Jörg & Miriam Kachelmann: Recht und Gerechtigkeit – mehr als eine Rezension (III)

 

Mit der Überschrift: ›Miriams Sicht: Die Verhaftung‹ [S. 19 – 31] ist der erste Beitrag von Miriam Kachelmann versehen, und wenn man als Leser Doppelungen mit dem vorangegangenen Bericht über die Festnahme durch Jörg Kachelmann befürchtet hat, wird man angenehm enttäuscht. Denn als Begleiterin eines unversehens Festgenommenen entwickelt man, so liest sich dieses Kapitel, tatsächlich eine eigene Sicht – was nicht nur daran liegt, daß Miriam Kachelmanns Stil epischer, reflektierter ist als der ihres Co-Autors. Sie beschreibt präzise, detailreich und kennzeichnet immer, welche Erinnerungen dem unmittelbar Erlebten entspringen, welche durch spätere Ereignisse und Informationen überschrieben bzw. kontaminiert wurden, welche Erinnerungen unsicher und welche sehr subjektiv gefärbt sind. Als Psychologin weiß man, daß Erinnerungen vermintes Gelände sind. Sowohl durch den eigenen Zugriff auf den Stoff als auch durch die stilistischen Unterschiede ergibt sich für den Leser ein stupender Mehrwert, denn die geschilderten Ereignisse werden erst durch die Präsentation beider Blickwinkel der Co-Autoren zu einer ›Wahrheit‹, die immer komplex ist.

Während Jörg Kachelmann seinen gedrängten Bericht so abgefaßt hat, wie es seinem Vorsatz während der Festnahme entsprach (»versuchte, alles erwachsen und wie ein Mann über mich ergehen zu lassen« [S. 18]), folgt Miriam Kachelmann einem anderen Programm. Sie läßt den Leser an allen Verunsicherungen, die die Situation auslöst, teilhaben:

Miriam Kachelmann:

Ich weiß noch, dass ich zunächst dachte, wir bekämen Ärger mit der Flughafenpolizei, weil wir mit dem Gepäcktrolli im Fahrstuhl gefahren waren (was man wohl nicht darf, ich erinnere mich an einen großen Verbotsaufkleber an der Fahrstuhltür); später dachte ich, dass ich verhaftet werde, dann, dass wir beide festgenommen werden, und nach wenigen Minuten wurde mir schließlich klar, dass es um Jörg ging. Er wurde nach links zur Seite »gebeten«, ich nach vorne. Wir drehten uns, wie in amerikanischen Kitschfilmen immer eindrucksvoll inszeniert, in diesem Moment des Voneinanderweggezogen-Werdens noch einmal um, und ich konnte Entsetzen und Unverständnis in Jörgs Gesicht gesehen. Ich vermute, dass ich einen ähnlichen Gesichtsausdruck hatte.

[S.21]

Die Art und Weise, in der sie vermittelt, daß sie von oben herab, höhnisch und unwirsch behandelt wird, daß man ihr nicht sagt, worum es geht, daß die Schwetzinger Kripobeamtin, mit der sie es zu tun hat, nach ihrer Antwort, daß sie die Freundin Jörg Kachelmanns sei,

»Aha …« machte, begleitet von einem vielsagenden Aufreißen der Augen.

[S. 27]

läßt den Leser unmittelbar an der Szene teilhaben. Im Subtext wird die Geschichte einer Verwandlung erzählt:

Ich umarmte Jörg dabei und versuchte ihn zu beruhigen, indem ich sagte (und auch später noch mindestens einmal): »Du hast nichts gemacht, dir kann also nichts passieren!« Das habe ich damals tatsächlich gedacht in meinem aus heutiger Sicht schon sträflich naiven Glauben an Rechtsstaat und Gerechtigkeit.

[S. 23]

Wir sagten dann nichts mehr und umarmten uns mehrmals, und ich versuchte weiter, ihn irgendwie zu stabilisieren.

Später konnte man in der Zeitung lesen, dass sowohl Kriminalhauptkommissar [in der 3. Auflage mit einem Pseudonym bezeichnet] Werner Seele als auch die (mittlerweile beförderte) Kriminalhauptkommissarin [in der 3. Auflage mit einem Pseudonym bezeichnet] Martina Michel zu Beginn des Prozesses vor Gericht ausgesagt hätten, dass ich völlig aufgelöst gewesen sei und geweint hätte, wohingegen Jörg emotionslos und kühl reagiert und mich zur Beruhigung umarmt habe. Nun, das komplette Gegenteil war der Fall gewesen, und wenn ich bis dahin gedacht hatte, Polizisten würden immer die Wahrheit sagen, und wenn sie vielleicht auch nicht unbedingt »dein Freund und Helfer« sind, wären sie doch zumindest bürokratisch korrekt, so hatte ich mich gründlich geirrt.

[S. 23f.]

Tatsächlich: die Anzeigenerstatterin war laut ihrem (sicherlich mit ihrem Einverständnis) im FOCUS veröffentlichten Tagebuch noch ganz anders über die Reaktion von Kachelmann unterrichtet worden:

 20.3. Er sei festgenommen worden. Sie hätten ihn. Hoffentlich bleibe er in U-Haft. Er habe den Überraschten gespielt. Was für ein verdammter Heuchler.

http://www.focus.de/magazin/archiv/die-akte-kachelmann-er-ist-doch-nicht-tot-schade–_aid_536766.html

Im September 2011 sagten die beiden Schwetzinger Polizeibeamten dann aber ganz anders aus:

 15.09.2010 15:17 Uhr

Kachelmann blieb bei Festnahme gelassen

Mannheim (AP) . Wettermoderator Jörg Kachelmann hat bei seiner Festnahme auf dem Frankfurter Flughafen am 20. März dieses Jahres nach Aussage von Polizeibeamten keine emotionale Reaktion gezeigt – auch nicht als ihm der Haftbefehl mit dem Vorwurf der Vergewaltigung gezeigt wurde. Das sagten am Mittwoch zwei Polizeibeamte vor dem Landgericht Mannheim aus, wo sich Kachelmann verantworten muss.

[…]

http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/255966

Bei Kachelmanns Rückkehr seien acht Beamte am Flughafen eingesetzt gewesen, Kachelmann sei auf einem Parkdeck verhaftet worden. Während seine Freundin darauf mit sichtlichem Entsetzen reagiert habe, habe Kachelmann keine emotionalen Reaktionen gezeigt, berichteten die Beamten. Die Festnahme sei sehr ruhig verlaufen.

http://www.berliner-zeitung.de/archiv/im-fall-kachelmann-schildert-die-polizei-vor-gericht-die-umstaende-der-festnahme-des-tv-wettermoderators-keine-emotionale-regung,10810590,10743086.html

Nur einer scherte aus:

Festnahme: Wie reagiert man, wenn man verhaftet wird? Zwei Polizisten sagen: Kachelmann sei bei seiner Festnahme völlig cool geblieben, habe kein Wort gesagt. Ein dritter Polizist beschreibt: «Er wirkte wie einer in der Sendung «Versteckte Kamera» – weiss nicht recht, wird er gerade reingelegt oder ist es ernst.»

http://www.sonntagszeitung.ch/nachrichten/artikel-detailseiten/?newsid=148586

Das war natürlich Futter für die Medienstaatsanwälte wie den Schwarzer-Fan Malte Arnsperger vom STERN, der genau weiß, wie ein durchschnittlicher Unschuldiger auf eine Verhaftung reagiert und ohnehin verzweifelt nach Verdachtsmomenten suchte, wo keine waren – es sollte ja schließlich spannend bleiben fürs Publikum:

Malte Arnsperger, 20.3.2011

Die Polizisten verfolgen die beiden und nehmen Kachelmann noch im Parkhaus fest. Vor Gericht werden sie später erzählen, er sei bei seiner Festnahme ruhig geblieben und habe nicht besonders überrascht gewirkt.

Dies ist ein winziges Detail, das seine Sprengkraft aber noch entwickeln sollte. Denn aus einem strafrechtlich eher unspektakulären und alltäglichen Vorwurf wird der „Fall des Jahres“ und dann der „Prozess des Jahres“, in dem alles auf die Goldwaage gelegt wird.

http://www.stern.de/panorama/kachelmann-prozess-vier-verliert-1665661.html

Es gibt zudem auch Verdachtsmomente, die für die Anklage sprechen. Darunter die angebliche Gelassenheit von Kachelmann bei der Festnahme.

http://www.stern.de/panorama/2-kachelmann-prozess-vier-verliert-1665661.html

Vom Verlust des Glaubens an den Rechtsstaat sind insbesondere Miriam Kachelmanns Beiträge geprägt. Sie eröffnen zudem einen ungeahnten Blick auf die Wirkungen, die ein Verfahren auf Angehörige und Partnerinnen eines Beschuldigten/Angeklagten ausübt. Nachdem die Durchsuchung des PKW abgeschlossen ist, steht sie plötzlich ganz allein da. Sie weiß nicht, wo ihr Freund hingebracht worden ist, sie will ihn sehen und ›abholen‹, sie weiß nicht, wohin sie mit dem ihr fremden Wagen hinfahren soll, als Führerschein-Neuling fährt sie verkrampft und unsicher in die Großstadt hinein und alsbald wieder heraus, und die einzige Hoffnung, die sie hegt, richtet sich darauf, daß ein Anwalt ihres Freundes sich bei ihr melden möge – und das geschieht auch.

Ihr nächster Beitrag: ›Miriams Sicht‹: Der Anwalt‹ [S. 115 – 119] ist ein kleines Kabinettstückchen. Ein Augenöffner gerade für in der Strafjustiz tätige Juristen, die sich niemals Rechenschaft darüber ablegen, wie denn ihr völlig übliches und systemkonformes Verhalten auf ratlose bis verstörte Dritte wirkt, die einfach nur wissen wollen, was los ist und wie es weitergeht. Da prallen Welten aufeinander: die Freundin, die nach langem Warten an einer Raststätte dem Treffen mit Rechtsanwalt Birkenstock entgegenfiebert, der Anwalt, der nach getaner Arbeit erst einmal speisen will: und so referiert Miriam Kachelmann entgeistert die Mahlzeit, die Birkenstock zu sich nimmt: »eine große Portion Bratwurst mit Sauerkraut und Kartoffelbrei und Kaffee« [S. 115], während sie wegen der Aufregung den ganzen Tag noch nichts gegessen hat und auch spätabends nichts herunterkriegt.

SIE erwartet Zuwendung und Information, ER ist durch das Beratungsgeheimnis zur Zurückhaltung verpflichtet, klopft SIE auf verwertbare Informationen ab und muß immer bedenken, ob es sich nicht um eine Frau handeln könnte, die, wenn sie die Wahrheit über das Liebesleben ihres Partners erfährt, wieder abspringt und seinem Mandanten schadet (wie es später mehrfach geschehen sollte).

Miriam Kachelmann:

In meiner durch die Ereignisse des Tages erzeugten Paranoia steigerte ich mich fast in den Gedanken hinein, einen Staatsanwalt vor mir sitzen zu haben.

[S. 116]

Immerhin, sie erfährt, daß der Verteidiger seinen Mandanten für unschuldig hält, aber auch, daß es »eine Weile dauern könnte mit Jörg«. Frau Birkenstock nimmt sie als feindliche, reservierte Person wahr, akzeptiert aber, wo soll sie auch hin, die Einladung der Familie Birkenstock nach Köln. Frau Birkenstock steuert Kachelmanns Volvo, Miriam ist Beifahrerin, und nun steigert sich das diffuse Gefühl, die Kontrolle über das eigene Leben verloren zu haben:

Die Fahrzeit von der »Wetterau« nach Köln beträgt ungefähr zwei Stunden, und das Gespräch deprimierte mich zusehends, da ich bemerkte, dass Frau Birkenstock offenbar Dinge über Jörg wusste, die mir unbekannt waren. Das half keineswegs, meine Stimmung aufzuhellen, sondern verstärkte das flaue Gefühl im Magen nur noch. Ich hatte nicht die Kraft zu fragen, wer die Frau war, die Jörg angezeigt hatte. Während der Verhaftung hatte ich noch gedacht, es sei diese Stalkerin, von der ich wusste, dass Jörg erfolgreich gegen sie vorgegangen war, aber die Andeutungen von Frau Birkenstock sprachen gegen diese Annahme.

[S. 118]

Es kommt noch zu einem freundlich-empathischen Gespräch mit Rechtsanwalt Birkenstock, aber dann ist es der Autorin doch auch wieder ganz fremd, daß die Familie sie zu einem Buffet bei Freunden mitnimmt, und daß man ihr gut zuredet, später noch in eine Disco zu gehen. Was für den Anwalt Profession ist, bedeutet ihr Weltuntergang. Juristen erholen sich von der Verantwortung, die mit dem Balancieren an Abgründen verbunden ist, nicht selten mit Geselligkeiten und Alkohol. Diejenigen, die in den Abgrund blicken (und dazu gehören auch die Angehörigen des unmittelbar Betroffenen), fühlen sich im Trubel fremd.

Die Psychologiestudentin Miriam Kachelmann ist allerdings eine Kämpferin, wie jedermann bei ihren öffentlichen Auftritten sehen konnte: die Phase der Hilflosigkeit wurde durch Aktivität überwunden, das Verfahren wurde auch zu ihrem, und was sie an ihm lernen konnte, im juristischen wie psychologischen Selbststudium, hat sie in dieses Buch eingebracht. Wie und warum das geschah, erzählt sie in dem grandiosen Herz-Stück ihrer Beiträge, ›Die Aussage‹ [S. 172 – 203].

Und daß sie wie nebenbei die Ehre der Frau an sich rettet, die durch die medialen Auftritte einiger weniger Ex-Geliebten nebst deren kalkulierter Opfer-Einvernahme durch Alice Schwarzer schwer gelitten hat, liest insbesondere die emanzipierte Leserin gern. Sie weiß ja, daß Schillers Worte über die Aggressivität von Frauen in Zeiten der entgrenzenden Revolution in heutigen friedliche Zeiten nur für gestörte Frauen gelten:

Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.

Denn nach der Kenntnisnahme von der Untreue ihres Partners, die sie trotz vergleichsweise zahlreicher Treffen immer für möglich gehalten hatte, reagiert Miriam Kachelmann reflektiert:

Ich war also durchaus enttäuscht und verletzt, aber diese Gefühle haben mir nie den Verstand vernebelt und mich zu einer rachsüchtigen Amazone mutieren lassen. Es ist eine Sache, jemanden zu betrügen (wozu, wie gesagt, nach meiner Meinung immer jemand gehört, der sich betrügen lässt); eine andere ist es, jemandem eine schwere Straftat vorzuwerfen, die er nicht begangen hat. Wer Jörg kannte und eine ehrliche Einschätzung über ihn abgab, wusste, dass er zu einer solchen Tat nicht in der Lage war und auch niemals sein würde. Deswegen war es ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen der Nebenklägerin, ihm eine Sache anhängen zu wollen, die so weit von Jörgs Naturell entfernt war – zumindest hatte ich noch gedacht, das müsste aussichtslos sein. Die Monate seit seiner Verhaftung hatten mich eines Besseren belehrt, nämlich dass sich immer Mitmenschen finden, die von einem das Zerrbild einer gestörten Persönlichkeit, eines Menschen mit schlechten Neigungen oder mit einem üblen Charakter herstellen. Falls man dazu noch im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, gesellen sich auch die Stalker und Wahnsinnigen dazu, die ihre Hassgefühle im Internet verbreiten. Und vor allem fehlen diejenigen nicht, die den Kontakt ohnehin nur aus Profitgründen gesucht haben und die im Fall eines Falles schnell die Seiten wechseln. Dann ist es eben jetzt eine Zeitung, die viel Geld bezahlt, um intime oder »pikante Sexdetails« oder sonst irgendetwas zu erfahren. Da fallen die Masken sehr schnell.

[S. 177]

Daß das Gericht trotz der Ohrfeige durch das OLG Karlsruhe diese perfide Medienstrategie übernimmt, wie sie es an der Ladungsliste ablesen kann, empört sie zutiefst. Sie ist in der Lage, die Untreue-Kränkung nebst der ungeklärten Beziehungslage erst einmal auf Eis zu legen und diese emotionalen Dinge vollkommen von dem Kampf um Gerechtigkeit zu trennen, der viel wichtiger ist als eigene Befindlichkeiten.

Zeugen sind niemals neutral, können es gar nicht sein. Das ›wissen‹ Strafjuristen, vergessen es aber gern, um sich in der Illusion zu wiegen, gerechte Urteile zu fällen. Obwohl es bekannt ist, daß Zeugen das unzuverlässigste Beweismittel überhaupt sind – erst recht eine ›Opferzeugin‹, die Ansprüche durchsetzen will und ein Interesse am Verfahrensausgang hat. Die via Akteneinsicht ihres regelmäßig aus der Staatskasse finanzierten Anwalts ihre Aussage den Ermittlungsergebnissen anpassen kann und daher der Wahrheitsfindung nicht dient. Das aussagepsychologische Kriterium ›Konstanz‹ hat ausgedient, wenn frühere Aussagen im Ermittlungsverfahren nachgelesen, auswendiggelernt und wiederholt werden. Klar wie sonst nirgendwo zu lesen beschreibt Miriam Kachelmann die Konflikte, die mit ihrer Zeugenrolle einhergehen: sie reist mit Wut im Bauch gegen das verbohrte Gericht an und hat eine Philippika vorbereitet, die sie zu Gehör bringen will. Ihr Anwalt wirkt auf sie ein, es sei doch besser, darauf zu verzichten, denn eine als neutral rüberkommende Zeugin sei für den Angeklagten doch wesentlich günstiger. Sie, die Leidenschaft und Ratio locker vereinbaren kann, geht schweren Herzens darauf ein.

Was dann folgt, ist eine Groteske. Die Beschreibung der Vernehmung gerinnt zu einem Sittenbild der Vernehmer. Zu einem Spiegel, der den verklemmten Voyeurismus des Gerichts, blanke Unkenntnis von Realitäten jenseits der Provinz  und das Bemühen, irgendwelche Dominanzen des Angeklagten zu etablieren (schließlich soll das Greuelsche feministische Zerrbild einer Täter-Opfer-Beziehung bestätigt werden, das den albernen, von der Anzeigenerstatterin in Szene gesetzten plötzlichen Jekyll & Hyde-Blick, das Umschalten zur Straftat, plausibel machen könnte – und das bei einem Mann, der sich regelmäßig Konfrontationen durch Flucht entzog), reflektiert. Die Wahrheit enttäuscht die Vernehmer schwer.

Nun begann die Kammer aufgeregt, den genauen Zeitpunkt unseres ersten Sex einzugrenzen, und fragte nach einem Datum. Ein genaues Datum konnte ich nicht mehr nennen, aber allein die Tatsache, dass es viele Monate nach unserem ersten Treffen gewesen war, hatte sie schon genug deprimiert.

[S. 191]

Es ist unglaublich, was man da lesen muß. Unglaublicher noch, daß weder ihr Anwalt noch RA Birkenstock einschritt. Immerhin, die Wut, die Miriam Kachelmann gegen das Gericht hegte, half ihr, diese entwürdigende Prozedur äußerlich unbeeindruckt zu überstehen. Und sie ist so klarsichtig, sich auch folgende Frage zu stellen:

Ich weiß nicht, ob Richter sich der Auswirkungen ihrer Befragungen bewusst sind und ob sich vielleicht auch eine gewisse Eigendynamik entwickelt, wenn man schon lange Richter ist, einen Zeugen, der stundenlang in diesem Saal sitzt, schon ein wenig zu kennen glaubt und sich in dieser allmächtigen Position befindet, in der man mehr oder weniger alles erfragen kann, was das Herz begehrt. Für mich hatte die Atmosphäre im Gerichtssaal etwas Unwirkliches, ohne Bezug zur Realität oder auch nur zum Verfahren. Ob das für die Gegenseite auch so war? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass das die freundlichste aller Deutungen ist. Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass es auch aus diesem Grund richtig und wichtig gewesen wäre, die Öffentlichkeit nicht auszuschließen, denn die Richter hätten unter den Augen des Publikums sicher die Notwendigkeit einer jeden Frage genauer geprüft. Jörgs späterer Anwalt Johann Schwenn hatte das von seinem ersten Prozesstag an erkannt und zwang die Kammer deshalb in solcherlei Situation zur Wiederherstellung der Öffentlichkeit.

[S. 193]

Ein Kapitel, das Strafjuristen sehr betroffen machen sollte – es wird nicht nur die 5. Große Strafkammer sein, die Grenzen überschreitet. Aber letztlich war es kontraproduktiv, daß dieses Gericht auf der Suche nach Schlechtigkeiten in Jörg Kachelmanns Leben gerade diese Zeugin so quälte: diese eindrückliche Episode brachte sie dazu, das Verfahren gegen ihren auf Eis gelegten Freund verstärkt als ein gemeinsames Verfahren aufzufassen: fortan, nach erstmals möglicher Klärung des Verhältnisses nach Entlassung als Zeugin, arbeitete sie der Verteidigung zu, und der Ertrag ihrer Erkenntnisse floß in den Beitrag zur Aussagepsychologie [S. 221 – 230], insbesondere aber in den bedeutsamen Teil VII, ›Was sich ändern muss‹ [S. 285 – 348], ein.

Nun muß ich doch noch einen Teil IV dieser Rezension schreiben – denn hier geht es ins Eingemachte, gegen den feministischen Mainstream in Medien und Justiz. Es wird entsprechend kenntnislos aufgeheult, und so sei also der morgige Tag den Aktivistinnen gewidmet, die dank Miriam Kachelmanns fundierten Einsichten ihre Felle davonschwimmen sehen. Mal sehen, wieviele Demonstrantinnen diese obskure, 2012 in Frankfurt a. M. gegründete Organisation, promotet von der auseinandergebrochenen ›Mädchenmannschaft‹ und den letzten bezahlten Aufrechten bei ›EMMA‹, auf die Beine stellen kann.

http://www.facebook.com/InitiativeFuerGerechtigkeitBeiSexuellerGewalt

Nach meiner Erfahrung stecken hinter solchen anonymen Organisationen regelmäßig Aktivistinnen, die in Frauennotruf-Organisationen ihr staatlich gefördertes Auskommen gefunden haben und denen daher daran gelegen ist, daß möglichst hohe Dunkelziffer-Annahmen hinsichtlich tatsächlicher sexueller Gewalt gegen Frauen im Gespräch sind, während das Problem der Falschbeschuldigungen marginalisiert werden muß. Denn an Gerechtigkeit, gar an Einzelfallgerechtigkeit, ist diesen interessegeleiteten Frauen nicht gelegen: schließlich geht es um ihre Existenzberechtigung und ihr Einkommen.

Warte ich also das kleine Getöse morgen vor dem LG Frankfurt ab, das ja die Relevanz von Miriam Kachelmanns Beiträgen unterstreicht: nur getroffenen Hunde bellen.

Die unnachahmliche EMMA reagiert nachahmlich:

Nun reagiert die Opferindustrie: „Kommt zum Gericht und lasst uns gemeinsam ein sichtbares Gegengewicht gegen Kachelmanns in den Medien propagierte Tatsachenverkehrungen bilden!“ ruft die „Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt“ auf. Der Ausgang des Prozesses ist, wie die gesamte Causa Kachelmann, ein Signal an alle Opfer sexueller Gewalt: „Sollte er den Prozess gegen Claudia D. gewinnen, müssen Frauen, die eine Vergewaltigung anzeigen, künftig fürchten, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen“, sagt Corina Haurová von der Initiative, im Interview mit EMMA. Auch Femen Deutschland kündigt eine Aktion an.

http://www.emma.de/news-artikel-seiten/kachelmann-proteste-in-frankfurt/

Nun weiß Google gar nichts über diese Frau Corina Haurová, aber wenn EMMA meint, sie gehöre zur Opferindustrie ohne Anführungszeichen, wird das schon seine Richtigkeit haben. Ob die Femen Deutschland auch so modelhaft attraktiv blankziehen können wie das ukrainische Original? Ich wage es zu bezweifeln. Models haben eher keine Affinität zu feministischem Gedankengut. Jedenfalls außerhalb der Ukraine nicht. Aber die Ankündigung dürfte den einen oder anderen tittengeilen Kameramann anlocken, der sich ganz bestimmt nicht zufriedengeben wird, wenn er nur auf verwelkte Sozialpädagoginnen aus Frauenprojekten stößt, die um ihren Arbeitsplatz fürchten. Schwarzer selbst ist klug genug, sich diesem Trüppchen nicht anzuschließen. Vergleichbare Aktivitäten betreibt sie nur, wenn BILD dafür bezahlt.

Dumm ist diese Frau Haurová sowieso: in Frankfurt a.M. geht es um ein Zivilverfahren, dessen Ergebnis keine Gefängnisstrafe sein kann. Die erstrebte Klagesumme dürfte nicht einmal 10 % der Einnahmen ausmachen, die die Anzeigeerstatterin Claudia D. clever aus dem Verfahren abschöpfte. Und daß intentionale Falschbeschuldigerinnen eine Gefängnisstrafe zu befürchten hätten, wäre auch ganz neu.

Frauen, die eine Vergewaltigung anzeigen, die stattgefunden hat, haben gar nichts zu befürchten. Wenn durch das Kachelmann-Verfahren und das Kachelmann-Buch ein Signal an Falschbeschuldigerinnen ausgesendet werden könnte, wäre das im Interesse der wahren Opfer nur zu begrüßen. Das müßten doch auch Hardcore-Feministinnen einsehen können.

Als Galionsfigur der Bewegung taugt die der mehrfachen Lügen überführte Claudia D. jedenfalls nicht.

Update (31.10.2012, 11 Uhr)

Attraktive Femen-Demonstrantinnen konnten bislang noch nicht in der Nähe des Frankfurter Landgerichts gesichtet werden; lediglich ein Trüppchen von fünf gegen die Kälte gut vermummter Aktivistinnen, die doch tatsächlich glauben, es gebe 150.000 Opfer sexueller Gewalt in Deutschland pro Jahr.

http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?key=standard_document_46516833&rubrik=36082&jm=2&jmpage=1&s=v&lugal=1&bp=0

Da haben sie sich, angesichts von aufgerundet 7.500 angezeigten Taten von Vergewaltigung/Vergewaltigung und sexuelle Nötigung mit Todesfolge, natürlich für die höchste der in interessierten Kreisen kursierenden Dunkelzifferquoten entschieden. Deren Schätzungen variieren zwischen dem Doppelten bis zum 20-fachen der angezeigten Taten, sind also bereits wegen dieser Spreizung nicht valide, sondern Glaubensfrage.

Update (1.11.2012)

Was ergab denn die Pressenachlese so?

Über Julia Jüttners SPIEGEL- (ja was denn nun? Bericht? Kolportage?) gab’s ja schon was in den Kommentaren zu meinem Blogbeitrag. Nun hat sich auch derjenige zu Wort gemeldet, über den falschberichtet wurde:

An dieser Geschichte http://www.spiegel.de/panorama/justiz/kachelmann-fordert-schadensersatz-von-seiner-ex-geliebten-a-864460.html kann man exemplarisch zeigen, was ich jeweils mit #vollpfostenjournalismus meine. Es ist ein Journalismus, in dem nicht mehr berichtet wird, was passiert ist, es keinen Faktencheck mehr gibt, sondern freie Erfindung an die Stelle von Berichterstattung tritt. […]

Juettner dichtet schon im Lead: „Doch den Trumpf, die Begegnung öffentlich auszuspielen, gewährte das Gericht ihm nicht.“ Und: „Kachelmann sucht die Öffentlichkeit geradezu, sie soll an seiner Reinwaschung genauso teilnehmen wie an dem teilweise würdelosen Prozedere im Strafprozess. Sein Lächeln versiegte, als Richter Kästner nach weniger als vier Minuten verkündete, die Öffentlichkeit werde von der Verhandlung ausgeschlossen, weil „persönliche Verhältnisse der Parteien erörtert werden, die nicht in die Öffentlichkeit gehören“. Der Punkt geht an Claudia D.“
Frei erfundener Schwachsinn und es tut weh, sowas zu lesen an einem Ort, wo SPIEGEL draufsteht, auch wenn es nicht die geliebte Printausgabe ist. Die Wahrheit: Das Gericht hatte im Vorfeld des Verhandlungstags vorgeschlagen, die Oeffentlichkeit auszuschliessen. Meine Anwaeltin, Frau Dr. Welker, hat nicht nur diesen Vorschlag begruesst, sondern auch einen separaten Antrag auf Ausschluss der Oeffentlichkeit gestellt, weil am Anfang eines zivilgerichtlichen Verfahrens die Gueteverhandlung steht und diese in einem entspannten Umfeld ohne die Anwesenheit von sabbernden Journalisten etc. stattfinden sollte, die einem wie Juettner ein versiegendes Laecheln ins Gesicht dichten.
Kurzum: Das Gericht hat unserem Antrag entsprochen und das hat uns gefreut und mit dem Laecheln muss sich die spon-Kollegin nun halt was Neues ueberlegen. Haette Frau Juettner wenigstens die Recherchekraft eines abgetauten Kuehlschranks, haette sie die Tatsache, wer den Vorschlag des Gerichts via Antrag unterstuetzt hat, wahrscheinlich vom Gericht erfahren, aber das haette den Lead und den Dreh der Geschichte kaputtgemacht, den sie zwar so als Einzige hatte, aber eben nicht den Fakten entspricht.
Wenigstens war Gisela Friedrichsen im Gerichtssaal. Sie hat als Nachfolgerin keine „Tochter Mannheims“ verdient

Jörg Kachelmann@J_Kachelmann

An dieser Geschichte (cont) http://tl.gd/jrngsb

https://twitter.com/J_Kachelmann/status/263952408831483904

http://www.twitlonger.com/show/jrngsb

Erstaunlich war es jedenfalls, daß Jüttner den Ausschluß der Öffentlichkeit als Wohltat für die Beklagte auffaßte, obwohl sie von dem Mannheimer Strafverfahren entschieden weniger weiß als ihre kompetente Kollegin Friedrichsen.

Nachtrag:

Julia Jüttner hat offenbar einen Ghostwriter – das ergibt sich aus ihrer Reaktion auf diese Richtigstellung [Hervorhebung von mir]. Dummerweise fiel ihr auch die Redaktion noch in den Rücken, weil sie aus der Klageschrift eine Anklageschrift gebastelt hatte:

Nachtrag: Das Landgericht Frankfurt am Main hatte im Vorfeld des Verhandlungstages vorgeschlagen, die Öffentlichkeit von der Verhandlung auszuschließen. Kachelmann legt Wert darauf, dass auch seine Anwältin Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit gestellt hat. Das ist nach Angaben des Landgerichts korrekt. Nichtsdestotrotz versiegte nach unserer Wahrnehmung sein Lächeln, als die Zuschauer den Saal verließen.


Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes war von einer Anklageschrift die Rede. Tatsächlich handelt es sich um eine Klageschrift. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/kachelmann-fordert-schadensersatz-von-seiner-ex-geliebten-a-864460.html

Das muß man jetzt wirklich nicht mehr kommentieren, das spricht für sich. Ein grundlos versiegendes Lächeln – oder gab es gar den Grund, daß es nach der Entlassung des Publikums nun zur Sache ging? Klage, Anklage, ist eh alles dasselbe. Eigener Unschuldsbeweis und Beweis einer Straftat der Gegnerin ebenfalls, das ist doch Paragraphenreiterei. Und Gerichtsreporter kann sowieso jeder.

Wo viel Schatten ist, gibt es manchmal auch Licht. Die Frankfurter Neue Presse lieferte den Sonnenstrahl, der allerdings eine Gegend erhellte, in der man sich nicht länger als nötig aufhalten möchte:

Vier Minuten Kachelmann

Der Wettermoderator und seine Ex-Geliebte stehen sich in Frankfurt erneut vor Gericht gegenüber

Jörg Kachelmann fordert von seiner früheren Freundin über 13 000 Euro für Gutachter-Kosten. Der Auftritt von Claudia D. sorgt bei vielen für Verwunderung. Von Anne Zegelman

Von Anne Zegelman

[…]

Der Streit zwischen Jörg Kachelmann und Claudia D. geht in die nächste Runde. Diesmal verklagt zur Abwechslung einmal er sie: auf genau 13 352 Euro und 69 Cent. Diese Summe fordert Kachelmann, der vor gut eineinhalb Jahren vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde, für Gutachterkosten, die ihm nach eigenen Angaben während des Prozesses in Mannheim entstanden sind. Er wirft seiner ehemaligen Geliebten vor, ihn vorsätzlich falsch beschuldigt zu haben.

Richter bleibt gelassen

Das mediale Interesse ist auch diesmal groß. So groß, dass der Auftritt des vorsitzenden Richters Richard Kästner im lauten Geklicke der auf Claudia D. gerichteten Kameras völlig untergeht. „Aufstehen, aufstehen!“, geht plötzlich ein Raunen durch den Saal, und nach und nach erheben die Anwesenden sich. Richter Kästner sieht den Verstoß gegen das Protokoll gelassen: „Noch 30 Sekunden“, weist er an. Anschließend ist Schluss, die Fotografen werden freundlich, aber bestimmt zum Ausgang geleitet.

Und auch die restlichen Zuschauer dürfen gerade noch dabei zusehen, wie die Beklagte ihre Sonnenbrille abnimmt. Anschließend, nach ganzen vier Minuten, werden sie ebenfalls zum Gehen aufgefordert. Die Kammer hat beschlossen, die Öffentlichkeit auszuschließen.

Wer genau dies beantragt hat, bleibt unklar. „Beide Parteien wurden zum Ausschluss der Öffentlichkeit befragt“, erklärt Gerichtssprecher Arne Hasse den Journalisten. Und ohnehin sei es in Zivilverfahren vorgesehen, die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn private Angelegenheiten verhandelt würden.

Später teilt das Gericht schriftlich mit, die ausführliche Güteverhandlung sei „in konstruktiver Atmosphäre verlaufen“, habe jedoch zu keinem Ergebnis geführt. Sowohl Jörg Kachelmann als auch Claudia D. hätten daraufhin gebeten, die Verhandlung zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. Eine persönliche Anhörung der Parteien habe nicht stattgefunden. Ein neuer Termin stehe noch nicht fest, so Arne Hasse.

Es dürfte jedoch auch weiter spannend bleiben. Denn die Beweislast liegt diesmal beim Kläger. Kachelmann muss also nachweisen, dass seine Ex-Freundin gegen ihn falsche Anschuldigungen erhoben hat, so wie er nun behauptet.

Moralisch wichtig

Auf den vorangegangenen Prozess vor dem Landgericht Mannheim habe die Entscheidung des 18. Zivilsenats des Frankfurter Landgerichts jedoch keine Auswirkungen, sagte Hasse den Journalisten: „Das sind zwei unterschiedliche Verfahren.“ Vor allem vom moralischen Standpunkt aus ist der nun beginnende Prozess für Kachelmann wichtig. „Wenn die Kammer die Beklagte verurteilt, ist sie davon überzeugt, dass die Beschuldigungen falsch waren“, so Hasse. Gibt das Gericht dem ehemaligen Fernsehliebling Recht, könnte dies seine oft betonte Unschuld untermauern.

Die Verhandlung findet in Frankfurt statt, weil Kachelmann hier im März 2010 nach seiner Rückkehr von den Olympischen Winterspielen in Kanada verhaftet wurde.

Artikel vom 01. November 2012, 03.27 Uhr (letzte Änderung 01. November 2012, 12.16 Uhr)

http://www.fnp.de/fnp/nachrichten/vermischtes/vier-minuten-kachelmann_rmn01.c.10284876.de.html

Sachlich, neutral, informativ – und völlig frei von dem oft zu lesendem und zu hörendem Unfug, der Kläger müsse in diesem Verfahren seine Unschuld beweisen (das mußte er schon gar nicht in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren): es geht um den Beweis der Falschbeschuldigung mit dem Ziel der Freiheitsberaubung, die die Beklagte begangen haben soll.

Eine Stadt, zwei Blätter, wie sie unterschiedlicher gar nicht sein könnten. Nun weiß ich nicht, wie die FNP wirtschaftlich dasteht; von der Frankfurter Rundschau weiß man es, und fast könnte man eine Korrelation zwischen ökonomischen und journalistischem Niedergang vermuten: schon in der Medienkampagne gegen den Bundespräsidenten Wulff tat sich die FR mit einer falschen Berichterstattung hervor, die sie zurücknehmen mußte. In einer Mischung aus Berichterstattung und hämischem Kommentar textete Stefan Behr:

Kachelmann will Schadensersatz

Wetterfrosch trifft Lausemädchen

Von Stefan Behr

Der erste Verhandlungstag im Prozess um Schadensersatz für Jörg Kachelmann bleibt ohne Ergebnisse. Der Wettermoderator versucht den Spagat zwischen Rache und Buchwerbung.

Darauf hat sich der Boulevard geeinigt: Rachefeldzug, Buchwerbung, Jammerei (denn Opfer sind nicht gleich Opfer). Witzig ist allerdings, wie Behr diejenigen qualifiziert, zu denen er ausweislich seines Artikels selber gehört:

Jetzt will Kachelmann Schadensersatz von Claudia D. – exakt 13352,69 Euro fordert er für Gutachten, die er für seine Verteidigung benötigt habe. Böse Zungen behaupten, dieser Prozess sei so eine Art Werbeevent für sein Buch.

http://www.fr-online.de/panorama/kachelmann-will-schadensersatz-wetterfrosch-trifft-lausemaedchen,1472782,20757608.html

Stefan Behr:

Wenn’s der Causa Kachelmann dient, lässt sich der gefallene Wetterprophet auch schon mal in einer Talkshow von Ex-Bild-Chef Hans-Hermann Tiedje beschimpfen, da ist er relativ schmerzfrei.

Jau, das ist die rechte Sichtweise. Nicht der Pöbler ist zu rügen, sondern derjenige, der nicht zurückpöbelt.

Stefan Behr:

Drinnen geht es um die Zivilsache Jörg Kachelmann gegen Claudia D. Eigentlich ist der Fall bis zum Überdruss bekannt und juristisch abgefrühstückt. Das Landgericht Mannheim hat Kachelmann im Mai 2011 von der Anklage der Vergewaltigung freigesprochen. Seitdem ist Kachelmann beleidigt.

[…]

Über Kachelmann wird gerne gesagt, er habe lediglich einen „Freispruch zweiter Klasse“ erhalten – was immer das sein soll. Freigesprochen wurde er jedenfalls. Was ihn in den Augen der Justiz unschuldig macht. Nicht in den Augen der Öffentlichkeit.

http://www.fr-online.de/panorama/kachelmann-will-schadensersatz-wetterfrosch-trifft-lausemaedchen,1472782,20757608.html

Wie kann jemand wegen eines Freispruchs „beleidigt“ sein? Wäre hier nicht der Begriff „empört“ angebrachter, weil die Mannheimer Justiz viel zu lange an Untersuchungshaft und an einem unhaltbaren Vorwurf festhielt? Und liegt es nicht an der ›Qualität‹ der mündlichen Urteilsbegründung, daß die ›Öffentlichkeit‹, genauer: viele Medien und ein kleinerer Teil des Publikums, ihn nicht für unschuldig halten? Eine Meinung, zu der Stefan Behr mit seinem polemischen Artikel durchaus beiträgt.

Stefan Behr:

Für Kachelmann ist es wohl der Beginn eines größer angelegten PR- und Rachefeldzugs. Das Landgericht Mannheim hat ihm erst unlängst erlaubt, Claudia D. in seinem Buch mit vollem Namen zu nennen und als „Falschbeschuldigerin“ zu bezeichnen. Und es besteht durchaus die Gefahr, dass die Gerichte nicht in allen Fällen so gnädig sein werden, die Öffentlichkeit auszuschließen.

http://www.fr-online.de/panorama/kachelmann-will-schadensersatz-wetterfrosch-trifft-lausemaedchen,1472782,20757608.html

Ja nun, Behr hat weder das Kachelmann-Verfahren verfolgt noch das Buch gelesen, da kommt man wohl schon mal auf solche Ideen. Er ist aber auch sonst ununterrichtet: es war der Beklagten-Vertreter, der das Zivilverfahren und die Verfahren wegen der einstweiligen Verfügungen in die Medien trug und einen Journalisten mit Aktendetails und privaten Informationen über Claudia D. versorgte. Prozeß-PR macht nicht Jörg Kachelmann. Und Gerechtigkeit kommt nicht von Rache.

Immerhin, Rechtsanwalt Zipper hat dazugelernt und verspricht Besserung, wenn auch mit angedeutetem Verfallsdatum:

Nach einer Einigung sah es am Mittwoch nicht aus. Kurz nach Prozessauftakt erklärte das Gericht die Güteverhandlung zwischen den Parteien für gescheitert. Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien werde ein weiterer Verhandlungstermin angesetzt. Mehr wurde zunächst nicht bekannt. „Wir haben uns mit der Gegenseite darauf geeinigt, zum jetzigen Zeitpunkt Stillschweigen zu bewahren“, sagte der Rechtsanwalt der Beklagten, Manfred Zipper.

http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?rubrik=36082&key=standard_document_46516833

Und was die Motivation der fünf plakatierenden Damen –  Stefan Behr verteilt seine Häme großzügig auch auf sie – angeht, hat Hannelore Crolly in der WELT auch Folgendes in Erfahrung gebracht:

Derweil verteilt vor dem Frankfurter Gerichtssaal, wo sich, wie einst in Mannheim, Zuschauer und Internet-Blogger über die „Causa Kachelmann“ erhitzen, eine junge Frau kleine Flugblätter. Die „Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt“ empört sich darüber, dass Kachelmann wieder einmal eine große Bühne bekommen hat.

„Opferindustrie? Wo gibt’s denn die?“ steht auf dem Faltblatt, es folgt ein „Faktencheck“. Die Quote der Falschbeschuldigungen bei Vergewaltigungen liege lediglich bei drei Prozent, ähnlich wie bei anderen Delikten, heißt es. Frauenberatungsstellen seien unterfinanziert, eine psychosoziale Prozessbegleitung fehle. Fazit: Eine Opfer-Industrie existiere mitnichten.

http://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article110460692/Fall-Kachelmann-Nun-ist-Claudia-D-die-Beklagte.html

Da hört man schon den Ruf nach mehr Geld heraus… Da sollten sie sich doch ein Beispiel am WEISSEN RING nehmen, dessen Frankfurter Statthalter, Rechtsanwalt Ulrich Warncke, gestern mal wieder die Reputation seines Vereins beschädigte.

O-Ton Ulrich Warncke: “Herr Kachelmann versucht hier, seinen Freispruch zweiter Klasse aufzuwerten, indem er einen Schadenersatz fordert und versucht, nachträglich die ganze Geschichte zu Lasten des Opfers zu klittern. Wie er es ja in seinem Buch auch schon versucht hat.”

http://www.stern.de/panorama/zivilklage-nach-strafverfahren-kachelmann-klagt-gegen-seine-ehemalige-freundin-1918770.html?srtest=1

Dabei sollte er zurückhaltender sein, immerhin sah er sich schon im Jahr 2009 aus den eigenen Reihen mit dem Vorwurf konfrontiert, er vermische seine Anwaltstätigkeit mit der Funktionärstätigkeit als Leiter von zwei Frankfurter Außenstellen des WEISSEN RINGS.

http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/hessen/hochtaunus-aussenstelle-aufgeloest-beim-weissen-ring-tobt-ein-heftiger-streit-1796314.html

In eigener Sache funktioniert die Akquise jedenfalls bestens, sieht man sich den aktuellen Finanzbericht 2011 an:

https://www.weisser-ring.de/fileadmin/content/Jahresberichte/neuEinzelWR_Jahresbericht_RZ_Komplett_2012_09_24.pdf

Die Spender wird es womöglich erstaunen, daß bei 14,2 Millionen Euro „Betriebsertrag“ und 740.000,- Euro Finanzertrag und einem ausgewiesenen Jahresüberschuß von ca. 1 Million Euro lediglich 5,9 Millionen Euro in die Opferhilfe fließen. Dieser Posten macht nur 42 % (2010: 45%) der Gesamtaufwandes aus (abzüglich von 16% Verwaltungskosten, was mir ebenfalls sehr hoch erscheint).

Und was geschieht mit den restlichen 58% der Einnahmen? Aus dem Bericht ergibt sich hierfür gar nichts. Aber die Bundesvorsitzende Roswitha Müller-Piepenkötter, die mal in NW CDU-Justizministerin war, verweist im Vorwort auf die weitere Tätigkeit des Vereins, nämlich das öffentliche Eintreten für die Belange der Geschädigten (sprich: Lobby-Tätigkeit) und die Kriminalitätsvorbeugung. Wieder was dazugelernt.

Update (3.11.2012)

Damit hat der WEISSE RING-Vertreter Ullrich Warncke seinen Verein ins Abseits geschossen – man könnte fast sagen, daß er den Mannheimer Richtern ein Fehlurteil zur Last gelegt:

http://unterhaltung.freenet.de/video/kachelmann-klagt-auf-entschaedigung_663024.html?page=3&assets=18&bcautostart=true

O-Ton Ulrich Warncke bei N 24:

Das ist ein Versuch, nachzutreten, dem ich allerdings keine großen Erfolgsaussichten beimesse, denn das Opfer hat ja nur das ausgesagt, was es wahrgenommen hat, und dafür gibt es keinen Rechtsgrund, zu bezahlen.

Und die unverdrossene Alice Schwarzer testet weiterhin die Grenzen der Meinungsfreiheit aus, witzig und charmant wie immer:

Eine Stunde vor der Lesung steht Alice Schwarzer auf der Bühne. Sie weiß aus Erfahrung, was schiefgehen kann. Und wirklich: Der Scheinwerfer steht falsch, der Lehnstuhl ist was für Großmütter, der Tisch ist zu groß. Also schleppt der Bürgermeister einen Stuhl heran, am Ende passt alles. Die Lesung vor ausverkauftem Haus kann beginnen, und es dauert nur wenige Minuten, bis Alice Schwarzer das Publikum mit ihren Geschichten, ihrem Witz und ihrem Charme bezaubert hat.

Beim anschließenden Gespräch geht es natürlich auch um die Kachelmann-Geschichte. Schwarzer sagt, sie habe sich eingemischt, weil die großen Zeitungen von vorneherein auf der Seite des Moderators gestanden hätten: „Ich weiß nicht, wer gelogen hat. Ich habe nur daran erinnert, dass in einem Vergewaltigungsprozess vielleicht doch das Opfer die Wahrheit sagt.“ Viel Applaus.

http://www.mainpost.de/regional/franken/Sie-nannten-sie-Alois;art1727,7112672

Irgendwo im Netz habe ich den Satz gelesen, daß Ideologen von ihren kognitiven Fähigkeiten keinen Gebrauch machen (wenn sich der Urheber bei mir meldet, liefere ich ihn gern nach!). Dem kann man sich nur anschließen.

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14 Gedanken zu „Jörg & Miriam Kachelmann: Recht und Gerechtigkeit – mehr als eine Rezension (III)

  1. @ Tagnessa
    https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/10/31/jorg-miriam-kachelmann-recht-und-gerechtigkeit-mehr-als-eine-rezension-iii/#comment-676

    Diese Themen haben mit dem Fall Kachelmann nach genauerer Recherche wenig zu tun.

    Sie haben gar nichts dem Fall zu tun. Aber sie grundieren den Hintergrund der feministischen Kritikerinnen, weshalb ich gerne wider den Stachel löcke, was die ›männlich strukturierte Gewalt‹ und die Herrschaftsstrukturen angeht.

    a) Er vergewaltigt sie, empfindet es anders und weiß es nicht.

    Das halte ich für ausgeschlossen, soweit unter ›Vergewaltigung‹ der strafrechtliche Tatbestand verstanden wird und keine ›gefühlte‹ Vergewaltigung qua eingeforderter Definitionsmacht des ›Opfers‹, die auch noch Jahre später ausgeübt werden kann – die wird in feministischen Kreisen propagiert und in Beratungsbroschüren verbreitet.

    b) Sie erträgt seine sexuellen Handlungen wider Willen, weil sie finanziell oder psychisch abhängig ist.

    Wieviele Einverdiener- und Hausfrauenehen gibt es denn überhaupt noch? Und psychische Abhängigkeit scheint mir eher auf Seiten der Männer zu liegen, die nur in einer Minderheit Scheidungsanträge stellen und mit Trennungen weitaus schlechter umgehen können als Frauen.

    c) Ihr Alltag ist geprägt durch Familienarbeit (einschließlich Altenpflege), obwohl sie an der fehlenden Anerkennung leidet.

    Hat nicht der Feminismus zur fehlenden Wertschätzung entscheidend beigetragen?

    d) Sie verschweigt ihre politische Meinung, um ihren Arbeitsplatz, ihre Karriere oder ihren Ruf nicht zu gefährden so lange und so gründlich, dass ihr schließlich kaum noch bewusst ist, was sie verändern möchte.

    Diesen Passus würde ich gern erweitern: Alle abhängig Beschäftigten verschweigen ihre Meinung, um ihre berufliche Existenz nicht zu verlieren. Das Überangebot an Arbeitskräften macht es möglich.

    e) Ihre gleichwertige Arbeit wird geringer bezahlt als seine, und ihre Art und Weise, sie zu erledigen, wird als minderwertig eingestuft.

    Hier gehen Sie dem Gender Pay Gap Mythos auf den Leim. Ich empfehle zwei weiterführende Artikel:

    http://sciencefiles.org/2012/09/15/ende-einer-genderphantasie-die-glaserne-decke-in-scherben/

    http://sciencefiles.org/2011/07/03/gender-pay-claptrap-wie-die-ig-metall-ihre-mitglieder-fehlinformiert/

    Ich hoffe, daß Sie mit diesen Denkanstößen etwas anfangen können?

  2. Herzlichen Dank Frau Wolff für die differenzierte sachliche Darstellung. Das Gefühl fehlender Sympathie für Miriam Kachelmann aus der Fernsehsendung mit Günther Jauch wurde dadurch relativiert. Trotzdem möchte ich hier meinen „feministischen“ Ansatz betonen und darauf hinweisen, dass grundsätzlich die typisch männliche strukturelle Gewalt in unserer Gesellschaft für mich ein großes Problem ist, dem wesentlich mehr Beachtung und Öffentlichkeitsarbeit zu widmen sei. Aber ich kenne auch die Aktualität von Schillers Versen

    „Da werden Weiber zu Hyänen
    Und treiben mit Entsetzen Scherz,
    Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
    Zerreißen sie des Feindes Herz.“

    und weiß sehr wohl, dass Männer ebenfalls Opfer sind – es besonders schwer haben können in der Auseinandersetzung gegen einen undifferenzierten medieninszenierten Mainstream.

    • @tagnessa

      Da ich würde ich doch mal ganz naiv fragen, was denn unter der „typisch männlichen strukturellen Gewalt“ genau zu verstehen ist? Weil der Begriff der Gewalt wird eh schon mal sehr inflationär definiert, sodass quasi alles und nix darunter fallen kann und auch der Begriff der „Struktur“ oder des „strukturellen“ scheint mir nicht ohne zu sein. Zudem: Ist das „Männliche“ gleichzeitig abhängige wie unabhängige Variable?

      Ok, ich frage einfach mal nach, weil das scheint mir alles nicht so leicht zu beantworten

      • Entschuldigung! Ich habe mich nicht korrekt ausgedrückt (als mir die Wortschöpfung typisch weibliche strukturelle Gewalt allzu schnell in die Feder floss). Das mir wichtige Thema ist die Gewalt, die viele Frauen von Männern erleiden, im Wesentlichen wegen der Herrschaftsstrukturen in unserer Gesellschaft. Beispiele:

        a) Er vergewaltigt sie, empfindet es anders und weiß es nicht.
        b) Sie erträgt seine sexuellen Handlungen wider Willen, weil sie finanziell oder psychisch abhängig ist.
        c) Ihr Alltag ist geprägt durch Familienarbeit (einschließlich Altenpflege), obwohl sie an der fehlenden Anerkennung leidet.
        d) Sie verschweigt ihre politische Meinung, um ihren Arbeitsplatz, ihre Karriere oder ihren Ruf nicht zu gefährden so lange und so gründlich, dass ihr schließlich kaum noch bewusst ist, was sie verändern möchte.
        e) Ihre gleichwertige Arbeit wird geringer bezahlt als seine, und ihre Art und Weise, sie zu erledigen, wird als minderwertig eingestuft.

        Diese Themen haben mit dem Fall Kachelmann nach genauerer Recherche wenig zu tun.

  3. @ Chomsky

    Ich möchte nur mal höflich anmerken, daß deine Begrifflichkeiten etwas daneben sind. Du mußt zuallererst einmal zwischen philosophischem Materialismus und Idealismus unterscheiden und dem umgangssprachlichen Materialismus und Idealismus. Das sind letztlich zwei sehr verschiedene Welten.

    Außerdem sind auch die Allerweltskonzeptionen von Materialismus und Idealismus unangemessen, um Niedertracht und Aufrichtigkeit zu beschreiben. Ich finde das immer seltsam, wenn ich solche unpsychologischen Betrachtungen lese.

    Ein Idealist kann unter Umständen ähnlich weltfremd und pervertiert sein wie ein Materialist. Zudem ist es letztlich völlig willkürlich, wie man nun jemanden einordnet und welches Verhalten man wie etikettiert. Was bringt es mir, eine Feministin auch als „idealistisch“ zu bezeichnen?

    Mich wundert es etwas, daß man diese Begriffe benutzt, um destruktives und krankes Verhalten von gesundem und ehrlichem Verhalten zu unterscheiden.

    Jemand kann noch so sehr an Benachteiligungen „glauben“, pervers ist sein verhalten trotzdem. Da helfen die Begriffe Idealismus und Materialismus wenig.

    Adolf Hitler war übrigens auch ein „Idealist“.

    Ich komme mit solchen weltfremden Begrifflichkeiten immer nicht klar, und ich wundere mich immer, wenn ich einige Hobbyphilosophen auf „Alles Evolution“ studiere, die hauptsächlich durch Namedropping und abstrakt-unverbindliche Gedankengebäude auffallen und den Eindruck erwecken, sie könnten nicht losgelöst von „großen Philosophen“ selbständig denken.

    In diesem Sinne Grüße in die Schweiz

    Deine Landsmännin Alice Miller hat übrigens sehr Wichtiges zum Verständnis von Ideologien beigetragen. Ohne Begriffsklauberei. Dazu muß man allerdings die abstrakt-unverbindliche intellektuelle Ebene verlassen.

    • Chomsky hält nicht viel von Psychologie – er präferiert die abstrakten Modelle. Die zwar etwas aussagen, aber die immer eine Spur daneben und bei der Beurteilung aktueller Sachverhalte nur begrenzt hilfreich sind.

      Tatsache ist, daß jedes Ideal aus individueller Betroffenheit erwählt wird, und es ist ganz zufällig, ob es außerdem auch noch einer moralischen Bewertung standhält.

      Das glaube ich bei Beschwörerinnen und Zahlenmanipulateurinnen, die eine nicht mehr vorhandene Unterdrückung behaupten, nicht. Und was die persönliche Betroffenheit angeht, können da nur defizititäre
      Lebensereignisse zugrundeliegen, wie auch immer die zustandekamen. Wenn dann noch Unterfinanzierungen beklagt werden, dann weiß ich, wo der Hase läuft.

      Empirie und Lebenserfahrung sind vielleicht soziologischen Modellen nicht unbedingt überlegen, ergänzen sie aber ganz gut. Finde ich.

      • @Kirk

        Hallo Kirk, altes Haus – schön, wieder mal von Dir zu lesen, ich habe mich ja immer köstlich amüsiert ab Deinen Beiträgen! 🙂 Nun, ich glaube, Deine Argumentation zielt an meiner Intention völlig vorbei! Mir ging es nicht darum, wer wie weltfremd oder pervertiert ist oder nicht, sondern um die Frage, wie die Menschheitsgeschichte oder das Handeln der Menschen zu erklären ist und ich denke, Bourdieu zielt bei seiner Vermittlung von Materialismus und Idealismus doch eher auch auf den Historischen Materialismus von Marx:

        „Der historische Materialismus (manchmal auch: ökonomischer Materialismus), der auf Karl Marx zurückgeht, überschneidet sich mit dem erkenntnistheoretischen Materialismus, ist aber nicht mit ihm identisch. Er sieht die menschliche Geschichte nicht durch Ideen oder einen „Weltgeist“ bewegt, die sich in der Geschichte verwirklichten, sondern durch ökonomische Interessen und Interessenkonflikte. Demnach wandeln sich Gesellschaften nicht durch Ideale, sondern aufgrund ständiger Klassenkämpfe, in denen diese ökonomischen Interessenkonflikte kollektiv ausgetragen werden. Auch Konflikte zwischen Gesellschaften ließen sich dadurch erklären, beispielsweise bei Kriegen, die nur aus wirtschaftlichen Gründen geführt werden. Der historische Materialismus leitet aus dieser und einer Reihe weiterer Annahmen ein komplexes Gesellschafts- und Geschichtsmodell ab. Gegenbegriff ist der wissenschaftstheoretische Idealismus, der je nach Variante Ideen bzw. Ideale entweder als den einzigen (so Hegel) oder zumindest als einen (von materiellen Interessen) unabhängigen Faktor der Menschheitsgeschichte ansieht.“

        http://de.wikipedia.org/wiki/Materialismus#Kritik_am_Materialismus_und_Auseinandersetzung_mit_dem_Idealismus

        @Gabriele

        Chomsky hält schon etwas von der Psychologie, wenn sie

        a) als Sozialwissenschaft betrieben wird und das ist nun einfach bei einem grossen Teil der Psychoanalyse nicht der Fall;

        b) interdisziplinär mit den übrigen Humanwissenschaften als eine Menschenwissenschaft (im Sinne von Norbert Elias) betrieben wird und zudem noch kritisch ist (im Sinne der Kritischen Theorie oder der Kritischen Psychologie z.B. nach
        Holzkampf)

        Ich habe selbstverständlich nix gegen idiosynkratische und biografische Konzepte, aber auch diese müssen immer wieder, quasi dialektisch, mit der „Totalität“ in Verbindung gebracht werden.

  4. „Opferindustrie“ ist doch klar genug formuliert:

    – Warum sollte man diese wohl verteidigen?
    – Weil man an ihren, pardon, Nippeln saugt?

    Ich denke, Frau Wolff hatte in ihrer Antwort zurecht genug zitiert!

    Und nun weiter, im Leben der vermeintlichen „Opfer“
    – dabei verkennend, wer hier tatsächlich dazu gemacht wird

    Hauptsache, das Geld fließt in einem Miliarden-Markt!

    Off Topic: Danke an Gabriele Wolff für diesen fantastischen Blogg

  5. Gabriele u. Chomsky
    Zuerst meine 5 Sternchen für diesen Artikel, Gabriele. Ich fand ihn noch besser als die andern beiden, wahrscheinlich, weil meine, vielmehr unsere, Positionen als Prozessbeobachter von Miriam so gut dargestellt wird.
    Ich konnte alles so gut nachvollziehen, den Unglauben, aber das Vertrauen, daß die deutsche Justiz ja so erwas nicht zulassen könne und die wachsende Empörung bis hin zur echten Erschütterung, was alles doch möglich war und ist.

    Zum vorhandenen oder nicht vorhandenen Idealismus der Opfer-Industrie ist meine Meinung eine ganz pragmatische, gestützt auf (schlag mich nicht, Chomsky) eigene Erfahrung und Beobachtung.
    Ich glaube, zuerst ist da ein Idealist, dann ist da ein Idealist, der Geld braucht, um seine Ziele durchzusetzen, dann mutiert er also zwangsweise zum Materialisten, bzw. verbündet sich jemandem, der Geld besser beschaffen kann, damit wird die Bewegung notwendigerweise zur Ideologie und fertig.
    Ich weiß jetzt nicht ob Bourdieux das Gleiche meint, aber so läufts meistens ab, und die Holocaust-Industrie ist auch ein gutes Beispiel dafür.

  6. @Gabriele

    Du schreibst:

    Nach meiner Erfahrung stecken hinter solchen anonymen Organisationen regelmäßig Aktivistinnen, die in Frauennotruf-Organisationen ihr staatlich gefördertes Auskommen gefunden haben und denen daher daran gelegen ist, daß möglichst hohe Dunkelziffer-Annahmen hinsichtlich tatsächlicher sexueller Gewalt gegen Frauen im Gespräch sind, während das Problem der Falschbeschuldigungen marginalisiert werden muß. Denn an Gerechtigkeit, gar an Einzelfallgerechtigkeit, ist diesen interessegeleiteten Frauen nicht gelegen: schließlich geht es um ihre Existenzberechtigung und ihr Einkommen.

    Kommentar:

    Nun, ich glaube, hier verfällst Du doch in einen vulgären marxistischen Materialismus! 🙂 Die Existenzberechtigung und ihr Einkommen mag eine Rolle spielen, aber hier würde ich doch, neben dem Materialismus, einen Idealismus als ganz starkes Motiv in Anschlag bringen. Die Leute glauben wirklich daran, was sie erzählen und sie glauben auch, dass dies richtig und sinn voll ist (Ideale). Also: Ich empfehle immer noch Pierre Bourdieu, wo es doch bei Wikippedia so schön über ihn heisst:

    „Anknüpfend an den Strukturalismus versuchte Bourdieu, subjektive Faktoren mit objektiven Gegebenheiten zu verbinden. Wissenschaftstheoretisch vertrat er unter anderem die Aufhebung des Dualismus von Subjektivismus und Objektivismus, zwischen Idealismus und Materialismus. Auch zum mittelalterlichen Universalienstreit nahm Bourdieu eine vermittelnde Position zwischen Nominalismus und Realismus ein.“

    Du siehst: Bei Bourdieu sind Idealismus und Materialismus keine Gegensätze oder quasi ein Basis/Überbau-Phänomen, sondern der Ideale sind vollgültige Materialitäten ersten Grades! 🙂

    PS: Zu dieser Julia Jüttner und dem Rachefeldzug wäre doch auch mal was zu schreiben: Eine solche Konstruktion sollte man doch schleunigst wieder dekonstruieren! 😀

    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/kachelmann-fordert-schadensersatz-von-seiner-ex-geliebten-a-864460.html

    • Ich bin jetzt nicht so ganz sicher, ob ich Bourdieu wirklich verstanden habe 😉

      Ich meine nur: wer es nötig hat, mit manipulierten Opfer-Zahlen auf sein Anliegen aufmerksam zu machen und staatliche Unterstützung einzufordern, ist weniger Idealist als Materialist.

      […]
      Wer die gebetsmühlenhaften feministischen Klagen über fortdauernde weibliche Benachteiligung durch finstere Phallokraten liest, erhält den Eindruck, dass es die Frauenbewegung der letzten Jahrzehnte gerade einmal geschafft hat, das große Binnen-I für ihre LeserInnen durchzudrücken.

      Warum reißt diese Klage nicht ab? Liegt es möglicherweise daran, dass die institutionalisierte Frauenförderung mittlerweile – dank milliardenschwerer öffentlicher Programme – ein Großunternehmen mit einer Menge Profiteure geworden ist? Daran, dass Frauenbeauftragte, Frauenbüro-Frauen, Frauennetzwerkerinnen und hauptberufliche Gender-Mainstreamer den weiblichen Opfer- beziehungsweise Benachteiligtenstatus längst strategisch besetzt halten wie ein lukratives Ölfeld? In einem von der „Zeit“ arrangierten Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel raunte die feministische Publizistin Jana Hensel bedeutungsschwer: „Wir leben in einer Zeit feministischen Mainstreams. Für junge Frauen ist es heute viel, viel schwieriger zu erkennen: Wer sind die Feinde?“ Feinde werden offenbar selbst in einer Zeit gebraucht, in der die Alpha-Mädchen fast überall ungehindert durchmarschieren. Dem „neuen Feminismus“, erklärt der Berliner „Tagesspiegel“, ginge es „vor allem um Macht, Geltung und Geld“.

      Um wie viel Geld und Geltung, das zeigt ein kurzer Blick in diverse öffentliche Haushalte. Durch das Förderprogramm „Frauen an die Spitze“ des Bundesbildungsministeriums sind bislang 25 Projekte bewilligt worden, weitere neun sollen in diesem Jahr anlaufen. Außerdem fördere man, so das Ministerium, derzeit 60 Projekte unter dem Titel „Strategien zur Durchsetzung von Chancengleichheit für Frauen in Bildung und Forschung“. Ob von den Projekten immer die Frauen schlechthin profitieren, ist unsicher. Ganz sicher profitieren diejenigen, die ihre Studien beim Forschungsministerium abliefern. Eine Untersuchung mit dem knackigen Titel „Verbundvorhaben: Frauen in modernen Unternehmen, Teilvorhaben: Arbeits- und industriesoziologische Perspektive und Verbundkoordination“ etwa kostete die Steuerzahler, männliche wie weibliche, 647295 Euro.

      In Hamburg nahm die Männerrechtsbewegung Manndat die Haushaltsanträge der Fraktionen des Stadtparlaments für 2009/2010 in den geschlechtsspezifischen Blick. Das Ergebnis: Geld wurde beantragt für ein Frauenmusikzentrum, eine Koordinierungsstelle Frauenstudien, ein Zentrum für Frauen in Altona Nord für obdachlose Frauen, ein Beratungsangebot für lesbische Frauen und für Lesbenförderung. Speziell für Männer beantragte in Hamburg niemand etwas.

      Auch das Bild der Frau als alleiniges Opfer häuslicher Gewalt ist längst korrekturbedürftig. Untersuchungen zeigen, dass Familienangehörige deutlich öfter unter weiblichen Aggressionen leiden als öffentlich wahrgenommen. Denn diese Wahrnehmung ist extrem verzerrt: Dutzende von staatlich finanzierten Institutionen und Vereinen stellen Gewalt in Partnerschaften immer noch fast ausschließlich als männliche Gewalt dar. Weibliche Gewalt – auch gegen Kinder und Alte – ist dagegen einer der am innigsten beschwiegenen Bereiche unserer Gesellschaft. Dabei haben Studien und Polizeistatistiken in diversen westlichen Ländern ergeben, dass häusliche Gewalt in erheblichem Maße auch von Frauen ausgeht (siehe Kasten S. 84). „Linke Frauen schlagenöfter zu“, liefert die taz Anfang des Jahres noch eine politische Präzisierung, die freilich eher außerhäusliche Gewalt im Blick hatte.

      http://www.focus.de/panorama/boulevard/gesellschaft-benachteiligt-wer-denn_aid_435162.html

      Und was Julia Jüttner angeht, so hat ihr Gisela Friedrichsen schon die richtige Antwort erteilt (SPON ist nun mal kein SPIEGEL), während kontrapunktisch mal wieder ein Herr vom Weißen Ring Stellung nehmen durfte, die ein neuerliches Abmahnschreiben auslösen dürfte:

      http://www.stern.de/panorama/zivilklage-nach-strafverfahren-kachelmann-klagt-gegen-seine-ehemalige-freundin-1918770.html?srtest=1

      O-Ton Ulrich Warncke: „Herr Kachelmann versucht hier, seinen Freispruch zweiter Klasse aufzuwerten, indem er einen Schadenersatz fordert und versucht, nachträglich die ganze Geschichte zu Lasten des Opfers zu klittern. Wie er es ja in seinem Buch auch schon versucht hat.“ Die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen hatte schon über Kachelmanns Strafprozess berichtet. Ihre Meinung: O-Ton Gisela Friedrichsen: „Ich weiß nicht, ob man das Rache nennen kann. Wenn man solche Erfahrungen mit der Justiz gemacht hat wie Herr Kachelmann, dass man dann irgendwann sein Recht wiederhaben möchte und auch dieses Ganze irgendwie loswerden will – das finde ich absolut nachvollziehbar.“

      [Mit Dank an Petra K.]

      • @Gabriele

        Nun, war ja nur ein bisschen ein Seitenhieb und Spitzfindigkeit mit dem Idealismus und Materialismus, obwohl ich doch denke, dass dies eine gewisse Stimmigkeit hat.

        Du würdest ja sagen: „Der Opferindustrie“ (gibt ja übrigens auch den Begriff der Holocaust-Induststrie von Norman Finkelstein) geht es prinzipiell und primär um Macht, Geld, Einfluss etc. und somit wäre der „Opferdiskurs“ ein ideologisches Projekt (eine Ideologie, um Machtstrategien zu verschleiern). Ich würde jedoch sagen: Es gibt zumindest beides: also gewissen Leuten geht es um Macht, Geld, Einfluss etc. (Materialismus) und es geht ihnen auch um wirkliche oder vermeintliche Benachteiligung (Idealismus) und sollte es sich nur um eine vermeintliche Benachteiligung handeln, dann wird der „Opferdiskurs“ nicht einfach als Ideologie eingesetzt, um Machtverhältnisse zu verschleiern, sondern weil die Urheber wirklich an eine reale Benachteiligun glauben (Idealismus). Aber selbstverständlich kann der „Opferdiskurs“ auch als Ideologie eingesetzt werden, aber ich würde eben sagen, er wird nicht nur als Ideologie eingesetzt, sondern die Leute glauben effektiv daran (an die ubiquitäre Benachteiligung) und eben nicht nur aus Gründen, um daraus ökonomische oder andere Vorteile zu ziehen.

        Dieser Ulrich Warncke hat nun wirklich nix begriffen. Ein Opfer ist zumindest de iure gesehen ein Opfer, wenn es eben eine Tat und eine TäterIn 🙂 gibt. Dass Claudia D. nun eben kein Opfer ist, wurde zumindest de iure festgestellt und somit hat der Opferbegriff eben keinen Platz mehr. Und Freispruch 2. Klasse gibt es offenbar juristisch auch nicht, aber kolpotiert wird er trotzdem immer wieder.

        Zu Friedrichsen: Auch das ist mir ein bisschen zu nett. Wer versucht, in einem Rechtsstaat seine Rechte durchzusetzen, kann zwar von Rachgefühlen geleitet sein, aber die Person kann primär auch davon geleitet sein, seine Rechte durchzusetzen und zwar aus Gründen der Gerechtigkeit und selbstverständlich auch aus ökonomischen und persönlichkeitsrechtlichen Gründen. Wenn nun immer wieder vom Rachefeldzug gesprochen wird, geht es m.E. vor allem auch darum, J.K. zu desavouieren: Wer aus Rache handelt, der handelt eben aus niedrigen Beweggründen etc. Ursache dafür sind wohl viele Reflexe und Interessen: Wer natürlich den Medien an den Karren fährt, der bekommt eine Retourkutsche und die gesamte Opfer-Lobby und feministische Lobby wird natürlich auch schauen, dass diese diskursive Position herauskommt, die eben „Rachefeldzug“ heisst.

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