Der Fall Gustl Mollath: Das Urteil

Rosenkrieg 2

 

Der Urteilstenor lautet:

Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil:

  1. Im Umfang der durch Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 6. August 2013 angeordneten Wiederaufnahme wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 08.08.2006, Aktenzeichen 7 KLs 802 Js 4743/03 aufgehoben.

 2.  Der Angeklagte wird freigesprochen.

3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich des wiederaufgenommenen Verfahrens des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Aktenzeichen 7 KLs 802 Js 4743/03, die Kosten der Revision, die Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens einschließlich des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last..

4. Der Angeklagte ist für die Zeiträume der Unterbringung zur Beobachtung vom 30.06.2004 bis 07.07.2004 und 13.02.2005 bis 21.03.2005, dem Zeitraum der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vom 27.02.2006 bis 12.02.2007 und dem Zeitraum der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 08.08.2006 vom 13.02.2007 bis 06.08.2013 aus der Staatskasse zu entschädigen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 1]

Eine klare Sache, sollte man meinen. Aber warum zeigte sich die Presse so verwirrt, sprach von Freispruch wegen des im Wiederaufnahmeverfahren geltenden Verschlechterungsverbots, was ganz falsch war? Oder vom „Freispruch dritter Klasse“ (Lakotta), den es so wenig gibt wie einen Freispruch erster oder zweiter Klasse? Warum meinten andere, daß nun der Rechtsstaat gesiegt habe, weil ein Unrechtsurteil aus der Welt geschafft und für die von Anfang an unberechtigte Psychiatrisierung des Angeklagten, beginnend mit der ersten Unterbringung zwecks Erstellung eines Gutachtens, eine Entschädigung ausgesprochen worden sei?

Eine erste Einordnung des Urteils durch Prof. Dr. Henning Ernst Müller schaffte Klarheit:

http://blog.beck.de/2014/08/14/salomonisches-urteil-mit-schalem-beigeschmack-finale-im-prozess-gegen-gustl-mollath

Sie erklärt, wieso dieses Urteil von den verschiedensten Interessevertretern als Beleg für den jeweils eigenen Standpunkt herangezogen werden kann, und sie erklärt auch, warum Gustl Mollath mit diesem Urteil nicht zufrieden sein konnte; zwar wurde er von den Vorwürfen der Freiheitsberaubung und Körperverletzung zum Nachteil der Ehefrau vom 31.5.2002 und vom Vorwurf der neunfachen Sachbeschädigung von Januar 2005 aus tatsächlichen Gründen freigesprochen; aber in einem der drei Anklagepunkte, der gefährlichen Körperverletzung vom 12.8.2001 zum Nachteil der Ehefrau, hielt ihn das Gericht für überführt, unterstellte jedoch zu seinen Gunsten, daß eine Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen sei und sprach aus Rechtsgründen frei. Da ein bloßes Nicht-Ausschließen-Können einer Schuldunfähigkeit die Voraussetzung für eine Unterbringung nicht erfüllt – dafür ist die positive Feststellung einer erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit oder einer Schuldunfähigkeit erforderlich –, blieb es beim Freispruch ohne Ausspruch einer Maßregel der „Sicherung und Besserung“.

Diese Konstruktion des Landgerichts führt dazu, daß grundsätzlich eine Revision nicht eingelegt werden kann: der Urteilstenor begünstigt den früheren Angeklagten, er enthält keine Beschwer. Und auf eine zutreffende Urteilsbegründung im Fall des Freispruchs besteht kein Anspruch. Ein Rechtszustand, der Opfer von Falschbeschuldigungen rechtlos zurückläßt, wenn sie nur in dubio pro reo freigesprochen werden.

Aber wo ein Grundsatz besteht, gibt es auch Ausnahmen – bislang sind sie zwar Theorie geblieben. Gustl Mollaths neuer Anwalt Dr. Adam Ahmed will diese Möglichkeit jedenfalls prüfen und hat Revision eingelegt:

„Es handelt sich um eine außergewöhnliche und rechtlich einzigartige Fallkonstruktion, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass man auch ein freisprechendes Urteil juristisch angreifen kann“, sagte der Münchner Strafverteidiger Dr. Adam Ahmed am Freitag gegenüber der Mittelbayerischen Zeitung.

[…]

Der Jurist bezieht sich vor allem auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes aus den Jahren 1970 und 2004. Im ersten Fall urteilte der 1. Senat, dass gegen einen Freispruch im Strafverfahren eine Verfassungsbeschwerde des Angeklagten nicht schlechthin ausgeschlossen sei, da das freisprechende Urteil durch die Art seiner Begründung Grundrechte verletzen könne. Im zweiten Fall befand der 1. Senat, dass man im Falle eines gegebenen Rehabilitationsinteresses ein freisprechendes Urteil durchaus angreifen könne.

Nachdem das schriftliche Urteil vorliegt, hat Ahmed einen Monat Zeit, die Revision zu begründen. „Ob und inwieweit wir diesen Schritt gehen, werden wir intensiv zu prüfen und zu beraten haben“, sagte Ahmed. Über die Zulässigkeit und deren Begründetheit entscheidet der Bundesgerichtshof.

http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/oberpfalz-bayern/artikel/mollath-will-vollstaendige-rehabilitation/1110201/mollath-will-vollstaendige-rehabilitation.html

Oliver García ist dieser schwierigen Frage, gründlich und belesen wie immer, nachgegangen:

Daß Mollath im ersten, dem schwersten Anklagepunkt trotzdem freigesprochen wurde, beruhte lediglich auf der Annahme des Gerichts, in dubio pro reo sei davon auszugehen, daß er diese Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hatte. An dieser Stelle mußte die Vorsitzende Richterin Elke Escher in ihrer mündlichen Urteilsbegründung selbst erst einmal stutzen (Wortprotokoll, Seite 28): “pro reo” – ist diese Variante tatsächlich günstiger für Mollath? Die Rehabilitierung, die Mollath in diesem Verfahren erklärtermaßen anstrebte, war die Klärung, daß er die Taten nicht begangen hatte und daß eine psychische Störung bei ihm nie vorlag. War es bereits ein Schlag für ihn, als Oberstaatsanwalt Wolfhard Meindl in seinem Plädoyer ihn in allen drei Anklagepunkten für überführt hielt (dafür aber immerhin seine Schuldfähigkeit bejahte), so ging das Gericht noch darüber hinaus, indem es dieser Einschätzung folgte und Mollath wie einen schuldunfähigen “Wahn”-sinnigen behandelte.

[…]

Ein dritter Fall einer erfolglosen Verfassungsbeschwerde (Beschluß vom 21. April 2004 – 2 BvR 581/04) kam dieser Konstellation am nächsten, denn dort beruhte der Freispruch auf dem Zugutehalten eines Irrtums, den das Gericht als vorsatzausschließend gewertet hatte. Interessant war hier, daß das BVerfG erstmals auf ein “Rehabilitierungsinteresse” abstellte.

[…]

Was bleibt, ist die Annahme des Gerichts, eine Person mit einem besonders rigiden Gerechtigkeits- und Friedensfimmel könne sich in diese Grundhaltung so hineinsteigern, daß er alle Hemmungen verliert und gerade deshalb eine gefährliche Körperverletzung begeht. Während bei RAF-Terroristen Gerechtigkeitsidealismus als schuldfähigkeitsrelevant (geschweige denn -ausschließend) nie ernsthaft diskutiert worden ist, bedurfte es schon eines Mollaths, damit ein Gericht die Schuldfähigkeits- und Zweifelsdogmatik neu schreibt. Daß es solch eine Ausdehnung des Zweifelssatzes schon einmal gab oder noch einmal geben wird, darf bezweifelt werden.

Es ist naheliegend, daß die Entscheidung in diesem Punkt Willkür im verfassungsrechtlichen Sinne ist. Es handelt sich um eine Sachverhaltswürdigung, bei der “der rationale Charakter der Entscheidung verlorengegangen scheint” (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 2 BvR 2045/02). Das Willkürverbot ist verletzt, wenn Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluß aufdrängt, daß die Entscheidung auf sachfremden und daher willkürlichen Erwägungen beruht (BVerfG, Beschluß vom 28. September 1999 – 2 BvR 1897/95). Unerheblich ist, ob das Gericht tatsächlich in diesem Punkt so entschieden hat, wie gemutmaßt wird, um Mollath die Revision zu nehmen und/oder um eine größtmögliche Schonung des Urteils des LG Nürnberg-Fürth aus dem Jahr 2006 zu erreichen (das in diesem Punkt identisch ist: Freispruch aufgrund nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit – allerdings auf der Grundlage des Gutachtens von Klaus Leipziger, der dem Gericht seine Annahme einer Wahnerkrankung Mollaths noch mit Zauberwörtern wie “mit Sicherheit” und “ohne Zweifel” schmackhaft gemacht hatte). Denn der verfassungsrechtliche Willkürbegriff begnügt sich mit objektiven Kriterien und bedarf keiner subjektiven Feststellungen (BVerfG, Beschluß vom 28. September 1999 – 2 BvR 1897/95; Beschluß vom 27. Februar 2014 – 2 BvR 261/14).

[…]

http://blog.delegibus.com/2014/08/28/fall-mollath-zum-freispruch-verurteilt/

Über diese Verknüpfung eines besonderen Rehabilitierungsinteresses mit der Begründung, das nicht Ausschließenkönnen einer Schuldunfähigkeit sei willkürlich, könnte man zu einer verfassungsrechtlich relevanten Rechtsverletzung kommen, die ausnahmsweise zur Zulässigkeit einer gegen einen Freispruch gerichteten Revision führt.

García hat sich auch kritisch zur Beweiswürdigung des Gerichts geäußert, soweit es zur Überzeugung des Vorliegens einer gefährlichen Körperverletzung gelangt ist. Dem könnte ich noch einiges anfügen, tue dies aber nicht. Das Bestreben des Gerichts ist ohnehin nach Einlegung der Revision auf die Verfassung eines revisionssicheren schriftlichen Urteils gerichtet – da wäre es kontraproduktiv, auch noch Hilfestellung zu geben. Prof. Nedopil hat jedenfalls erkannt, wo der Hase im Pfeffer liegt:

Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen wurden aufgrund einer Untersuchung am 14.8.2001 mit einem Attest vom 3.6.2002 Verletzungen bei Frau Mollath festgestellt. Dieses Attest wurde als Beweisgrundlage im ersten Strafverfahren so gewertet, wie es da stand. Über die Herkunft und das Zustandekommen des Attests und den Realitätsgehalt sind damals keine Einschätzungen vorgenommen worden. Wenn ich Eisenmenger richtig verstanden habe, ist es nicht so eindeutig, wie es zunächst schien.

Weiter ist festzustellen, dass dieses Attest problematisch ist, das war in der ersten Hauptverhandlung nicht bekannt.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 8]

Ich will mich daher auf die Frage beschränken, ob die zugunsten Gustl Mollaths für nicht ausgeschlossen gehaltene Schuldunfähigkeit während der Tat vom 12.8.2001 tatsächlich willkürlich angenommen wurde. Erstes Indiz für diese Annnahme ist der Umstand, daß Strafgerichte allgemein, aber in Bayern ganz besonders, ausgesprochen knauserig mit Zweifeln an der Schuldfähigkeit umgehen, wenn sich hieraus für den Angeklagten ausschließlich günstige Folgen ergeben, also etwa eine Strafmilderung oder, wie hier, sogar ein Freispruch.

Die Kammer begründete ihre Zweifel mit folgendem Gedankengang:

Die Kammer weiß vorliegend nicht, ob beim Angeklagten im Jahr 2001 tatsächlich eine solche wahnhafte Störung vorhanden war. Allerdings liegt es nicht fern, eine solche damalige Störung für möglich zu halten. Es finden sich zunächst Anhaltspunkte für eine sensitive Persönlichkeit, wie von Prof. Nedopil beschrieben. In dem vehementen Eintreten des Angeklagten für den Frieden und gegen Waffen und überhaupt gegen die Ungerechtigkeit in dieser Welt sind deutliche Anzeichen für eine hohe Empfindsamkeit des Angeklagten zu sehen. Der Angeklagte kann nicht wegschauen, und das ist vom Grundsatz her auch durchaus begrüßenswert. In diesem Sinne ist auch sein Kampf gegen mögliche Schwarzgeldverschiebungen bei der HypoVereinsbank zu würdigen. Diese Empfindsamkeit verbindet sich allerdings mit einem außerordentlichen Beharren – der Sachverständige hatte es Rigidität und Übernachhaltigkeit genannt – und mit einem ungewöhnlich hohen Selbstanspruch

bzw. mit einer Selbstüberschätzung. Deutlich wird dies in vielen Schreiben, die der Angeklagte verfasst hat. In Briefen an über 600 Bundestagsabgeordnete, an WolfgangThierse und auch an Papst Johannes Paul II schon in den Jahren 1999 und 2000 sowie in vielen weiteren Briefen in den folgenden Jahren, zum Beispiel an Gerhard Schröder oder an Kofi Annan, prangert der Angeklagte die Missstände auf dieser Welt an und meint, hierauf beträchtlichen Einfluss nehmen zu können – Zitat aus dem Schreiben „Was mich prägte“, der Verteidigungsschrift des Angeklagten vom 24.09.2003: „Inzwischen musste versucht werden, einen Krieg zu verhindern.“

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 24]

Exakt: bis auf die ersten drei genannten Schreiben stammen alle anderen aus Jahren deutlich nach dem 12.8.2001, auch die nachfolgend aufgezählten seltsamerweise „verdächtigen“ Schreiben wurden erst viel später verfaßt. Was hat das Gericht sonst noch im Angebot?

Die Zeugin Simbek beschrieb ein Nachspionieren und Fotografieren des Angeklagten in der Arztpraxis Reichel, des Weiteren ein fortwährendes Verdunkeln der eigenen Wohnung und einen Vorfall nach der Trennung von Petra Müller,

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 25]

Das sind Vorfälle nach der Trennung vom 31.5.2002. Und gewiß keine außergewöhnlichen, denn die normalpsychologische Verzweiflung nach einer abrupten Trennung von einer 24-jährigen Verbundenheit durch Partnerschaft und Ehe ist überwältigend.

Der frühere Pflichtverteidiger Dolmany beschrieb eine Situation, in der der Angeklagte, der zuvor jeden Kontakt mit ihm verweigert hatte, spätabends an einem Freitag vehement an der Tür der Kanzlei hämmerte, sodass der Zeuge Dolmany erhebliche Angst bekommen habe.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 25]

Die Situation war im Jahr 2005, und es ist unerfindlich, inwiefern diese Szene psychiatrisch bedeutsam sein sollte.

Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Jedes einzelne Verhalten für sich genommen kann natürlich keine wahnhafte Störung belegen. Es sind allerdings Auffälligkeiten im Verhalten, einzelne Bausteine, die in ihrer Gesamtheit die Einschätzung eines nicht ausschließbaren Wahns durch den Sachverständigen Prof. Nedopil begründen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 25]

Das exakte Gegenteil ist der Fall. Auf Prof. Nedopil kann sich das Gericht bei dieser „Gesamtschau“ nicht berufen.

Nedopil:

Dazu gehört zB. zu den Auffälligkeiten das Verdunkeln der Zimmer, in denen er lebte, irgendwo auch das Verstecken auf dem Zwischenboden, als ihn die Polizei habe festnehmen wollen und auch die Teilnahme und Bewertung dieser Montagsdemonstration in Nürnberg, die zusammen mit Jugendlichen erfolgt ist und die im Grunde als wesentlich größer und bedeutsamer angesehen wurde als vom Umfeld angesehen. Auch das Nachspionieren von Menschen aus dem vermuteten

Umfeld der Ehefrau und der Frau.

 

Das sind Auffälligkeiten, die der psychiatrischen Erklärung bedürfen. Diese Auffälligkeiten führen aber zu keiner Diagnose. Auch das ausgeprägte Misstrauen und die Verweigerungshaltung ist allein kein untrügliches Zeichen für irgendeine psychiatrische Erkrankung, sondern kann durchaus auch die Folge sein von Verbitterung eines Menschen, der keinen psychischen Leidensdruck verspürt, sich also nicht krank spürt und sich zu Unrecht der Psychiatrie ausgeliefert fühlt und sich dann mit den zur Verfügung stehenden Kräften gegen eine Einweisung und Unterbringung wehrt.

Für einen Psychiater wirkt die Situation jedoch dann psychopathologisch und pathologisch, wenn sich das Denken des Betroffenen in einem geschlossenen System bewegt, in dem alle Erlebnisse, alle Vorkommnisse und Verhaltensweisen, die er in der Umwelt erfährt, mit Hilfe dieses Systems erklärt werden. Entscheidend ist für die damals gestellte Diagnose aus retrospektiver Sicht nicht, dass Herr Mollath Geldverschiebungen seiner Frau in die Schweiz behauptete oder dass sie die HVB, ihren Arbeitgeber, hinterging, sondern dass diese Geldverschiebungsmachenschaften nahezu alle Ereignisse, die Herrn Mollath widerfuhren, erklären konnten und dass er für andere Erklärungsmodelle

praktisch nicht mehr zugänglich gewesen ist. Eine solche Einengung könnte man annehmen im Umgang mit der Befangenheitsanzeige des Dr. Wörthmüller.

[…]

Allerdings kann aus diesem Denken allein auch noch kein Wahn belegt werden, zumal im Vorfeld der Ereignisse eine Reihe von Initiativen von Seiten seiner Frau ausgegangen sind, die eine Unterbringung von Herrn Mollath in einem psychiatrischen Krankenhaus zum Ziel hatten, dass also durchaus Maßnahmen gegen ihn in die Wege geleitet wurden, gegen die er sich nicht wehren konnte und die auch jeden anderen Menschen hätten misstrauisch machen können.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 9 f.]

Ich will hier nicht darauf eingehen, daß Nedopil den Sachverhalt im Zusammenhang mit der Befangenheitsanzeige von Dr. Wörthmüller im Jahr 2004 nicht einmal ansatzweise erfaßt hat. Es steht jedenfalls fest, daß Nedopil kleine Indizien für die bloße „klinische“ Verdachtsdiagnose „Wahnstörung“, die weiter abzuprüfen wäre, aber mangels Exploration nicht abgeprüft werden konnte, erst ab der Krisensituation 2004/2005 sieht, als die Maschinationen der Ehefrau Gustl Mollath in die Defensive und erstmals – in auch noch rechtswidrige – Unterbringungen in die forensische Psychiatrie brachten.

Nedopil:

Gleichzeitig muss auch festgestellt werden, dass die Schreiben von Herrn Mollath in sich nicht unlogisch sind, dass sein Vortragstil bei allen Vorwürfen zumeist sachlich bleibt, dass seine Darstellungen formal gegliedert und nachvollziehbar sind, so dass aus den Schriftsätzen nicht auf Denkstörungen geschlossen werden kann und diagnostische Hypothesen aufgrund der Schreiben von Herrn Mollath aus Sicht des Unterzeichners nicht gerechtfertigt sind, auch nicht aufgrund seines Auftretens vor Gericht. Diese Aussage bedeutet nicht, dass bei Herrn Mollath diagnostische Überlegungen prinzipiell verfehlt wären, sie lassen sich jedoch nicht anhand der mir vorliegenden Unterlagen und auch seines Auftretens verifizieren oder falsifizieren. Selbst eine diagnostische Hypothese, die über die Persönlichkeitsbeschreibung hinaus geht und die Annahme einer Persönlichkeitsstörung begründen würde, wäre dadurch nicht gerechtfertigt.

Der Inhalt der Schriftsätze geht jedoch in den Jahren 2004 und 2005 über das hinaus, was aufgrund des allgemeinen Menschenverstandes und auch aufgrund psychiatrischer Überlegungen als realitätskonform zu bezeichnen ist. So ist es nicht mit der Realität zu vereinbaren, dass ein Arzt zu Schwarzgeldschieberkreisen gehört, nur weil er der Nachbar eines Mitarbeiters einer Bank ist, bei der möglicherweise Schwarzgeld verschoben wird, und es ist auch nicht mit dem allgemeinen Erfahrungshintergrund zu vereinbaren, dass ein Arzt im Sinne einer Bank begutachten würde, weil er ein Konto bei dieser Bank hat. Herr Lippert hat das in der Hauptverhandlung verneint.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 11]

Auch im Fall Lippert geht Nedopil am Sachverhalt vorbei; erstmals hat Mollath gegenüber Dr. Simmerl im Jahr 2007 eine Erklärung abgegeben, aus welchen Gründen er die Termine des bestellten Gutachters Lippert Ende 2003/Anfang 2004 nicht wahrgenommen habe. Hierbei unterlag er der Fehlerinnerung, daß Lippert ein Konto bei der HVB gehabt habe, und sagte zu diesem Thema:

Schließlich sei es dann in der Verhandlung so weit gekommen, dass der Richter beschlossen hätte, er müsse auf seinen Geisteszustand hin untersucht werden. Es sei ein Beschluss gemacht worden, dass ein Dr. Lippert aus Nürnberg als Gutachter bestellt werde. Seiner Meinung nach sei das Ganze ein abgekartetes Spiel gewesen.

Er sei dann zu dem Dr. Lippert nicht hingegangen, weil er zunehmend die Angst entwickelt hätte, dass der mit seiner Frau unter einer Decke stecke. Es sei ihm auch verdächtig vorgekommen, dass dieser Dr. Lippert auf seinem Anschreiben ein Konto der Hypo Vereinsbank angegeben hätte. Er wisse, dass dies vielleicht als paranoid ausgelegt werde, er habe aber kein Vertrauen mehr zu Leuten, die eventuell zu den Kunden seiner Frau gehört haben könnten.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Gutachten-Simmerl-2007-09-26.pdf

[S. 20]

Es geht natürlich nicht an, aus einer ersichtlichen Erinnerungsrekonstruktion im Jahr 2007 ein Indiz für ein geschlossenes Denksystem in den Jahren 2004/2005 zu basteln. Es verbleibt vielmehr bei Nedopils Erklärung, daß Gustl Mollath zurecht mißtrauisch gewesen war, nachdem seine Frau ersichtlich auf seine Psychiatrisierung hingearbeitet hat, was sich in jener Hauptverhandlung vom 25.9.2003 erstmals offenbarte. Zwei Tage vor dieser Hauptverhandlung hatte seine Ehefrau die listig erwirkte rechtswidrige ärztliche Stellungnahme der damals noch Frau Dr. Krach vom 18.9.2003 dem Gericht zukommen lassen, das daraufhin den „gefährlichen“ Angeklagten noch vor Sitzungsbeginn durch eigens bestellte Polizei auf Waffen durchsuchen ließ. Und das, nachdem der unbegründete Vorwurf der Nebenklägerin, ihr Mann besitze scharfe Waffen, bereits widerlegt worden war. In dieser Hauptverhandlung erging der Beschluß, den Angeklagten durch den Hausgutachter des Amtsgerichts Nürnberg,Thomas Lippert, dessen auschließliches Geschäftsfeld öffentlich-rechtliche Gutachten sind, hinsichtlich seiner Schuldfähigkeit untersuchen zu lassen.

Unbegreiflicherweise war Prof. Nedopil bei der aufschlußreichen Vernehmung der heutigen Frau Krach-Olschewsky nicht anwesend. Da wären ihm die Augen aufgegangen, hätte er mitbekommen, mit welchen Tricks die Vermögensberaterin Petra Mollath ihre Kundin, die Psychiaterin, eingewickelt hat, bis sie das erwünschte Papier in Händen hielt. Mit der sie Anfang 2002, schon auf dem Absprung zu dem neuen Lebensgefährten, bereits ein entsprechend trauliches Frau-zu-Frau-Gespräch bei einer Tasse Kaffee über Eheprobleme geführt und sich dabei als Kümmerin profiliert hatte.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-10.pdf

[ab S. 42]

Die Unterrichtung Prof. Nedopils über die Vernehmung der Kollegin war unzulänglich:

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-17.pdf

[S. 36]

Wie die Ehefrau vorgegangen ist, läßt sich im Plädoyer der Verteidigung nachlesen:

VRiinLG Escher: Der Klarstellung wegen, war das klar, dass das Attest in ein Strafverfahren eingeführt werden kann oder wird? Oder in die Scheidung?

Strafverfahren, Hauptverhandlung, war nicht Thema?

 

Krach-Olschewsky: Nein.

 

Hier ist mehreres bemerkenswert:

Frau Mollath berichtet nicht, was sie schon am 15.5.2003 dem Amtsrichter in Berlin gegenüber erklärt hat:

Er (d.i. Mollath) hat durch Denunziation dafür gesorgt, dass ich meine Arbeitsstelle verliere.“

 

Sie berichtet auch nicht, dass am Tag zuvor der Verlust des Arbeitsplatzes durch den beim Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich endgültig geworden ist. Stattdessen stellt sie ihre berufliche Situation so dar,

dass der Mann versucht habe, an ihrem Arbeitsplatz den Arbeitgeber zur Kündigung zu bewegen, indem er beschuldigende Briefe schreibt, …“

 

Auf keinen Fall will Petra Mollath bei der Ärztin den Eindruck erwecken, ihr Besuch und das erwünschte Attest habe irgendetwas mit Ranküne oder gar mit Rache zu tun. Hierzu gehört auch, dass sie den Gegenstand des anstehenden Gerichtsverfahrens verändert. Dass der bevorstehende Gerichtstermin mit den Körperverletzungsvorwürfen zu tun hat, die Petra Mollath selbst gegen ihren Ehemann erhebt, verschweigt sie ebenso. Stattdessen ginge es in diesem Verfahren um folgendes:

Sie hat erzählt, dass Herr Mollath in das Haus, in dem sie wohnt, eingedrungen ist, da habe der Bruder mit drin gewohnt, der muss wohl den Zugang verwehrt haben, da habe es wohl eine Rangelei im Treppenhaus gegeben, das war das, was sie als Zeugin bestätigen sollte.

 […]

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Plaedoyer-Verteidigung.pdf

[S. 23]

Was hat das Landgericht Regensburg sonst noch als Indiz für eine nicht ausschließbare Wahnstörung aufzubieten?

Aber auch das Verhalten des Angeklagten in den Hauptverhandlungen vor dem Amtsgericht Nürnberg und dem Landgericht Nürnberg-Fürth, so wie von den damaligen Verfahrensbeteiligten beschrieben, zeigt Auffälligkeiten, die den Schluss

nahelegen, dass sich der Angeklagte deutlich verrannt hatte, wie es auch der Zeuge Simmerl ausdrückte, und der Angeklagte deshalb in bestimmten Situationen nicht mehr in der Lage war, angemessen zu reagieren.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 26]

Das sind „Auffälligkeiten“ von April 2004 und August 2006, die von Prof. Nedopil mangels Erheblichkeit nicht eigens erwähnt wurden. Nicht Simmerl bewertet irgendetwas als „verrannt“, er gibt in seinem Gutachten lediglich die Selbsteinschätzung seines Probanden wieder, was nun gerade nicht auf eine progrediente Wahnstörung à la Dr. Leipziger schließen läßt:

Herr Mollath schilderte bei der ausführlichen Exploration umfangreich, detailversessen, aber jederzeit nachvollziehbar u. geordnet seine subjektive Sicht der in den letzten Jahren vorgefallenen Ereignisse, die schließlich zur Unterbringung im Maßregelvollzug führten. Er wirkte dabei psychomotorisch ruhig, im Affekt adäquat u. ließ auch kritische Nachfragen zu.

Er war ebenso dazu in der Lage einige seiner Thesen kritisch zu hinterfragen u. einzuräumen, dass er sich in gewissen Ausnahmesituationen in seinen Überzeugungen „etwas verrannt“ haben könnte.

Mit absoluter Gewissheit blieb er allerdings bei seiner Darstellung der tatsächlichen oder vermeintlichen Schwarzgeldkonten seiner geschiedenen Ehefrau in der Schweiz, die er als Ausgangspunkt sämtlicher folgender Ereignisse sieht.

Der Unterzeichner vermag nicht mit letzter Sicherheit den Wahrheitsgehalt der Aussagen des Herrn Mollath zu beurteilen. Ob es sich dabei tatsächlich um Wahneinfälle, um verzerrt wahrgenommene Begebenheiten mit „gewissem realistischen Kern“ oder tatsächlich um die Wahrheit handelt, vermag der Unterzeichner nicht mit Sicherheit zu sagen.

Es kann allerdings festgestellt werden, dass die Schilderungen des Betroffenen nicht bizarr, völlig unrealistisch oder „kulturfremd“ waren. Diese Kriterien, die für schizophrenietypische Wahnideen genannt werden, sind mit Sicherheit nicht erfüllt.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Gutachten-Simmerl-2007-09-26.pdf

[S. 34]

Damit unterschied er sich ja schon einmal angenehm von Dr. Leipziger, der weder seine zugrundegelegte Definition von Wahn (davon gibt es in der vagen Wissenschaft der Psychiatrie, die sich lediglich in ihrer Pharma-Therapie auf „Naturwissenschaft“ beruft, viele) erklärt noch erläutert hatte, wieso er den Schwarzgeldkomplex für wahnhaft hielt. Nedopil ist mit keinem Wort auf Dr. Leipzigers absurde Alternativ-Pathologisierung „Schizophrenie“ eingegangen. Das ist wohl die Höchststrafe unter Kollegen.

Das Regensburger Gericht weiter:

Die Kammer sieht damit die Möglichkeit einer wahnhaften Störung beim Angeklagten, und zwar auch für das Jahr 2001.

Zwar sind die dargestellten Verhaltensauffälligkeiten weitgehend erst für den Zeitraum ab dem Jahr 2002 beschrieben worden, jedoch ist der zeitliche Zusammenhang zum Tatzeitpunkt August 2001 doch sehr eng, und es liegen auch bereits zig Schreiben aus den vorangegangenen Jahren vor.

So hat auch der Sachverständige Prof. Nedopil ausdrücklich den Schluss gezogen, dass eine wahnhafte Störung beim Angeklagten bereits im Jahr 2001 vorgelegen haben kann. Eine solche wahnhafte Störung ist dem vierten Eingangskriterium des § 20 StGB zuzuordnen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 27]

Diese Passage belegt die Willkür des Gerichts zur Genüge. Mag Nedopil auch noch so nebulös formuliert haben in seinem Bemühen, die grob fahrlässig vorbegutachtenden Kollegen zu schonen: an keiner Stelle seines Gutachtens kann sich die Kammer wirklich auf ihn berufen. Es sei denn, daß sie die Anforderung an ein Gericht, ein ihm vorgelegtes Gutachten kritisch zu würdigen, komplett aufgegeben hat.

Wenn Nedopil, im Widerspruch zu seinen vorangegangenen Findungen, plötzlich Theorien zum Schutz von Dr. Leipziger, wie die nachfolgende, von sich gibt, dann muß ein unabhängiges Gericht derartige logische Fehler juristisch bewerten, wie es immerhin der Staatsanwaltschaft gelungen ist, die zurecht von einer vollen Schuldfähigkeit von Gustl Mollath ausgegangen ist (und zu Unrecht von dessen Täterschaft – welche Persönlichkeit muß man haben, um ein derartiges neben der Sache liegendes Plädoyer zu halten, und das nach Erwirken der Wiederaufnahme zugunsten des Angeklagten?)

Ich verstehe dieses Phänomen nicht. Als Staatsanwalt, schon gar nicht als Oberstaatsanwalt am üblichen Ende der Karriere, ist man doch frei und kein Mietmaul.

Aber lauschen wir weiter den psychiatrischen Kaffeesatz-Erwägungen.

Aber es bleibt die Unsicherheit. Die forensische Zuordnung und deren Auswirkung würden aus meiner Sicht heute anders erfolgen als im Jahr 2006. Aus meiner Sicht ist aufgrund der Tatsache, dass eine Rekonstruktion der Motivationskette unmöglich war, weil sich Herr Mollath einer Exploration entzog, nicht nachweisbar, dass die möglicherweise vorhandene psychische Störung für sein Verhalten ausschlaggebend war. Somit ist eine positive Annahme einer erheblich beeinträchtigten oder aufgehobenen Steuerungsfähigkeit nicht zu belegen. Allerdings ist die Annahme einer wahnhaften Störung zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Taten nicht abwegig – wobei ich sagen muss im Hinblick auf die Krisensituation nicht dauerhaft – das bezieht sich auf die Aussage des Verranntseins. Deshalb kann eine verminderte oder aufgehobene Steuerungsfähigkeit nicht mit Sicherheitausgeschlossen werden. Allerdings lässt sich – auch bei der Beurteilung im Jahr 2005 – eine solche Annahme nur in Bezug auf die Übergriffe auf die Ehefrau rechtfertigen, da hier das Handeln möglicherweise in einem motivationalen Zusammenhang mit den damals vermuteten Falschüberzeugungen gestanden hat. Die Annahmen von Herrn M. hatten dann retrospektiv einen realen Kern, so dass aus heutiger Sicht ein Handeln aus einer wahnhaften Motivation heraus kaum angenommen werden kann.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 15]

Man muß das übersetzen. Anhaltspunkte für eine Verdachtsdiagnose „Wahnstörung“, die mangels Exploration weder verifiziert noch falsifiziert werden kann, (Dr. Leipziger verifizierte auch ohne Exploration mit „Gewißheit“) gab es laut Nedopil erst in der Krise 2004/2005, als seine Ex-Frau erfolgreich die Psychiatrisierung ihres Mannes betrieb. Insoweit ist ein Rückschluß auf den 12.8.2001 nicht möglich. Daß Nedopil sich überhaupt der abstrakten Frage widmete, inwieweit sich die Verdachtsdiagnose auf die Schuldfähigkeit ausgewirkt hat, liegt daran, daß insbesondere der Vorgutachter Dr. Leipziger sich mit diesem forensischen Problem überhaupt nicht beschäftigt hat.

Er sprang vielmehr nach selektiver Auswertung der Akten sowie derjenigen der verfassungswidrigen Beobachtungen Dritter während der Freiheitsberaubung in seiner Forensik (letztere wurden in dem neuen Verfahren als Anknüpfungstatsachen wegen rechtlicher Unverwertbarkeit ausgeschieden) unter Umgehung eines Befundes unmittelbar auf drei sich ausschließende Diagnosen, die mit Gewißheit auch zu den Tatzeiten vorgelegen hätten, und entwickelte anhand einer bloßen polizeilichen, juristisch noch gar nicht ausgewerteten, Akte mit zwanzig Sachbeschädigungsvorwürfen, die ihm unzuständigerweise vom auftraggebenden Richter zugespielt worden war, eine Gefährlichkeitsprognose. Inwieweit sich die unterschiedlichen unterstellten Krankheitsbilder auf die Unrechtseinsicht oder Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit ausgewirkt haben könnten, Kernstück eines forensischen Gutachtens, blieb ununtersucht.

Man lese sich dieses oberflächliche Gutachten im Lichte der Ausführungen Nedopils noch einmal durch:

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Gutachten-Leipziger-2005-07-25.pdf

Just diese angeblich raffiniert-gefährlichen Sachbeschädigungen, die die Gefährlichkeitsprognose stützen sollten, gab es überhaupt nicht, wie der Sachverständige Rauscher hervorhob. Da seinerzeit kein einziger Reifen in Augenschein genommen worden war und seinerzeit entweder gar keine oder nur oberflächliche Zeugenaussagen über die Art der Beschädigungen vorlagen, war es ihm aus wissenschaftlich-technischer Sicht nicht einmal möglich, von mutwilligen Sachbeschädigungen auszugehen, da sich natürliche Ursachen für Druckverluste nicht ausschließen ließen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-23.pdf

[S. 6 ff.]

Der von der Ex-Ehefrau, ihrem neuen Lebensgefährten und von zwei Anwälten aus deren Lager geschürte Tatverdacht hatte sich in keiner Weise bestätigt – die diesbezügliche Verurteilung von 2006 war ein ersichtliches Fehlurteil, und die maßgeblich hierauf gestützte Gefährlichkeitsprognose, die Gustl Mollath über sieben Jahre Psychiatrie verschaffte, ebenso.

Nedopil kommt bei der abstrakten Prüfung eines möglichen Zusammenhangs von Diagnose und Taten zu diesem erschütterndem Ergebnis [Hervorhebung von mir]:

Nedopil:

Bei den Übergriffen auf die damalige Ehefrau, sofern sie denn vom Gericht zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden sollten, stand Herr Mollath in einer massiven ehelichen Krise, die zur Trennung der Ehefrau führte. Es bestand ein sich über mehrere Jahre hinziehender massiver Streit, der auf einer realistischen Grundlage basierte und zu offensichtlich sehr verhärteten Fronten geführt hatte, z.B. Wegsperren der Autos etc.. In Anbetracht der von Herrn Dr. Simmerl beschriebenen Persönlichkeit des Herrn Mollath, die sich mit der Beschreibung der anderen Gutachter deckt, dürfte eine Kompromissfindung auch dann nicht einfach gewesen sein, wenn man die anderweitige Orientierung der damaligen Ehefrau außer Acht lässt. Mangelnde Kompromissbildung in einer Ehekrise führt in aller Regel zu einer raschen Trennung oder zu einer Eskalation, zumal wenn einer oder beide Ehepartner übernachhaltig auf seinen Einstellungen beharrt. Diese Eskalation könnte ein rationales, für andere nachvollziehbares Denken und Handeln verhindert und auch ein ausgeprägtes Misstrauen bedingt haben. Aus meiner Sicht ist es notwendig zu prüfen, inwieweit durch einen Wahn, sofern er gehandelt haben sollte, das Steuerungsvermögen über das hinaus in Mitleidenschaft gezogen sein sollte, was aufgrund der kritischen ehelichen Situation ohnehin zu erwarten gewesen wäre.

 

Vergleichbare Überlegungen müssen auch in Bezug auf das Aufstechen von Autoreifen angestellt werden, wenn diese Taten weiterhin Herrn Mollath zugeordnet werden sollten. In keinem Gutachten wurde begründet, inwiefern diese Taten wahnhaft motiviert gewesen sein könnten, oder inwieweit ein Wahn die Schuldfähigkeit oder Einsichtsfähigkeit tangiert haben sollte. Das fällt auch insofern schwer, als Autoreifen von Personen angestochen waren, die Herr Mollath als Gegner sehen konnte – und dazu gehören auch Psychiater, die einen Menschen einweisen, wie auch Menschen, die nicht in die Kategorie der Gegner fallen wie der Manager aus München.

Wenn aber ein Zusammenhang zwischen Wahn und Handlung nicht hergestellt werden kann, ist es wenig nachvollziehbar, warum für diese Handlung eine verminderte Steuerungsfähigkeit angenommen werden müsste. Es ist dann auch nicht schlüssig, warum aus dem Wahn eine Gefährlichkeit abzuleiten ist. Das bedeutet nun wiederum nicht, dass die Annahme eines Wahns und auch die Annahme von Gefährlichkeit widerlegt wären, es bedeutet nur, dass eine angenommene Gefährlichkeit nicht aufgrund einer psychischen Störung bestand, die bei Herrn Mollath diagnostiziert wurde.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 13]

Das heißt: ist es schon angesichts der realen Ehekrise schwierig, einen tatauslösenden oder die Schuldfähigkeit tangierenden Zusammenhang zwischen Verdachts-Diagnose und Körperverletzung der Ehefrau zu konstruieren, so scheidet dieser hinsichtlich der Reifenstechereien aus. Damit fehlt es an der maßgeblichen Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß § 63 StGB, nämlich an der Gefährlichkeit, die sich aus dem Zustand des Täters ergeben muß.

Dr. Leipzigers Gutachten ist widerlegt. Warum Prof. Nedopil in diesem Zusammenhang nicht darauf eingeht, daß Dr. Leipziger auch hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Ehefrau eine konkrete Auswirkung der angenommenen Krankheitsbilder auf die Schuldfähigkeit nicht untersucht hat, läßt sich nur mit kollegialer Rücksichtnahme erklären. Herrn Prof. Kröber, der sich desselben Fehlers befleißigt hatte, widerspricht er dagegen offen:

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 59]

Festzuhalten bleibt, daß Nedopil für den abstrakten Fall, daß die Kammer eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit positiv feststellen sollte, zur Gefährlichkeitsprognose, bezogen auf die Körperverletzungsvorgänge, zu folgendem Ergebnis kam:

Wenn man die Voraussetzungen für aufgehobene oder verminderte Schuldfähigkeit nicht positiv annimmt, dann entfallen schon die formalen Voraussetzungen.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 16]

Dies galt auch schon für die Zeit der Gutachtenerstattung von Dr. Leipziger (Juli 2005 und August 2006): eine Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Körperverletzungsvorwürfe schied aus – genau aus diesem Grund erkundigte er sich nach einem neuen Verfahren, das ihm dann auf dem Silbertablett serviert wurde. Nach der gründlichen Hauptverhandlung in Regensburg blieb von diesen „aktuellen“ Sachbeschädigungsvorwürfen nichts übrig außer der Gewißheit, daß die Verurteilung im Jahr 2006 einen eklatanten Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellt.

In Prof. Nedopils mündlicher wie schriftlicher Stellungnahme gibt es einen Satz, den die Kammer mit großer Aufmerksamkeit registriert hat; kennt man das Ergebnis der Urteilsberatung dieser Kammer, fällt einem auch ein, wieso ihr dieser Satz nicht gefallen konnte. Hier hakt zunächst die Vorsitzende nach [Hervorhebungen von mir]

VRiinLG Escher: Dann doch gleich im Zusammenhang. Bl. 109 sind wir uns nicht ganz sicher, wie wir den Satz, der ist etwa in der Mitte Bl. 109, verstehen sollen: Die Annahmen von Herrn Mollath hatten einen realen Kern, so dass ein Handeln aus wahnhafter Motivation kaum angenommen werden kann?

 

Prof. Nedopil: Also: erstens hatten die einen realen Kern, in dem Sinn, dass Frau Mollath ja tatsächlich wiederholt an die Justiz herangetreten ist, an dieStA, an das Gericht, wann bringt ihr den denn endlich unter. Das ist ein realer Kern, der ist nicht zu bestreiten. Der zweite: Dass im Revisionsbericht steht, es könnte sein, wenn Herr Mollath an die Öffentlichkeit tritt, dass dies Konsequenzen für die Bank hat. Das ist auch ein realer Kern. Das sind auch die Kerne, die Grundlage seiner Überzeugungen sind. Das wussten aber zumindest in Bezug auf die Bank der damalige Gutachter und der damalige Psychiater nicht. Dieser Revisionsbericht ist ja erst später in die Öffentlichkeit gekommen, obwohl er schon vorher da war.

 

VRiinLG Escher: Deshalb kann eine verminderte oder aufgehobene Steuerungsfähigkeit nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Und jetzt tu ich mir hart, dass es jetzt hier heißt: dass ein Handeln aus wahnhafter Motivation heraus kaum angenommen werden kann. Bedeutet das, dass § 20/21 offen geblieben ist?

 

Prof. Nedopil: Ja. Also kaum – also nicht angenommen werden kann. Aus meiner

Überzeugung: das Handeln hat so viel realen Hintergrund, dass ich aus heutiger Sicht und zwar mit dem Wissen um den Revisionsbericht sagen würde, da ist so viel mehr an realen Grundlagen da, dass ich eine wahnhafte Motivation gar nicht mehr wirklich annehmen kann, obwohl er durchaus wahnhafte Aspekte drin hat wie bspw. die Übertragung, dass Wörthmüller Teil des Systems ist, dass Lippert Teil des Systems ist. Das sind sicher Sachen, die die Realitätsbasis verlassen. Aber der Kern – ok – übermäßiges Misstrauen, wo die Grenze überschritten ist, kann man nicht sagen aus der Ferne. Ich würde sagen, dass es bzgl. Wörthmüller und Lippert die Grenze überschritten hat, aber nicht bzgl. der Auseinandersetzungen der Frau.

VRiinLG Escher: Offen geblieben? Aber Wahrscheinlichkeit?

Prof. Nedopil: Offen geblieben. Es heißt kaum, also es ist eine geringe Wahrscheinlichkeit da, aber bei weitem nicht überzeugend. Und das auch nochmal: aus retrospektiver Sicht.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 18]

Gell, Frau Dr. Merk, jetzt geht sogar Ihnen wohl der Zusammenhang zwischen dem Sonderrevisionsbericht der HVB und der Wahndiagnose auf?

Damit blieb von dem ohnehin nur rein hypothetischen Wahn praktisch nichts mehr übrig. Unmöglich, auf dieser Basis sogar eine komplette Schuldunfähigkeit, und dann auch noch für die Tatzeit 12.8.2001, nicht ausschließen zu können. Man muß den Schluß ziehen, daß das Gericht nicht ausschließen wollte und ergebnisorientiert vorging.

Hier noch einmal ein Statement von Nedopil auf Frage des Gerichts:

Also insofern richtig, dass ich sage: ich kann keine dieser beiden Störungen positiv belegen, ich kann aber auch nicht ausschließen, dass die Persönlichkeitsstörung vorhanden ist und ich kann auch nicht ausschließen, dass zum Zeitpunkt dieser Krise, dass sich das so zugespitzt hat, dass eine wahnhafte Störung vorgelegen haben könnte.

VRiinLG Escher: Zum Zeitpunkt der Ehekrise. Zum Zeitpunkt der andern Vorwürfe?

Prof. Nedopil: Eher nicht. Das war ja 2004/2005.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 17]

Da mißversteht die Vorsitzende die mehrfach von Nedopil erwähnte Krise von 2004/2005, als Gustl Mollath zwangsweise mit der forensischen Psychiatrie Bekanntschaft machen mußte, prompt als Ehekrise, so sehr denkt sie schon an das Wunschergebnis.

Die beisitzende Richterin Koller versucht danach noch zu retten, was eigentlich nicht mehr zu retten ist:

RiinLG Koller: S. 109 zurück. Wenn Sie sagen, dass ein Handeln aus wahnhafter Motivation kaum anzunehmen ist – dann ist es Ihre Einschätzung aus Ihrer heutigen Sicht. D.h. aber nicht, dass eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit gleichwohl ausgeschlossen werde könnte?

Prof. Nedopil: Richtig. Es sind ja zwei Quantifizierungen, die in diesem Satz enthalten sind. Eine: wie weit geht die Beeinträchtigung und die zweite wie wahrscheinlich ist sie? Und die eine Quantifizierung, also wie weit geht die Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit, da würde ich sagen: das kann man rückblickend und ohne Exploration nicht wirklich beurteilen. Es könnte sein, dass sie auch aufgehoben wäre. Ich halte das für nicht wirklich wahrscheinlich, aber ich kann es auch nicht mit letzter Sicherheit ausschließen. Die Verminderung der Steuerungsfähigkeit ist aus unterschiedlichen Gründen eher wahrscheinlich, aber auch nicht sehr wahrscheinlich und zwar deswegen – will nicht sagen aus welchen Gründen, das würde es verkomplizieren – dass er damals in einer tatsächlichen Ehekrise war, dass es zu Auseinandersetzungen kam, dass es auch aus der affektiven Belastung zu einer Beeinträchtigung hätte kommen können, die nicht zur Aufhebung führt. Das ist wahrscheinlich – das ist aber auch nicht so, dass ich davon überzeugt bin, wie ich auch – das muss ich auch sagen – wie ich auch von der Diagnose des Wahnes auch nicht wirklich überzeugt bin. Das habe ich, glaube ich, deutlich genug gesagt.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 19]

Dieses vage Herumschwimmen in Meinungen, Überzeugungen, Wahrscheinlichkeiten und letzten Sicherheiten ohne auch nur einen einzigen validen tatsächlichen Anknüpfungspunkt, dazu noch kontaminiert durch den logischen Bruch, eine hypothetisch vorliegende Wahnstörung in die Zeit der Krise 2004/2005 zu verlegen, bietet nicht die geringste Basis für das von der Kammer gefundene Ergebnis, für den 12.8.2001 eine Schuldunfähigkeit nicht ausschließen zu können.

Die Transkriptionen, die RA Strate ermöglicht hat, offenbaren einen unmittelbaren Einblick darin, wie sich sogar ein zurecht gelobter Ausnahme-Psychiater in einer Situation, in der er nichts weiß, um Kopf und Kragen redet.

Die Zunftvertreter von der DGPPN sollten ihre sachlich falsche Presseerklärung vom 19.8.2014 dringend überarbeiten:

Presseinformation

19. August 2014

Nach dem Fall Mollath: Bundesweite Reform des Maßregelrechts konsequent vorantreibenGustl

 

Mollath war zunächst aufgrund angenommener Gefährlichkeit in die Forensische Psychiatrie eingewiesen worden. Man hatte ihn für schuldig befunden, seine damalige Ehefrau im Rahmen von Ehestreitigkeiten gewürgt und zahlreiche Autoreifen jener Personen aufgestochen zu haben, die er im Zusammenhang mit den (mittlerweile nachgewiesenen) unlauteren Finanzgeschäften seiner damaligen Ehefrau und der Scheidung gesehen hatte.

 

Das Schicksal des Gustl Mollath sorgte auch deshalb für Aufsehen, weil Symptome einer psychischen Störung und völlig sachgemäße Aussagen dicht beieinander lagen. Kritisiert wurde außerdem, dass die Sachverständigen Gutachten nach Aktenlage fertigten, nachdem Herr Mollath von seinem Recht Gebrauch machte, sich nicht untersuchen zu lassen.

 

Die Wiederaufnahme des Falles, der als Lackmusprobe für die Forensische Psychiatrie gelten kann, hat nun als Ergebnis erbracht, dass Herr Mollath seine Frau tatsächlich misshandelt haben soll. Das Gericht ging erneut von einer möglichen wahnhaften Störung mit Realitätsverlust bei Gustl Mollath zur Tatzeit aus und sprach ihn deswegen von seiner Tatschuld frei im Sinne des § 20 StGB. Da das Gericht jedoch gleichzeitig die im ursprünglichen Urteil angenommene Gemeingefährlichkeit verneinte, welche zur Unterbringung in der Forensischen Psychiatrie geführt hatte, steht Gustl Mollath nun eine Entschädigung zu.

http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/pressemitteilungen/2014/2014-08-19-DGPPN-Pressemitteilung-Ma%C3%9Fregelvollzug.pdf

Urmutter solcher Desinformation ist natürlich die Pressestelle des Landgerichts Regensburg, die das Urteil auf eine Art und Weise verkaufte, daß sowohl die Justiz als auch die ihr zuarbeitende Psychiatrie maximal geschützt wurde.

Zum Freispruch kam es insofern dennoch, weil der Angeklagte nach Einschätzung des Gerichts zur Tatzeit möglicherweise schuldunfähig war. Die Kammer schloss sich diesbezüglich der Beurteilung des hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen an.

Letzterer habe Anhaltspunkte für eine beim Angeklagten eventuell bestehende wahnhafte Störung festgestellt und mangels hinreichend aussagekräftiger gegenteiliger Anknüpfungstatsachen, vor allem aber mangels Mitwirkung des Angeklagten an einer Exploration, nicht ausschließen können, dass dessen Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat krankheitsbedingt aufgehoben gewesen sei.

[…]

Anlass zur erneuten Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus sah die Kammer, wiederum ausgehend von den Ausführungen des in der Hauptverhandlung zu Rate gezogenen psychiatrischen Sachverständigen, nicht. Dessen Gutachten habe verdeutlicht, dass eine Diagnosestellung und ein Gefährlichkeitsnachweis mit den heute noch zur Verfügung stehenden, vom Vorprozess abweichenden Erkenntnismöglichkeiten nicht zu leisten seien.

http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/gerichte/landgerichte/regensburg/pressemitteilung2014-5/pressemitteilung_2014_5_urteil.pdf

Diese Mitteilung stellt nicht nur das Nedopil-Gutachten, sondern auch die mündliche Urteilsbegründung der Kammer auf den Kopf; ich will nicht hoffen, daß das schriftliche Urteil sich dieser Presseeerklärung annähern wird. Man muß es allerdings befürchten, was die ohnehin geringen Chancen des Erstreitens einer Zulässigkeit der Revision weiter schmälern wird.

Hier die mündliche Urteilsbegründung, in der die Stellungnahme von Prof. Nedopil bereits durch Weglassungen verunklart wird:

Da nicht nur die Möglichkeit der Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden konnte, sondern auch die Möglichkeit der vollen Schuldfähigkeit bei Tatbegehung nicht ausschließbar war, so der Sachverständige, das heißt, letztlich die Frage, ob der Angeklagte zur Tatzeit 12.08.2001 schuldunfähig, vermindert schuldfähig oder voll schuldfähig war, nicht geklärt werden konnte, wie Prof. Nedopil nachvollziehbar ausgeführt hat, kam die Anordnung einer Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus nach § 63 StGB von vornherein nicht in Betracht. Hierfür müsste eben zumindest positiv feststehen, dass der Angeklagte die Tat vom 12.08.2001, diese rechtwidrige gefährliche Körperverletzung, im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Das ist nicht der Fall.

Im Übrigen ist auch eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit – eine weitere Voraussetzung des § 63 StGB – nicht gegeben.Eine solche Gefährlichkeit stellt der Angeklagte nicht dar. Hierfür spricht nichts, so auch der Sachverständige Prof. Nedopil. Insbesondere ist diesbezüglich auch festzuhalten, dass seit der Entlassung des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug keinerlei strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen zu verzeichnen sind.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 41]

Ähnlich desinformiert die Presseerklärung über die Gründe des Freispruchs aus tatsächlichen Gründen wegen des Vorwurfs der Ehefrau wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung vom 31.5.2002:

Nachdem durch eine Zeugenaussage in der aktuellen Hauptverhandlung Hinweise erkennbar geworden seien, dass die Nebenklägerin den Angeklagten auch in Gesprächsabsicht aufgesucht habe, hätte es nach Auffassung der Kammer einer ergänzenden Befragung der Nebenklägerin zum Verlauf ihres damaligen Aufenthalts im Tatortanwesen bedurft.

Eine solche sei jedoch nicht durchführbar gewesen, da sich die Nebenklägerin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen habe. Der Freispruch gründete sich in diesem Anklagepunkt also auf einen nicht vollständig geführten Tatnachweis.

http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/gerichte/landgerichte/regensburg/pressemitteilung2014-5/pressemitteilung_2014_5_urteil.pdf

Das ist schon eine Frechheit, den Begriff „Tatortanwesen“ zu benutzen, wenn gerade Freispruch erfolgt ist. Den seinerzeit erhobenen Körperverletzungsvorwurf hatte die Nebenklägerin bereits in der Hauptverhandlung vom 8.8.2006 unter Berufung auf Erinnerungslücken fallengelassen, weshalb dieser tateinheitliche Vorwurf zur Freiheitsberaubung von vorneherein indiskutabel war. Zum Vorwurf der Freiheitsberaubung hatte die Nebenklägerin derartig inkonstante Angaben gemacht, daß sie sie auch bei einem Erscheinen in der Regensburger Hauptverhandlung nicht hätte reparieren können.

Aus der mündlichen Urteilsbegründung zur Freiheitsberaubung:

Was haben wir noch? – Wie bereits gesagt: Unklare bis widersprüchliche

Schilderungen in den Äußerungen der Nebenklägerin sind zu verzeichnen hinsichtlich der Tatörtlichkeit, Arbeitszimmer festhalten, im Schlafzimmer festhalten, im Arbeitszimmer und im Schlafzimmer festhalten, und auch hinsichtlich des Geschehensablaufs, insbesondere ob insoweit die Nebenklägerin lediglich durch körperliche Präsenz des Angeklagten oder durch ein Versperren des Schlosses am Gehen gehindert worden sei. Im letzteren Falle, also im Fall des Zusperrens wäre

das Nutzen einer Schrecksekunde des Angeklagten, die die Nebenklägerin gegenüber verschiedenen Personen geschildert hat und die sie in die Lage versetzt haben soll, aus dem Zimmer zu gelangen, ohnehin nicht nachvollziehbar.

 

Darüber hinaus sind die Äußerungen auch schon zur Frage, ob die Nebenklägerin zusammen mit der Zeugin Simbek zur früheren Ehewohnung gefahren ist oder die Zeugin Simbek nachgekommen ist, nicht einheitlich. Darüber hinaus gibt es auch teilweise Widersprüche zwischen der Aussage der in der Hauptverhandlung ausführlich vernommenen Zeugin Simbek und eben diesen früheren Äußerungen der Nebenklägerin.

 

[…]

 

Die Gesamtschau der gesamten Umstände lässt es zwar als möglich erscheinen, dass der Angeklagte die Nebenklägerin am Verlassen der Wohnung gehindert hat; sicher feststellbar ist dies angesichts der unerklärlichen Angaben der Nebenklägerin

aber nicht.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[ S. 31 ff.]

Diese “unerklärlichen” Angaben reichten 2006 zur Verurteilung wegen Freiheitsberaubung aus, wobei der tateinheitlich erhobene Vorwurf der Körperverletzung, hübsch versteckt, ohne Mitteilung einer Einstellung gemäß § 154 a StPO oder eines offiziellen Teilfreispruchs aus tatsächlichen Gründen (wie hinsichtlich des unbegründeten Vorwurfs der Ehefrau, ihr Mann habe im November 2002 einen an sie gerichteten Brief stehlen (wollen) geschehen, fallen gelassen wurde.

Der Vorwurf war von Anfang an nicht begründet, und das Landgericht Regensburg weiß das. Niemals hätte die Nebenklägerin in einer aktuellen Aussage all diese Widersprüche reparieren können. Auf die Widerlegung der Aussage ihrer hilfreichen Schwägerin kam es überhaupt nicht an.

Den Höhepunkt der Desinformation erreicht der Pressetext des LG Regensburg verständlicherweise in der Darstellung, aus welchen tatsächlichen Gründen wegen der Sachbeschädigungsvorwürfe freigesprochen wurde, denn ein Rechtsbeugungsvorwurf gegenüber dem LG Nürnberg, das am 8.8.2006 beweislos verurteilte, mußte unbedingt abgewehrt werden:

Zwar deuteten mehrere Indizien, unter anderem der enge zeitliche und inhaltliche Zusammenhang mit einem Schreiben, in dem der Angeklagte einen Großteil der geschädigten Fahrzeugbesitzer mit dem von ihm gezeichneten Verschwörungsszenario in Verbindung gebracht habe, auf eine Verursachung durch den Angeklagten hin.

Es fehlten jedoch wichtige, im Ausgangsverfahren noch vorhandene Sachbeweise. Zudem sei das Erinnerungsvermögen der Zeugen aufgrund des langen Zeitablaufs meist erheblich getrübt gewesen, so dass sich die Verdachtsmomente nicht einmal mit Hilfe des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen für Verkehrsunfallanalyse und Kfz-Schäden hätten erhärten lassen.

Von den erhobenen Sachbeschädigungsvorwürfen wurde der Angeklagte infolge dessen wegen eines nicht ausreichend sicheren Tatnachweises freigesprochen.

http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/gerichte/landgerichte/regensburg/pressemitteilung2014-5/pressemitteilung_2014_5_urteil.pdf

Es trifft zwar zu, daß sich das Landgericht Regensburg sämtlicher Hinweise auf die Inszenierung dieser Sachbeschädigungsvorwürfe durch entschlossene Mollath-Gegner im Lager der Ex-Ehefrau entschlagen hat, wie es nun einmal in Bayern Brauch ist. Ein kleiner Seitenhieb gegen die Ex-Ehefrau findet sich dennoch in der mündlichen Begründung::

Der Zeuge Grötsch hat bekundet, die Videoaufnahmen seien damals Petra Mollath vorgelegt worden. Diese habe ausgesagt, Statur und Bewegungsabläufe könnten auf den Angeklagten zutreffen; sie könne das aber nicht sicher sagen. Brillenträger sei ihr Mann jedenfalls nicht gewesen. Jedenfalls: Die vorhandenen Screenshots, von denen der Zeuge Grötsch sagt, diese seien die besten der Aufnahmen gewesen, lassen eine gesicherte Zuordnung auf den Angeklagten nicht möglich erscheinen, zumal er laut Angabe der Zeugin Mollath gegenüber Grötsch kein Brillenträger war, aber jedenfalls alle Ausdrucke den 29.01.2005 betreffend eine Brille an der Person, die sich auf dem Gehweg und dann beim Alfa Romeo der Geschädigten Greger befindet, auszumachen ist. Außerdem trug diese Person dieselbe Kleidung wie auf den Aufnahmen vom 01.02.2005, sodass man sicher davon ausgehen kann, dass es sich bei diesen beiden Tagen um dieselbe Person handelt.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 36]

Da streut die Ex-Ehefrau einen vagen Verdacht gegen den Ex-Ehemann, obwohl auf dem Video ein Brillenträger erkennbar ist, bei dem es sich nicht um ihren Mann handeln kann.

Die gezielte Inszenierung einer Mollath-Serie aus den alltäglichen Reifenbeschädigungen in Nürnberg ergibt sich aus den Aussagen des POK Grötsch:

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-15.pdf

[S. 3 ff.]

Ebenso aus Aussagen von RA Dr. Woertge:

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-10.pdf

[S. 64 ff.]

sowie aus den Findungen des Sachverständigen Rauscher, die ich schon angeführt hatte.

Die Verteidigung hat hierzu ein spannendes, genaues und zutreffendes Szenario erstellt, das die Wahrheit sein muß, sonst hätte der Pressetexter die Urteilsbegründung des LG Regensburg nicht derartig verfälscht.

Zweiter Teil:

Plädoyer Rechtsanwalt Johannes Rauwald

 Meine Ausführungen sind als Ergänzung zum Vortrag von Herrn Dr. Strate zu verstehen. Sie befassen sich im Kern mit den Sachbeschädigungsvorwürfen.

Um es vorwegzunehmen: Herr Dr. Strate hatte die Herrn Mollath vorgeworfenen Sachbeschädigungen als absurd bezeichnet. Dem schließe ich mich an. Eine Beschädigung von Kraftfahrzeugen durch Herrn Mollath gab es nicht. Die unserem Mandanten zur Last gelegten Handlungen sind erfunden und konstruiert. Das Ziel dieses Konstrukts ist bekannt. Es ging darum, den früheren Ehemann von Frau Mollath zu psychiatrisieren.

Zunächst jedoch zu den Reifenschäden: Alles, was uns hierzu vorliegt sind die Behauptungen der vermeintlich Geschädigten. Feststellungen über die Ursachen der berichteten Luftverluste an den Reifen ihrer Fahrzeuge sind im gesamten Verfahrensverlauf zu keinem Zeitpunkt getroffen worden. Kein einziger der betroffenen Reifen wurde fotographisch festgehalten, geschweige denn durch die Behörden sichergestellt.

Die Vorwürfe stützen sich allein auf die Mitteilungen dieser Personen, die im Übrigen mit Frau Müller in Verbindung standen. Die Schilderungen der Beschädigungen sind dabei so unkonkret, dass auch der Sachverständige Rauscher sich auf deren Grundlage nicht in der Lage sah, eine verlässliche Aussage darüber zu treffen, ob die behaupteten Luftverluste auf ein Zerstechen von Reifen zurückzuführen sind (S. 8 des Protokolls vom 24.07.2014). Dem Vorwurf der Sachbeschädigung ist damit die Grundlage entzogen. Dies bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Dennoch ist es aus der Sicht der Verteidigung nicht angezeigt, den Komplex der Sachbeschädigungen gänzlich auszuklammern. Aufschlussreich ist die Auseinandersetzung hiermit, sofern man das Augenmerk auf Frau Müller und die Akteure aus ihrem Umfeld legt. Diese hatten sich zum Ziel gesetzt, eine strafrechtliche Verfolgung von Herrn Mollath wegen der Sachbeschädigungen von Fahrzeugen zu erreichen. Exemplarisch möchte ich dies an drei Beispielen darlegen: den Lichtbildaufnahmen aus der Nacht zum 1. Februar 2005, den Schreiben der Rechtsanwälte Greger und Woertge und den Aussagen von Martin Maske.

Weil sich früh abzeichnete, dass verlässliche Anhaltspunkte für eine Täterschaft Gustl Mollaths anhand der bloßen Mitteilung von Reifenschäden nicht zu erreichen sein würde, galt es, andere Wege zu finden, um eine Verbindung zu Herrn Mollath zu zeichnen. Die Einrichtung einer Kameraüberwachung kam da sehr gelegen.

Eher am Rande sei hierzu angemerkt, dass über die Umstände, unter denen es zu den Aufnahmen gekommen ist, auch im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens keine wirkliche Aufklärung stattgefunden hat. Offen ist weiterhin, auf wessen Veranlassung die Kamera aufgestellt wurde und wer sie bediente. Die Akten schweigen hierzu. Und auch der Zeuge Grötsch konnte Näheres dazu nicht berichten. Allein, seine Begründung für das Ergreifen der Maßnahme stimmte nicht. Danach gefragt, erklärte der Zeuge Grötsch in der Hauptverhandlung

(S. 8 HVT 7):

„Im Normalfall [kommt es bei Reifenbeschädigungen] nicht [zur Kameraüber-wachung], aber nachdem beim RA und auch bei der zweiten RA Familie […] ein Zusammenhang da war und auch das mit der Fahrt nach München, wo es schlimmer ausgehen kann, dann haben wir uns entschlossen. Ich habe es nicht entschieden, angefragt, ob es machbar ist, war machbar, dann durchgezogen […]. [Der] Chef […] hat gesagt, wir haben Kapazität frei, machen wir es halt.“

Dem polizeilichen Schlussbericht zufolge wurden die Bildaufnahmen ab dem 16. Januar 2005 gemacht. Von gefährlichen Situationen bei Fahrten mit platten Reifen berichtete Herr Greger dem Zeugen Grötsch jedoch erst mit Schreiben vom 21. März 2005, also über zwei Monate später. Darin beschreibt er, dass erstmalig am 19. Januar 2005 bei einer Fahrt ein rascher Druckverlust aufgetreten sei. Zu diesem Zeitpunkt dauerten die Aufnahmen jedoch bereits 3 Tage an. Der Bericht gefährlicher Fahrtsituationen konnte für den Entschluss, nächtliche Bildaufnahmen vor dem Anwesen der Familie Greger zu machen, daher nicht ausschlaggebend gewesen sein. Die Begründung dafür muss in etwas Anderem gelegen haben.

[…]

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Plaedoyer-Verteidigung.pdf

[S. 31 ff.]

Hierauf ging das LG Regensburg zwar nicht ein.

Aber es stellte in seltener Klarheit fest, daß es niemals einen Sachbeweis gegen Gustl Mollath gegeben hat:

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[ S. 33 ff.]

Das Gericht nahm sozusagen einen Mittelweg ein. Es tat das, was rechtens war, nämlich das Unrechtsurteil aufzuheben und Gustl Mollath Entschädigung für die schrecklichen siebeneinhalb Jahre in der forensischen Psychiatrie zuzusprechen. Es sprach aus tatsächlichen Gründen frei, wo es wegen des offenkundigen Fehlurteils des LG Nürnberg Reparaturinteresse haben mußte.

Da aber nicht alles schlecht sein durfte, was die bayerische Justiz angerichtet hatte, kam es dem Gericht zupaß, daß Gustl Mollath, von dritter Seite schlecht beraten, sich nur teilweise und daher nicht überzeugend, zu dem umstrittenen Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Ehefrau vom 12.8.2001 einließ. Falls es eine weitere Instanz geben sollte, wird die Zukunft zeigen, ob die richterliche Beweiswürdigung trägt.

Meine Meinung zu dem Urteil?

Ich sehe das halbvolle und nicht das halbleere Glas…

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Der Fall Gustl Mollath: Die neue Hauptverhandlung

Rosenkrieg 2

Eigentlich hätte ich für diesen Artikel ein anderes Symbolfoto aussuchen sollen, denn der Rosenkrieg fand zwar in der letzten Zeit noch per emphatischer Interviews mit Otto Lapp und Beate Lakotta statt – vor Gericht fällt er allerdings aus. Die einzige Belastungszeugin, die Ex-Ehefrau des Angeklagten, macht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und wurde bereits abgeladen.

Am nächsten Montag, den 7.7.2014, beginnt die neue Hauptverhandlung gegen Gustl Mollath – und sie wird ganz anders ausfallen als das sechsstündige Verfahren vom 8.8.2006, ein Schnelldurchgang unter weitgehender Vernachlässigung der Strafprozeßordnung, der mit einem Fehlurteil endete – da bin ich mir ganz sicher. So sicher, wie ich es auch schon vor der Verhandlung in dem Wiederaufnahmeverfahren im Fall Peggy (Ulvi Kulac) war.

https://gabrielewolff.wordpress.com/2014/04/10/wiederaufnahmeverfahren-im-fall-peggy-dekonstruierung-einer-konstruktion/

17 Verhandlungstage sind angesetzt, 42 Zeugen sollen gehört werden.

Diese neue Hauptverhandlung steht ganz unter dem Zeichen der Öffentlichkeit; und es freut mich sehr, daß auch zwei profunde Kenner des Falles von diesem Prozeß berichten werden – und zwar ganz unabhängig von den Medien: Prof. Dr. Henning Ernst Müller und Ursula Prem. Beide sind von der professionellen Vorbereitung des Verfahrens positiv beeindruckt:

http://blog.beck.de/2014/07/04/alles-bereit-f-r-die-neue-hauptverhandlung-gegen-gustl-mollath

http://www.ein-buch-lesen.de/2014/07/ab-montag-wiederaufnahmeverfahren-gegen.html

Hier steht ein Forum für weitere Prozeßbeobachter bereit:

http://drei-saeulen.de/index.php?title=Kategorie:Gustl_Mollath

Ich selbst werde an dieser Stelle vor Beginn der Hauptverhandlung noch einmal die Medienbeiträge der letzten Tage analysieren – und weiterhin sowohl die Ukraine-Krise beobachten als auch die WM- und Gartenecke pflegen.

Update 5.7.2014

Das Medieninteresse an diesem Fall ist ausgesprochen groß, so daß hier nur eine kleine Auswahl getroffen werden kann. Zwei große Porträt-Reportagen über den Menschen Gustl Mollath sind erschienen. Zunächst am 27.6.2014 in der Beilage der SÜDDEUTSCHEN von Olaf Przybilla, Uwe Ritzer und Rainer Stadler:

aus Heft 26/2014 Gesellschaft/Leben

Eine Wahnsinnsgeschichte

Der Skandal erschütterte Deutschland: Gustl Mollath saß sieben Jahre in der Psychiatrie, trotz zahlloser Widersprüche in den Gerichtsakten. Jetzt wird sein Fall noch einmal aufgerollt. Porträt eines Mannes, der wieder draußen ist – aber immer noch nicht frei.

Von Olaf Przybilla, Uwe Ritzer und Rainer Stadler  Fotos: Julian Baumann

http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41980/2/1

Ein sensibles Porträt über einen widersprüchlichen Mann, der immer schon eine politische Mission hatte, zugleich aber auch eine Leidenschaft für Sportwagen und Motorsport, kombiniert mit dem Tüftlergeist und der handwerklichen Präzision des Maschinenbauers, der er ist. Sein sarkastischer Humor wird in zwei Szenen eingefangen:

Seine Schüler machen zunächst Brems- und Ausweichübungen, dann quietschen die Reifen über einen kleinen Rennparcours. Mollath wechselt immer wieder das Auto und gibt als Co-Pilot Tipps. Die meisten, sagt er, würden viel zu schnell fahren. Wichtiger sei es, erst mal die Linie zu finden und dann langsam zu beschleunigen. Mollath genießt diesen Morgen sichtlich: »Das ist auf jeden Fall therapeutisch wertvoller als der Aufenthalt in einer geschlossenen Anstalt.«

Und:

Zehn Jahre später nun trägt er einen roten Anorak mit dem Button von König Ludwig II. am Kragen. Den König empfinde er gewissermaßen als seinen frühesten Leidensgenossen, der König sei ja bekanntlich Opfer psychiatrischer Aktengutachten geworden. Auch Mollath beurteilten mehrere Gutachter, ohne je mit ihm gesprochen zu haben. Hat er keine Sorge, dass er mit diesem Button etwas sonderbar wirken könnte? »Möglich«, entgegnet Mollath und zuckt mit den Schultern. Man müsse doch »auch mal was davon haben, wenn man schon offiziell für verrückt erklärt worden ist«, sagt er und lacht.
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41980/2/1

Ein Humor, der nun gerade in der Psychiatrie schlecht ankam, antwortete Mollath doch auf die durchsichtige Frage, ob er Stimmen höre, sarkastisch, daß er eine innere Stimme höre, die ihm sage, daß er ein guter Kerl sei. Schwupps, schon gab es Stimmen, die seine Handlungen kommentierten, und das war natürlich ganz, ganz schlecht, denn nun kam ja neben einem isolierten Wahn, der sich auf Schwarzgeldgeschäfte der HVB sowie Handlungen seiner dort beschäftigten Frau bezogen, auch noch Schizophrenie in Betracht… Angesichts solch dürftiger psychiatrischer Leistungen verwundert es nicht, daß Gust Mollath den neuesten Versuch, ihm über die psychiatrische Schiene zu Leibe zu rücken, abwehren will:

Wieder geht es um die Frage, welche Vergehen Mollath tatsächlich begangen hat, und wieder wird er psychiatrisch begutachtet. Wie soll er sich gegenüber dem Gutachter verhalten, der ihn während des Verfahrens beobachten wird? Es handelt sich um Norbert Nedopil, einen der erfahrensten Gutachter in Deutschland (SZ-Magazin, Interview vom 31. August 2012). Im Internet hat Mollath gelesen, Nedopil habe während einer Fernsehsendung geäußert, dass Gutachter oft irren würden, in den meisten Fällen zu Lasten des Beschuldigten. Das Risiko, die Allgemeinheit einer Gefahr auszusetzen, wiege für viele Gutachter schwerer. »Und so einem bin ich ausgeliefert!«, erregt sich Mollath.

http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41980/2/1

Bei Prof. Dr. Nedopil müßte er mit seiner Weigerung, sich explorieren zu lassen, allerdings auf Verständnis stoßen, zumal der Psychiater selbst seine Explorationen als ‚Angriff‘ auffaßt:

Nedopil lächelt und lässt wissen, jetzt könnten wir normal weitermachen im Gespräch. Er hat mal eben gezeigt, was er draufhat.

Das ging ja jetzt ganz schön schnell mit der Exploration.
Ja, auf einmal waren Sie in einer Verteidigungsposition.

Wie lange dauert denn sonst eine Sitzung bei Ihnen?
Es dauert immer lang. Ich würde nicht nach nur einer Stunde eine für Sie wichtige Lebensentscheidung treffen. Keiner soll denken, ich hätte mich gar nicht richtig mit ihm befasst. Ich selbst würde so eine Prozedur übrigens nie über mich ergehen lassen.

Warum nicht?
Das sollten Sie nicht schreiben, wäre ja geschäftsschädigend. Wenn ich etwas getan habe, dann stehe ich dazu und muss mich in die Hände des Gerichts begeben. Aber ich muss nicht auch noch meine Seele vor denen entblättern.

http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/38067/3/1

Einen ähnlichen Tenor wie die SÜDDEUTSCHE hat das einfühlsam-kritische Porträt, das Lisa Rokahr für den STERN, 3.7.2014, S. 84-88, ablieferte.

Der Gefangene

Wie findet einer ins Leben zurück, der sieben Jahre zu Unrecht in der Psychiatrie saß? Der stern hat Gustl Mollath ein Jahr lang begleitet. Von kommender Woche an urteilen erneut Richter, ob er verrückt ist.

Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Die Frage der Schuldfähigkeit kommt ja nur in Betracht, wenn die vorgeworfenen Taten nachgewiesen werden können – das war angesichts der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation nach Ansicht der 7. Kammer des LG Nürnberg-Fürth deshalb der Fall, weil sie „an der Glaubwürdigkeit“ der geschiedenen Ehefrau „keinen Zweifel hat“, zumal diese „ruhig, schlüssig und ohne jeden Belastungseifer“ ausgesagt habe. Einer erneuten Würdigung ihrer Glaubwürdigkeit hat sich die Zeugin aus nachvolllziehbaren Gründen entzogen, und dank der neuen Ermittlungen im Wiederaufnahmeverfahren sieht die Staatsanwaltschaft Regensburg die Glaubwürdigkeit der Zeugin ohnehin als schwer erschüttert an. Beweise für auf Wunsch des Gutachters Dr. Leipziger nachgelieferten aktuellen Straftaten, Sachbeschädigungen von Januar 2005, gab es ohnehin nie, lediglich die polizeiliche Konstruktion einer „Serie“. On verra.

Aber so reißerisch wie Überschrift und Untertitel ist Rokahrs Reportage ohnehin nicht. Sie zeigt die Beschädigungen, die dieses Verfahren hinterlassen hat. So beginnt ihr Bericht:

Gustl Mollath kauft sich einen Espresso. 1, 90 Euro. Er möchte jetzt eigentlich keinen Kaffee trinken. Aber darum geht es nicht, es geht ihm um den Kassenbon. 5. Februar 2014 steht darauf, 14.36 Uhr. Und das Wichtigste, der Ort: Hannover, „Pier 51“, ein Restaurant am Maschsee. „Ich brauche diese Belege“, sagt Gustl Mollath. „Damit ich immer nachweisen kann, wann ich wo war.“ Er will das dokumentieren. Falls sie ihn wieder verdächtigen, beschuldigen, verurteilen wollen.

[STERN, 3.7.2014, S. 84]

Das sind die üblichen Sicherungsmaßnahmen von Fehlurteilsopfern. Die Traumatisierungen durch solche Erfahrungen, siehe den Fall Harry Wörz, halten oft lebenslang an.

Bei seinem Prozess im Jahr 2003 überreichte er dem Amtsgericht Nürnberg eine „Verteidigungsschrift“. Sie enthielt Hinweise auf Schwarzgeldverschiebungen durch seine Frau und ein Tremolo von Weltproblemen. Hunger, Kriege, Umweltzerstörungen.

Obwohl es auch diese wirre Vita war, die ihm den Ruf einbrachte, verrückt zu sein, ist er von seiner Mission auch nach seiner Freilassung nicht abgerückt. Das mag man standhaft nennen. Oder töricht.

[aaO, S. 86]

Ja, so schnell geht das: politisches Engagement, demonstratives Verhalten, flugblatt-ähnliche Gestaltung von Eingaben, passiver Widerstand gegen eine verfassungswidrige „Unterbringung zur Beobachtung“ gemäß § 81 StPO – Laien wie Psychiater ziehen dann schnell eine Schublade, die mit „wirr“ oder „Wahn“ beschriftet ist. Denn normal ist das ja nicht. Normal wäre eine opportunistische Anpassung an ein Gewaltverhältnis. Widerständige Franken ticken allerdings anders. Lisa Rokahr würdigt sein aktuelles Eintreten für Veränderungen bei Justiz und Psychiatrie, einem sich gegenseitig bestätigenden System, in dem der Untergebrachte bzw. Patient, immer verliert, immerhin positiv.

Aber gleichzeitig ist es sein Fall, seine Mission, die die Gesellschaft schon jetzt verändert haben. In Bayern will die CSU die Regeln zur Zwangsunterbringung schuldunfähiger Straftäter reformieren. Ein Gesetzentwurf soll eine Einweisung erschweren und verlangt strengere Maßstäbe für die Fortdauer der Unterbringung.

[aaO, S. 87]

Auch sie schildert seine Ängste vor dem bevorstehenden Prozeß:

Für seinen größten Feind hält Mollath dabei nicht die Juristen auf der Richterbank, sondern einen Mann im Saal: Norbert Nedopil, den forensischen Gutachter. Er wird den Angeklagten begutachten. Ein direktes Gespräch hat Mollath abgelehnt, aber Nedopil wird ihn während des Verfahrens beobachten. „Ich fühle mich dadurch gehemmt, ich weiß nicht, wie ich mich da verhalten soll“, sagt Mollath. Was, wenn wieder jemand vermeintliche Anzeichen des Wahnsinns an ihm entdeckt? Ist es die Gestik? Der Blick? Oder die Wortwahl? „Wie soll ich authentisch sein, wenn ich mir jedes Wort dreimal überlege?“

[aaO, S. 88]

In der Tat, das ist eine arge Belastung. Andererseits grenzt es an einen Wunderglauben, traute man einem Psychiater eine solche Diagnose-Fähigkeit zu – und dann noch einen treffsicheren Rückschluß aus dem Gerichtsverhalten im Juli 2014 auf die Befindlichkeit zu den „Tatzeiten“ 2001, 2002 und 2005, eine Hürde, die schon Dr. Klaus Leipziger in den Jahren 2005 und 2006 mittels bloßer Behauptung genommen hat. Das Gericht in Regensburg sollte auf diese Begutachtung schon deshalb verzichten, weil eine Unterbringungsentscheidung schon aus Rechtsgründen nicht mehr in Betracht kommt.

Das Bundesverfassungsgericht hat das widersprüchliche Gutachten von Prof. Dr. Pfäfflin aus dem Jahr 2011 als Grundlage für eine Gefährlichkeitsprognose ausgeschieden und zudem festgestellt, daß bereits die Fortdauerentscheidungen aus dem Jahr 2011 mit seinen Leerformeln den Begründungsanforderungen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht genügten.

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20130826_2bvr037112.html

Das OLG Bamberg, das sich davor drückte, nunmehr in der Sache zu entscheiden und seinen eigenen Beschluß aufzuheben, weil er nicht begründbar war, hat daraufhin kurzerhand die gerügten Entscheidungen für erledigt erklärt, weil Gustl Mollath ja faktisch auf freiem Fuß sei und er keinen Anspruch auf eine Sachentscheidung habe.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-OLG-Bamberg-Beschluss-2014-03-24.pdf

Keinem verfassungstreuen Gericht würde im Jahr 2014 die Begründung einer erneuten Unterbringungsentscheidung gelingen – der Zug ist definitiv abgefahren. Ein aktuelles Gutachten ist daher überflüssig. Es reicht aus, wenn sich die ursprünglichen Gutachter als Zeugen für ihre Produkte verantworten müssen, sollte es überhaupt notwendig werden, sich mit diesem marginalen Aspekt der Causa befassen zu müssen.

Michael Kasperowitsch, ein Aufdecker der ersten Stunde, hat am 27.6.2014 in den NÜRNBERGER NACHRICHTEN gleich zwei Artikel zum Thema lanciert. Einer beschäftigt sich mit dem rechtsstaatlichen GAU des ersten Prozesses:

Justizapparat holt die Gründlichkeit sehr spät nach

Am 7. Juli beginnt in Regensburg der neue Prozess gegen Gustl Mollath — Bundesweites Aufsehen — Gutachter sitzt im Gericht

VON MICHAEL KASPEROWITSCH

[…]

NÜRNBERG — 17 Verhandlungsta­ge sind bereits angesetzt. Ob die Zeit reicht, ist offen. 42 Zeugen sind zur Vernehmung einbestellt. Es könnten noch mehr werden. Alles deutet also darauf hin, dass die 6. Strafkammer des Landgerichts Regensburg äußerst gründlich vorgeht.

Das ist deswegen bemerkenswert, weil es sich in dieser Angelegenheit um eine spät nachgeholte Gründlich­keit der Justiz handelt. Als Gustl Mol­lath vor acht Jahren wegen Körperver­letzung und Sachbeschädigung in Nürnberg vor Gericht stand, gab es eine sehr schnelle Entscheidung.

Die Nürnberger Nachrichten hat­ten den Fall mit all seinen tückischen Fehlern ab 2011 öffentlich gemacht. Die Recherchen hatten am Ende zur Folge, dass die damalige Justizministe­rin Beate Merk (CSU) das Wiederauf­nahmeverfahren einleitete. Zuvor hat­te sie das Vorgehen von Staatsanwalt­schaften und Gerichten eisern vertei­digt.

Das Interesse der Öffentlichkeit an der neuen Verhandlung in Regens­burg ist riesig. Um die 40 Journalisten­plätze

Das Ansehen ist beschädigt

Im Gerichtssaal rangelten sich etwa 250 Berichterstatter aus ganz Deutschland. Für viele Beobachter geht es auch um das angekratzte Anse­hen der bayerischen Justiz. Beschä­digt ist es nicht nur wegen der irritie­renden Vorkommnisse im Mol­lath- Verfahren; der oberfränkische Fall Peggy oder die aktuellen Vorgän­ge um den Augsburger Laborarzt Schottdorf kommen hinzu.

Den heute 57-jährigen Gustl Mol­lath brachte vor acht Jahren ein Urteil des Landgerichts Nürnberg hin­ter die Gitter forensischer Kliniken, dort, wo kriminelle Kranke einge­sperrt sind. Die letzten Jahre bis zu sei­ner Freilassung saß er in Bayreuth.

Das Nürnberger Gericht war damals der Überzeugung, Mollath unterliege dem anhaltenden Wahn, Opfer eines kriminellen Bankensys­tems zu sein. Es konnte sich dabei auf psychiatrische Gutachten stützen. In diesem gefährlichen Wahn habe er, so das Gericht, auch seine Frau schwer attackiert und die Reifen von Autos ihm irgendwie missliebiger Personen zerstochen.

Diese Verhandlung endete mit einem für Mollath schrecklichen Frei­spruch wegen Schuldunfähigkeit. Die Folge war nämlich, dass er für Jahre in der Psychiatrie verschwand. In den Jahren vor 2006 tobte ein gnadenloser Streit zwischen den einstigen Eheleu­ten Mollath — das Paar ist seit langem geschieden.

Als sie noch verheiratet waren, betreute die Frau des Nürnbergers Pri­vatkunden bei der Hypo Vereinsbank. Aus seiner Sicht hatte sie sich dabei illegaler Schwarzgeldschiebereien in die Schweiz schuldig gemacht. Er wollte sie unter allen Umständen davon abbringen und drohte ihr offen mit wirksamen Konsequenzen.

Unter anderem informierte er die Vorgesetzten seiner damaligen Frau bei der Bank. Am Ende zeigte Mollath sie sogar an. Die Reaktion der Staats­anwaltschaft Nürnberg-Fürth darauf fiel dünn aus.

Die Anzeige enthalte keine „zurei­chenden tatsächlichen Anhaltspunk­te“, der Verdacht werde nur „pau­schal“ vorgetragen, die Angaben seien „unkonkret“. Das Verfahren wurde eingestellt.

[…]

Ja, im ursprünglichen Verfahren war sogar bekannt, daß der Ex-Ehefrau im Februar 2003 aufgrund zutreffender Angaben von Gustl Mollath fristlos gekündigt wurde – dennoch wurde dieses mögliche Falschbelastungsmotiv völlig außer Acht gelassen. Ich bin sicher, daß dieses Arbeitsgerichtsverfahren einige Scheinwerfer darauf richten wird, warum sich die HVB letztlich zu einem immer noch für sie vorteilhaften Vergleich – Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Zahlung einer geringen Abfindung – bereitfand: die illegalen Schweizgeschäfte der von der bayerischen Vereinsbank mit Staatsbeteiligung 1998 übernommenen Hypobank sollten natürlich nicht öffentlich werden, was durch die Gekündigte eventuell hätte belegt werden können. Entsprechend fiel der von Mollath angestoßene Sonderrevisionsbericht der HVB zu dem Hauptpunkt von Mollaths Begehren aus: inwiefern die Hypo-Bank in den 90iger Jahren, wie alle anderen Privatbanken damals auch nach Einführung der Quellensteuer im Jahr 1993, Beihilfe leistete, um Kundenvermögen klandestin zu Schweizer Tochterbanken zu transferieren, um sie vor der Kapitalertragssteuer zu verschonen, wurde so gut wie nicht untersucht. Denn daran hatte die HVB verständlicherweise kein Interesse.

http://www.swr.de/report/-/id=10583092/property=download/nid=233454/1t395cp/index.pdf

Fast noch interessanter ist Michael Kasperowitsch‘ weiterer Artikel an diesem Tag:

„Es kam Erschreckendes zutage“

Landtagsfraktionen sparen nicht mit harter Kritik an Justiz und Gutachtern

Im vergangenen Jahr hat sich im Landtag ein Untersuchungsaus­schuss monatelang mit dem Justiz­fall Gustl Mollath beschäftigt. Vor Beginn des Wiederaufnahmeverfah­rens gegen den Nürnberger vor dem Landgericht Regensburg haben wir die Fraktionen von CSU, SPD, Freien Wählern (FW) und Grünen um eine Stellungnahme gebeten. Vor allem die Oppositionsparteien sparen nicht mit Kritik und dem Ruf nach Konse­quenzen.

Florian Streibl, Parlamentarischer Geschäftsführer und rechtspoliti­scher Sprecher der Freien Wäh­ler (FW), war einer der Abge­ordneten, die sehr früh und engagiert Feh­ler im ersten Mollath-Verfah­ren angepran­gert haben. „Die Nürnber­ger Staatsan­waltschaft hat Anzeigen von Herrn Mollath nicht ernsthaft geprüft, während Anzeigen gegen ihn sehr wohl weiterverfolgt und ange­klagt wurden“, sagt er. Die Fachauf­sicht im Justizministerium hat aus seiner Sicht „versagt“.

[…]

Janun, das geht ja bis zum heutigen Tag so weiter. Mollaths Anzeigen werden unter zahlreichen Verrenkungen bis hin zum OLG München abgebügelt, wovon nicht nur Justizangehörige und deren Hilfswissenschaftler, sondern auch die Ex-Ehefrau von Gustl Mollath profitieren. Der ist die Justiz schließlich blind gefolgt, und so muß auch die über allen Zweifel erhaben sein. Am aktuellen Dienstherrn liegt das kaum: auf das OLG München hat er keinen Einfluß, und was die von Frau Merk installierten Generalstaatsanwälte so treiben, versucht er, wie im desaströsen Fall Gurlitt, lediglich zu moderieren. Minister Bausback hat ja auch wenig Möglichkeiten, die verfehlte Personalpolitik seiner Vorgängerin zu korrigieren. Das Wegloben des Augsburger Leitenden Oberstaatsanwalts Nemetz, der sich nicht nur im Fall Gurlitt, sondern auch bei Behandlung der Strafanzeige Mollaths gegen Eberl und Leipziger unsterblich blamiert hat, wäre ein erstes Zeichen. Als Präsident des AG München verdient er zwar entscheidend mehr, ist aber kaltgestellt.

Letztlich bedarf es einer Beseitigung des bayerischen Sonderweges, Strafrechtler zwischen Staatsanwaltschaft und Gerichten rotieren zu lassen: das fördert nur die Kumpanei, wo zum Wohle des Rechtsstaats Antagonismus zwischen Staatsanwaltschat und Gericht angesagt wäre.

Kasperowitsch:

Ähnlich sieht es Sepp Dürr von den Grünen. Er war bis 2008 etliche Jah­re Fraktionschef und ist jetzt Mit­glied im Rechtsausschuss im Land­tag. Seine Konsequenzen aus dem Fall Mollath: „Niemand darf mehr so leicht und unverhältnismäßig lange weggesperrt sein und seine ,Gefähr­lichkeit‘ so leichtfertig behauptet werden.“ Dies müsse durch eine Reform des Maßregelvollzugs verhin­dert werden. „Höchste Zeit“ sei es allerdings auch für eine Modernisie­rung des Justizsystems.

Sowohl Staatsanwaltschaft und Gerichte müssten, so Dürr, lernen, Fehler einzugestehen und schneller zu korrigieren. „Da fehlt es weit.“ Selbst der Mehrheitsbericht des Mol­lath- Untersuchungsausschusses sei noch „von der Unfähigkeit zu jegli­cher Selbstkritik durchdrungen“.

Dem läßt sich nichts hinzufügen. Die Reinwaschungstendenz der Regierungsmehrheit ist mit Händen zu greifen.

https://www.bayern.landtag.de/scripts/get_file.php?file=NEU_Drs_16-17741_Mollath_FINAL.pdf

Kasperowitsch:

Die Kulmba­cher SPD-Abge­ordnete Inge Aures war eben­so wie Streibl Mitglied des Mollath-Unter­su­chungsaus­schusses. Zuvor setzte sie sich vehement für die Freilassung des Nürnber­gers ein.

Der Aus­schuss habe, so die Politikerin, „Erschrecken­des“ zutage gefördert.

„Die Finanzbehörden haben gar nicht ermittelt, die Staatsanwalt­schaft hat nur einseitig ermittelt, der Richter hat die Akten nicht gelesen, der Nürnberger Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich hat gemauert und die damalige Justizministerin Beate Merk hat vertuscht“, sagt sie im Rückblick. Es sei politisch nicht gewollt, dass man Steuerhinterzie­hern auf die Schliche kommt. „Nicht dass noch das Klientel der CSU ver­schreckt wird.“ Bis heute ist für Inge Aures nicht aufgeklärt, warum die Nürnberger Staatsanwaltschaft seinerzeit ihrer Pflicht nicht nachgekommen sei, für ein ordnungsgemäßes Verfahren gegen Mollath zu sorgen. Die neue Verhandlung in Regensburg werde, so vermutet Inge Aures, „haarsträu­bende Fehler bayerischer Behörden“ feststellen.

Ja, das ist zu vermuten.

Daß der Polizeibeamte Grötsch, der auf Zuruf von Richter Eberl die Reifenstecher-Akte zum Nachteil Mollath zusammenstellte, sich als Ergänzer von Strafanträgen gegen Unbekannt als Urkundenfälscher erwies, indem er selbst den Namen „Gustl Mollath“ eintrug, obwohl niemand Gustl Mollath verdächtigt hatte, in Personalunion als Aktenkompilierer, Zeugenersatz (für Rechtsanwalt Greger, Rechtsanwalt Dr. Woertge und für Petra Mollath, obwohl die ja immerhin als Zeugin zugegen war) und Sachverständiger (für die Gefährlichkeit der angeblich aber nicht tatsächlich immer identischen Reifenattacken) nun nicht mehr auftreten darf, wie bei Brixner, ist ja schon einmal ein gutes Zeichen. Jetzt wird er nur noch als normaler Polizeizeuge über den Gang der Ermittlungen berichten. Und sich auf einige kritische Fragen der Verteidigung einstellen müssen.

Rechtsanwalt Greger, der einzige Geschädigte, der mit zweimonatiger Verspätung schriftlich eine Gefahrensituationen bekundet hatte, ist bereits im Jahr 2009 verstorben. Jetzt ist ein Sachverständiger geladen, der zu den freihändigen Konfabulationen dieses voreingenommenen Polizeibeamten Stellung nehmen wird. Brixner reichten die voreingenommenen Polizei-Erzählungen ja aus, um Gustl Mollath Gemeingefährlichkeit zu attestieren.

Die nicht einmal Dr. Leipziger attestiert hatte.

Aufgrund der dargelegten Progredienz der paranoiden Symptomatik des Angeklagten und des Umstandes, dass er – wie sich aus den nachträglich vorgelegten, dem Angeklagten neuerlich vorgeworfenen strafbaren Handlungen ergibt – immer mehr Personen in das bei ihm bestehende Wahnsystem einbezieht, sich von ihnen benachteiligt, geschädigt und bedroht fühlt und letztlich gegen sie oder deren Eigentum aggressiv vorgeht, muss befürchtet werden, dass vom Angeklagten weitere Handlungen gegenüber Dritten zu erwarten sind.

Von daher muss aus forensisch-psychiatrischer Sicht konstatiert werden – unabhangig der von Sachverständigenseite nicht zu beurteilenden Rechtserheblichkeit oder Verhältnismäßigkeit- ,dass vom Angeklagten zustandsbedingt weitere gleichartige Taten gegenüber Dritten, die er in sein Wahnsystem einbezieht, zu erwarten sind. Von daher müssen aus forensisch-psychiatrischer Sicht die Voraussetzungen zur Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB als gegeben angesehen werden.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Gutachten-Leipziger-2005-07-25.pdf#page=29

Was ein Herr Dr. Leipziger lediglich befürchtet, ist einerlei. Es muß eine große Wahrscheinlichkeit bestehen, daß jemand erhebliche Straftaten begehen werde. Die „dargelegte Progredienz der paranoiden Symptomatik“ bestand lediglich darin, daß Dr. Leipziger es bewußt vermied, den „überweisenden“ Kollegen Dr. Wörthmüller zu befragen, warum sich dieser als befangen erklärt hatte. Gustl Mollath hatte zurecht diesen Gutachter als befangen angesehen, was dieser selbst als nachvollziehbare Sicht bestätigte.

Absolut unprofessionell ist überdies eine Einbeziehung von durch den beauftragenden Richter Eberl informell beigezogener Akten, hinsichtlich derer ein Gutachtenauftrag gar nicht bestand. Die von dem konspirativen Zusammenwirken von Richter Eberl und Gutachter Leipziger nicht unterrichtete Staatsanwaltschaft stellte das obskure Fake-Verfahren wegen Sachbeschädigung dann auch prompt gemäß § 154 StPO ein.

Auch über diesen Vorgang wird die neue Hauptverhandlung hoffentlich nachhaltig informieren.

Für Dr. Leipziger mag es einen zusätzlichen Schlag bedeuten, daß das LG Nürnberg konstatierte, daß die Reifengeschädigten ganz real (und nicht wahnhaft) Mollath-Feinde waren.

Und morgen widme ich mich einem Sonderfall des Journalismus‘, nämlich der eigentlich unwahrscheinlichen La-La-Fraktion von Otto Lapp und Beate Lakotta. Die hat sich nämlich auch wieder zu Wort gemeldet.

Update 6.7.2014

Otto Lapp fiel die undankbare Aufgabe zu, erneut als Pressesprecher der Belastungszeugin Petra M. in Erscheinung zu treten. Dieses Mal mit einer Botschaft, die nicht leicht zu verkaufen war. Denn was sollte das Lesepublikum von einer Ex-Frau halten, die über Monate dem Star-Reporter Otto Lapp ihr Herz über diesen gewalttätigen, tyrannischen, eifersüchtigen, wirtschaftlich erfolglosen und kranken Ex-Mann das Herz ausgeschüttet hatte, vor Gericht aber keine Aussage machen will? Ahja, wenn es um die Wurst geht und man unter Wahrheitspflicht steht, macht sie einen Rückzieher – so denkt man im Volk, das ja nicht immer Unrecht hat.
Lapp entledigte sich seiner Aufgabe so:

27.06.2014 13:53 Uhr
Mollath-Prozess ohne die Ex-Frau

Von Otto Lapp

NÜRNBERG. Der Mollath-Prozess wird ohne seine Ex-Frau über die Bühne gehen. Petra M. (53) wird im Wiederaufnahmeverfahren in Regensburg nicht gegen Gustl Mollath (57) aussagen. Dies bestätigte ihr Anwalt Jochen Horn dem Kurier.
Petra M. (53) sei „mehrfach umfassend vernommen“ worden, sagte Horn, sodass keine neuen Erkenntnisse zu erwarten seien, würde sie nochmal vernommen werden. Außerdem wolle sich Petra M. „einer solchen Situation“ nicht aussetzen.

http://www.nordbayerischer-kurier.de/nachrichten/mollath-prozess-ohne-die-ex-frau_270390

Es mag ja sein, daß Rechtsanwalt Horn Derartiges gesagt hat. Juristisch handelt es sich dabei um höheren Blödsinn. Das neue Urteil erwächst aus dem Inbegriff der neuen Hauptverhandlung, und da gilt das Mündlichkeitsprinzip. Alle früheren Aussagen sind erst einmal vom Tisch und dienen allenfalls als Vorhalte, um das Gedächtnis aufzufrischen oder um Widersprüche zu klären. „Umfassend“ wurde die Zeugin damals zudem nicht vernommen: hätte man sie seinerzeit ernsthaft zu Beihilfehandlungen der Hypobank beim anonymisierten Schleusen von Kundengeldern auf Konten von Schweizer Tochter-Banken vernommen, hätte sie auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO hingewiesen werden müssen – das war allerdings nicht der Fall. Nein, der Vorsitzende Richter verhielt sich deutlich rustikaler: wann immer Gustl Mollath das Thema „Schwarzgeld“ als Ursache der Ehekrise und einer Falschbelastung durch seine Ex-Frau zur Sprache bringen wollte, wurde er angeschrieen. Damit war das Thema erledigt und konnte in die Wahn-Ecke gestellt werden. An einer umfassenden Vernehmung in der Hauptverhandlung vom 8.8.2006 fehlt es schon deshalb, weil laut Urteilstext die Ex-Ehefrau zu den Sachbeschädigungsvorwürfen gar nicht ausgesagt hat – hier übernahm der Polizeibeamte Grötsch die Aufgabe, dem Gericht mitzuteilen, was die Ehefrau bei Betrachtung eines Tat-Videos gesagt habe. Ja, so wild ging es seinerzeit zu.
Und zu den neuen Erkenntnissen, die sich erst nach diesem Urteil ergeben haben, konnte sie damals naturgemäß nichts aussagen. Bestreiten per Interview ersetzt keine förmliche Aussage.
Interessanterweise offenbart Otto Lapp auch die beabsichtigte Strategie der Nebenklage:

Im Prozess werden also jetzt die Aussagen von Petra M. aus früheren Jahren nur verlesen.

http://www.nordbayerischer-kurier.de/nachrichten/mollath-prozess-ohne-die-ex-frau_270390

Mirko Laudon kommentiert in seinem Blog „Strafakte“ diese Konstellation so:

Nicht unproblematisch ist jedoch, wie ihre Aussagen in das Verfahren eingeführt werden sollen, denn § 252 StPO verbietet grundsätzlich die Verlesung früherer Protokolle, sofern die Aussageperson erst später von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht:
Die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, darf nicht verlesen werden.

Kombination aus Zeugnisverweigerung und Verzicht auf das Verwertungsverbot

[…]

Al­ler­dings – und das ist der kri­ti­sche Punkt – darf der Zeuge nach Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs1 die Ver­wer­tung der Aus­sa­gen ge­stat­ten, ohne selbst er­neut aus­sa­gen zu müs­sen. Diese Recht­spre­chung ist ins­be­son­dere bei Op­fer­zeu­gen2 pro­ble­ma­tisch, da dem An­ge­klag­ten (hier dem Ver­ur­teil­ten) das Kon­fron­ta­ti­ons­recht (Art. 6 Abs. 3 d MRK) ver­wehrt wird. Dem Op­fer­zeu­gen wird durch die Kom­bi­na­tion von Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht und Ver­zicht auf das Ver­wer­tungs­ver­bot des § 252 StPO das Recht ein­ge­räumt, sei­ner kon­tra­dik­to­ri­schen Be­fra­gung durch die Ver­tei­di­gung in der Haupt­ver­hand­lung aus dem Weg zu ge­hen und zu­gleich eine den An­ge­klag­ten (oder Ver­ur­teil­ten) be­las­tende mit­tel­bare Ver­wer­tung sei­ner frü­he­ren Aus­sage zu er­mög­li­chen. Die­ses Ver­hal­ten ist in Wie­der­auf­nah­me­ver­fah­ren häu­fi­ger zu be­ob­ach­ten.3

 

http://www.strafakte.de/wiederaufnahmeverfahren/ex-frau-von-mollath-wird-das-zeugnis-verweigern/

Die letztgenannte Fußnote bezieht sich auf einen weiteren Blogbeitrag von ihm, in dem er Johann Schwenns 10 Fehlerursachen in Sexualstrafverfahren darstellt und Schwenn just jene „Kombination“ als „perfide“ bezeichnet:

http://www.strafakte.de/wiederaufnahmeverfahren/fehlurteile-und-ursachen/

Angesichts der dürftigen bzw. gänzlich fehlenden Protokolle ihrer früheren Aussagen ist die Kombination im konkreten Fall allerdings weniger „perfide“ als vielmehr nachteilig für die Nebenklage. Ich teile die Einschätzung von Prof. Henning Ernst Müller:

Der Pressesprecher informierte heute auch darüber, dass die Hauptbelastungszeugin wieder ausgeladen wurde, nachdem sie mitgeteilt hatte, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen werde. Ob der Körperverletzungsvorwurf gegen Gustl Mollath dann überhaupt noch bewiesen werden kann, erscheint fraglich.

 

http://blog.beck.de/2014/07/04/alles-bereit-f-r-die-neue-hauptverhandlung-gegen-gustl-mollath

Um das Manko wiedergutzumachern, daß die Belastungszeugin es vorzieht, vor Gericht nicht zu erscheinen, hat der Nordbayerische Kurier nachgelegt und einen Mollath-Blog eingerichtet, um erneut die Sicht der Ehefrau, die bis zur Anordnung der Wiederaufnahme identisch war mit der Sicht der Macht-Instanzen Justiz, Psychiatrie und Politik, zu verbreiten.

http://mollath.blogs.nordbayerischer-kurier.de/

Es ist eine emotionale und tendenziöse Zusammenstellung dessen, wie man beim Nordbayerischen Kurier den Fall wertet, wobei all das ausgeblendet wird, was man nicht wahrnehmen will. Eine Auseinandersetzung ist daher weder möglich noch lohnte sie sich.

Immerhin, zum ersten Mal wird in aller Deutlichkeit zugegeben, daß die Ex-Frau für das illegale Verschwindenlassen seiner Habe (bis auf zwei netterweise aufgehobene Kisten) verantwortlich ist:

Durch die Anzeigen Mollaths hat sie ihre gut bezahlte Stelle verloren. Sie hatte Provisionen hinter dem Rücken der Bank eingestrichen, mehr nicht. Jetzt will sie wenigstens das Geld zurückhaben, das sie in seine Werkstatt gesteckt hat. Ein Gericht ordnet die Zwangsversteigerung seines Hauses an. Sie räumt es aus, ersteigert es und verkauft es dann.

Otto Lapp hat zudem mit heißer Nadel gestrickt:

Was ist, wenn Gustl Mollath krank ist? Sieben erfahrene Psychiater stellen das über sieben Jahre immer wieder fest. Hans-Joachim Kröber aus Berlin, Thomas Lippert aus Nürnberg, Klaus Leipziger aus Bayreuth, Karl Simmerl aus Mainkofen, Friedemann Pfäfflin aus Mainkofen und Gabriele Krach aus Erlangen.

http://mollath.blogs.nordbayerischer-kurier.de/

Statt sieben Psychiater werden nur sechs benannt. Hans-Ludwig mutiert zu Hans-Joachim, aus Hans wird Karl und Pfäfflin wird von Ulm nach Mainkofen versetzt. Es sind auch keine „Feststellungen“, die innerhalb von sieben Jahren gemacht wurden: die erste „Bescheinigung“ von Gabriele Krach datiert von September 2003, die letzte von Pfäfflin von Mai 2011. Von „Feststellungen“ kann bei der gegen die Krankenhausregeln erstellten Bescheinigung von Frau Dr. Krach keine Rede sein, sie beruhte allein auf Erzählungen der Ex-Ehefrau. Thomas Lippert mutmaßte und empfahl eine Unterbringung zur Gutachtenerstellung. Und Dr. Hans Simmerl hat gerade nicht festgestellt, daß Mollath krank sei: er hat im Gegenteil für die von Dr. Leipziger unterstellten psychischen Krankheiten – wahlweise eine isolierte Wahnstörung oder eine paranoide Schizophrenie – keinerlei Anhaltspunkte gefunden. Eben deshalb wurde Prof. Kröber herbeizitiert, der das Leipziger-Gutachten retten sollte und es auch tat.

Otto Lapp:

Erst nach den neuen Vorwürfen der Reifenstecherei steht eine Unterbringung im Raum, weil durchstochene Reifen „Taten von erhöhter Gefährlichkeit“ sein könnten. Denn wenn die Vorwürfe stimmen, war das Leben der Fahrer in Gefahr gewesen.

Unsinn, die Begutachtung sollte bereits 2004 die Prüfung einer Unterbringung gemäß § 63 StGB beinhalten – die Sachbeschädigung wurden erst im Januar 2005 begangen.

Otto Lapp:

Allerdings spielte das angebliche Wahnsystem Mollaths für die Beurteilung seiner Gefährlichkeit eine untergeordnete Rolle. Maßgeblich dafür waren die angebliche Körperverletzung seiner Frau und die 129 durchstochenen Reifen.

Abgesehen von der von Beate Lakotta aufgebrachten Fama, es habe sich um 129 Reifen gehandelt, ist es selbstverständlich das „Wahnsystem“, das die Gefährlichkeit suggeriert. Wegen der Krankheit besteht keine oder nur eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit, auf die bloßen Anlaßtaten kommt es nicht an, sondern auf prognostizierte erhebliche künftige Straftaten. Diese müssen krankheitsbedingt sein.

Auch Beate Lakotta mischt wieder mit – aber bevor ich zu ihrem neuesten Artikel komme, stelle ich ein gemeinsames Zitat von Lapp/Lakotta voran, das ihre Art des affirmativen Journalismus, der gerne mit schmutziger Ehe-Wäsche, anonymen Zeugen, Weglassungen und tendenziösen Akten-Zitaten arbeitet, rechtfertigen soll:

In dem Verfahren wurden Fehler gemacht, auch schwere. Mollath war laut Bundesverfassungsgericht die letzten zwei Jahre ohne ausreichende Begründung in der Psychiatrie untergebracht. Aber das sind nicht die Fehler, die Menschen zum Protestieren gegen die Institutionen des Rechtsstaats auf die Straße treiben. Denn dann könnten sie das auch für andere Maßregelpatienten und Sicherungsverwahrte tun, zum Beispiel für Sexualstraftäter, die ebenfalls zu lange weggesperrt sind.
Sondern es ist die Zauberformel „sieben Jahre unschuldig in der Psychiatrie“, die sich in der öffentlichen Rezeption dieses Falls als Wahrheit durchgesetzt hat. Ebenso wie es als Tatsache gilt, dass Frau M. erhebliche Summen Schwarzgeld in die Schweiz geschafft habe.
Dies sind die beiden Grundannahmen des Skandals. Nach unserer Recherche steht für beide der Nachweis noch aus.
Unsere Rechercheergebnisse wurden nach den jeweiligen Veröffentlichungen weder in Zweifel gezogen oder dementiert. Sie wurden gar nicht aufgegriffen.

http://netzwerkrecherche.org/wordpress/weitblick13werkstatt/2014/04/30/stellungnahme-beate-lakotta-und-otto-lapp/

Dieses Statement bedeutet nichts weiter als den Abschied von einem justizkritischen Journalismus und die Hinwendung zu einer Haltung, die achselzuckend schwere Rechtsfehler hinnimmt (zu denen ein Fehlurteil zweifellos gehört). Aufmucken dürfen Presse und Öffentlichkeit erst, wenn die Justiz in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen hat. Und wenn die Justiz den erforderlichen Nachweis der Schwarzgeldvorwürfe nicht erbringt, waren diese natürlich falsch.

Das Elend bestand aber gerade darin, daß die Justiz den Vorwürfen im Jahr 2004 gar nicht nachging, sondern erst 2012 die Steuerfahndung in Marsch setzte. Ob bei den neuen Ermittlungen die Bank als Beihelferin überhaupt ins Visier genommen wurde, wieviele der Vorwürfe zu diesem Zeitpunkt schon verjährt waren – das interessiert unsere unkritischen Helden, die sich einem gefühlten Mainstream entgegenstemmen, nicht die Bohne. Und wer nur den CSU-FDP-Mehrheitsbericht zum Untersuchungsausschuß liest, hat seine journalistischen Pflichten verletzt.
Deshalb gab es nichts, das aufzugreifen gewesen wäre.

Alles auf Anfang
Ab nächster Woche findet in Regensburg das Wiederaufnahmeverfahren gegen Gustl Mollath statt. Er hat angekündigt, seine Unschuld zu beweisen.
Von Beate Lakotta

lautet der Titel ihres SPIEGEL-Artikels in 27/2014 vom 30.6.2014, S. 30 – 31.
Eine stark eingedampfte Version dieses Artikels ist am 6.7.2014 auch auf SPON erschienen – um die schlimmsten Ausrutscher bereinigt und um einige Varianten bereichert:

Landgericht Regensburg: Der neue Prozess gegen Gustl Mollath
Von Beate Lakotta

Am Montag beginnt das Wiederaufnahmeverfahren in Sachen Gustl Mollath. Seit seiner Freilassung tritt er als unbequemer Kritiker der Psychiatrie auf, die Menschen begegnen ihm mit großer Sympathie. Im Prozess geht es nun um schwere Körperverletzung.

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/gustl-mollath-wiederaufnahmeverfahren-beginnt-in-regensburg-a-979168.html

Der erste Satz dieser Passage befindet sich auch im Print-Artikel:

Unstrittig ist aus heutiger Sicht: Mollath war unverhältnismäßig lange in der Psychiatrie untergebracht. Das Urteil gegen ihn steckt voller Faktenfehler, das Verfahren wurde schlampig geführt und verletzte seine Grundrechte. Doch ob er ein unschuldiges Justizopfer ist, muss der neue Prozess erst erweisen.

Der zweite Satz fehlt. Stattdessen wird dort so fortgeführt:

Doch als das Nürnberger Oberlandesgericht am 6. August 2013 beschloss, den Prozess neu aufzurollen und Mollath freizulassen, begründete es dies mit einer Formalie: Das Attest, das seine Exfrau vorlegte, um ihre Verletzungen zu dokumentieren, gilt rechtlich als als „unechte Urkunde“. Der untersuchende Arzt hat es auf dem Praxis-Briefpapier seiner Mutter ausgestellt, die er offiziell vertrat. Das hatte er nur unleserlich vermerkt.

[SPIEGEL 27/2014, S. 30]

Aha, eine Formalie – nix mit Unschuld! Als ob Wiederaufnahmegründe die Unschuld belegen würden. Subtil bereitet sie den Boden vor, um das gesamte Wiederaufnahmeverfahren als politische Farce zu diffamieren, denn es wurde ja von Ministerin Merk angeordnet:

„Das hätte ich gern schriftlich“, habe er deshalb die Ministerin gebeten, berichtete der Nürnberger Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall Mollath.
Dabei kam der Druck erkennbar von noch weiter oben. Ministerpräsident Horst Seehofer musste befürchten, die öffentliche Empörung könnte mitten im bayerischen Landtagswahlkampf nicht nur seine Justizministerin aus dem Amt fegen, sondern ihn selbst in Mitleidenschaft ziehen.
Der zuständige Oberstaatsanwalt Wolfhard Meindl beschrieb seine Lage vor dem Ausschuss so:“Mein Auftrag war: Führe ein Wiederaufnahmeverfahren zugunsten Gustl Mollaths.“ Nur: Wo nimmt man einen Wiederaufnahmegrund her? Eine undankbare Aufgabe, aber nicht unlösbar: „Ein guter Jurist kann alles in jede Richtung schreiben“, sagte Meindl vor dem Ausschuss. „Sie können Unschuldige hinter Gitter bringen, einen Schuldigen freisprechen.“
Nachdem das Landgericht Regensburg die Auftragsarbeit zugunsten Mollaths abgelehnt hatte, zeigten sich Vertreter aller Parteien bestürzt. Bald darauf ordnete das Oberlandesgericht Nürnberg die Wiederaufnahme an.

[aaO]

Das ist der klassische Lakotta-Stil: ein perfides Insinuieren, Zitate aus dem Kontext reißen und vermengen, bewußtes Verschweigen (z.B., wie es dazu kam, daß Meindl Rechtsbeugungsvorwürfe aus dem ersten Antragsentwurf wieder herausstrich), zeitliche Abläufe zu kausalen ummodeln – tatsächlich dürfte das OLG über die „Auftragsarbeit“ einer Reinwasch-Justiz in Regensburg bestürzt gewesen sein. All das dient dem Zweck, das ursprüngliche Urteil trotz Fehler und Schlampereien (die im Kern die Unschuldsvermutung und Freiheitsrechte verletzten) für inhaltlich richtig halten zu dürfen.
Daß sie meiner Einschätzung, wonach Meindl als 2. Verteidiger fungieren dürfte, nicht folgt, ist logisch. Meindl ist ein Wetterfähnchen und wird sich in der Hauptverhandlung selbstverständlich mit Verve für eine erneute Verurteilung einsetzen. Denkt sie sich so…
Es ist zu hoffen, daß man sie nicht als Gerichtsberichterstatterin einsetzt. Ein ums andere Mal fabuliert sie von einer „schweren Körperverletzung“, um die es angeblich gehe.
NEIN!

§ 226 StGB
Schwere Körperverletzung
(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person
1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3. in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Es geht tatsächlich um eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 StGB.

Spannend bleibt die Frage, wie Sabine Rückert als Mitglied der Chefredaktion die ZEIT in Stellung bringen wird. Vielleicht macht sie es wie im Fall Peggy und läßt gar nicht berichten, um dann den Freispruch unter größtmöglicher Schonung von Prof. Kröber in Grund und Boden schreiben zu lassen.

http://www.zeit.de/2014/21/ulvi-kulac-peggy-urteil