Gender Mainstreaming nach der Judith Butler-Ehrung – von nun an geht’s bergab?

Fortsetzung meines letzten Postings:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/09/08/adorno-preis-fur-die-feministische-gender-ikone-judith-butler-ein-skandal/

Betrachtet man die Berichterstattung zur Verleihung des Adorno-Preises an Judith Butler, so fällt die vollkommene Abwesenheit von Kritik an ihrer Gender-Theorie auf, für die sie doch recht eigentlich gewürdigt wurde:

Kulturdezernent Felix Semmelroth (CDU) würdigte vor allem ihre Leistungen für die Gender-Theorie sowie ihre Wirkung über den universitären Raum hinaus. „Ihre Stimme, und das macht auch ihre Verantwortung als öffentliche Intellektuelle aus, wird nicht nur gehört, sondern hat Gewicht, wird wahr- und ernstgenommen und dies natürlich nicht immer mit Zustimmung oder gar Wohlgefallen.“

In Erinnerung an Adorno betonte der Kulturdezernent, Kritik sei „für ihn, für Adorno – und ich denke auch für Judith Butler, wie sie in den letzten Wochen wiederholt deutlich gemacht hat – , eine Absage an Gewalt“. Die Laudatorin, die Literaturwissenschaftlerin Eva Geulen, würdigte Butler ausdrücklich als „öffentliche intellektuelle“.

[…]

Bekannt wurde die Wissenschaftlerin in den achtziger Jahren mit dem Buch „Gender Trouble“ (deutscher Titel: „Das Unbehagen der Geschlechter“). Ein Fach wie Gender Studies wäre ohne Judith Butlers Arbeiten nicht denkbar.

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/adorno-preis-ueberreicht-an-judith-butler-trotz-zentralrat-protesten-a-855137.html

Abgesehen davon, daß ihr Buch 1990 erschien und daß man „Intellektuelle“ groß schreibt: was ist denn gut daran, daß es ein Fach wie „Gender Studies“ gibt? Handelt es sich um ein wissenschaftliches Fach oder um die akademische Implementierung einer Ideologie?

Geulen würdigte Butler als öffentliche Intellektuelle, als kosmopolitisch, umstritten und streitbar, als Unruhestifterin wie auch Adorno einer gewesen sei. Sie sei die 13. Adorno-Preisträgerin und die erste ausgezeichnete Frau. „Wem fällt da nicht die böse 13. Fee ein, die sich ungeladen nach den 12 guten, geladenen Feen zu Dornröschens Geburtsfest einstellt, um dort das zu tun, was böser Feen Amt ist: to raise trouble?“, fragte die Laudatorin. Heute sei Butler Ehrengast beim Geburtstag eines anderen trouble makers. „Und unsere Gesellschaft braucht sie, die trouble makers, unruhige Gäste, die beunruhigen, auch wenn sie geladen sind.“

http://www.welt.de/newsticker/news3/article109156866/Judith-Butler-Ehrung-einer-Unruhestifterin.html

Kann jemand eine Unruhestifterin sein, die gendermäßig den medialen, politischen und akademischen Mainstream der westlichen Welt repräsentiert? Das wäre ganz etwas Neues…

 „Sie hat etwas bewegt“, hieß es in der Laudatio der Butler-Forscherin Eva Geulen über Butlers „weit gespanntes und breit gefächertes Werk“. Vor allem den Feminismus habe sie „geradezu aufgewühlt“. „Judith Butlers Werk ist stets intensiv verstrickt mit der aktuellen Sache“, sagte Geulen. „Ihr Werk ist öffentlich und infolgedessen notwendigerweise kontrovers. Vielleicht ist sie die letzte Intellektuelle eines aussterbenden Typs, aber vielleicht ist sie auch die erste einer neuen Generation öffentlicher Intellektueller: nicht das hofierte Gewissen einer Nation, sondern kosmopolitisch, umstritten und streitbar.“

http://www.stern.de/kultur/judith-butler-mit-adorno-preis-geehrt-1893109.html

Das ist schon wahr, den Feminismus hat sie aufgewühlt und ihm die akademische Position und den wissenschaftlichen Anstrich verliehen, der erforderlich war, um weltweit Regierungshandeln und Posten für Frauen zu sichern: machtpolitisch hat sie viel bewegt – umstritten und streitbar ist sie keineswegs.

Es bedarf schon des deutschen Zentralrats der Juden, um sie skandalisierend in die Antisemitismus-Ecke zu drücken. Angesichts der lebhaften innerjüdischen Debatten fragt man sich doch, warum sich gerade deutsche Funktionäre des Judentums zu Fürsprechern einer rechtsgerichteten israelischen Regierung machen, deren Aktivitäten, würde sie der deutsche Rechtsstaat unternehmen, berechtigterweise extremen Widerspruch hervorrufen müßten. Das reicht von der Behandlung afrikanischer Flüchtlinge als „Infiltranten“ über diskrimierende Behandlung israelischer Bürger mit der falschen Herkunft bis hin zur unbegrenzten Verwaltungshaft von Verdächtigten, denen nichts nachzuweisen ist – von völkerrechtswidrigem Siedlungsbau ist hier noch nicht einmal die Rede, und von völkerrechtswidrigen Angriffskriegen auch nicht…  Vielleicht bleibt ihnen gar selbst verborgen, was das Eigentliche ist, das sie gegen Butler dermaßen aufbringt? Was ist mit »moralischer Verderbtheit« gemeint?

Helmut Mayer findet in der FAZ deutliche Worte zu dieser unangebrachten Skanalisierung – und wenn man will, kann man auch ein wenig kritische Distanz gegenüber der Qualität von Butlers Gender-Philosophie herauslesen:

Da nützte kein Eingeständnis von Seiten Butlers, dass die mündliche Äußerung über Hamas und Hizbullah missverständlich ausgefallen war, und auch nicht der stichhaltige Hinweis darauf, dass sie jede Form der Gewalt ablehne (wozu man jederzeit ihre Texte konsultieren kann). Man war und blieb auf Seiten des Zentralrats fest entschlossen, in der Ehrung Judith Butlers einen Skandal zu sehen. Nach der im Kern recht einfachen Logik, die aus der Tatsache, dass sich die Beschuldigte nicht bedingungslos hinter Israel stellt, den Vorwurf des Israel-Hasses und antisemitischer Gesinnung gewinnt. Und Stephan Kramer glaubte im Namen der Juden in Deutschland nicht nur dem Kuratorium des Adorno-Preises mangelnde moralische Standfestigkeit vorwerfen zu müssen, sondern attestierte Judith Butler im selben Atemzug gleich noch „moralische Verderbtheit“, die man von ihrer mit dem Preis gewürdigten philosophischen Arbeit eben nicht trennen könne.

Die Maßlosigkeit dieses Anwurfs, die man Stephan Kramer nicht einfach nachsehen sollte, einmal beiseitegesetzt, trifft immerhin die Feststellung der Untrennbarkeit von politischer Haltung und akademischem Wirken bei Judith Butler einen richtigen Punkt. Es war das Verdienst der Philosophin Eva Geulen, das in ihrer Laudatio gebührend herauszustreichen. Den Umstand also, dass Butler sich stets mit Verve in aktuelle politische Angelegenheiten verstrickt und für Teile ihres Werks, gerade mit Blick auf ihre breit rezipierten Arbeiten über die Zuschreibung von Geschlechtsidentitäten, die Einschätzung durchaus nicht fernliegt, deren politische Bedeutung stelle die philosophische in den Schatten.

http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/adorno-preis-fuer-judith-butler-an-den-koerpern-haengt-zuletzt-doch-alles-11887759.html

Auch Christian Schlüter von der ›Frankfurter Rundschau‹ scheint gewisse Vorbehalte gegenüber der Gender-Theorie zu hegen, ist aber dennoch für eine Frauenquote beim Adorno-Preis:

So geht dann auch die Preisverleihungsdramaturgie ihren gewohnten Gang. Die Literaturwissenschaftlerin Eva Geulen (Frankfurt) hält die Laudatio. Dabei betont sie den politischen Charakter von Butlers philosophischem Werk. Mit ihrer These vom sozial konstruierten Charakters des Geschlechts habe sie weit über die Geisteswissenschaft hinaus gewirkt. Nun ja, wohl wahr, entscheidender aber dürfte Geulens folgende Feststellung sein: „Dieser Preis kommt sehr, sehr spät. Heute wird zum ersten Mal eine Frau mit dem Adorno-Preis geehrt.“ Stimmt, damit hat Geulen Recht. Mit allem hat sie Recht. Kein Widerspruch, sondern artiger Applaus.

http://www.fr-online.de/kultur/judith-butler-adorno-preis-troeten-gegen-adorno,1472786,17229162,view,asFirstTeaser.html

›Nun ja, wohl wahr‹ – müßte hier nicht eine kritische Auseinandersetzung mit Butlers Thesen folgen?

Die bleibt natürlich aus.

Alice Schwarzer weiß sehr wohl, daß es die der BILD- & EMMA-Schreibe völlig unverdächtige Akademikerin Judith Butler war, die ihre eigene, nicht ganz so elaborierte Ideologie (die mehr oder weniger darauf hinausläuft, es gebe gar kein Geschlecht, sondern nur den Menschen, zu dem der Mann erst hinerzogen werden muß) erst hoffähig und zum politischen Mainstream machte. Entsprechend negativ äußert sie sich über Butler und deren akademischen Folgen:

Umso überraschender, dass heutige WissenschaftlerInnen nur wenige Jahrzehnte später sowohl im natur- wie im geisteswissenschaftlichen Bereich davon nichts mehr zu wissen scheinen und gerade mal wieder das Rad neu erfinden. Als hätte nicht auch bereits vor diesen SexualforscherInnen Simone de Beauvoir das alles schon 1949 auf die knappe Formel gebracht: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.“ Manche GenderforscherInnen scheinen gar zu glauben, die „aufregende Vision“ (Anne Fausto-Sterling), dass Natur und Kultur keine Widersprüche sind, sondern sich gegenseitig durchdringen, sei in den 90er Jahren von Judith Butler & Co. erfunden worden.

Alice Schwarzer, EMMA Juli/August 2007

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Die Antwort“ (Kiepenheuer & Witsch).

http://www.emma.de/ressorts/artikel/feminismus-theorie/der-sehr-kleine-unterschied/

Und als sie endlich auch einmal in einer Universität im Rahmen der Mercator-Professur vorlesen durfte, mußte sie natürlich gleich Judith Butler wegbeißen:

Doch ignorieren Sie bitte nicht die lange Geschichte von Wissen und Erkenntnis im Bereich des Feminismus, sondern bauen Sie darauf auf! Schon vor über 100 Jahren hat die brillante Feministin Hedwig Dohm geschrieben: „Die Menschenrechte haben kein Geschlecht!“ Und Simone de Beauvoir hat vor 60 Jahren den epochalen Satz geprägt: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.“ 20 Jahre später bezeichneten amerikanische Sexualforscher den Geschlechts-Unterschied zwischen Natur & Kultur, zwischen Biologie & Prägung als Sex & Gender. Wieder 20 Jahre später machten die Begriffe Sex & Gender als feministische Neuschöpfungen von Judith Butler Furore – und seither scheint die Realität der Geschlechter im akademischen Diskurs manchmal hinter spitzfindigen philosophischen Identitätsfragen zu verschwinden.

Ich aber möchte Sie, die Studentinnen und Studenten von heute, ermutigen, sich auch dem Leben zuzuwenden. Denn die Welt von morgen braucht Sie.

Alice Schwarzer, 14. Dezember 2010

http://www.aliceschwarzer.de/publikationen/aliceschwarzer-artikel-essays/mercator-vorlesung/

Da hat sie tatsächlich ins Schwarze getroffen: manche Blüten der Gender-Forschung grenzen schon an Albernheit. So der Versuch, aus zwei Geschlechtern gleich sechzehn zu basteln. Wie das geht?

Ganz einfach: Geschlecht wird durch vier Faktoren festgelegt, nämlich den Genotyp, den Phänotyp, die gefühlte Identität und die gelebte Identität, und wenn man von der langweiligen Mehrheit absieht, bei der das alles stimmig ist, ergeben sich vierzehn weitere Zusammensetzungen, bei denen ein, zwei oder drei Faktoren vom Genotyp abweichen:

http://www.julaonline.de/pdf/rad%20der%20geschlechter.pdf

Das Modell ist natürlich nicht vollständig, schließlich gibt es auch uneindeutige Genotypen, und der Markt der Möglichkeiten wird durch die Einbeziehung von sexuellen Orientierungen noch einmal erfreulich erweitert. Der Siegeszug der Gender-Theorie scheint unaufhaltsam. Er fand nicht nur in den von den Naturwissenschaftlern so gern als ›Laberfächern‹ bezeichneten Geisteswissenschaften statt, nein, auch die Naturwissenschaften sind feministisch unterwandert, wie Worte, Leben und Werk der Biologie-Professorin Sigrid Schmitz belegen:

Der Legitimationsbezug für biologische Geschlechterstereotype ist die Wissenschaft. Daher müssen Genderansätze in die universitäre Forschung und Ausbildung hinein getra­gen werden. Auch wenn sich inzwischen an einigen Universitäten Zentren für Geschlechterforschung institutionalisiert ha­ben, sind diese vorwiegend in den Gesellschafts- und Kulturwissenschaften angesiedelt. Viele GenderforscherInnen der Natur- und Technikwissenschaften sind in ihren Disziplinen immer noch vereinzelt und die Institutionalisierung von Gender Studies in diesen Fächern ist bis heute marginal.

Also haben wir uns in einem ‚Netzwerk Gender Studies (TechnoMedSciences)‘ zusammengeschlossen, um gemeinsam Forschungsinitiativen und Lehrkonzepte zu entwickeln, eine Fachzeitschrift ist geplant. Dabei ist die transdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Gesellschaftswissenschaften zentral, denn nur so lassen sich die gegenseitigen Einflüsse zwischen naturwissenschaftlichen Theorien und gesellschaftlichen Geschlechterordnungen sichtbar machen und aufbrechen.

An der Universität Freiburg haben wir eine solche Vernetzung in den letzten Jahren erfolgreich umgesetzt. Das ‚Kompetenzforum Genderforschung in Informatik und Naturwissenschaften‘ (gin), das ich zusammen mit Britta Schinzel am Institut für Informatik und Gesellschaft aufgebaut habe, arbeitet eng mit dem ‚Zentrum für Anthropologie und Gender Studies‘ (ZAG) zusammen. Konsequent haben wir gemeinsam im Nebenfachstudiengang Gender Studies Inhalte der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften sowie der Technik-, Naturwissenschaften und der Medizin angeboten und diese beiden Säulen transdisziplinär verknüpft. Wir entwickeln ein entsprechendes Master-Studienprogramm, ko­ope­rieren in Forschungsprojekten und haben mit der Arbeitsgruppe TechnoScience einen Raum geschaffen, in dem etablierte und angehende WissenschaftlerInnen sowie Studierende aller Diszi­plinen diskutieren und neue Ideen entwickeln. Grenzüberschreitend arbeiten wir auch mit den Zentrum Gender Studies der Universität Basel zusammen. Vertiefende Informationen zu An­sätzen, Ergebnisse und Zentren der Gen­derforschung liefert das gerade eröffnete Internetportal ‚Gender@Wiki‘.

[…]

Körper und Kultur, Sex und Gender sind untrennbar miteinander verwoben, sie bedin­gen und beeinflussen sich gegenseitig. Wir können das eine nicht ohne das ande­re verstehen.

Sigrid Schmitz, EMMA Juli/August 2007

Die Autorin ist Hochschuldozentin zur „Mediatisierung der Naturwissenschaften und Genderforschung“ an der Universität Freiburg.

http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2007/juliaugust-2007/das-gehirn-veraendert-sich-lebenslang/

http://www.dieuniversitaet-online.at/professuren/curricula-vitae/beitrag/news/univ-prof-dr-sigrid-schmitz/80.html

Verblüfft habe ich vor einigen Tagen festgestellt, daß nicht nur das Private, nein, auch das Technische politisch ist – und daß eine studierte Mathematikerin (jedenfalls dann, wenn sie Doktormütter hat) einen Dr. Ing. mit folgender Dissertation erwerben kann (jedenfalls in Bremen):

„DE-GENDERING INFORMATISCHER ARTEFAKTE:

GRUNDLAGEN EINER KRITISCH-FEMINISTISCHEN TECHNIKGESTALTUNG“

von Corinna Bath

Dissertation

zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Ingenieurwissenschaften

– Dr. Ing. –

vorgelegt am Fachbereich 3 (Mathematik & Informatik)

der Universität Bremen

im März 2009

Gutachterinnen:

Prof. Dr. Susanne Maaß

Universität Bremen

Arbeitsgruppe Soziotechnische Systemgestaltung & Gender

Prof. Dr. Heidi Schelhowe

Universität Bremen

Arbeitsgruppe Digitale Medien in der Bildung

Kolloquium: 11. Mai 2009

INHALT

[…]

3.1. Das Technische ist politisch! ……………………………………………………………….. 28

http://elib.suub.uni-bremen.de/edocs/00102741-1.pdf

Gefunden habe ich das Werk auf dieser Seite, auf der es herzerfrischend kommentiert wird:

Hadmut Danisch

Ansichten eines Informatikers

Bitte um Meinungsbild zu Dissertation in Informatik

Hadmut
11.9.2012 11:51

Uncategorized

An die wissenschaftsbefähigten Informatiker unter den Lesern: Ich bräucht’ mal Eure Meinung.

Ist ja immer ratsam, sich nicht nur auf seine eigene Meinung zu verlassen (und Gefahr zu laufen, subjektive Ansichten einzumischen), sondern auch mal anderer Leute Meinung einzuholen.

Wie schätzt Ihr diese Dissertation ein? (Prüfung war im Frühjahr 2009, veröffentlicht wurde sie erst jetzt.)

http://www.danisch.de/blog/2012/09/11/bitte-um-meinungsbild-zu-dissertation-in-informatik/

Tja. Wie konnte es bloß so weit kommen? Bettina Röhl hat die Durchsetzung dieses, euphemistisch ausgedrückt, Gedankenguts auf allen Ebenen der Macht, bereits in einem CICERO-Artikel vom 31.3.2005 skizziert und äußerst kritisch beleuchtet – ja, man kann sagen, daß es sich hier um einen frühen Aufschrei des märchenhaften ›Der Kaiser ist nackt!‹-Spruchs handelt. Daß dieser Aufsatz bei CICERO nicht mehr online ist – wundert das jemanden?

31. März 05

Die Gender Mainstreaming-Strategie

von Bettina Röhl

(Cicero Online Spezial)

Utopie oder Wirklichkeit?

Wie eine hauchdünne Funktionärsschicht in der Politik hinter den Kulissen den Boden für eine „Gender-Gesellschaft“ bereitet

Spült der lautlos heranrollende Tsunami namens „Gender Mainstreaming“ das unbekannte Wesen „Mann“ fort? Diese Frage scheint berechtigt, wenn man sich die neue Politik des so genannten Gender Mainstreaming auf der offiziellen Website der Bundesregierung genauer ansieht.

Die Bundesfrauenministerin Renate Schmidt finanziert seit Oktober 2003 die Einrichtung des GenderKompetenzZentrums an der Humboldt-Universität für die Dauer von zunächst vier Jahren mit jährlich 340.000 Euro. Das Zentrum, so heißt es auf der Website der Ministerin, „initiiert Forschung, bündelt Wissen und unterstützt so die Einführung von Gender Mainstreaming in alle Bereiche der Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung.“ Seit ein paar Jahren baut das Frauenministerium systematisch die„Gender Mainstreaming-Strategie“ aus, die 1995 auf der Vierten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Peking beschlossen wurde und die vorsah, dass „geschlechtsspezifische Belange in die Konzeption aller Politiken“ integriert werden müssten.

Das Ministerium führt aus, was die EU mit dem Inkrafttreten des so genannten Amsterdamer Vertrages vom 1. Mai 1999 beschlossen hat: „Die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern ist nach Art. 2 und 3 Abs. 2 des EG-Vertrages verpflichtende Aufgabe bei allen Tätigkeiten der Gemeinschaft im Sinne der Gender Mainstreaming-Strategie.“ Die entsprechenden Beschlüsse der Bundesregierung lauten: „Mit Kabinettbeschluss vom 23. Juni 1999 hat die Bundesregierung auf der Grundlage des in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG festgelegten Staatsziels die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip ihres Handelns anerkannt und beschlossen, diese Aufgabe mittels der Strategie des Gender Mainstreaming zu fördern. In Ausführung dieses Beschlusses wurde am 26.7.2000 in § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien die Verpflichtung aller Ressorts festgelegt, diesen Ansatz bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesregierung zu beachten (…)“

Gender Mainstreaming, kurz GM, heißt das Zauberwort der jüngsten Stufe des Feminismus – von dem bis heute kein Mensch weiß, was das genau ist. Alice Schwarzer postulierte schon vor dreißig Jahren: Du wirst nicht als Frau oder Mann geboren, sondern als „Mensch“ und entscheidest dich später selbst, was du sein willst. Jeder soll ein neues so genanntes kulturelles, „soziales Geschlecht“ bekommen, ein Gender, das er selbst bestimmen kann und dies völlig unabhängig von seinem biologischen Geschlecht. GM ist, wie es vielerorts in den Leitpapieren und Eckdaten der Gender Mainstreamer heißt, „Abschied vom Verständnis einer geschlechtsneutralen Politik.“ Was hier als Gleichberechtigung daher kommt, ist jedoch tatsächlich Frauenbevorzugung und Männerbenachteiligung mit zweifelhaftem Nutzen für Frauen und zweifellosem Schaden für Männer. Ein Beispiel: Wird statistisch festgestellt, dass es 30 % Architektinnen und 70 % Architekten gibt, werden solange nur noch Architektinnen ausgebildet und gefördert, bis zumindest Gleichstand erreicht ist, und dies unabhängig davon, ob es mehr weibliche oder männliche Bewerber gibt. So heißt es in den „Eckpunkten für den Gender Mainstreaming-Prozess“ in dem Beschluss des Bundeskabinetts zum Gendermainstreaming als „durchgängiges Leitprinzip der Bundesregierung“, hg. vom BMFSFJ von 1999: „…diese Strategie der Gleichstellungspolitik dient der Anerkennung und Verwirklichung von Frauenrechten als Menschenrechte….“ Unter dem Punkt „Notwendigkeit der Erhöhung des Frauenanteils in Verwaltung und Politik“ heißt es: „… dies erfordert gezielte Frauenförderungsmaßnahmen, um den Frauenanteil auf allen Hierarchieebenen, insbesondere an Entscheidungs- und Leitungspositionen zu erhöhen.“ An anderer Stelle heißt es:„Gezielte Frauenförderungsmaßnahmen sind notwendig, um bestimmte Benachteiligungen von Frauen schnell und wirksam begegnen zu können und so die Voraussetzungen für die Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Konzeptes zu verbessern.“

Von spezifischen Männerrechten oder dem Ausgleich von klassischen Männerbenachteiligungen, die es auch gibt, ist in den bisher veröffentlichten Texten zu GM an keiner Stelle die Rede.

[…]

So heißt es ausdrücklich „Ungleichbehandlung und Fördermaßnahmen (positive Aktionen) könnten sich daher als notwendig erweisen, um die Diskriminierungen der Vergangenheit und Gegenwart auszugleichen.“

http://bettinaroehl.blogs.com/mainstream/2005/03/cicero_online_s.html

Genau das ist es, was mir an den ganzen Konzepten nicht einleuchten will, die ja davon ausgehen, daß es auf die Biologie nicht ankomme, weshalb es, so frei sind wir, entweder gar kein, nur ein, oder sechzehn und mehr Geschlechter gibt: wie war es möglich, daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß es sehr wohl auf das platte genotypische Geschlecht ›Frau‹ ankommt, denn nur dieses sei zu fördern?

Diesen Widerspruch sah auch Bettina Röhl:

Kaum vorstellbar, dass man die Biologie abschaffen kann oder darf. Erstaunlicherweise sind es die Gender-Leute, die selber oft an den Haaren herbeigezogene, biologistische Argumente für die Geschlechterauflösung, also das Gender Mainstreaming, heranziehen. Schließlich lässt sich der rote Leitfaden des GM, den man sich hütet, offen zu legen, auf folgende Gleichung verkürzen: Östrogen bedeutet Friedlichkeit, Fruchtbarkeit, Frohsinn. Testosteron dagegen bedeutet Teufel, Terror und Tyrannei. Die Gender Mainstreamer sind so wie die gescheiterten Kommunisten im Begriff, ihre Weltformel mit pseudowissenschaftlicher Massenliteratur zu unterlegen, in Gesetze zu pressen und lautlos in allen Ministerien zu implementieren.

http://bettinaroehl.blogs.com/mainstream/2005/03/cicero_online_s.html

Seitdem ist die von Feministinnen betriebene Verteufelung des Mannes aus biologischen Gründen (Testosteron!) weit fortgeschritten: daß Männer gewalttätig und Vergewaltiger sind, wird wie ein Mantra wiederholt, und jegliche einschlägige weibliche Anschuldigung ist wahr, jegliche Zurückweisung der Anschuldigung durch die Justiz (falls sie sich das überhaupt noch traut und nicht ein Fehlurteil produziert, das nur selten bekannt wird) Ergebnis patriarchalischer Kumpanei ›mit dem Täter‹. Der Vergewaltigungsvorwurf oder der Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs von Kindern als Waffe der Frau? Iwo, Frauen sind ja friedfertig, lügen nicht, Aggression und Rachegefühle sind ihnen ›von Natur aus‹ fremd. Andererseits ist die ›Differenz‹ zwischen den Geschlechtern in diesen Kreisen ein Unwort, denn wenn Frauen irgendetwas weniger gut können oder auch nur etwas anderes wollen als Männer, dann ist das lediglich einem Akt der gesellschaftlichen Rollen-Zuschreibung geschuldet, nicht aber dem Östrogen, der Gebärfähigkeit und den Mutterinstinkten – die selbstverständlich, vive la différence, nicht jede Frau in gleichem Maß aufweist.

Das ist die reine konzeptionslose Rosinenpickerei für einen höheren Zweck. Oder sollte man ihn einen niedrigen Zweck nennen, da es um Macht geht?

Bettina Röhl:

Wie viele der 40 Millionen deutschen Frauen wissen überhaupt, was GM ist? Wie viele kennen das Wort „Gender Mainstreaming“? Wie viele haben sich darüber Gedanken gemacht und darüber diskutiert? Wie viele Frauen haben anderen Frauen Mandate gegeben in Kenntnis dessen, dass die Mandatierten mehr oder minder klammheimlich die Welt gendermäßig umkrempeln wollen? Will die Mehrheit der Frauen die Erziehung ihrer Kinder abgeben? Wollen alle Frauen im Beruf stehen? Will die Mehrheit der Frauen, dass ihre Söhne systematisch von GM benachteiligt werden als Buße für historische Ungerechtigkeiten, tatsächliche und behauptete? Im Hintergrund werden unter dem Stichwort Genderbudgeting die Geldströme der Haushalte für die Durchsetzung der nebulösen Strategien manipuliert. GM basiert auf dem richtigen Gedanken, dass eine Frauenbenachteiligung beseitigt werden muss, die im Detail steckt und in tradierten Systemen nicht mehr hinterfragt wird. Indes ist GM nicht ungefährlich – wegen antimaskuliner Parteinahme, wegen historisch begründeter Rachelegitimationen und weil GM nicht am Zusammenleben der Geschlechter interessiert ist, sondern an der Schaffung neuer Herrschaftsverhältnisse unter dem hehren Wort der Gleichberechtigung.

http://bettinaroehl.blogs.com/mainstream/2005/03/cicero_online_s.html

Diese Analyse hat sich bestätigt. Die Erfahrung zeigt aber auch: wenn einstmalige Querdenker im Mainstream angekommen sind, mit der Zuneigung des Establishments bedacht und mit Preisen geehrt werden, haben sie ihre beste Zeit hinter sich. Sie sind überflüssig geworden und man wendet sich kritisch ihren Hinterlassenschaften zu. Ich denke schon, daß diese Preisverleihung einen Wendepunkt markiert, auch wenn der Mainstream in den Medien noch schweigt.

Die Zeichen an der Wand mehren sich jedenfalls, nicht nur, weil die verteufelten Männer sich spät, aber nicht zu spät, zu wehren beginnen. Seit dem Kachelmann-Verfahren ist auch die Schieflage der Justiz deutlich geworden, die belastenden Aussagen von Frauen per se einen höheren Rang einräumt als den bestreitenden Angaben eines männlichen Beschuldigten, der entgegen der Unschuldsvermutung seine Unschuld zu beweisen hat. Die europäische Frauenquote (40% in Aufsichtsräten) wird nicht kommen, Frau von der Leyen, die dieselbe unsinnige Forderung erhebt, ist ebenfalls isoliert und allenfalls als Merkel-Herausforderin eine politische Figur, ansonsten ebenso beliebig wie ihre Gegnerin, und ihre Nachfolgerin im Familienministerium hat ›Gender Mainstreaming‹ als Kampfmittel und Umerziehungsprogramm entschärft. So lautet die aktuelle Definition:

Gender

Gender bedeutet, nicht stereotyp „die Frauen“ oder auch „die Männer“ in den Blick zu nehmen, sondern Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt zu berücksichtigen. Niemand ist nur männlich oder nur weiblich, aber wir leben in einer Welt, die maßgeblich durch die Zuweisung von Geschlechterrollen geprägt ist. Frauen und Männer werden ständig daran gemessen, wie weiblich oder wie männlich sie sich verhalten; und Menschen werden auch immer wieder mit impliziten geschlechtsspezifischen Erwartungen konfrontiert. Daher ist es wichtig, Geschlechterdifferenzen wahrzunehmen, sie aber nicht – wie es auch das Bundesverfassungsgericht sagt – als tradierte Rollenzuweisungen zu verfestigen. Mit Gender sind also immer auch Vorstellungen von Geschlecht gemeint, die sich ändern lassen.

http://www.gender-mainstreaming.net/gm/Wissensnetz/was-ist-gm,did=16746.html

Das ist eine Definition, der man sich nur anschließen kann – während Schwarzer und Co. natürlich schon wegen des Begriffs ›Geschlechterdifferenzen‹ aufheulen.

Was ist Gender Mainstreaming?

Gender Mainstreaming ist eine Strategie, um durchgängig sicherzustellen, dass Gleichstellung als Staatsaufgabe (Art. 3 Abs. 2 GG) insbesondere von allen Akteurinnen und Akteuren der öffentlichen Verwaltung verwirklicht wird. Mit Gender Mainstreaming wird im international anerkannten Sprachgebrauch die Optimierung des Verwaltungshandelns im Hinblick auf die systematische Beachtung der Lebenswirklichkeiten von Männern und von Frauen bei der Planung, Durchführung und Bewertung des eigenen Handelns bezeichnet. Wesentlich ist also die geschlechterdifferenzierte Folgenabschätzung.

Die Europäische Union spricht bei Gender Mainstreaming von der „Einbindung der Chancengleichheit“ in alle Maßnahmen.

Mainstreaming bedeutet, dass bei allen Entscheidungen, also im Hinblick auf Produkte, Außendarstellungen, Personal und Organisation, immer berücksichtigt wird, dass sich Frauen und Männer in unterschiedlichen Lebenslagen befinden. Nur wer die jeweiligen Unterschiede berücksichtigt, kann Diskriminierung vermeiden. Mit der Strategie des Gender Mainstreaming wird verhindert, dass scheinbar neutrale Maßnahmen faktisch zu Benachteiligungen führen. Mit Gender Mainstreaming sind nicht mehr nur einige wenige Akteurinnen und Akteure mit Gleichstellungsfragen befasst, sondern alle Akteurinnen und Akteure sind gefordert, Gleichstellung von Frauen und von Männern systematisch mitzudenken.

[…]

Hier geht es also darum, die Bemühungen um das Vorantreiben der Chancengleichheit nicht auf die Durchführung von Sondermaßnahmen für Frauen zu beschränken, sondern zur Verwirklichung der Gleichberechtigung ausdrücklich sämtliche allgemeine politische Konzepte und Maßnahmen zu nutzen, indem nämlich die etwaigen Auswirkungen auf die Situation von Frauen bzw. von Männern bereits in der Planungsphase aktiv und erkennbar integriert werden („gender perspective“). Dies setzt voraus, dass politische Konzepte und Maßnahmen systematisch hinterfragt und die möglichen Folgen bei der Festlegung und Umsetzung berücksichtigt werden.

Die Maßnahmen zur Gleichstellung erfordern ein ehrgeiziges Konzept, das von der Anerkennung der weiblichen und der männlichen Identitäten sowie der Bereitschaft zu einer ausgewogenen Teilung der Verantwortung zwischen Frauen und Männern ausgehen muss.

Förderung der Gleichstellung ist nicht einfach der Versuch, statistische Parität zu erreichen. Da es darum geht, eine dauerhafte Weiterentwicklung der Elternrollen, der Familienstrukturen, der institutionellen Praxen, der Arbeitsorganisation, der Zeiteinteilung usw. zu fördern, betrifft die Chancengleichheit nicht allein Frauen, die Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihre Selbständigkeit, sondern auch Männer und die Gesellschaft insgesamt, für die sie ein Fortschrittsfaktor und ein Unterpfand für Demokratie und Pluralismus sein kann.

[…]

http://www.gender-mainstreaming.net/gm/Wissensnetz/was-ist-gm,did=13986.html

Das ist ein Ansatz, den man nur begrüßen kann – denn die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Arbeit und Familie stattfinden, sind oftmals schlicht menschen- und familienfeindlich. Und ketzerisch gesagt: ist nicht das Kindeswohl mindestens gleichrangig neben das Recht zur freien Entfaltung von Frauen und Männern zu stellen?

Kristina Schröder macht mit den neuen Definitionen von Gender und Gender Mainstreaming ernst:

Mo 07.12.2009

Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Köhler im Gespräch mit der „Welt am Sonntag“

Welt am Sonntag: Ihr Haus hat jetzt ein neues Referat zur Jungen-Förderung. Warum?

Kristina Köhler: Aus vielen Untersuchungen wissen wir: Jungen bekommen schlechtere Noten, gehen häufiger auf Hauptschulen und brechen eher die Schule ab. Das hat auch etwas damit zu tun, dass es in der Kindertagesstätte und in der Grundschule kaum männliche Erzieher und Lehrer gibt. Das ist hochproblematisch, gerade weil es heutzutage so viele Kinder gibt, die ohne Vater aufwachsen.

Wir müssen uns daher Gedanken machen, wie wir es schaffen können, dass mehr Männer diese Berufe ergreifen. Das gilt auch für die Grundschulpädagogik: Wir müssen schauen, ob sie nicht zu sehr auf Mädchen ausgerichtet ist. Werden vielleicht zu viele Schmetterlinge gemalt und zu wenige Ritterburgen?

 

Welt am Sonntag: Hat sich Ihr Ministerium nicht wie die ganze Bundesregierung zum Gender Mainstreaming verpflichtet, das vorsieht, dass Mädchen und Jungen gleichermaßen zum Malen von Ritterburgen und Schmetterlingen erzogen werden sollen?

Kristina Köhler: Es ist nicht Aufgabe des Staates zu versuchen, Kinder zu einem bestimmten Verhalten zu drängen. Nur ein Beispiel: Der Staat sollte alles tun, um der jungen Frau, die Elektrotechnik studieren möchte, alle Hürden aus dem Weg zu räumen. Aber der Staat sollte nicht zwanghaft versuchen zu erreichen, dass 50 Prozent der Elektrotechnikstudenten weiblich sind.

http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/aktuelles,did=132980.html

Was er sowieso nicht schaffen wird…  Elektrotechnik ist lannnngweilig, wie die meisten Dinge, die für viele Männer bedeutsam sind. Gut, daß es diese merkwürdigen männliche Präferenzen gibt: benutzen oder ignorieren können wir die Hervorbringungen ihres Ingeniums ja nach Gusto. Ich erinnere mich an meinen technikbegeisterten Vater, der Ingenieur war und gerne Messen besuchte. Ab und an brachte er von Haushaltswaren-Messen die neuesten Errungenschaften für die Hausfrau mit, gern den letzten Schrei auf dem Gebiet des Zerschnetzelns. Ein Mal ausprobiert, wanderten die Geräte in irgendwelche Tiefen des Küchenschrankes. Die mühselige Reinigung des Geräts stand in keinem Verhältnis zu seinen geringen Vorteilen gegenüber Handarbeit oder herkömmlichen Geräten.

Es ist klar, daß die Ministerin mit diesen Aussagen zum Haßobjekt von Feministinnen und Mainstream-Medien werden mußte. Auch in der weichgespülten Fassung kostet Gender Mainstreaming immer noch viel überflüssiges Geld, man denke an die zahlreichen akademischen Positionen von Frauen, die sich nicht mehr um ihr eigentliches Fach kümmern, sondern vorwiegend gendern – aber als Kampfmittel zwischen Mann und Frau hat die Sache hoffentlich ausgedient.

Bettina Röhl hat daran erinnert, worum es eigentlich geht:

Man glaubt es kaum, dass nach den äußerst unguten historischen Erfahrungen ausgerechnet in Deutschland wieder Menschenzucht-Gedanken hoffähig gemacht werden, indem Wörter wie „Genshopping“ fallen oder der bessere Samen des „Hallodri“ gegenüber dem des im Hause vorhanden „Pantoffelhelden“ gepriesen wird: eine Vermischung von Mediensprech mit primitivster Vulgärwissenschaft. Die Psychologie der Einfaltspinsel, die in den Medien immer wieder als neuester Stand der Geschlechterforschung vorgeführt wird, ist allzu oft auf erschütternder Weise niveaulos und pietätlos im Angesicht des schönsten und größten Geheimnisses von Männern und Frauen, der sexuellen Anziehungskraft zwischen Menschen.

http://bettinaroehl.blogs.com/mainstream/2005/03/cicero_online_s.html

Das ist nun alles Zwangsheterosexualität geworden, und, da atmet die Wirtschaft auf, Karriere wichtiger als Liebe. Je mehr Menschen um einen Arbeitsplatz konkurrieren, umso besser.

Einen einzigen Artikel habe ich gefunden, der sich kritisch mit der Preisverleihung an Judith Butler befaßt: bezeichnenderweise erschien er in der Nische einer katholischen Zeitung, und bezeichnenderweise teilt dessen Autorin Gabriele Kuby mit Bettina Röhl die anti-68er-Reflexe, speziell die Ablehnung der sexuellen Revolution, die in meiner Vita wiederum höchst erfreuliche Wirkungen zeitigte. Man muß nicht katholisch oder kritisch gegenüber den 68ern sein, um die Gender-Theorien abzulehnen: in den Mainstream-Medien traut sich aber keiner mehr, diese Ablehnung zu formulieren. Entweder, weil die Journalistinnen Profiteurinnen der Bewegung sind und ihre Ansprüche gerade massiv anmelden, oder weil sie sich vor dem Haß, den Kristina Schröder irgendwie aushält, fürchten. (Männer sind übrigens noch feiger als Frauen, was feministische p.c. angeht.)

10.09.2012 15:46

Die Ideenlieferantin

Die amerikanische Philosophin Judith Butler, die heute mit dem Theodor W. Adorno-Preis der Stadt Frankfurt geehrt wird, steht in der Kritik. Man wirft der amerikanischen Denkerin eine antiisraelische Haltung vor. Tatsächlich ist dies aber nur ein kontroverser Nebenschauplatz ihrer allgemeinen Ansichten. Butler will mit der von ihr entwickelten Gender-Theorie das gesamte westliche Wertesystem unterwandern. Sie plädiert für die Aufhebung der Trennung von Mann und Frau. Das hat auch Konsequenzen für die Ethik. Ein Einspruch

Von Gabriele Kuby

http://www.die-tagespost.de/Die-Ideenlieferantin;art456,137199

Bei allen Vorbehalten gegenüber dem Standort der Autorin sollte man ihren Artikel lesen – denn sie hat recht. Hier ein paar Ausschnitte:

Ihre [Judith Butlers] Frage ist: „Wie kann man am besten die Geschlechter-Kategorie stören, die die Geschlechter-Hierarchie und die Zwangsheterosexualität stützen? (…) Die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung ist (…), den Phallogozentrismus und die Zwangsheterosexualität zu (…) dezentrieren (…) und die starren, hierarchischen sexuellen Codes wirksam zu de-regulieren.“ (Das Unbehagen der Geschlechter, S. 8–11)

Solche Sätze muss man nicht sofort verstehen, aber sie lassen sich übersetzen. Butler möchte die Geschlechter-Kategorie von Mann und Frau stören, denn die schiere Existenz dieser Polarität erzeugt aus ihrer Sicht eine Hierarchie der Geschlechter und gibt dem Mann, auf dessen Phallus die Kultur zentriert ist, Macht über die Frau, und zwingt die Menschen in die Heterosexualität. Gelingt es, die Identifizierung des Mannes mit dem Mannsein und der Frau mit dem Frausein aufzulösen, dann bricht dieses ganze hierarchische Machtgefüge, welches Judith Butler so zuwider ist, zusammen.

Um das zu erreichen, will Judith Butler, die ihre Homosexualität öffentlich bekennt, das Inzesttabu abschaffen, weil es durch „den Mechanismus der Zwangsidentifizierung gewisse geschlechtlich bestimmte Subjektivitäten hervorbringt“, das „Phantasma“ geschlechtlicher Identität als Mann und als Frau aufrecht erhält und „ein Tabu gegen die Homosexualität“ schafft. (Unbehagen, S. 115–118)

http://www.die-tagespost.de/Die-Ideenlieferantin;art456,137199

Nun wird es auch verständlich, warum Alice Schwarzer Judith Butler grollt, hatte sie doch schon 1975 eine „Zwangsheterosexualität“ postuliert, die es allerdings nur aus bi- bzw. homosexueller weiblicher Perspektive geben kann. Für die überwältigende Mehrheit der Menschen ist Heterosexualität etwas ganz Natürliches, eine freie Wahl existiert nicht.

Gabriele Kuby:

Die Revolte der Gender-Ideologie gegen die „Diktatur der Natur“ (Butler) hat, anders als etwa die marxistische Vision der „klassenlosen Gesellschaft“ keine „Massenbasis“ – immer noch kennen die wenigsten auch nur den Begriff „gender“. Dennoch wird die Gesellschaft auf allen Ebenen „gegendert“, das heißt, die in jeder einzelnen Zelle, in der Gehirnstruktur, im Hormonhaushalt, im Körperbau eingeprägte unauslöschliche Identität als Mann oder Frau wird zum „Stereotyp“ erklärt, welches es auszumerzen gilt, ebenso die Heterosexualität als „normative Normalität“ (Robert Spaemann). Dass die Subversion der Identität tatsächlich zum gesellschaftspolitischen Programm werden konnte, zeugt dafür, dass sie den Machteliten nützt, denn sie sind es, die das große Umerziehungsprogramm des Gender-Mainstreaming durchführen – ohne jede demokratische Legitimation. Es handelt sich um eine top-down Revolution, deren Auswirkungen jeder spürt: die Auflösung tragender Normen, insbesondere im sexuellen Bereich, und den daraus mit Notwendigkeit folgenden Zerfall der Familie.

http://www.die-tagespost.de/Die-Ideenlieferantin;art456,137199

Das ist schon eine sehr klarsichtige Analyse – wenn ich auch insofern anderer Ansicht bin: die Möglichkeit vielfältiger sexueller Erfahrungen auch für Frauen führt nicht notwendig zum Zerfall von Familien. Denkbar sind zwei Szenarien: Frauen stoßen sich die Hörner ab und binden sich später, ohne das Gefühl haben zu müssen, etwas versäumt zu haben; oder aber bindungswillige Partner mit einem Verantwortungsgefühl für Familie gestehen einander das Bedürfnis für Seitensprünge zu – anders geht es nicht, die Illusion von serieller Monogamie generiert Endloswiederholungen, unter denen vor allem Kinder leiden, die sich mit Halbgeschwistern herumplagen müssen und existentiell verunsichert werden.

Aber lesen wir weiter bei Gabriele Kuby, die ihre eigene strenge Sicht der Dinge hat:

Das ist die „hervorragende Leistung“, für welche die Rhetorik-Professorin der University of California und Inhaberin des Hannah Arendt Lehrstuhls für Philosophie an der European Graduate School der Schweiz den Theodor W. Adorno Preis erhält: Sie liefert die Ideologie für die Zerstörung des christlichen Wertefundaments und der tragenden sozialen Strukturen des einzigartigen Erfolgsmodells europäische Kultur. Alle drei Jahre wird der Preis mit 50 000 Euro von der Stadt Frankfurt bei einem Festakt in der Paulskirche vergeben. Judith Butler ist der Darling großer Stiftungen wie Guggenheim und Rockefeller, deren Fellowships sie angehört. 2004 erhielt sie den Brudner Prize der Yale University für besondere Verdienste für „lesbian and gay studies“; 2008 wurde sie mit dem Andrew W. Mellon Award ausgezeichnet, dotiert mit 1,5 Millionen Dollar, welcher den Empfängern ermöglichen soll, „unter besonders günstigen Bedingungen zu lehren und zu forschen“. Seit 2012 ist sie Gastprofessorin an der Columbia University, jener Universität, welche den exilierten Professoren Horkheimer und Adorno mit ihrem Institut für Sozialforschung in den 1930er Jahren Asyl gewährte. Die Schlussfolgerung ist unvermeidlich: die Macht- und Geldeliten wollen die „Subversion der Identität“, die Butler vertritt.

http://www.die-tagespost.de/Die-Ideenlieferantin;art456,137199

Ja klar wollen die das. Liebe, Sex, Familie, Bindungen – diese Phänomene garantieren, daß ein Arbeitnehmer Prioritäten setzt, die dem Arbeitgeber nicht dienlich sind. Er will die gesamte Person, gern auch in der Freizeit verfügbar, und je mehr Arbeitssuchende vorhanden sind, umso mehr kann der Lohn gedrückt werden… Schon das katholische Zölibat ist mit dieser Begründung eingeführt worden: vollkommene und ablenkungsfreie Hingabe an den Priesterberuf war das Ziel.

Und hier geht Gabriele Kuby in medias res der jüdischen Überreaktion gegen Judith Butler als ›moralisch verderbt‹:

Die Queer-Theory will die Polarität der Hetero- und Homosexualität beseitigen zugunsten einer vollständigen Auflösung der geschlechtlichen Identität, um die „Hegemonie der Zwangsheterosexualität“ abzuschaffen. Dass dies tatsächlich vor unseren Augen auf der ganze Welt geschieht, dafür hat Judih Butler die Ideen geliefert und als Aktivistin der internationalen Homo-Lobby das social engineering. Was würden wohl Martin Buber und Hannah Arendt dazu sagen? Ein radikalerer Gegensatz zur jüdischen Ethik lässt sich nicht denken. Es ist eine patriarchale Ethik, in deren Zentrum die Familie steht. Der prioritäre Rang der Familie ist ein wesentlicher Faktor, der dem jüdischen Volk das Überleben durch alle Verfolgungen hindurch ermöglicht hat. Weit davon entfernt, die „Welt zu reparieren“, betreibt Judith Butler mit ihrer außerordentlichen Intelligenz die Zerstörung der ethischen und sozialen Grundlagen der Familie und gefährdet so das Überleben auch unserer Gesellschaft.

http://www.die-tagespost.de/Die-Ideenlieferantin;art456,137199

Das dürfte tatsächlich der wahre Grund der jüdischen Angriffe auf die Jüdin Butler sein. Anders läßt sich der schrille Ton nicht erklären.

P.S.

Meine anfänglichen Formatisierungsprobleme liegen natürlich an meiner typisch weiblichen mangelnden Affinität zur Technik, anderseits an der mich unterdrückenden männlichen Dominanz im Bereich der Programmierung – ich bin also reines Opfer von Biologie und Patriarchat. Ganz ungegendert.

Update (18.9.2012)

Nun hat doch noch ein grundsätzlicher Angriff auf Butlers Gender-Theorien in einem Mainstream-Medium, nämlich im aktuellen SPIEGEL (Print) 38/2012 stattgefunden. Wenig überraschend: es war wiederum eine Frau, die ihn führte, nämlich die Autorin und Journalistin Elke Schmitter, die selbst Philosophie studiert hat.

Es ist ein Artikel, den ich wärmstens empfehle – hier nur ein paar kleine Auszüge als Appetizer:

Denker

Die heilige Judith der Unschärfe

Die Adorno-Preisträgerin Judith Butler gilt als eine der wichtigsten Philosophinnen der Gegenwart. Warum eigentlich? Ein Grundkurs. Von Elke Schmitter

[…]

„Das Unbehagen der Geschlechter“, Butlers Hauptwerk, erschien 1990, als die Philosophin 34 Jahre alt war. Es war schwer lesbar und krude formuliert, aber von den damals beliebtestens „schweren Zeichen“, also Relevanzsignalen durchsetzt, nämlich Vokabeln wie „Begehren“, „Diskurse“, „Gender“, „epistemische Regime“ und „Metaphysik der Substanz“ und mit Verweisen auf Foucault, Lacan, Nietzsche. Es war ein Zwitter aus philosophischen Untersuchungen und Handbuch des Underground. Auch wer den akademischen Schleifen nicht zu folgen vermochte, durfte das gute Gefühl konsumieren, Mitglied der Avantgarde zu sein.

[…]

Von heute aus ist es erstaunlich, mit welch heiligem Ernst diskutiert worden ist, was sich nicht diskutieren lässt, weil es die Geltungsbereiche vermengt. Als philosophisches Traktat ist Butlers Werk ein hochspezifischer Kommentar auf der Rückseite des gesunden Menschenverstands. […] Politisch ist es unbrauchbar, weil es Unterscheidungen von Sein und Sollen, von Ziel und Praxis, von Behauptung und Nachweis generös übergeht. Aber es hatte zur richtigen Zeit den optimalen „radical chic“.

[S.150 f.]

Diese Kleinzitate sollen Lust machen auf den gesamten Artikel – denn auch Elke Schmitter betrachtet es mit einem gewissen Sarkasmus, daß aus dem bloßen Spiel der unscharfen Gedanken von Butler der platte Ruf nach der Frauenquote geworden ist, die selbst Butlers Laudatorin bemühte…

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Betreuungsgeld: zwischen Hammelsprung und Bockmist

Die Fußball-Europameisterschaft ist vorbei – und ich kann nahtlos an meinen letzten Beitrag vom 13.6.2012 anknüpfen:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/06/13/deutschland-gegen-portugal-und-viecher-bluhgut-fusball-und-garten-als-welt-in-der-nusschale/

Die deutsche Mannschaft siegte – und wurde kritisiert. (Mit Ausnahme von BILD, die sich als berauschter Fan und Nationaler Fahnenschwinger betätigte.) Die deutsche Mannschaft verlor das Halbfinale – und nun wurde zusätzlich auch noch der Trainer kritisiert: denn Weltmeister in Sachen Taktik sind nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Sportjournalisten. Insbesondere die meinungsBILDenden:

Jogi hat sich gnadenlos verzockt

Heute wieder Finale ohne uns. Kann man noch an Jogi glauben?

Verwechselt! Ist Jogi Löw schuld am WM-Aus?

BILD.de-User haben abgestimmt. Jogi ist schuld am WM-Aus

BILD fragte den Bundestrainer. Werfen Sie hin, Herr Löw?

 

http://www.bildblog.de/40003/enttaeuschte-liebe/

Sollte sich BILD dazu entschließen, nicht nur einen Bundespräsidenten, sondern auch den viel wichtigeren Bundestrainer abzuschießen, dann muß sie nur ihren preisgekrönten investigativen Rechercheur Martin Heidemanns fragen, was der denn für den Fall des Falles so in seinem Giftschrank zu liegen hat. Das wäre doch gelacht, wenn Jogi alias jetzt plötzlich schon der Herr Löw nicht auch eine Leiche im Keller hätte: bezahlt der seine schnittigen Hemden selbst oder hat er einen heimlichen Werbevertrag in der Tasche? Trennt er den Müll etwa nicht ordnungsgemäß? Kann ein so gutaussehender Typ eigentlich treu sein? Man wird doch wohl noch fragen dürfen!

Und weil Fußball ein Gleichnis für das Leben an und für sich ist, wurden wir auch mit dem ödesten Finale seit langem bestraft. Mich hat dieses Tiki-Taka jedenfalls herzlich gelangweilt – zwei Einzelaktionen, begünstigt durch Abwehrfehler, das war’s. Ansonsten ging es um Ballbesitz, Schlafwagenfußball pur. Die zweite Hälfte war entschieden, nachdem Italien wegen Verletzungspechs in Unterzahl agieren mußte. Da hat man tatsächlich nur noch gehofft, daß die Packung nicht allzu hoch ausfällt.

Das war Fußball zum Abgewöhnen. Aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert, und Gerechtigkeit herrscht eher selten… Im Leben wie im Fußball wie im Garten. Die Ersatzlupine fiel ebenfalls den Schnecken zum Opfer, die Prachtscharten müssen wohl auf ihren ersten Namensteil verzichten und eher rein schartig daherkommen, und die Gärtnerin brilliert als Auswechselspezialistin. Cosmea statt Dahlie, Bartfaden statt Lupine – Leben ist auch Anpassung an die Spielbedingungen: Geschmacksvorlieben und –abneigungen von Schnecken gehören unbedingt dazu.

Was sich im Schatten der Europameisterschaft abspielte, von der Euro-Krise bis zum Syrien-Türkei-Konflikt, war auch nicht erfreulich – und darum wende ich mich lieber einer Posse zu, die, wenn sie denn alle parlamentarischen Hürden nimmt, auch noch spottbillig zu haben ist: 2013 legt die Gesamtheit der Steuerzahler 300 Millionen, 2014 1,11 Milliarden und 2015 und 2016 jeweils 1,23 Milliarden Euro auf den Tisch des Hauses, woraufhin die Knete aus machtpolitischen Gründen an einen ausgewählten Teil der Bevölkerung mit Kindern zwischen dem ersten und dem dritten Lebensjahr umverteilt wird.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/betreuungsgeld-kostet-100-millionen-im-jahr-weniger-als-geplant-a-836796.html

Da die Geburtenrate von 2010 auf 2011 schon wieder gesunken ist, wird die Sache wahrscheinlich noch preisgünstiger, wenn der Trend anhält. Und das wird er, wenn immer weniger Menschen eine verläßliche wirtschaftliche Exístenz haben

Der Irrwitz, um den es geht, nennt sich Betreuungsgeld vulgo Herdprämie. Eine besonders undurchsichtige, knallbunte und löcherige Gießkanne, deren kühles Naß rein gar nichts zum Blühen bringen wird.

Aber zunächst mal gab es am 15.6.2012 den Hammelsprung: das Gesetz, das keiner will (nicht mal Frau Merkel, die muß, weil Herr Seehofer es so will, und der will recht eigentlich auch nicht, muß aber wollen, damit er auch mal was durchsetzt – und wer, wenn nicht er, stünde für die heile Familie?), sollte nämlich leise still und heimlich an einem Freitagmittag ohne großes Gedöns in erster Lesung vom Bundestag verabschiedet werden. Der war aber wie üblich kurz vor dem Wochenende nicht nur halbvoll, er war halbleer und damit beschlußunfähig, was bei einem vorhergehenden, als Abnickbeschluß vorgesehenem, Gesetzentwurf zutagetrat.

Robert Birnbaum vom TAGESSPIEGEL informierte den erstaunten Bürger, daß das eigentlich üblich und unschädlich sei:

Der Hammelsprung ist das Verfahren, mit dem unklare Mehrheiten ausgezählt werden: Alle gehen raus aus dem Plenarsaal in die Lobby, dann kommt jeder einzeln wieder rein durch eine der drei Glastüren, über denen Ja, Nein und Enthaltung steht. Der Hammelsprung hat freilich eine Nebenwirkung: Er zeigt genau, wie viele da sind. Das interessiert sonst keinen Menschen. Der Bundestag ist ein Arbeitsparlament, Arbeitsgruppen und Ausschüsse tagen parallel zum Plenum – kurz, es ist weder nötig noch vorgesehen, dass an jeder Debatte und Abstimmung alle teilnehmen. Formal ist der Bundestag nur beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Saal ist. Praktisch zählt so gut wie nie einer nach.

http://www.tagesspiegel.de/politik/betreuungsgeld-abstimmung-hammelsprung-mit-folgen/6758472.html

Ja wenn das so ist…

Kurz und gut: wegen eines anderen Gesetzesvorhabens kam es zum Hammelsprung, die Opposition blieb draußen vor der Tür, das Parlament war ausgezählt, angezählt und nachweislich beschlußunfähig. Die übliche öffentlichkeitswirksame Keilerei von wegen ›Geschäftsordnungstricks‹, ›ungeheuerlicher Vorgang‹ undsoweiterundsofort fiel unter die Kategorie ›Schattenboxen‹, denn der Bundestag wäre auch dann beschlußunfähig gewesen, wenn die Opposition nicht draußen vor der Tür geblieben ware:

Gut 70 Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken verlassen den Plenarsaal. Sie kommen aber nicht wieder rein. Draußen in der Lobby stehen sie, plaudern, feixen; und wenn einer das Spiel noch nicht begriffen hat und auf eine der Hammelsprungtüren zustrebt, dann zupfen ihn andere beim Ärmel zurück. Am Ende steht fest: 204 Koalitionsabgeordnete haben gegen sieben von der Opposition gestimmt. Das sind zusammen aber nur 211 der 620 Mitglieder des Hauses. Pau beendet die Sitzung.

http://www.tagesspiegel.de/politik/betreuungsgeld-abstimmung-fluchend-ziehen-die-koalitionaere-ab/6758472-2.html

Denn 211 plus 70 ergibt immer noch keine 311.

Der vorläufige Höhepunkt der Komödie spielte sich dann am Donnerstag, dem 28.6.2012, im vollbesetzten Bundestag ab, als dröhnende Worthülsen vom ›Kulturkampf‹ Schall und Rauch absonderten, die Sicht vernebelten und ein Knalltrauma hinterließen. Bildungsferne Schichten würden noch bildungsfernere Kinder erzeugen, die ohne intellektuellen Austausch im 2. und 3. Lebensjahr mit gebildeteren Kita-Kleinkindern an der Dumpfheit ihrer Umgebung zugrundegingen; das Heimchen am Herd werde prämiiert, ein Rückfall in die Fünfziger Jahre drohe, alle Errungenschaften des Feminismus seien dahin; ohne Betreuungsgeld werde familienorientierten Paaren das Leitbild der berufstätigen Frau aufoktroyiert, das Kinder zu Objekten von Verwahranstalten degradiere; und überhaupt, wo bleibt die Gegenfinanzierung ohne neuen Schulden?

Die Schlachtrösser des Feminismus dampften, der Sozialdemokratismus erhob sein müdes, von Chancengleichheit längst entleertes, Haupt, Traditionalisten kochten ihr fades Süppchen, der Arbeitgeberverband bangte um seine Pfründe einer leicht ausbeutbaren breiten Arbeitnehmerschicht, er kann schließlich gar nicht genug Frauen in preisdrückenden Leichtlohngruppen haben, und die Liberalen, Seit‘ an Seit‘ fechtend, klammerten sich an der Schuldenbremse fest wie an einem Strohhalm.

Eine ideologisch aufgeheizte Gespensterdebatte von gewaltigem Unverstand. Als ob die Abgeordneten das Gesetz nicht gelesen hätten, um das es ging:

Das Betreuungsgeld sieht folgende Regelungen vor:

  • Ab dem nächsten Jahr sollen alle Eltern die Prämie bekommen, die ihre Kleinkinder nicht in staatliche Betreuung geben. 2013 bekommen Eltern von Einjährigen demnach 100 Euro, ab 2014 will der Staat 150 Euro an Eltern von Ein- und Zweijährigen zahlen, die nicht in Kitas oder zu Tagesmüttern gehen. Eltern, die ihr Kind privat, etwa von einer Nanny oder von Familienmitgliedern betreuen lassen, während sie arbeiten, können die Prämie anfordern.
  • Es gibt eine Stichtagsregelung: Das Betreuungsgeld wird nicht für vor dem 1. Januar 2012 geborene Kinder ausgezahlt und für jedes Kind höchstens 24 Monate.
  • Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger profitieren nicht von dem Betreuungsgeld – die Prämie wird mit den Sozialleistungen verrechnet.
  • Nach dem Gesetzentwurf könnten Eltern im 13. und 14. Lebensmonat ihres Kindes sowohl Elterngeld als auch Betreuungsgeld beziehen. Das Familienministerium will die Möglichkeit eines doppelten Bezugs von Elterngeld und Betreuungsgeld, damit Alleinerziehende nicht schlechter gestellt werden. Paare könnten auch zwei Monate parallel Elternzeit nehmen, so dass sie in zwölf Monaten 14 Monatsraten Elterngeld bekämen.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/betreuungsgeld-kostet-100-millionen-im-jahr-weniger-als-geplant-a-836796.html

Von 100 bis 150 Euro pro ein- bis zweijährigem Kind für 24 Monate gehen nicht die geringsten arbeitsmarktpolitischen Steuerungsmomente aus. Wer wegen dieser Minibeträge auf eine berufliche Tätigkeit verzichtet, hat sie ohnehin nicht nötig.

Die berühmt-berüchtigten bildungsfernen Schichten, gerne mit Immigrationshintergrund, erhalten praktisch überhaupt kein Betreuungsgeld, so daß in diesem Bereich gar keine negativen Effekte auftreten können, die nicht schon vorhanden wären. (Wenn sie es überhaupt sind.)

Das Leitbild der berufstätigen Mutter wird durch das Betreuungsgeld in keiner Weise berührt, denn es wird an diejenigen ausgeschüttet, die ihre Kinder entweder selbst oder durch Dritte betreuen lassen, soweit letztere nicht staatlich gefördert werden.

Der aufgeklärte Teil des Publikum klopft sich auf die Schenkel und lacht sich einen ab. So gaga hat sich die Politik schon lange nicht mehr aufgeführt. Aber die pure Geldverschwendung läßt das Grienen und Grinsen dann doch gefrieren und zu folgenden Fragen führen:

Über eine Milliarde pro Jahr als Subvention für das doppelverdienende Akademiker-Pärchen, das sich eine englische Nanny leistet? Für die Oma, die sich sowieso ums Enkelkind gekümmert hätte? Für die Mittelschichtsfrau, die es sich leisten kann, die ersten drei Lebensjahre des Kindes aus dem Beruf auszusteigen (und dafür gibt es ja gute bis sehr gute Gründe angesichts des allgemeinen Zustands der Kitas)?

Ein Trostpflästerchen für diejenigen, die einen kommunalen Kita-Platz trotz Rechtsanspruch nicht erhalten haben und nun was Eigenes gründen oder eine private Tagesmutter suchen müssen?

Und gänzlich leer geht der ›Normalfall‹ Familie aus, die zwei Einkommen benötigt, um über die Runden zu kommen, und die weder eine familiäre noch eine finanzielle Möglichkeit hat, die Kleinkinder privat betreuen zu lassen. Die froh und glücklich ist, überhaupt einen kommunalen Kita-Platz errungen zu haben – ungeachtet seiner Qualität.

Wie man es dreht und wendet: kein Mensch versteht, was diese neue unsoziale Sozialleistung soll. Ein Witz, aber kein guter.

Gong!

Das finden auch Herr A und Frau B, die im Familienministerium arbeiten. Herr A, groß, breit, dröhnend, kurz vor der Pensionierung und daher Zyniker (er hat schon viele Ministerinnen kommen und gehen sehen, er ist immer Referatsleiter geblieben und ihm ist es mittlerweile egal, wer unter ihm Ministerin ist), sitzt in seinem Dienstzimmer und verspeist sein Dienstfrühstück. Auftritt Frau B, Juristin, klein, zierlich, übereifrig, zweiunddreißig, vor einem Monat von einem Landesjugendamt zwecks Beflügelung der Karriere für drei Jahre ins Ministerium abgeordnet.

A:

Nanu, schon fertig mit dem Antragsformular fürs Betreuungsgeld? Das ging aber fix. Nehmen Sie doch Platz. Zeigen  Sie mal her… Na, das liest sich aber seeehr professionell. Da haben Sie nun wirklich alles berücksichtigt, der allerletzte Patchwork-Fall ist noch mit drin, das ist ja auch ein Durcheinander heutzutage… Drei Kinder, fünf Väter, eingetragene LP, Samenspender, Adoptionen, hähähä.

B: (lacht pflichtschuldigst, errötet leicht.)

A:

Wo ist denn das Hinweis- und Merkblatt?

B:

Wie bitte?

A:

Naja, hier steht: Betreuen Sie ihr Kind selbst? Bitte fügen Sie Nachweise bei.

B:

Ja klar. Natürlich… Das Merkblatt! Das mache ich später, ich wollte ja erst einmal sehen, ob das Formular an und für sich in die richtige Richtung geht. Und der Nachweis? Das kann doch der Ehemann unterschreiben… ja, aber wenn es keinen Ehemann gibt… eigentlich muß es den doch geben, eine Alleinerziehende kann schließlich nicht selbst… Dann müßte sie ja Hartz IV beziehen, und diese Leute kriegen es ja nicht, das heißt, beantragen können sie es natürlich, aber… (hört sich selber heillos blödsinnig daherplappern und verstummt)

A:

Sehen Sie, und so geht das hier immer weiter: Wer betreut das Kind? a) ein Familienangehöriger, b) eine angestellte Person, c) eine Tagesmutter… fügen Sie Nachweise Nachweise Nachweise bei. Und wenn die Omma auf stur stellt, weil sie in ihrer berechtigten Skepsis vor dem Staat eine Rentenkürzung wegen angeblichen Nebenverdienstes befürchtet oder wenn das ukrainische Kindermädchen schwarz arbeitet, ist Essig mit Nachweisen. Und die Tagesmutter hat vielleicht ein Kind mehr, als sie von Amtswegen darf. So geht das irgendwie nicht.

B: (grübelt, hat eine Idee, sie strahlt)

Sie haben ja sooo recht, Herr A! Das müssen wir gaaaanz anders aufzäumen. Wir fragen einfach, ob das Kind in einen staatlichen Kindergarten geht, und bei einer Nein-Antwort müssen bloß Negativatteste der kommunalen Kitas im Umkreis von 10 km vorgelegt werden. Öhm. Hmtja. (Das Licht in ihren Augen geht aus) ›Bloß‹ ist gut – – –

Schweigen. B denkt nach, A tut nur so als ob. In Wirklichkeit hat er die Lösung schon.

B: (sinnierend in die zu lange Gesprächspause hinein)

Und wenn das Kind bei einer staatlich geförderten Tagesmutter ist? Und kriegen nicht auch kirchliche Einrichtungen Staatszuschüsse? Wie hoch dürfen die denn sein, damit sie noch unschädlich sind? Was ist das alles nur für ein Murks!!! (senkt den Kopf, beschämt über ihren Ausbruch)

A: (versonnen, überlegen lächelnd)

Liebe Frau B, meinen Sie vielleicht, daß ich nicht bemerkt habe, wieso Ihr Einstieg ins Formular so profihaft war? Haben sich meinen Tip wohl doch schon zu Herzen genommen, was?

B: (alle Schauspielkunst aufgebend)

Stimmt. Es lebe die Vorlage. Den Anfang habe ich aus dem Kindergeldantrag der Familienkasse der Arbeitsagentur abgekupfert.

A:

Und jetzt, Kindchen, lernen Sie das Wichtigste in einem Beamtenleben: Frage Nummer Eins, ist das meins? Logo wird die Familienkasse den Schrott übernehmen. (greift zum Hörer)

B: (schüchtern)

Aber die Hausleitung… wir haben doch den Auftrag… die ganze Hühnerleiter hat ihn abgezeichnet…

A: (winkt lässig-routiniert ab, telefoniert. B sitzt auf der Stuhlkante und hält den Atem an)

A: (dröhnend)

Ja, dann ciao, alter Schwede! Nö, ich bin gar nicht schadenfroh, das hört sich nur so an, hähähä. (legt auf)

A:

Die vom Arbeitsministerium sitzen schon dran und schwitzen Blut und Wasser, hähähä. Die wissen genau, daß sie fällig sind. Die Vau-Deh-Ellll (er kostet den letzten Konsonanten in geradezu rheinländischer Liebkosung voll und ganz aus, obwohl er Westfale ist) hat es der CSU im Jahr 2007 versprochen, dann soll es ihr auch an der Backe kleben bleiben. Es gilt schließlich das Verursacherprinzip.

B: (zwischen Angst und Hoffnung)

Und wie bringen wir es Frau Schröder bei?

A: (schnurrt leierkastenmäßig herunter)

Auf der Arbeitsebene wurde ressortübergreifend dahingehend Einvernehmen erzielt, daß im Interesse einer effizienten schlanken Verwaltung der Betreuungsgeldantrag als Annex zum Kindergeldantrag unter der Federführung von undsoweiterundsofort.

B:

Und das schluckt die Hausleitung?

A:

Das geht der am Arsch vorbei. Ist doch sowieso alles Bockmist. Und haben Sie schon mal einen Fototermin mit Präsentation eines besonders bürgerfreundlichen Formulars erlebt? Sehense. Sie lernen es auch noch. Übrigens: wie ist denn eigentlich Ihr Familienstand?

B: (patzig)

Referentin.

Gong!

(Den Gong und manches Andere habe ich von Arno Schmidt geklaut. Dies vorsorglich – man kann heutzutage gar nicht vorsichtig genug sein…)

Wie und wann sich die Betreuungsgeld-Farce weiterschleppt, werden Sie hier gewiß hier nachlesen können. Dieser Blog ist nicht unermüdlich, aber nachhaltig. Lediglich einer Klage vor dem BVerfG räume ich keine Chancen ein: denn die bloße Unsinnigkeit einer Maßnahme verstößt nicht gegen das GG, und Untreue wäre vorrangig von Strafgerichten zu ahnden, die insoweit aber keinen Präzedenzfall haben. Politische Gestaltung ist nun mal mit Unternehmensführung nicht zu vergleichen…

Anmerkung: wie kommt es, daß in WordPress manche Passagen wie von Geisterhand in Fettdruck erscheinen, der nicht zu korrigieren ist?!