Es ist, als ob Gertrud Höhler die von der Kanzlerin für typisch deutsch gehaltenen dichten Fenster dieser Republik aufgestoßen und den Journalisten-Mief der mit der Macht verbündeten Medien gut durchgelüftet hätte -: die Macho-Schreibe vom bloßen Zickenkrieg einer frustrierten alten neidischen Frau ist verpufft, das Buch ein Erfolg, und jetzt trauen sich auch Männer, das zu schreiben, was dem mündigen Bürger schon lange offenkundig ist. Merkel ist kein Denkmal, sie denkt unterkomplex, kann sich nicht artikulieren und beherrscht allenfalls die Techniken der Macht – was gegen sie und nicht für sie spricht. Aus Höhlers ›Patin‹ wird bei Wolfgang Münchau eine bluffende Pokerspielerin, die ihr Blatt überreizt hat:
29.08.2012
Merkel in der Euro-Krise
Deutschland ist erpressbar geworden
Eine Kolumne von Wolfgang Münchau
Angela Merkel wird noch immer als Europas mächtigste Politikerin hofiert, doch die Kanzlerin hat in der Schuldenkrise ihr Blatt überreizt. Deutschland ist erpressbar geworden, denn wir können uns einen Bruch der Euro-Zone nicht mehr leisten. Wenn es knallt, leiden alle, aber die Bundesrepublik am meisten.
[…]
Wenn der Euro auseinanderbricht, dann wäre Deutschlands mühsam errungene Wettbewerbsfähigkeit vernichtet. Der Wechselkurs der deutschen Währung (welchen Namen sie dann auch immer tragen mag) würde massiv steigen. Die Finanzindustrie wäre pleite, weil sie ihre Forderungen in den Euro-Südstaaten abschreiben müsste. Und der deutsche Staat würde auf Außenständen von rund einer Billion Euro sitzenbleiben.
[…]
Schauen Sie sich die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Griechenland an. Offiziell wird weiterhin der alte harte Kurs vertreten. Immer wieder betont Merkel, die Griechen müssten sich genau an die Vorgaben halten. Aber in letzter Zeit hört man auch andere Töne. Ihr blute das Herz, wenn sie hört, wie griechische Rentner behandelt werden. Und Merkel sagt immer wieder, dass das Risiko eines Austritts für Griechenland – aber eben auch für Deutschland – unkalkulierbar wäre.
[…]
Mit anderen Worten: Die Situation für Deutschland ist ziemlich verzweifelt. Es gibt jetzt keinen rationalen Weg mehr aus der Krise, der mit den offiziellen Verlautbarungen über die hehren Prinzipien der europäischen Geldpolitik und der Haushaltsregeln vereinbar wäre. Nach außen wahrt Merkel immer noch den Schein als Europas mächtigste Politikerin. In Wirklichkeit hat Merkel ihr Land in eine Ecke manövriert. Die Welt hat ihren Bluff durchschaut und ist gerade dabei, die Konsequenzen zu ziehen.
So kommt das, wenn man monatelang dem BILD-Griechenland-Bashing-Kurs folgt, um den Wähler nicht zu erschrecken, und den Rückzug von dieser populistischen Politik dann in quälenden Kleinstschritten vollziehen muß. Von Anfang an war doch klar, daß die Exportüberschüsse Deutschlands sich in den Handelsbilanzdefiziten der anderen europäischen Länder widerspiegeln; daß staatliches Sparen in einer Rezession allein zur Verelendung breitester Bevölkerungsschichten und zu weiteren Mindereinnahmen des Staates führt – was für eine Zeitvergeudung dieser Politikstil von Springers Gnaden doch bedeutet – weshalb es jetzt ganz schnell gehen muß und parlamentarische Beratung nicht mehr opportun ist. So wenig wie ein Wahlrecht, das die CDU nicht begünstigt. Rechtsstaat? Ein Klotz am Bein. Der Bürger atmet angesichts solchen Zynismus‘ auf: ein Glück, daß es das Bundesverfassungsgericht gibt…
Jetzt erscheint am 3.9.2012 ein weiteres Buch, in dem der gnadenlose Stil von Merkels Machtpolitik ebenfalls Thema ist: ›Wolfgang Schäuble. Zwei Leben‹ von Hans Peter Schütz, dem STERN-Autor:
http://www.droemer-knaur.de/magazin/Wolfgang+Sch%C3%A4uble.+Zwei+Leben.7787695.html
Nun hatte ich just jenem Autor Hans Peter Schütz zwar schon einmal eine beißende Kritik zugeeignet,
Der STERN kontra Wulff – kann Journalismus noch tiefer sinken?
Veröffentlicht am März 8, 2012
zugleich aber auch an seine einsame Merkel-Kritik angeknüpft:
Hans Peter Schütz:
Der angemessene Abschied für Wulff sollte – Verzeihung, Gustav Heinemann – wie folgt stattfinden: In Form einer Spree-Schifffahrt mit Wulffs Freunden an Bord. Es könnte daher ein kleines Schiffchen sein. Mit einem Platz für den CDU-Abgeordneten Peter Hintze, der Wulff noch verteidigte, als längst nichts mehr zu verteidigen war. Und einem Plätzchen für Angela Merkel, damit noch einmal alle sehen können, wer der Bundesrepublik diesen Präsidenten aus machtegoistischen Gründen aufgezwungen hat. Solch ein Abschied wäre angemessen und wäre eine Mahnung für alle Zeiten.
Am besten in Stein gemeißelt.
Aber interessant ist es doch, daß sich hier langsam zeigt, wer eigentlich wirklich abgeschossen werden soll: die machtegoistische Kanzlerin. Hab ich’s mir doch gedacht.
Sein Arbeitgeber, der STERN, promotet das Buch in seiner aktuellen Ausgabe 36/2012 durch den Vorabdruck eines Auszugs (jaja, bücherschreibender Journalist müßte man sein, da kriegt man Werbung wie geschmiert, ob für unterdurchschnittliche Schwedenkrimis oder für mäßig geschriebene Politikerbiographien (»Er raucht Pfeife, in Kette. Und gibt sich dennoch ganz ruhig.«)). Als ob sich nicht auch der STERN vor Wochenfrist am Niederschreiben von Gertrud Höhler beteiligt hätte, besteigt er jetzt pfeilgeschwind den Zug, auf dem der Publikumserfolg ›Die Patin‹ rollt. Unter dem Titel ›Abgeschoben‹ bringt er ausgerechnet einen Auszug, der sich mit dem machtpolitischen Taktieren Merkels bei der Verhinderung von Wolfgang Schäuble als Bundespräsident und der Installierung von Horst Köhler im Jahr 2004 befaßt.
Hans Peter Schütz: Abgeschoben
Bekannt geworden ist allerdings so ein vergleichbar skrupelloser machtpolitischer Vorgang des „Alten“ [Adenauer] nie, wie Angela Merkel ihn sich in der Präsidentenfrage gegenüber Schäuble geleistet hat. Altpräsident Richard von Weizsäcker hat es Merkel im Nachhinein sogar schriftlich gegeben: Es handelte sich „um ein Bubenstück aus Mädchenhand“, erklärte er.
[…]
Am Sonntag, 7. März, konferierten die Präsidien von CDU und CSU gemeinsam im Konrad-Adenauer-Haus. Köhler saß nun zwischen Merkel und Edmund Stoiber. Er bedankte sich herzlich für die Einladung und sagte: Er sei doch sehr überrascht gewesen, als ihn Angela Merkel bereits im Januar angerufen und gefragt hätte, ob er Bundespräsident werden wolle, denn da habe er mitten in den Verhandlungen über seinen ihm damals angebotenen zweiten Vertrag beim IWF gestanden.
In dieser Sekunde richteten sich die Blicke der CDU-Präsidiumsmitglieder sehr überrascht auf Merkel, die ihnen ja nur wenige Tage zuvor erzählt hatte, Köhler wolle in die Bundesrepublik zurück und werde auch keinen neuen Vertrag bekommen. In den CDU-Reihen der Sitzungsteilnehmer brach daraufhin Unruhe aus. Viele fragten sich: Kann es sein, dass diese CDU-Vorsitzende im Kampf um das Amt des Bundespräsidenten die eigene Partei belügt? Hatte diese Frau an der CDU-Spitze seit September 2003 nicht immer so getan, als ob sie unbedingt Schäuble wollte? Und hatte sie damit das Präsidium nicht systematisch hinters Licht geführt? Und heimlich mit Köhler telefoniert? Noch heute erinnern sich manche Teilnehmer daran, dass Merkel unter den kritischen Blicken der Parteifreunde einen „feuerroten Kopf“ bekam.
[STERN 36/2012, S. 51f.]
Angesichts solcher machohaften Techniken einer Frau wäre es doch ersprießlich gewesen, zu erfahren, ob Alice Schwarzer nachvollziehbare Kriterien für männliche (igitt) und weibliche (alles klar) Machtausübung entwickelt hätte. Das war ein Fehlschlag, denn über Merkels knallharte Entledigung ihres überlegenen Ministers Norbert Röttgen äußerte sie sich so:
Die Autorin hatte auch eine Expertin befragt, die Frauen in der Politik zur Doppelstrategie riet: nach außen weich, also „weiblich“; nach innen im Bedarfsfall hart, also „männlich“.
Und genau so halten es nicht nur in Berlin die Spitzenpolitikerinnen, müssen sie es halten. Doch sie tun das in einer Welt, die ebenfalls eine Doppelstrategie fährt: die Frauen und Männer mit zweierlei Maß misst. Das erleben wir gerade mal wieder in der wahrhaft karikaturalen Reaktionen auf Merkels Rausschmiss von Röttgen.
Bei Spiegel Online hatte Philipp Wittrock offensichtlich den Artikel der Kollegin im eigenen Blatt nicht gelesen. Sonst hätte er den Vorgang wohl nicht ganz so unbefangen sexistisch kommentieren können: „Eiskalt“ sei die Kanzlerin beim „Abschalten“ von Ex-Umweltminister Röttgen gewesen; ja „gnadenlos“, zitierte er SPD-Chef Gabriel.
[…]
Zeit Online attestierte: „Technokratisch hat man Merkel schon oft erlebt. So eiskalt noch nie.“ Dazu wurde CDU-Bosbach zitiert, der sich „mehr Menschlichkeit“ bei dem Vorgang gewünscht hätte. Die Entlassung eines in der Landespolitik dramatisch gescheiterten Bundesministers ist nach drei Tagen Bedenkzeit also unmenschlich?
FAZ Online verzichtete auf derart plumpe Klischees und stieß nur mit spitzem Mündchen den Satz aus: „Der Absturz Röttgens ist beispiellos in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte.“
Ist er? Der Kollege, der das geschrieben hat, muss jünger sein. Sonst würde er sich vielleicht erinnern, wie die hochverdiente Genossin Marie Schlei – die zwischen 1974 und 1976 das sehr zweifelhafte Vergnügen hatte, als parlamentarische Staatssekretärin im Kanzleramt zwischen einem frisch gebackenen Kanzler Helmut Schmidt und der grauen Eminenz Herbert Wehner zu vermitteln – nach einer beispiellos sexistischen Medienkampagne am 16. Februar 1977 ihre Entlassung als Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit morgens aus der Zeitung erfuhr. Und sie ist beileibe nicht die Einzige.
In der Geschichte beispiellos? Für Männer vielleicht. Bei Frauen hingegen ist so was üblich. Zweierlei Maß. Egal, auf welcher Seite: auf der des „Opfers“ oder der der „Täterin“.
Alice Schwarzer
Da wollen wir doch mal tief in die Historie einsteigen – es stimmt ja selten etwas in Schwarzers Tendenz-Artikeln, was als Fakt daherkommt. Und 90 % ihrer Texte sind ohnehin unverstellte Propaganda, die sie für Journalismus hält. Den sie halt nicht studiert hat, sie bestand die Aufnahmeprüfung zur Journalistenschule nicht, und so wurstelt sie sich eben durch – für die BILD reichen Denke und Schreibe ja. Für gestörte Anhängerinnen auch. Und siehe da, man wird, was Fakten angeht, sehr schnell fündig
04.04.1977
Die Frau überschätzt ihre Möglichkeiten
Entwicklungshilfe-Minister Marie Schlei auf Jungfernreise in Afrika
Mit ihren Besuchen in Botswana und Sambia verstärkte Marie Schlei die Zweifel an ihrer Eignung für das schwierige Entwicklungshilfe-Ressort, das angesichts des Nord-Süd-Konflikts für die Bundesrepublik immer wichtiger wird. Statt Bonns Standpunkt klarzumachen, verblüffte sie afrikanische Gesprächspartner mit spaßigen Sprüchen.
[…]
Aber viel lieber noch als um hohe Politik kümmerte sich „Mutter Marie“ im schwarzen Kontinent um das Menschliche. Sie drückte verdutzte Afrikaner ans Herz, wo immer sie welche zu fassen bekam, gleich ob es Minister oder Hilfsarbeiter auf deutschen Entwicklungsprojekten waren. Überall machte sie ihre Späße, „denn die Leute sind ja so gern heiter, die lachen ja so gern“.
Schon auf dem Hinflug hatte sie ihre Begleitung aufgeklärt: „Die Neger sind wie die Juden, die riechen, ob man sie mag.“ Und: BMZ, die Abkürzung für ihr Ressort, heiße in Wahrheit „bei Marie zu Hause“.
Und so lustig ging es immer weiter. Beim Überland-Ausflug zu einem Projekt für Einfachst-Technologie in Kanye, Botswana, verblüffte sie die deutschen Entwicklungshelfer mit der Erkenntnis, ein von ihnen gefertigtes Ziegeldach sei nicht dicht — „schließlich bin ich ja gelernte Handwerker-Tochter“. Frau Schlei hatte beim Blick nach oben Lichtritzen entdeckt: „Hier, gerade über mir, strahlt die göttliche Güte ungehindert auf mich herab. Ich wette, daß es da durchregnet.“
[…]
Die offiziellen Begleiter der botswanischen Regierung staunten nicht schlecht, als sie einem jungen Metallarbeiter ihr Wahlkampfbild mit Widmung schenkte, dann aus der Tiefe ihrer Tasche eine Nagelschere hervorkramte und dem jungen Mann eine Locke vom Wuschelkopf schnitt — „als Souvenir“
Szenenwechsel: Palaverplatz von Kanye, wo sich die Bevölkerung bei einem Feuer zu Beratungen versammelt und wo der Häuptling auch Recht zu sprechen pflegt. Diesen „Chief“ in ihrer Begleitung klärte sie auf: „Flammen regen die Gedanken an.“ Zur Dolmetscherin: „Sagen Sie ihm, er soll nur aufpassen. Wenn sein Urteil den Leuten nicht gefällt, kriegt er einen Knüppel auf den Kopf.“
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40916933.html
Das geht noch ellenlang so weiter: nichts davon ist sexistisch, es sei denn, daß weibliche Inkompetenz generell nicht mehr bemängelt werden darf. Vergleichbare Kritik gab es im Januar 1978:
30.01.1978
AFRIKA-POLITIK
Vorlautes Geschwätz
In politischer Einfältigkeit störten Entwicklungshilfe-Ministerin Marie Schlei und ihr Widerpart Todenhöfer den Bonner Plan, Somalia zum Dank für Mogadischu mit einem Kredit Waffenkäufe zu ermöglichen.
[…]
Der Trick: Die Somalis hätten sehr wohl Militärisches aus ägyptischen Altbeständen kaufen, den Bonnern aber Rechnungen für Öl oder Maschinen präsentieren können, die sie ohnehin importieren müssen.
Doch weder Todenhöfer noch Marie Schlei begriffen, daß ein solches Verfahren nur unter einer Bedingung läuft: nicht darüber reden. Von Rundfunkjournalisten um Aufklärung gebeten, ließ sich die Ministerin erstmals und ganz kurz von ihrem Staatssekretär Kollatz (Spitzname: „Kollaps“) am Telephon informieren, verkannte die Brisanz und verhedderte sich prompt in einfältiger Offenheit.
Auf die Interview-Frage, ob die somalische Regierung mit dem Bonner Geld Waffen kaufen könne, erwiderte sie: Die Antwort „könnte „ja“ sein“.
Das Schlei-Geständnis drang durch den Äther bis nach Äthiopien. Dessen Militärregime fackelte nicht lange. Bonns Botschafter in Addis Abeba, Johann Christian Lankes, saß gerade am Mittagstisch, als ihm, 24 Stunden nach Marie Schleis Interview, die Ausweisungsverfügung überreicht wurde.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40616946.html
Und überhaupt war Marie Schlei, folgt man diesem Artikel, im Januar 1978 ja noch im Amt, wo sie doch laut Schwarzer schon im Februar 1977 von ihrem Rauswurf aus der Zeitung erfahren haben will… Himmelhilf, was weiß Wikipedia?
Bei der Kabinettsumbildung im Frühjahr 1978 wurde sie nicht mehr berücksichtigt und schied daher am 16. Februar 1978 aus der Bundesregierung aus.
http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Schlei
Und was lese ich hier? [Hervorhebungen von mir]
Im Februar 1978 wurde Marie Schlei nach dem Rücktritt als Bundesministerin in den Fraktionsvorstand gewählt und mit dem Vorsitz des Arbeitskreises I (Außen- und Sicherheitspolitik, innerdeutsche Beziehungen, Europa- und Entwicklungspolitik) der SPD-Fraktion beauftragt.
1980 wurde sie stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und damit Stellvertreterin von Herbert Wehner. Wegen ihres fortschreitenden Krebsleidens musste sie im November 1981 ihr Mandat niederlegen. Dennoch wirkte sie bis zu ihrem Tode am 21. Mai 1983 in zahlreichen Gremien weiter, soweit es ihre Kräfte erlaubten.(Berliner Stimme vom 23.5. 2003)
http://archiv.spd-berlin.de/geschichte/personen/l-z/schlei-marie/
Ist sie also gar nicht entlassen worden, sondern im Zuge der Kabinettsumbildung zurückgetreten? Und außerdem hat sie ihre politische Karriere ja nahtlos fortgesetzt – was macht eigentlich der Herr Röttgen heute so?
Die Nichtberücksichtigung einer ersichtlich ungeeigneten Ministerin bei einer Kabinettsumbildung – deren Absichten ihr nicht verborgen geblieben sein dürften – ist wohl kaum mit dem Rauswurf eines eloquenten, erfolgreichen Ministers zu vergleichen, dem noch zwei Tage zuvor demonstrativ trotz verlorener Landtagswahl der Rücken gestärkt worden war. Wer mißt hier eigentlich mit zweierlei Maß? Und welche Quellen benutzt Alice Schwarzer? Auf das eigene Gedächtnis ist offensichtlich kein Verlaß.
Eins steht fest: Schwarzer hat nichts gegen partriarchalische Machtausübung, solange eine Frau sie exekutiert.
Soweit sie nicht mit Auftritten in Spiel-, Talk- und Rateshows beschäftigt ist, sucht sie jedenfalls gern die Nähe der Macht – und stellt Frau Merkel im August 2012 daher scheinkritische Fragen von allergrößter Unverbindlichkeit:
Auf ein Wort, Frau Merkel
Alice Schwarzer Publizistin
Warum sollten Frauen Sie 2013 wählen? Sie verdanken Ihren Sieg 2009 nicht zuletzt den jungen Frauen, die zum ersten Mal stark CDU gewählt haben. Gerade sie wurden in den vergangenen Jahren von der Politik Ihrer Regierung arg enttäuscht. Haben Sie gute Nachrichten, ehrliche Versprechen für 2013?
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/37939/3/1
Wow, was für eine Steilvorlage für Frau Merkel, die sich so wenig kritisiert fühlen muß, daß sie in ihrer nichtssagenden Antwort nicht einmal auf das Stichwort ›Frauen‹ eingeht – schließlich will sie von Frauen und Männern gewählt werden:
Dass es den meisten Menschen in Deutschland 2013 besser geht als 2009 und dass ich das auch für die nächste Legislaturperiode bis 2017 im Vergleich zu 2013 erreichen möchte.
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/37939/3/1
Die Nähe zur CDU-Macht zahlt sich für die rückwärtsgewandte Grabenkriegerin Schwarzer freilich aus. In Heller und Euro.
Schon 1995 hieß es über sie:
Der Kölner Forscher Erwin Scheuch sieht es nüchtern: „Eine Geschäftsfrau, die sich durch Beziehungen Vorteile verschaffen kann.“ Längst bediene sich die Frauenrechtlerin, hat der Grüne Frank beobachtet, „selbst des verfemten männlichen Instrumentariums der Macht“.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9158667.html
Aber dieser Part über Schwarzer, ihre Nähe zur Macht und ihren daraus resultierenden Profit, ist so lang geraten, daß er ein gesondertes Posting ergibt.
Update (31.8.2012)
Heute überraschte mich Alice Schwarzer mit einem entlarvenden Nachruf auf Shulamith Firestone, der sowohl den sie regierenden Haß wie auch ihre vollkommene Unfähigkeit, Sachverhalte nicht zu verfälschen, in großer Klarheit offenlegte. Zum Trost für die Liga der Humanitas: es sieht immerhin so aus, als ob die gestörten Dinosaurier der haßerfüllten Männer- und Liebe-Bekämpferinnen-Front langsam aussterben.
Schwarzer:
31.08.2012
Shulamith Firestone ist tot
Eine der radikalsten und visionärsten frühen Feministinnen ist tot. Gestern wurde Shulamith Firestone in ihrem Appartment in New York gefunden. Sie sei eines natürlichen Todes gestorben, erklärte ihre Schwester Laya. Nicht zufällig ist in der aktuellen Titelstory von EMMA über die Liebe ein Auszug aus Firestones berühmtem Buch abgedruckt. Sie war 25 Jahre alt, als sie 1970 ihr rasantes Pamphlet gegen die Liebe veröffentlichte. Gegen eine Liebe, die Frauen in Abhängigkeit bringt und unterdrückt: „The Dialectic of Sex“. Firestone hat ihre Klarsicht und ihren Mut sehr teuer bezahlt, sehr teuer.
Shulamith Firestones Buch über die Liebe hat die Neue Frauenbewegung weltweit nachhaltig geprägt – auch mich persönlich und den „Kleinen Unterschied“.
[…]
Der Druck auf Shulamith Firestone wurde nach Veröffentlichung so groß, dass sie nicht standhielt. Sie wurde mit der Diagnose „Schizophrenie“ in die Psychiatrie eingeliefert. Und verstummte für lange Zeit.
Die Quelle von Schwarzers Nachruf ist die seriöse New York Times, die am 30.8.2012 allerdings Folgendes geschrieben hatte [Hervorhebung und Einfügung von mir]:
A painter by training, Ms. Firestone never anticipated a high-profile career as a writer; she had come to writing through preparing manifestoes for several feminist organizations she had helped found.
The crush of attention, positive and negative, that her book [von 1970] engendered soon proved unbearable, her sister said. In the years that followed, Ms. Firestone retreated into a quiet, largely solitary life of painting and writing, though she published little.
Her only other book, “Airless Spaces,” was issued in 1998 by the experimental publisher Semiotext(e). A memoir-in-stories that employs fictional forms to recount real-life events, it describes Ms. Firestone’s hospitalization with schizophrenia, which by the 1980s had overtaken her.
http://www.nytimes.com/2012/08/31/nyregion/shulamith-firestone-feminist-writer-dies-at-67.html?_r=2
Was macht Schwarzer daraus? Sie unterschlägt zehn Jahre und bastelt aus Firestone ein Opfer der Kritik – obwohl es weiblicher Selbsthaß und ganz offensichtlich die deprimierenden Kindheitserfahrungen der zweitgeborenen Tochter in einer streng jüdisch-orthodoxen Familie mit zwei Söhnen und vier Töchtern waren, die Firestone zur Propagierung von Schwangerschaften außerhalb des Mutterleibes und zur Vergesellschaftung der Kindererziehung veranlaßt hatten. Allen monotheistischen Religionen ist die männliche Dominanz und die Abwertung der Frau eigen, und in buchstabengläubigen Orthodoxen lebt diese unselige Tradition fort. ›Natürlich‹ ergibt sich aus solchen Kindheitserfahrungen die katastrophal falsche und selbstzerstörerische Wahrnehmung von Firestone, Männer könnten nicht lieben…
Jetzt der Höhepunkt von Schwarzers Geschichtsklitterung, die aus der Psychiatrie- und Psychopharmaka-Geschädigten Firestone eine Märtyrerin der Frauenbewegung bastelt.
So steht es in der New York Times:
In “Airless Spaces,” Ms. Firestone writes of life after hospitalization, on psychiatric medication. The account is in the third person, but the story is her own:
“She had been reading Dante’s ‘Inferno’ when first she went into the hospital, she remembered, and at quite a good clip too, but when she came out she couldn’t even get down a fashion rag. … That left getting through the blank days as comfortably as possible, trying not to sink under the boredom and total loss of hope.”
The story continues: “She was lucid, yes, at what price. She sometimes recognized on the faces of others joy and ambition and other emotions she could recall having had once, long ago. But her life was ruined, and she had no salvage plan.”
http://www.nytimes.com/2012/08/31/nyregion/shulamith-firestone-feminist-writer-dies-at-67.html?_r=1
Und so ›übersetzt‹ Schwarzer diese psychiatriekritische Passage:
Erst 28 Jahre später, 1998 veröffentlichte Firestone ihr zweites Buch: „Airless Spaces“. Sie schrieb es in der dritten Person, aber es war ihre Geschichte.
„Sie hatte ‚Dantes Inferno’ gegenwärtig, als sie das erste Mal ins Hospital eingeliefert wurde (…) Als sie rauskam, erinnerte sie sich an nichts mehr. Das half, die leeren Tage zu überstehen und nicht in totaler Hoffnungslosigkeit zu versinken“, schreibt sie und fährt fort: „Sie war klarsichtig, ja, aber welchen Preis hatte sie dafür gezahlt. Ihr Leben war ruiniert – und sie hatte keinen Rettungsplan.“
Eine solche Textverfälschung verschlägt einem schlicht den Atem.
Und nicht einmal diese schlichte Information kann sie nachvollziehbar rüberbringen:
After attending Washington University in St. Louis, Ms. Firestone earned a bachelor of fine arts degree from the School of the Art Institute of Chicago in 1967. Around that time she helped found the Westside Group, a Chicago feminist organization, before moving to New York.
http://www.nytimes.com/2012/08/31/nyregion/shulamith-firestone-feminist-writer-dies-at-67.html?_r=1
Schwarzer mit einer vertraulichen Namensbezeichnung, die ihr nicht zusteht, die sich aber aus der Seelenverwandtschaft mit dieser bemitleidenswerten gestörten Frau dann doch wieder rechtfertigt:
Shulie studierte Kunst an der Washington University und begann zu malen. In den späten 1960er Jahren engagierte sie sich in feministischen Gruppen, zunächst in Chicago, dann in New York.
Ob sie es selbst noch merkt, wie sie die Realität umbiegt, damit ihr Weltbild stimmt?