte ich bereits geschrieben:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/04/25/das-verteufelte-geschlecht-mann-und-die-erosion-der-unschuldsvermutung-i/

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/04/29/das-verteufelte-geschlecht-mann-und-die-erosion-der-unschuldsvermutung-ii/

Und obwohl Polizei, Justiz und Medien nach dem Desaster des geradezu mustergültig einschlägigen Kachelmann-Verfahrens hätten gewarnt sein müssen, ist es schon wieder passiert. In unheiliger Allianz ist es ihnen gelungen, die bürgerliche Existenz eines regional prominenten Radio-Moderators zu vernichten und die Unschuldsvermutung zu einem Lippenbekenntnis verkümmern zu lassen.

Wer jemals öffentlich mit dem Vorwurf einer Vergewaltigung oder gar des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Verbindung gebracht worden ist, hat es unabhängig von dem Ausgang des Verfahrens schwer, sozial wieder Fuß zu fassen. Das gilt natürlich in besonderem Maße für Medienschaffende, die ihrer Arbeit im Licht der Öffentlichkeit nachgehen.

Nun hat es einen Moderator der Rostocker ›Ostseewelle‹ erwischt, dem vorgeworfen wird, in den Jahren 2005/2006 eine damals 12- bzw. 13-Jährige sexuell mißbraucht zu haben. Der Vorwurf allein ist bereits geeignet, eine in diesem unserem Lande ja so beliebte Lynchstimmung zu erzeugen.

Wie schön, daß es die Richtlinien fur das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV) gibt, die der Staatsanwaltschaft den Weg weisen. Bzw: den Weg weisen sollten. Zum Beispiel die Nr. 4 a:

4 a

Keine unnötige Bloßstellung des Beschuldigten

Der Staatsanwalt vermeidet alles, was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann. Das gilt insbesondere im Schriftverkehr mit anderen Behörden und Personen. Sollte die Bezeichnung des Beschuldigten oder der ihm zur Last gelegten Straftat nicht entbehrlich sein, ist deutlich zu machen, dass gegen den Beschuldigten lediglich der Verdacht einer Straftat besteht.

Oder die Nummer 23:

23

Zusammenarbeit mit Presse und Rundfunk

(1) Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit ist mit Presse, Hörfunk und Fernsehen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Aufgaben und ihrer Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zusammenzuarbeiten. Diese Unterrichtung darf weder den Untersuchungszweck gefährden noch dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen; der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren darf nicht beeinträchtigt werden. Auch ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Interesse der Öffentlichkeit an einer vollständigen Berichterstattung gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten oder anderer Beteiligter, insbesondere auch des Verletzten, überwiegt. Eine unnötige Bloßstellung dieser Person ist zu vermeiden. Dem allgemeinen Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird in der Regel ohne Namensnennung entsprochen werden können. Auf die Nr. 129 Abs. 1, Nr. 219 Abs. 1 wird hingewiesen. Die entsprechenden Verwaltungsvorschriften der Länder sind zu beachten (vgl. auch Anlage B ).

Das sind doch goldene Worte…

Aber im prominenten Einzelfall nichts weiter als Schall und Rauch. Und ob für die Polizei überhaupt vergleichbare Regeln gelten?

Augenscheinlich nicht. Denn die bewegt sich gern wie der Elefant im Porzellanladen, wenn man einen erlegten Promi vorweisen kann. Immerhin, da hätten sie sich von den Kollegen aus Mannheim und Frankfurt etwas abgucken können. Denn die haben drei Wochen lang geübt, wie man einen Promi abpflückt, ohne daß irgendjemand an einem belebten Ort wie dem Frankfurter Flughafen etwas mitbekommt. Gut, da rissen die Vorgesetzten zwar wieder ein, was die Untergebenen geschafft hatten, indem sie ihre Meisterleistung öffentlich lobten. Aber immerhin: vorbildlich war die Aktion schon.

In Rostock langt man anders zu. Da gibt es einen am Morgen des 29.5.2012 ausgestellten, lediglich auf den nachrangigen Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützten, Haftbefehl. Fluchtgefahr besteht demnach nicht, die Adresse des Beschuldigten ist ohnehin bekannt. Schließlich dümpelt seit letztem Jahr ein Verfahren mit wirtschaftsstrafrechtlichem Hintergrund dahin, das offenbar weder leben noch sterben kann.

Was, in aller Welt, bewegt also die Polizei, die Festnahme spektakulär ausgerechnet am Arbeitsplatz des beschuldigten Moderators durchzuführen, der gerade seine ›Guten Morgen‹-Show bestreitet? Welche Wiederholungshandlung ist in dem Studio eines Radiosenders zu erwarten? Warum muß die Polizei um 9:30 Uhr einschreiten, wenn die Sendung ohnehin um zehn Uhr beendet ist?

Fragen über Fragen.

So soll Staatsanwältin Wiechmann laut FAZ.NET vom 30.5.2012 das Vorgehen der Polizei gerechtfertigt haben:

Um 9.30 Uhr kamen Polizeibeamte ins Studio und nahmen den Mann fest. Seine Kollegin moderierte die Sendung ohne ihn weiter und wurde anschließend über die Vorwürfe unterrichtet. Maureen Wiechmann, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Rostock, rechtfertigt den Zugriff während der Sendung mit der besonderen Schwere der Tat. Im NDR erklärte sie: „Die Tat an sich impliziert bei solchen Vorwürfen – insbesondere wenn Erwachsene solche Sexualdelikte begehen – immer den Verdacht, dass der Täter erneut handeln wird.“

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/rostock-radio-moderator-waehrend-live-sendung-festgenommen-11765435.html

Damit ist natürlich nicht die Art und Weise der Festnahme erklärt; und noch nicht einmal die Annahme des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr, denn die ergibt sich gerade nicht allein aus dem Tatvorwurf. Ein Blick ins Gesetz erleichtert bekanntlich die Rechtsfindung [Hervorhebung von mir]:

§ 112 a Strafprozessordnung

1) Ein Haftgrund besteht auch, wenn der Beschuldigte dringend verdächtig ist,

1.

eine Straftat nach den §§ 174, 174a, 176 bis 179 oder nach § 238Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches oder[…]

begangen zu haben, und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, daß er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde, die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und in den Fällen der Nummer 2 eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. In die Beurteilung des dringenden Verdachts einer Tatbegehung im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 sind auch solche Taten einzubeziehen, die Gegenstand anderer, auch rechtskräftig abgeschlossener, Verfahren sind oder waren.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn die Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftbefehls nach § 112 vorliegen und die Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1, 2 nicht gegeben sind.

Fassung aufgrund des Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) vom 29.07.2009 ( BGBl. I S. 2280) m.W.v. 01.10.2009.

Den Passus mit den bestimmten Tatsachen, die eine Wiederholungsgefahr begründen müssen, scheint die Sprecherin der Staatsanwaltschaft übersehen zu haben. Zumindest kommuniziert sie ihre unzutreffende Rechtsauslegung in gleicher Weise gegenüber anderen Medien:

Zu Japkes Abführung noch während der laufenden Sendung bei Ostseewelle wollte sie keine Angaben machen. Allerdings habe das Amtsgericht Wiederholungsgefahr angenommen. Bei Sexualstraftätern bestehe generell die Sorge, dass sie erneut zuschlagen würden. Noch am Nachmittag wurde Haftbefehl erlassen und Japke in die Justizvollzugsanstalt nach Waldeck gebracht.

http://www.nnn.de/nachrichten/home/top-thema/article//39-jaehriger-mann-wegen-kindesmissbrauchs-verhaftet-1.html

So mutiert der bloße Verdächtige umstandslos zu einem gewohnheitsmäßigen Sexualstraftäter, dem auch sechs Jahre nach den angeblichen Taten eine Tatwiederholung zuzutrauen ist. Selbst wenn seine Vita als von Frauen umschwärmter regionaler Promi mit Lebensgefährtin und zehn Monate alten Zwillingen nun ganz und gar nicht in die Schublade des – Unwort des Jahrhunderts! – ›Kinderschänders‹ gehört. In dieses Szenario einer medialen Hinrichtung fügt es sich, daß bereits die Festnahme von natürlich rein zufällig beim Sender anwesenden Pressevertretern beobachtet worden sein soll.

Für dieses in Leserkommentaren geäußerte Gerücht spricht jedenfalls, daß die Staatsanwaltschaft eilends eine Pressemitteilung über die Festnahme eines Moderators verbreitet, den sie zwar namentlich nicht benennt, der aber bereits durch die Angabe des Senders und die Bezeichnung seiner Morgen-Sendung klar identifizierbar ist. Hierzu ist sie sicherlich durch entsprechende Anfragen von Medienvertretern veranlaßt worden, denn warum sollte sie von sich aus die Öffentlichkeit informieren? Nein, das würde sie, die auf Zurückhaltung verpflichtete Staatsanwaltschaft, doch niemals machen…

Aber dann unterläuft der Staatsanwaltschaft fatalerweise das Mißgeschick, in den Betreff der PM-Mail den Nachnamen des Beschuldigten einzusetzen, wie die Ostseezeitung (Print) am 1.6. berichtet:

Eine Panne räumt die Staatsanwaltschaft beim Versenden der Pressemitteilung zur Festnahme Japkes ein. Wird sonst der Nachname von Verdächtigen nie voll genannt, war es hier anders: „PMJapke“ hieß das versandte Dokument. Dies sei ein Versehen, so Wiechmann. Vorwürfe, die Staatsanwaltschaft habe damit „eine Hetzjagd in der Öffentlichkeit forciert“, weist sie zurück.

Wie anders als eine Einladung an die Medien sollte aber der Hinweis der Staatsanwaltschaft gedeutet werden, daß der Festgenommene ›noch heute‹ dem Haftrichter vorgeführt werde?

Schweriner Volkszeitung, 29.5.2012, 12:30 Uhr:

TOP-THEMA

Marcus Japke verhaftet: Moderator wegen Kindesmissbrauchs in Verdacht

Heute früh wurde er live während seiner Sendung vom Mikro genommen: Ostseewelle-Moderator Marcus Japke wird dringend des mehrfachen sexuellen Kindesmissbrauchs verdächtigt.

Japke soll noch heute dem Haftrichter vorgeführt werden, teilte die Staatsanwaltschaft Rostock mit. Der 39-Jährige soll in den Jahren 2005 und 2006 ein Mädchen wiederholt sexuell missbraucht haben, das damals 12 beziehungsweise dann 13 Jahre alt war. Als Grund für den Haftantrag teilte die Anklagebehörde mit, dass der Beschuldigte gleichartige Taten wieder begehen könnte.

http://www.svz.de/nachrichten/home/top-thema/article/111/marcus-japke-verhaftet-moderator-wegen-kindesmissbrauchs-in-verdacht.html

Von Anfang an wird über den Fall unter voller Namensnennung und mit unverpixelten Bildern berichtet – was danach gegen 13 Uhr folgt, ist ein ›perp walk‹ light. Anders als in New York im Fall Dominique Strauss-Kahn wird zwar keine Tribüne für die versammelten Pressevertreter aufgebaut, und der Festgenommene trägt auch keine Handschellen – aber er wird zum Abschuß freigegeben. Das Polizeifahrzeug parkt vor dem Haupteingang, und alle alle alle filmen und fotografieren den schutzlosen Mann, der nicht einmal etwas dabei hat, um sein Gesicht zu verbergen… Die Szene wird bundesweit ausgestrahlt, sie findet sich auf YouTube und am 30.5.2012 als Video der BILD-Zeitung, die sich erfreut dieser neuerlichen Sensation zuwendet.

Das Amtsgericht Rostock verfügt über eine Tiefgarage, über die solche Vor- und Zuführungen sonst ganz unspektakulär über die Bühne gehen. Der Eindruck vertieft sich, daß hier jemand bewußt an den Pranger gestellt werden soll.

Die Medien greifen’s dankbar auf. Allen voran natürlich unser Leitmedium in Sachen Persönlichkeitsrechtsverletzung: BILD.

Klarname, unverpixelte Fotos, das Video von der Vorführung nebst Handy-Aufnahmen aus dem Amtsgericht: das volle Programm. Zusätzlich gibt es noch folgende Info:

IST DER ENTERTAINER EIN KINDERSCHÄNDER?

„Das Amtsgericht erließ Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts des mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern“, so Staatsanwältin Maureen Wiechmann (43) zu BILD. „Es besteht die begründete Besorgnis, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit gleichartige Taten wieder begeht.“

Wer ist der Mann, der für seine Sendung in ganz Mecklenburg-Vorpommern berühmt ist?

Im Herbst 2011 wurde Japke Vater von Zwillingen. Mit seiner Familie lebt er in einer Villa bei Rostock, hat einen Ferrari, einen Hummer und eine riesige Gaststätte.

Klingt gut – doch die Fassade bröckelt gewaltig: 2005 ging Japke mit 300 000 Euro Schulden bankrott. 2011 ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Verschleppung der Insolvenz.

Brisant: Laut BILD-Informationen soll der Moderator bereits 1998 eine Volontärin beim Berliner Radio-Sender „Energy“ sexuell belästigt haben! Der Vorgang verlief damals im Sande.

http://www.bild.de/news/inland/marcus-japke/moderator-im-studio-festgenommen-24385828.bild.html

Ja nun, sexuelle Belästigung ist kein Straftatbestand, und wenn es jede mißglückte Annäherung in die Zeitung schaffte, wäre kein Platz mehr für Nachrichten. Die Stoßrichtung ist klar: einem erotisch umtriebigen Mann ist selbstverständlich alles zuzutrauen, sogar pädophile Neigungen.

BILD desinformiert im übrigen: sollte der Moderator einen Ferrari, einen Hummer und eine riesige Gaststätte ›haben‹ sprich Eigentümer dieser Gegenstände bzw. Immobilien sein, wären die Rostocker Ermittlungen wegen Bankrotthandlungen längst zur Anklage gediehen. Allein, die Sachlage ist natürlich komplizierter.

Oberstaatsanwalt Gärtner von der StA Rostock hat die Erwartungen, was dieses Ermittlungsverfahren angeht, schon im Januar 2012 herabgedimmt:

Gegen den „Ostseewelle“-Moderator, der allmorgendlich als Gute-Laune-Bär seine Radiohörer begeistern will, ermittelt die Rostocker Staatsanwaltschaft wegen Bankrotts. Wie Oberstaatsanwalt Andreas Gärtner auf Nachfrage unserer Zeitung bestätigte, soll er seine Einkünfte als Radiomann gegenüber dem Gericht verschleiert haben.

Im Jahre 2005 habe der 38-Jährige beim Leipziger Amtsgericht Insolvenz beantragt, vermeldeten Zeitungen. Dabei gehe es um eine Summe von rund 300 000 Euro bei elf Gläubigern. Frühestens 2012 könnte Japke von seiner Restschuld befreit werden. Hierfür darf er jedoch während des Verfahrens nicht auffällig werden, die sogenannte Wohlverhaltensphase. Er muss alle Einkünfte dem Insolvenzverwalter offenlegen und sich an alle Auflagen halten. Und das scheint er nicht getan zu haben. In dieser Zeit hätte der Moderator wohl besser nicht mit Luxusautos herumfahren sollen. Seine Gläubiger haben Anzeige erstattet.

Laut Gärtner komme es immer wieder vor, dass Gläubiger ihren Schuldner anzeigen, weil die gestellten Forderungen nicht erfüllt werden oder vermutet wird, dass der Schuldner Vermögenswerte auf andere überschrieben hat.

[…]

Laut Staatsanwaltschaft dauern die Ermittlungen noch an. „Ein konkreter Zeitpunkt für den Abschluss des Verfahrens kann noch nicht prognostiziert werden“, fügt Gärtner hinzu.

http://www.nnn.de/nachrichten/home/top-thema/article//radiomann-im-visier-der-justiz.html

Der Moderator hat Feinde. Gläubiger, denen ihre Quote unzulänglich erscheint und die gewiß sein können, daß ihnen im Jahr 2012 nach Ablauf der Wohlverhaltenszeit gar nichts mehr zusteht, gehören definitiv dazu. Frustrierte Staatsanwälte, die sich durch Hunderte von Aktenordnern quälen und dennoch nichts finden, was den Angezeigten als wirtschaftlichen Eigentümer der von ihm benutzten PKW oder der von ihm bewohnten Villa festnagelt, dürften ebenso dazugehören.

Ein Schelm, der da auf den Gedanken kommt, daß U-Haft in anderer Sache nützlich sein könnte, um dem dahinsiechenden Wirtschaftsverfahren Auftrieb zu geben…

Wenig erstaunlich ist es auch, daß FAZ ONLINE, was den Tatvorwurf angeht, noch konkreter wird als die BILD, deren Vorwurf der sexuellen Belästigung gegenüber einer Praktikantin sie bedenkenlos kolportiert. BILD ist schließlich Nannen-Preis gekröntes Leitmedium der aufdeckenden wenn nicht gar aufrüttelnden Recherche mit weitreichender Wirkung: eine Auszeichnung, die den Zustand unserer Medienlandschaft perfekt widerspiegelt.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, in den Jahren 2005 und 2006 ein damals 12 Jahre altes Mädchen sexuell missbraucht haben. Die mittlerweile junge Frau hatte den Fall erst im Mai der Polizei gemeldet. Nach Informationen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) wird wegen 50-fachen Missbrauchs gegen den Mann ermittelt. Bei dem Opfer soll es sich um einen weiblichen Fan handeln.

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/rostock-radio-moderator-waehrend-live-sendung-festgenommen-11765435.html

Da gerät man doch ins Grübeln. Ein weiblicher Fan hat ihn angezeigt, und zwar erst im Mai 2012. Wieso ist die junge Frau ein Fan, wenn sie doch sechs bis sieben Jahre zuvor Schreckliches erlebt haben will? Oder war sie seinerzeit Fan und ist es jetzt nicht mehr? Man tappt im Dunkeln, zumal unbekannt ist, seit wann der Moderator für die Ostseewelle moderiert: wenn er im Jahr 2005 vor dem Amtsgericht Leipzig einen Insolvenzantrag gestellt hat, wohnte er seinerzeit dort. Kann er zu diesem Zeitpunkt schon Moderator der Ostseewelle gewesen sein?

Vergebens bemüht man sich, den Sachverhalt zu durchdringen. Und zweifelt an der gebetsmühlenhaft vorgetragenen Erklärung der Pressesprecherin der StA Rostock, wonach die Anzeigenerstatterin sich erst jetzt offenbart habe, was der Angelegenheit zumindestens einen Anschein von Dringlichkeit verliehen hätte.

Noch vor wenigen Jahren hätte ich nicht geglaubt, daß Staatsanwaltschaften etwas anderes als die Wahrheit verbreiten würden. Heute weiß ich, daß sie Parteien in einer medialen Verwertungsmaschinerie sind, in der es um Erfolgsmeldungen, Aufmerksamkeit und Ego-Boosting geht. Der Deckmantel: Werbung für den jeweiligen Justizminister/Justizministerin. Denn die Politik sieht es parteiübergreifend schließlich gern, wenn dem Populismus (›we are hard on crime‹) gefrönt wird. Wobei die Kombination Sexualdelikt und Promi-Mann natürlich besonders quotenträchtig und populistisch ist. Das ›verteufelte Geschlecht‹ hat schließlich keine Lobby.

Es war der Schock meines Lebens, als der Pressesprecher der StA Mannheim, Andreas Grossmann, am 19.5.2010 (wenn auch lidklappernd und unglaubhaft) wahrheitswidrig Aug in Aug mit der Kamera behauptete, daß sich auf dem angeblichem Tatmesser Blutspuren der ›Geschädigten‹ befänden…

http://www.youtube.com/watch?v=tWwjqqDzFoo

Das war eine krasse Unwahrheit.

Wie steht es also um den Wahrheitsgehalt der Erklärung von Staatsanwältin Maureen Wiechmann, wonach erst jetzt, ganz aktuell, eine Anzeige wegen sexuellen Mißbrauchs vor sechs bis sieben Jahren vorliege?

Nun, sie ist nur eine Stimme im medialen Diskurs, und nicht mal mehr eine glaubhaftere als andere, seitdem die Staatsanwaltschaften zur Partei mutiert sind.

Rostock (OZ) – Eine Hetzjagd gegen Radiomoderator Marcus Japke (39) wirft Anwalt Norbert Wendorf der Staatsanwaltschaft vor. Die Verhaftung seines Mandanten wegen Verdachts auf Kindesmissbrauch sei öffentlich inszeniert worden. Bereits 2008 habe das vermeintliche Opfer Vorwürfe gegen Japke erhoben; die Ermittlungen seien eingestellt worden.

http://www.ostsee-zeitung.de/nachrichten/brennpunkt/index_artikel_komplett.phtml?SID=3c07e012a219562ed2fa7e0c0ce0d537&param=news&id=3458630

Im Printtext der Ostseezeitung heißt es dazu:

Gestern äußerte Japkes Anwalt Norbert Wendorf starke Zweifel am von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Haftgrund: „Eine Wiederholungsgefahr besteht nicht“, so Wendorf. Die Vorwürfe bezögen sich auf die Jahre 2005 und 2006. „Das ist kein typischer Fall von Pädophilie.“ Darüber hinaus sagte der Anwalt: „Die vermeintlich Geschädigte hat solche Vorwürfe schon einmal gegen Herrn Japke vorgetragen, dann aber vehement dementiert.“ Die Ermittlungen seien 2008 eingestellt worden.
Der Rechtsanwalt kritisiert die Justiz scharf. Die Staatsanwaltschaft habe „eine öffentliche Hetzjagd“ gegen seinen Mandaten „angetrieben“. Außerdem habe es falsche Informationen zum Vorstrafenregister Japkes gegeben. „Es liegt nur ein lausiges Verkehrsdelikt vor.“

Wir leben in einem Rechtsstaat, der so pervertiert ist, daß man dem Vorbringen eines Verteidigers mehr Wahrheitstreue zubilligen muß als den Verlautbarungen eines Pressesprechers einer Staatsanwaltschaft.

Frau Wiechmanns Vorgesetzter, Oberstaatsanwalt Gärtner, war demnach auch bemüht, den Flurschaden, den die Staatsanwältin Wiechmann angerichtet hat, zu bereinigen:

Jetzt spricht in den NNN Oberstaatsanwalt Andreas Gärtner und erklärt, wie Japkes Verhaftung wirklich ablief.

Der Haftbefehl habe bereits am frühen Morgen vorgelegen, aber „angedacht war, ihn nach der Sendung zu verhaften“, so Gärtner. Dann allerdings erhielten die Polizisten die Information, dass die letzte Stunde des „Guten Morgens“ auf Ostseewelle nicht immer live moderiert werde. „Deswegen sind sie schon um 9.30 Uhr hingefahren und haben sich im Funkhaus vorgestellt“, sagt Gärtner. Japke sei daraufhin von den Ostseewelle-Mitarbeitern informiert worden und aus dem Studio gekommen. Konfrontiert mit den Vorwürfen, habe er das Funkhaus direkt und aus freien Stücken mit den Beamten verlassen. „Hätte er zu Ende moderieren wollen, hätte er das gedurft“, sagt Gärtner.

Er stellt klar: „Die Polizisten haben das Studio nicht gestürmt.“ Im Gegenteil sei die ganze Aktion sehr ruhig und sachlich abgelaufen. Von einer Inszenierung könne daher keine Rede sein. Anlass für die Verhaftung sei allein der Vorwurf gewesen, Japke habe in den Jahren 2005 und 2006 eine damals 12- beziehungsweise 13-Jährige wiederholt sexuell missbraucht. Dafür hatten sich Zeugen bei der Polizei gemeldet. „Wir gehen derzeit von Taten im zweistelligen Bereich aus“, sagt Gärtner.

http://www.svz.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/artikeldetail/article//jetzt-spricht-der-staatsanwalt-so-lief-japkes-festnahme.html

Naja, freiwillig mitgegangen… Das ist natürlich eine rein formale Betrachtungsweise. Interessanter ist da schon, wie er seiner Kollegin widerspricht: Für den Tatvorwurf (der laut Verteidiger schon 2008 erhoben wurde und der seinerzeit als unglaubwürdig befunden wurde) hätten sich nun aktuell Zeugen (Plural) gefunden? Strange. Es steht danach jedenfalls fest, daß es nicht die Betroffene war, die jetzt erstmals Vorwürfe erhob.

Das Vorbringen angeblicher Zeugen einer angeblichen Tat, die bereits vor fünf Jahren als nicht stichhaltig zurückgewiesen wurde, ist allerdings so wenig glaubhaft wie der Haftgrund plausibel erscheint. Man kann nur auf die höhere Instanz hoffen, die der Rechtsstaatlichkeit mehr verpflichtet ist als eine populistisch agierende lokale Staatsanwaltschaft nebst unkritisch abnickendem Amtsgericht. Mannheim reloaded.

Den Medien ist der Rechtsstaat eh hekuba, solange die verlorenen Prozesse die Kriegskasse nicht übermäßig belasten; und so wird von BILD munter weiterspekuliert:

Rostock – Seine Live-Sendung endete abrupt mit seiner Festnahme. „Ostseewelle“-Moderator Marcus Japke (39) soll vor sieben Jahren ein Mädchen (damals 12) missbraucht haben.

JETZT GIBT ES NOCH MEHR VORWÜRFE!

Nach BILD-Informationen soll der Radiomann auch Gewinnspiele bei dem privaten Sender in Rostock manipuliert haben. Dabei soll es sich unter anderem um das Spiel „10 000 für 10“ gehandelt haben, bei dem mit der Seriennummer einer 10-Euro-Banknote 10 000 Euro zu gewinnen waren.

Laut Ermittlerkreisen gingen die Gewinne an vorher ausgewählte Personen. Das Geld wurde dann geteilt. Der eigentliche „Gewinner“ bekam etwa 20 Prozent, der Geldbote und Vermittler fünf Prozent, den Rest soll Japke selbst eingestrichen haben – bis zu 7500 Euro pro Spiel!

Der Staatsanwaltschaft liegt inzwischen eine Liste mit den „Gewinnern“ vor. „Der Sachverhalt ist uns bekannt“, bestätigt Oberstaatsanwalt Andreas Gärtner (48). „Es wurde ein Prüfverfahren eingeleitet.“

http://www.bild.de/news/inland/marcus-japke/kassierte-er-bei-radio-gewinnspielen-ab-24421144.bild.html

Tja. Was da genau gelaufen sein soll, kapiert sowieso niemand. Was daran strafbar sein soll (wurde jemand getäuscht oder geschädigt?), schon gar nicht. Daß alte haltlose Vorwürfe aufgewärmt werden: was interessiert es schon BILD? Wer am Boden liegt, muß getreten werden…

Das sagt Oberstaatsanwalt Gärtner zu der ollen Kamelle:

Dass der Moderator auch Gewinnspiele manipuliert haben soll, sei zwar auch bekannt, „aber bislang durch keine Tatsachen unterlegt gewesen“, so der Oberstaatsanwalt. Dazu laufe derzeit noch ein gesonderter Prüfvorgang.

http://www.svz.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/artikeldetail/article//jetzt-spricht-der-staatsanwalt-so-lief-japkes-festnahme.html

Der Senderchef bestreitet substantiell:

Tino Sperke, Programmdirektor und Geschäftsführer von Ostseewelle HIT-RADIO Mecklenburg-Vorpommern, äußerte sich in der Morgensendung nun direkt zur aktuellen Situation:

 Tino Sperke

[…]

Ich möchte noch etwas ergänzen: Bei all dem, was so geschrieben wird, dass Marcus 10-Euro-Scheine an Hörer verteilt haben soll: Das kann nicht sein, weil ihr Moderatoren die Originalscheine nie in den Händen hattet – immer nur Kopien. Die Ostseewelle arbeitet über ihre Anwälte mit den Ermittlern zusammen, um es aufzuklären und um zu gucken, was an den Spekulationen dran ist. Ich bin mir sicher, vieles wird auch nicht wahr sein, was da jetzt geschrieben wird.”

http://www.radioszene.de/38799/moderator-wahrend-der-morgensendung-verhaftet.html

Was kümmern Medien und Staatsanwaltschaften derlei hinderliche Einwürfe?

Es geht um Auflage, Sensation und Erfolgsmeldungen. Kollateralschäden sind eingepreist. Kosten ja auch nicht viel, nur 25 Euro pro ungerechtfertigtem Hafttag (abzüglich Logis und Kost). Naja und der Verdienstausfall, wo doch die Sendung ohnehin in die Sommerpause gehen sollte, fällt schließlich nicht ins Gewicht…

Männer sind halt des Teufels. Unkonventionelle, Angeber, Promis mit Schlag bei Frauen sowieso. Für die gilt per se keine Unschuldsvermutung. Die darf man medial vorverurteilen.

Update:

Kachelmann-Anwalt verteidigt Japke

04. Juni 2012 | 22:06 Uhr | Von: Thomas Volgmann

Der wegen des Verdachts des sexuellen Kindesmissbrauchs inhaftierte Radiomoderator Marcus Japke fährt für seine Verteidigung schweres Geschütz auf: Neben dem renommierten Rostocker Rechtsanwalt Norbert Wendorff und dem prominenten Anwalt Peter Michael Diestel wird der bekannte Hamburger Strafverteidiger Johann Schwenn den Rechtsbeistand für Japke übernehmen. Das bestätigte Norbert Wendorff gegenüber unserer Redaktion. Schwenn erklärte am Telefon: „Zu solchen Sachen sage ich grundsätzlich nichts, warten Sie es ab.“

[…]

Moderator Japke selbst schweigt weiter zu den Vorwürfen gegen ihn. Auch sein Anwalt Norbert Wendorff will sich nicht zum Verfahren äußern. Im privaten Umfeld hätte der Radiomann immer wieder seine Unschuld beteuert, erzählten Insider. Freunde suchen Erklärungen und sprachen von einer Intrige eines ehemaligen Mitarbeiters im Radio sender Ostseewelle. Bereits 2008 war eine anonyme Anzeige mit denselben Vorwürfen aus den Jahren 2005 und 2006 bei der Polizei eingegangen, bestätigte sein Anwalt Wendorff. Damals hätte das vermeintliche Opfer die Frage nach Sex-Kontakten allerdings noch verneint.

http://www.svz.de/nachrichten/home/top-thema/article//kachelmann-anwalt-verteidigt-japke.html

Update (9.6.2012):

Mit dem BILD-Artikel vom 31.5.2012 mit der vorverurteilenden Schlagzeile (Print/Dresden):

Ist er auch ein Gewinnspiel-Betrüger?

[Hervorhebung von mir]

und aufgewärmten halbgaren Vorwürfen befaßt sich jetzt auch Stefan Niggemeier im wie immer lesenswerten BILDblog:

Axel-Springer-Akademie  Bild

Eine Schlagzeile wie aus dem Lehrbuch

Die „Bild“-Zeitung gibt ungern Einblicke in ihre Arbeit. „Wir kommentieren grundsätzlich nicht unsere Berichterstattung und äußern uns auch nicht zu Redaktionsinterna“, bekam der NDR erst kürzlich wieder als Nicht-Antwort auf eine Anfrage. Vermutlich hat sie guten Grund, sich nicht in die Karten schauen zu lassen.

Andere Stellen im Verlag sind nicht so vorsichtig. Am Donnerstag vergangener Woche gratulierte die hauseigene Journalistenschule, die Axel-Springer-Akademie, auf ihrer Facebook-Seite einem ihrer Schüler zu einem besonderen Erfolg: seiner ersten „Bild“-Schlagzeile:

[…]

Oberstaatsanwalt Andreas Gärtner sagt uns hingegen, dass „Bild“ lediglich die Auskunft bekommen habe:

dass der im Raum stehende Vorwurf der Staatsanwaltschaft zwar bekannt sei, die von dem Hinweisgeber herrührende Information allerdings bislang nicht mit nachprüfbaren Tatsachen zu den näheren Modalitäten und den möglichen Beteiligten an dem vermeintlichen Betrug unterlegt worden sei, was der Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehe. Aus diesem Grund sei hier zunächst ein „Prüfvorgang“ angelegt worden.

[…]

http://www.bildblog.de/39385/eine-schlagzeile-wie-aus-dem-lehrbuch/

Update (15.6.2012)

Auch in sprachlicher Hinsicht interessant: denn nun gibt es nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch noch Kachelanwälte, wie uns die Bildunterschrift aufklärt:

/OZ/LOKAL/HRO vom 15.06.2012 07:00

Fall Japke: Promi-Anwalt Schwenn wirft hin

http://www.ostsee-zeitung.de/nachrichten/brennpunkt/index_artikel_komplett.phtml?param=news&id=3471424

Update (6.11.2012)

Vorab: von meinem Artikel habe ich kein Wort zurückzunehmen: denn die Unschuldsvermutung steht auch und gerade Schuldigen zur Seite.

/OZ/LOKAL/HRO vom 06.11.2012 15:43

Fall Japke: Absprache im Prozess

Rostock (OZ/dpa) – Vor dem Rostocker Landgericht hat am Dienstag der Prozess gegen den Radiomoderator Marcus Japke begonnen. Dem 39-Jährigen wird der mehrfache sexuelle Missbrauchs eines Kindes vorgeworfen.

Noch vor der Verlesung der Anklage schloss die Kammer die Öffentlichkeit von der Verhandlung aus. Dies wurde mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des heute 20-jährigen mutmaßlichen Opfers begründet.

Außerdem bestätigte der Richter eine Absprache zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht, die das Verfahren abkürzen könnte. Der Angeklagte kann bei einem umfassenden Geständnis mit einer Strafe zwischen drei Jahren und zwei Monaten und drei Jahren und sechs Monaten rechnen. Diese Verständigung sei vergangene Woche unter den Prozessbeteiligten vereinbart worden. Noch am Nachmittag könnte das Urteil verkündet werden. Dann soll auch wieder die Öffentlichkeit zugelassen werden.

Der Angeklagte sagte im Gericht, er sei bereit auszusagen. Zunächst hatte das Gericht gesagt, dass der Strafrahmen über zehn Jahre hinaus gehen könne.

Japke soll zwischen 2005 und 2008 ein Mädchen wiederholt sexuell missbraucht haben. Es war zu Beginn der Taten zwölf Jahre alt. Der Fall hatte für bundesweites Aufsehen gesorgt, auch weil der Moderator aus seiner Rundfunksendung heraus verhaftet worden war.

Dem Angeklagten werden insgesamt 46 Einzeltaten vorgeworfen. Es sei auch zum Geschlechtsverkehr gekommen.

[…]

http://www.ostsee-zeitung.de/nachrichten/brennpunkt/index_artikel_komplett.phtml?param=news&id=3599001

OZ/LOKAL vom 06.11.2012 16:15

Japke zu drei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt

Rostock (dpa/OZ) – Der Rostocker Radiomoderator Marcus Japke ist wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu drei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt worden. Der 39-Jährige hatte am Dienstag vor dem Landgericht Rostock gestanden, zwischen 2005 und 2008 ein anfangs zwölf Jahre altes Mädchen wiederholt sexuell missbraucht zu haben.

Insgesamt waren dem Mann 46 Einzeltaten vorgeworfen worden. […]

Das vergleichsweise milde Urteil war nach einer Absprache der Prozessbeteiligten zustande gekommen. […]

http://www.ostsee-zeitung.de/nachrichten/brennpunkt/index_artikel_komplett.phtml?SID=cddc626e35fd3e05686442989337b4d2&param=news&id=3599164

Schon vor Prozessbeginn hatte der Vorsitzende Richter dem Sänger des Schlagers „Hallo kleiner Engel“ Hoffnung auf eine mildere Strafe gemacht – wenn er gesteht und damit seinem heute 20-jährigen Opfer die Aussage vor Gericht erspart. „Bei einem Geständnis kann der Angeklagte mit einer Strafe zwischen drei Jahren und zwei Monaten und drei Jahren und sechs Monaten rechnen“, so der Richter.

Ohne Kooperation hätte ein langwieriger Indizienprozess gedroht, an dessen Ende Japke eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren gedroht hätte. Japke willigte also in den Deal ein, sagte unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu den schweren Vorwürfen aus.

Über 40 Mal soll der Radiomoderator, der vor Jahren auch bei den Berliner Sendern Radio Energy und BB Radio zu hören war, ein anfangs 13-jähriges Mädchen missbraucht haben, so die Anklage. Das Kind soll ein Fan des prominenten Moderators gewesen sein. Von den 46 Taten, die die Anklage auflistete, darunter Geschlechtsverkehr an unterschiedlichen Tatorten, gestand Japke 26. Bei einigen Missbrauchsfällen soll sogar eine Freundin des Opfers dabei gewesen sein.

http://www.berliner-kurier.de/polizei-prozesse/radio-moderator-marcus-japke-prozess-13-jaehrige-missbraucht,7169126,20804344.html

Der bislang seriöseste Bericht findet sich hier:

http://www.ndr.de/regional/mecklenburg-vorpommern/prozess1273.html

Das war ein wünschenswerter Kurzer Prozeß, so sollte es doch immer sein: innerhalb eines Tages ist das Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit, die nicht einmal die genauen Vorwürfe zur Kenntnis nehmen konnte, erledigt, niemand wird Rechtsmittel einlegen, das Urteil wird nicht überprüft und kann kurz gehalten werden. Wieviele Ressourcen da wieder geschont wurden!

Aber das Publikum weiß nicht, ob es sich angesichts der Androhung von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bei fehlendem Geständnis und der Gewißheit einer Verurteilung zu drei Jahren und zwei Monaten bis zu drei Jahren und sechs Monaten bei Marcus Japkes Geständnis um ein taktisches oder um ein echtes handelt. Fünf Monate U-Haft zermürben.

Vertrauen in den Rechtsstaat schafft diese Verfahrenserledigung jedenfalls nicht. Solche Deals sind abzulehnen: denn wenn Marcus Japke schuldig im Sinn der Anklage gewesen ist und man ihn zweifelsfrei hätte überführen können, dann ist die jetzt ›gefundene‹ Strafe geradezu lächerlich niedrig und im Sinn einer Gleichbehandlung aller Angeklagter schlicht ungerecht.

Unrecht im Namen der Prozeßökomie und angeblich leerer Staatskassen. Ich setze auf das BVerfG, daß es mit dieser Erledigungspraxis, die Unschuldige unter Druck setzt und Schuldige privilegiert, bald ein Ende hat. Morgen findet eine mündliche Verhandlung über drei gegen diese ›Verständigung im  Strafprozeß‹ gerichtete Verfassungsbeschwerden statt:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-071.html

Meine Meinung zu diesem Thema habe ich hier:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/11/06/jorg-miriam-kachelmann-recht-und-gerechtigkeit-mehr-als-eine-rezension-iv/

und hier:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/11/06/jorg-miriam-kachelmann-recht-und-gerechtigkeit-mehr-als-eine-rezension-iv/#comment-650

geäußert.