Nichts gelernt aus dem Kachelmann-Verfahren: Unschuldsvermutung ade

Über den Zusammenhang der feministischen Verteufelung des männlichen Geschlechts und der Erosion der Unschuldsvermutung hatte ich bereits geschrieben:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/04/25/das-verteufelte-geschlecht-mann-und-die-erosion-der-unschuldsvermutung-i/

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/04/29/das-verteufelte-geschlecht-mann-und-die-erosion-der-unschuldsvermutung-ii/

Und obwohl Polizei, Justiz und Medien nach dem Desaster des geradezu mustergültig einschlägigen Kachelmann-Verfahrens hätten gewarnt sein müssen, ist es schon wieder passiert. In unheiliger Allianz ist es ihnen gelungen, die bürgerliche Existenz eines regional prominenten Radio-Moderators zu vernichten und die Unschuldsvermutung zu einem Lippenbekenntnis verkümmern zu lassen.

Wer jemals öffentlich mit dem Vorwurf einer Vergewaltigung oder gar des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Verbindung gebracht worden ist, hat es unabhängig von dem Ausgang des Verfahrens schwer, sozial wieder Fuß zu fassen. Das gilt natürlich in besonderem Maße für Medienschaffende, die ihrer Arbeit im Licht der Öffentlichkeit nachgehen.

Nun hat es einen Moderator der Rostocker ›Ostseewelle‹ erwischt, dem vorgeworfen wird, in den Jahren 2005/2006 eine damals 12- bzw. 13-Jährige sexuell mißbraucht zu haben. Der Vorwurf allein ist bereits geeignet, eine in diesem unserem Lande ja so beliebte Lynchstimmung zu erzeugen.

Wie schön, daß es die Richtlinien fur das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV) gibt, die der Staatsanwaltschaft den Weg weisen. Bzw: den Weg weisen sollten. Zum Beispiel die Nr. 4 a:

4 a

Keine unnötige Bloßstellung des Beschuldigten

Der Staatsanwalt vermeidet alles, was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann. Das gilt insbesondere im Schriftverkehr mit anderen Behörden und Personen. Sollte die Bezeichnung des Beschuldigten oder der ihm zur Last gelegten Straftat nicht entbehrlich sein, ist deutlich zu machen, dass gegen den Beschuldigten lediglich der Verdacht einer Straftat besteht.

Oder die Nummer 23:

23

Zusammenarbeit mit Presse und Rundfunk

(1) Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit ist mit Presse, Hörfunk und Fernsehen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Aufgaben und ihrer Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zusammenzuarbeiten. Diese Unterrichtung darf weder den Untersuchungszweck gefährden noch dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen; der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren darf nicht beeinträchtigt werden. Auch ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Interesse der Öffentlichkeit an einer vollständigen Berichterstattung gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten oder anderer Beteiligter, insbesondere auch des Verletzten, überwiegt. Eine unnötige Bloßstellung dieser Person ist zu vermeiden. Dem allgemeinen Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird in der Regel ohne Namensnennung entsprochen werden können. Auf die Nr. 129 Abs. 1, Nr. 219 Abs. 1 wird hingewiesen. Die entsprechenden Verwaltungsvorschriften der Länder sind zu beachten (vgl. auch Anlage B ).

Das sind doch goldene Worte…

Aber im prominenten Einzelfall nichts weiter als Schall und Rauch. Und ob für die Polizei überhaupt vergleichbare Regeln gelten?

Augenscheinlich nicht. Denn die bewegt sich gern wie der Elefant im Porzellanladen, wenn man einen erlegten Promi vorweisen kann. Immerhin, da hätten sie sich von den Kollegen aus Mannheim und Frankfurt etwas abgucken können. Denn die haben drei Wochen lang geübt, wie man einen Promi abpflückt, ohne daß irgendjemand an einem belebten Ort wie dem Frankfurter Flughafen etwas mitbekommt. Gut, da rissen die Vorgesetzten zwar wieder ein, was die Untergebenen geschafft hatten, indem sie ihre Meisterleistung öffentlich lobten. Aber immerhin: vorbildlich war die Aktion schon.

In Rostock langt man anders zu. Da gibt es einen am Morgen des 29.5.2012 ausgestellten, lediglich auf den nachrangigen Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützten, Haftbefehl. Fluchtgefahr besteht demnach nicht, die Adresse des Beschuldigten ist ohnehin bekannt. Schließlich dümpelt seit letztem Jahr ein Verfahren mit wirtschaftsstrafrechtlichem Hintergrund dahin, das offenbar weder leben noch sterben kann.

Was, in aller Welt, bewegt also die Polizei, die Festnahme spektakulär ausgerechnet am Arbeitsplatz des beschuldigten Moderators durchzuführen, der gerade seine ›Guten Morgen‹-Show bestreitet? Welche Wiederholungshandlung ist in dem Studio eines Radiosenders zu erwarten? Warum muß die Polizei um 9:30 Uhr einschreiten, wenn die Sendung ohnehin um zehn Uhr beendet ist?

Fragen über Fragen.

So soll Staatsanwältin Wiechmann laut FAZ.NET vom 30.5.2012 das Vorgehen der Polizei gerechtfertigt haben:

Um 9.30 Uhr kamen Polizeibeamte ins Studio und nahmen den Mann fest. Seine Kollegin moderierte die Sendung ohne ihn weiter und wurde anschließend über die Vorwürfe unterrichtet. Maureen Wiechmann, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Rostock, rechtfertigt den Zugriff während der Sendung mit der besonderen Schwere der Tat. Im NDR erklärte sie: „Die Tat an sich impliziert bei solchen Vorwürfen – insbesondere wenn Erwachsene solche Sexualdelikte begehen – immer den Verdacht, dass der Täter erneut handeln wird.“

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/rostock-radio-moderator-waehrend-live-sendung-festgenommen-11765435.html

Damit ist natürlich nicht die Art und Weise der Festnahme erklärt; und noch nicht einmal die Annahme des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr, denn die ergibt sich gerade nicht allein aus dem Tatvorwurf. Ein Blick ins Gesetz erleichtert bekanntlich die Rechtsfindung [Hervorhebung von mir]:

§ 112 a Strafprozessordnung

1) Ein Haftgrund besteht auch, wenn der Beschuldigte dringend verdächtig ist,

1.

eine Straftat nach den §§ 174, 174a, 176 bis 179 oder nach § 238Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches oder[…]

begangen zu haben, und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, daß er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde, die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und in den Fällen der Nummer 2 eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. In die Beurteilung des dringenden Verdachts einer Tatbegehung im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 sind auch solche Taten einzubeziehen, die Gegenstand anderer, auch rechtskräftig abgeschlossener, Verfahren sind oder waren.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn die Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftbefehls nach § 112 vorliegen und die Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1, 2 nicht gegeben sind.

Fassung aufgrund des Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) vom 29.07.2009 ( BGBl. I S. 2280) m.W.v. 01.10.2009.

Den Passus mit den bestimmten Tatsachen, die eine Wiederholungsgefahr begründen müssen, scheint die Sprecherin der Staatsanwaltschaft übersehen zu haben. Zumindest kommuniziert sie ihre unzutreffende Rechtsauslegung in gleicher Weise gegenüber anderen Medien:

Zu Japkes Abführung noch während der laufenden Sendung bei Ostseewelle wollte sie keine Angaben machen. Allerdings habe das Amtsgericht Wiederholungsgefahr angenommen. Bei Sexualstraftätern bestehe generell die Sorge, dass sie erneut zuschlagen würden. Noch am Nachmittag wurde Haftbefehl erlassen und Japke in die Justizvollzugsanstalt nach Waldeck gebracht.

http://www.nnn.de/nachrichten/home/top-thema/article//39-jaehriger-mann-wegen-kindesmissbrauchs-verhaftet-1.html

So mutiert der bloße Verdächtige umstandslos zu einem gewohnheitsmäßigen Sexualstraftäter, dem auch sechs Jahre nach den angeblichen Taten eine Tatwiederholung zuzutrauen ist. Selbst wenn seine Vita als von Frauen umschwärmter regionaler Promi mit Lebensgefährtin und zehn Monate alten Zwillingen nun ganz und gar nicht in die Schublade des – Unwort des Jahrhunderts! – ›Kinderschänders‹ gehört. In dieses Szenario einer medialen Hinrichtung fügt es sich, daß bereits die Festnahme von natürlich rein zufällig beim Sender anwesenden Pressevertretern beobachtet worden sein soll.

Für dieses in Leserkommentaren geäußerte Gerücht spricht jedenfalls, daß die Staatsanwaltschaft eilends eine Pressemitteilung über die Festnahme eines Moderators verbreitet, den sie zwar namentlich nicht benennt, der aber bereits durch die Angabe des Senders und die Bezeichnung seiner Morgen-Sendung klar identifizierbar ist. Hierzu ist sie sicherlich durch entsprechende Anfragen von Medienvertretern veranlaßt worden, denn warum sollte sie von sich aus die Öffentlichkeit informieren? Nein, das würde sie, die auf Zurückhaltung verpflichtete Staatsanwaltschaft, doch niemals machen…

Aber dann unterläuft der Staatsanwaltschaft fatalerweise das Mißgeschick, in den Betreff der PM-Mail den Nachnamen des Beschuldigten einzusetzen, wie die Ostseezeitung (Print) am 1.6. berichtet:

Eine Panne räumt die Staatsanwaltschaft beim Versenden der Pressemitteilung zur Festnahme Japkes ein. Wird sonst der Nachname von Verdächtigen nie voll genannt, war es hier anders: „PMJapke“ hieß das versandte Dokument. Dies sei ein Versehen, so Wiechmann. Vorwürfe, die Staatsanwaltschaft habe damit „eine Hetzjagd in der Öffentlichkeit forciert“, weist sie zurück.

Wie anders als eine Einladung an die Medien sollte aber der Hinweis der Staatsanwaltschaft gedeutet werden, daß der Festgenommene ›noch heute‹ dem Haftrichter vorgeführt werde?

Schweriner Volkszeitung, 29.5.2012, 12:30 Uhr:

TOP-THEMA

Marcus Japke verhaftet: Moderator wegen Kindesmissbrauchs in Verdacht

Heute früh wurde er live während seiner Sendung vom Mikro genommen: Ostseewelle-Moderator Marcus Japke wird dringend des mehrfachen sexuellen Kindesmissbrauchs verdächtigt.

Japke soll noch heute dem Haftrichter vorgeführt werden, teilte die Staatsanwaltschaft Rostock mit. Der 39-Jährige soll in den Jahren 2005 und 2006 ein Mädchen wiederholt sexuell missbraucht haben, das damals 12 beziehungsweise dann 13 Jahre alt war. Als Grund für den Haftantrag teilte die Anklagebehörde mit, dass der Beschuldigte gleichartige Taten wieder begehen könnte.

http://www.svz.de/nachrichten/home/top-thema/article/111/marcus-japke-verhaftet-moderator-wegen-kindesmissbrauchs-in-verdacht.html

Von Anfang an wird über den Fall unter voller Namensnennung und mit unverpixelten Bildern berichtet – was danach gegen 13 Uhr folgt, ist ein ›perp walk‹ light. Anders als in New York im Fall Dominique Strauss-Kahn wird zwar keine Tribüne für die versammelten Pressevertreter aufgebaut, und der Festgenommene trägt auch keine Handschellen – aber er wird zum Abschuß freigegeben. Das Polizeifahrzeug parkt vor dem Haupteingang, und alle alle alle filmen und fotografieren den schutzlosen Mann, der nicht einmal etwas dabei hat, um sein Gesicht zu verbergen… Die Szene wird bundesweit ausgestrahlt, sie findet sich auf YouTube und am 30.5.2012 als Video der BILD-Zeitung, die sich erfreut dieser neuerlichen Sensation zuwendet.

Das Amtsgericht Rostock verfügt über eine Tiefgarage, über die solche Vor- und Zuführungen sonst ganz unspektakulär über die Bühne gehen. Der Eindruck vertieft sich, daß hier jemand bewußt an den Pranger gestellt werden soll.

Die Medien greifen’s dankbar auf. Allen voran natürlich unser Leitmedium in Sachen Persönlichkeitsrechtsverletzung: BILD.

Klarname, unverpixelte Fotos, das Video von der Vorführung nebst Handy-Aufnahmen aus dem Amtsgericht: das volle Programm. Zusätzlich gibt es noch folgende Info:

IST DER ENTERTAINER EIN KINDERSCHÄNDER?

„Das Amtsgericht erließ Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts des mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern“, so Staatsanwältin Maureen Wiechmann (43) zu BILD. „Es besteht die begründete Besorgnis, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit gleichartige Taten wieder begeht.“

Wer ist der Mann, der für seine Sendung in ganz Mecklenburg-Vorpommern berühmt ist?

Im Herbst 2011 wurde Japke Vater von Zwillingen. Mit seiner Familie lebt er in einer Villa bei Rostock, hat einen Ferrari, einen Hummer und eine riesige Gaststätte.

Klingt gut – doch die Fassade bröckelt gewaltig: 2005 ging Japke mit 300 000 Euro Schulden bankrott. 2011 ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Verschleppung der Insolvenz.

Brisant: Laut BILD-Informationen soll der Moderator bereits 1998 eine Volontärin beim Berliner Radio-Sender „Energy“ sexuell belästigt haben! Der Vorgang verlief damals im Sande.

http://www.bild.de/news/inland/marcus-japke/moderator-im-studio-festgenommen-24385828.bild.html

Ja nun, sexuelle Belästigung ist kein Straftatbestand, und wenn es jede mißglückte Annäherung in die Zeitung schaffte, wäre kein Platz mehr für Nachrichten. Die Stoßrichtung ist klar: einem erotisch umtriebigen Mann ist selbstverständlich alles zuzutrauen, sogar pädophile Neigungen.

BILD desinformiert im übrigen: sollte der Moderator einen Ferrari, einen Hummer und eine riesige Gaststätte ›haben‹ sprich Eigentümer dieser Gegenstände bzw. Immobilien sein, wären die Rostocker Ermittlungen wegen Bankrotthandlungen längst zur Anklage gediehen. Allein, die Sachlage ist natürlich komplizierter.

Oberstaatsanwalt Gärtner von der StA Rostock hat die Erwartungen, was dieses Ermittlungsverfahren angeht, schon im Januar 2012 herabgedimmt:

Gegen den „Ostseewelle“-Moderator, der allmorgendlich als Gute-Laune-Bär seine Radiohörer begeistern will, ermittelt die Rostocker Staatsanwaltschaft wegen Bankrotts. Wie Oberstaatsanwalt Andreas Gärtner auf Nachfrage unserer Zeitung bestätigte, soll er seine Einkünfte als Radiomann gegenüber dem Gericht verschleiert haben.

Im Jahre 2005 habe der 38-Jährige beim Leipziger Amtsgericht Insolvenz beantragt, vermeldeten Zeitungen. Dabei gehe es um eine Summe von rund 300 000 Euro bei elf Gläubigern. Frühestens 2012 könnte Japke von seiner Restschuld befreit werden. Hierfür darf er jedoch während des Verfahrens nicht auffällig werden, die sogenannte Wohlverhaltensphase. Er muss alle Einkünfte dem Insolvenzverwalter offenlegen und sich an alle Auflagen halten. Und das scheint er nicht getan zu haben. In dieser Zeit hätte der Moderator wohl besser nicht mit Luxusautos herumfahren sollen. Seine Gläubiger haben Anzeige erstattet.

Laut Gärtner komme es immer wieder vor, dass Gläubiger ihren Schuldner anzeigen, weil die gestellten Forderungen nicht erfüllt werden oder vermutet wird, dass der Schuldner Vermögenswerte auf andere überschrieben hat.

[…]

Laut Staatsanwaltschaft dauern die Ermittlungen noch an. „Ein konkreter Zeitpunkt für den Abschluss des Verfahrens kann noch nicht prognostiziert werden“, fügt Gärtner hinzu.

http://www.nnn.de/nachrichten/home/top-thema/article//radiomann-im-visier-der-justiz.html

Der Moderator hat Feinde. Gläubiger, denen ihre Quote unzulänglich erscheint und die gewiß sein können, daß ihnen im Jahr 2012 nach Ablauf der Wohlverhaltenszeit gar nichts mehr zusteht, gehören definitiv dazu. Frustrierte Staatsanwälte, die sich durch Hunderte von Aktenordnern quälen und dennoch nichts finden, was den Angezeigten als wirtschaftlichen Eigentümer der von ihm benutzten PKW oder der von ihm bewohnten Villa festnagelt, dürften ebenso dazugehören.

Ein Schelm, der da auf den Gedanken kommt, daß U-Haft in anderer Sache nützlich sein könnte, um dem dahinsiechenden Wirtschaftsverfahren Auftrieb zu geben…

Wenig erstaunlich ist es auch, daß FAZ ONLINE, was den Tatvorwurf angeht, noch konkreter wird als die BILD, deren Vorwurf der sexuellen Belästigung gegenüber einer Praktikantin sie bedenkenlos kolportiert. BILD ist schließlich Nannen-Preis gekröntes Leitmedium der aufdeckenden wenn nicht gar aufrüttelnden Recherche mit weitreichender Wirkung: eine Auszeichnung, die den Zustand unserer Medienlandschaft perfekt widerspiegelt.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, in den Jahren 2005 und 2006 ein damals 12 Jahre altes Mädchen sexuell missbraucht haben. Die mittlerweile junge Frau hatte den Fall erst im Mai der Polizei gemeldet. Nach Informationen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) wird wegen 50-fachen Missbrauchs gegen den Mann ermittelt. Bei dem Opfer soll es sich um einen weiblichen Fan handeln.

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/rostock-radio-moderator-waehrend-live-sendung-festgenommen-11765435.html

Da gerät man doch ins Grübeln. Ein weiblicher Fan hat ihn angezeigt, und zwar erst im Mai 2012. Wieso ist die junge Frau ein Fan, wenn sie doch sechs bis sieben Jahre zuvor Schreckliches erlebt haben will? Oder war sie seinerzeit Fan und ist es jetzt nicht mehr? Man tappt im Dunkeln, zumal unbekannt ist, seit wann der Moderator für die Ostseewelle moderiert: wenn er im Jahr 2005 vor dem Amtsgericht Leipzig einen Insolvenzantrag gestellt hat, wohnte er seinerzeit dort. Kann er zu diesem Zeitpunkt schon Moderator der Ostseewelle gewesen sein?

Vergebens bemüht man sich, den Sachverhalt zu durchdringen. Und zweifelt an der gebetsmühlenhaft vorgetragenen Erklärung der Pressesprecherin der StA Rostock, wonach die Anzeigenerstatterin sich erst jetzt offenbart habe, was der Angelegenheit zumindestens einen Anschein von Dringlichkeit verliehen hätte.

Noch vor wenigen Jahren hätte ich nicht geglaubt, daß Staatsanwaltschaften etwas anderes als die Wahrheit verbreiten würden. Heute weiß ich, daß sie Parteien in einer medialen Verwertungsmaschinerie sind, in der es um Erfolgsmeldungen, Aufmerksamkeit und Ego-Boosting geht. Der Deckmantel: Werbung für den jeweiligen Justizminister/Justizministerin. Denn die Politik sieht es parteiübergreifend schließlich gern, wenn dem Populismus (›we are hard on crime‹) gefrönt wird. Wobei die Kombination Sexualdelikt und Promi-Mann natürlich besonders quotenträchtig und populistisch ist. Das ›verteufelte Geschlecht‹ hat schließlich keine Lobby.

Es war der Schock meines Lebens, als der Pressesprecher der StA Mannheim, Andreas Grossmann, am 19.5.2010 (wenn auch lidklappernd und unglaubhaft) wahrheitswidrig Aug in Aug mit der Kamera behauptete, daß sich auf dem angeblichem Tatmesser Blutspuren der ›Geschädigten‹ befänden…

http://www.youtube.com/watch?v=tWwjqqDzFoo

Das war eine krasse Unwahrheit.

Wie steht es also um den Wahrheitsgehalt der Erklärung von Staatsanwältin Maureen Wiechmann, wonach erst jetzt, ganz aktuell, eine Anzeige wegen sexuellen Mißbrauchs vor sechs bis sieben Jahren vorliege?

Nun, sie ist nur eine Stimme im medialen Diskurs, und nicht mal mehr eine glaubhaftere als andere, seitdem die Staatsanwaltschaften zur Partei mutiert sind.

Rostock (OZ) – Eine Hetzjagd gegen Radiomoderator Marcus Japke (39) wirft Anwalt Norbert Wendorf der Staatsanwaltschaft vor. Die Verhaftung seines Mandanten wegen Verdachts auf Kindesmissbrauch sei öffentlich inszeniert worden. Bereits 2008 habe das vermeintliche Opfer Vorwürfe gegen Japke erhoben; die Ermittlungen seien eingestellt worden.

http://www.ostsee-zeitung.de/nachrichten/brennpunkt/index_artikel_komplett.phtml?SID=3c07e012a219562ed2fa7e0c0ce0d537&param=news&id=3458630

Im Printtext der Ostseezeitung heißt es dazu:

Gestern äußerte Japkes Anwalt Norbert Wendorf starke Zweifel am von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Haftgrund: „Eine Wiederholungsgefahr besteht nicht“, so Wendorf. Die Vorwürfe bezögen sich auf die Jahre 2005 und 2006. „Das ist kein typischer Fall von Pädophilie.“ Darüber hinaus sagte der Anwalt: „Die vermeintlich Geschädigte hat solche Vorwürfe schon einmal gegen Herrn Japke vorgetragen, dann aber vehement dementiert.“ Die Ermittlungen seien 2008 eingestellt worden.
Der Rechtsanwalt kritisiert die Justiz scharf. Die Staatsanwaltschaft habe „eine öffentliche Hetzjagd“ gegen seinen Mandaten „angetrieben“. Außerdem habe es falsche Informationen zum Vorstrafenregister Japkes gegeben. „Es liegt nur ein lausiges Verkehrsdelikt vor.“

Wir leben in einem Rechtsstaat, der so pervertiert ist, daß man dem Vorbringen eines Verteidigers mehr Wahrheitstreue zubilligen muß als den Verlautbarungen eines Pressesprechers einer Staatsanwaltschaft.

Frau Wiechmanns Vorgesetzter, Oberstaatsanwalt Gärtner, war demnach auch bemüht, den Flurschaden, den die Staatsanwältin Wiechmann angerichtet hat, zu bereinigen:

Jetzt spricht in den NNN Oberstaatsanwalt Andreas Gärtner und erklärt, wie Japkes Verhaftung wirklich ablief.

Der Haftbefehl habe bereits am frühen Morgen vorgelegen, aber „angedacht war, ihn nach der Sendung zu verhaften“, so Gärtner. Dann allerdings erhielten die Polizisten die Information, dass die letzte Stunde des „Guten Morgens“ auf Ostseewelle nicht immer live moderiert werde. „Deswegen sind sie schon um 9.30 Uhr hingefahren und haben sich im Funkhaus vorgestellt“, sagt Gärtner. Japke sei daraufhin von den Ostseewelle-Mitarbeitern informiert worden und aus dem Studio gekommen. Konfrontiert mit den Vorwürfen, habe er das Funkhaus direkt und aus freien Stücken mit den Beamten verlassen. „Hätte er zu Ende moderieren wollen, hätte er das gedurft“, sagt Gärtner.

Er stellt klar: „Die Polizisten haben das Studio nicht gestürmt.“ Im Gegenteil sei die ganze Aktion sehr ruhig und sachlich abgelaufen. Von einer Inszenierung könne daher keine Rede sein. Anlass für die Verhaftung sei allein der Vorwurf gewesen, Japke habe in den Jahren 2005 und 2006 eine damals 12- beziehungsweise 13-Jährige wiederholt sexuell missbraucht. Dafür hatten sich Zeugen bei der Polizei gemeldet. „Wir gehen derzeit von Taten im zweistelligen Bereich aus“, sagt Gärtner.

http://www.svz.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/artikeldetail/article//jetzt-spricht-der-staatsanwalt-so-lief-japkes-festnahme.html

Naja, freiwillig mitgegangen… Das ist natürlich eine rein formale Betrachtungsweise. Interessanter ist da schon, wie er seiner Kollegin widerspricht: Für den Tatvorwurf (der laut Verteidiger schon 2008 erhoben wurde und der seinerzeit als unglaubwürdig befunden wurde) hätten sich nun aktuell Zeugen (Plural) gefunden? Strange. Es steht danach jedenfalls fest, daß es nicht die Betroffene war, die jetzt erstmals Vorwürfe erhob.

Das Vorbringen angeblicher Zeugen einer angeblichen Tat, die bereits vor fünf Jahren als nicht stichhaltig zurückgewiesen wurde, ist allerdings so wenig glaubhaft wie der Haftgrund plausibel erscheint. Man kann nur auf die höhere Instanz hoffen, die der Rechtsstaatlichkeit mehr verpflichtet ist als eine populistisch agierende lokale Staatsanwaltschaft nebst unkritisch abnickendem Amtsgericht. Mannheim reloaded.

Den Medien ist der Rechtsstaat eh hekuba, solange die verlorenen Prozesse die Kriegskasse nicht übermäßig belasten; und so wird von BILD munter weiterspekuliert:

Rostock – Seine Live-Sendung endete abrupt mit seiner Festnahme. „Ostseewelle“-Moderator Marcus Japke (39) soll vor sieben Jahren ein Mädchen (damals 12) missbraucht haben.

JETZT GIBT ES NOCH MEHR VORWÜRFE!

Nach BILD-Informationen soll der Radiomann auch Gewinnspiele bei dem privaten Sender in Rostock manipuliert haben. Dabei soll es sich unter anderem um das Spiel „10 000 für 10“ gehandelt haben, bei dem mit der Seriennummer einer 10-Euro-Banknote 10 000 Euro zu gewinnen waren.

Laut Ermittlerkreisen gingen die Gewinne an vorher ausgewählte Personen. Das Geld wurde dann geteilt. Der eigentliche „Gewinner“ bekam etwa 20 Prozent, der Geldbote und Vermittler fünf Prozent, den Rest soll Japke selbst eingestrichen haben – bis zu 7500 Euro pro Spiel!

Der Staatsanwaltschaft liegt inzwischen eine Liste mit den „Gewinnern“ vor. „Der Sachverhalt ist uns bekannt“, bestätigt Oberstaatsanwalt Andreas Gärtner (48). „Es wurde ein Prüfverfahren eingeleitet.“

http://www.bild.de/news/inland/marcus-japke/kassierte-er-bei-radio-gewinnspielen-ab-24421144.bild.html

Tja. Was da genau gelaufen sein soll, kapiert sowieso niemand. Was daran strafbar sein soll (wurde jemand getäuscht oder geschädigt?), schon gar nicht. Daß alte haltlose Vorwürfe aufgewärmt werden: was interessiert es schon BILD? Wer am Boden liegt, muß getreten werden…

Das sagt Oberstaatsanwalt Gärtner zu der ollen Kamelle:

Dass der Moderator auch Gewinnspiele manipuliert haben soll, sei zwar auch bekannt, „aber bislang durch keine Tatsachen unterlegt gewesen“, so der Oberstaatsanwalt. Dazu laufe derzeit noch ein gesonderter Prüfvorgang.

http://www.svz.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/artikeldetail/article//jetzt-spricht-der-staatsanwalt-so-lief-japkes-festnahme.html

Der Senderchef bestreitet substantiell:

Tino Sperke, Programmdirektor und Geschäftsführer von Ostseewelle HIT-RADIO Mecklenburg-Vorpommern, äußerte sich in der Morgensendung nun direkt zur aktuellen Situation:

 Tino Sperke

[…]

Ich möchte noch etwas ergänzen: Bei all dem, was so geschrieben wird, dass Marcus 10-Euro-Scheine an Hörer verteilt haben soll: Das kann nicht sein, weil ihr Moderatoren die Originalscheine nie in den Händen hattet – immer nur Kopien. Die Ostseewelle arbeitet über ihre Anwälte mit den Ermittlern zusammen, um es aufzuklären und um zu gucken, was an den Spekulationen dran ist. Ich bin mir sicher, vieles wird auch nicht wahr sein, was da jetzt geschrieben wird.”

http://www.radioszene.de/38799/moderator-wahrend-der-morgensendung-verhaftet.html

Was kümmern Medien und Staatsanwaltschaften derlei hinderliche Einwürfe?

Es geht um Auflage, Sensation und Erfolgsmeldungen. Kollateralschäden sind eingepreist. Kosten ja auch nicht viel, nur 25 Euro pro ungerechtfertigtem Hafttag (abzüglich Logis und Kost). Naja und der Verdienstausfall, wo doch die Sendung ohnehin in die Sommerpause gehen sollte, fällt schließlich nicht ins Gewicht…

Männer sind halt des Teufels. Unkonventionelle, Angeber, Promis mit Schlag bei Frauen sowieso. Für die gilt per se keine Unschuldsvermutung. Die darf man medial vorverurteilen.

Update:

Kachelmann-Anwalt verteidigt Japke

04. Juni 2012 | 22:06 Uhr | Von: Thomas Volgmann

Der wegen des Verdachts des sexuellen Kindesmissbrauchs inhaftierte Radiomoderator Marcus Japke fährt für seine Verteidigung schweres Geschütz auf: Neben dem renommierten Rostocker Rechtsanwalt Norbert Wendorff und dem prominenten Anwalt Peter Michael Diestel wird der bekannte Hamburger Strafverteidiger Johann Schwenn den Rechtsbeistand für Japke übernehmen. Das bestätigte Norbert Wendorff gegenüber unserer Redaktion. Schwenn erklärte am Telefon: „Zu solchen Sachen sage ich grundsätzlich nichts, warten Sie es ab.“

[…]

Moderator Japke selbst schweigt weiter zu den Vorwürfen gegen ihn. Auch sein Anwalt Norbert Wendorff will sich nicht zum Verfahren äußern. Im privaten Umfeld hätte der Radiomann immer wieder seine Unschuld beteuert, erzählten Insider. Freunde suchen Erklärungen und sprachen von einer Intrige eines ehemaligen Mitarbeiters im Radio sender Ostseewelle. Bereits 2008 war eine anonyme Anzeige mit denselben Vorwürfen aus den Jahren 2005 und 2006 bei der Polizei eingegangen, bestätigte sein Anwalt Wendorff. Damals hätte das vermeintliche Opfer die Frage nach Sex-Kontakten allerdings noch verneint.

http://www.svz.de/nachrichten/home/top-thema/article//kachelmann-anwalt-verteidigt-japke.html

Update (9.6.2012):

Mit dem BILD-Artikel vom 31.5.2012 mit der vorverurteilenden Schlagzeile (Print/Dresden):

Ist er auch ein Gewinnspiel-Betrüger?

[Hervorhebung von mir]

und aufgewärmten halbgaren Vorwürfen befaßt sich jetzt auch Stefan Niggemeier im wie immer lesenswerten BILDblog:

Axel-Springer-Akademie  Bild

Eine Schlagzeile wie aus dem Lehrbuch

Die „Bild“-Zeitung gibt ungern Einblicke in ihre Arbeit. „Wir kommentieren grundsätzlich nicht unsere Berichterstattung und äußern uns auch nicht zu Redaktionsinterna“, bekam der NDR erst kürzlich wieder als Nicht-Antwort auf eine Anfrage. Vermutlich hat sie guten Grund, sich nicht in die Karten schauen zu lassen.

Andere Stellen im Verlag sind nicht so vorsichtig. Am Donnerstag vergangener Woche gratulierte die hauseigene Journalistenschule, die Axel-Springer-Akademie, auf ihrer Facebook-Seite einem ihrer Schüler zu einem besonderen Erfolg: seiner ersten „Bild“-Schlagzeile:

[…]

Oberstaatsanwalt Andreas Gärtner sagt uns hingegen, dass „Bild“ lediglich die Auskunft bekommen habe:

dass der im Raum stehende Vorwurf der Staatsanwaltschaft zwar bekannt sei, die von dem Hinweisgeber herrührende Information allerdings bislang nicht mit nachprüfbaren Tatsachen zu den näheren Modalitäten und den möglichen Beteiligten an dem vermeintlichen Betrug unterlegt worden sei, was der Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehe. Aus diesem Grund sei hier zunächst ein „Prüfvorgang“ angelegt worden.

[…]

http://www.bildblog.de/39385/eine-schlagzeile-wie-aus-dem-lehrbuch/

Update (15.6.2012)

Auch in sprachlicher Hinsicht interessant: denn nun gibt es nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch noch Kachelanwälte, wie uns die Bildunterschrift aufklärt:

/OZ/LOKAL/HRO vom 15.06.2012 07:00

Fall Japke: Promi-Anwalt Schwenn wirft hin

http://www.ostsee-zeitung.de/nachrichten/brennpunkt/index_artikel_komplett.phtml?param=news&id=3471424

Update (6.11.2012)

Vorab: von meinem Artikel habe ich kein Wort zurückzunehmen: denn die Unschuldsvermutung steht auch und gerade Schuldigen zur Seite.

/OZ/LOKAL/HRO vom 06.11.2012 15:43

Fall Japke: Absprache im Prozess

Rostock (OZ/dpa) – Vor dem Rostocker Landgericht hat am Dienstag der Prozess gegen den Radiomoderator Marcus Japke begonnen. Dem 39-Jährigen wird der mehrfache sexuelle Missbrauchs eines Kindes vorgeworfen.

Noch vor der Verlesung der Anklage schloss die Kammer die Öffentlichkeit von der Verhandlung aus. Dies wurde mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des heute 20-jährigen mutmaßlichen Opfers begründet.

Außerdem bestätigte der Richter eine Absprache zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht, die das Verfahren abkürzen könnte. Der Angeklagte kann bei einem umfassenden Geständnis mit einer Strafe zwischen drei Jahren und zwei Monaten und drei Jahren und sechs Monaten rechnen. Diese Verständigung sei vergangene Woche unter den Prozessbeteiligten vereinbart worden. Noch am Nachmittag könnte das Urteil verkündet werden. Dann soll auch wieder die Öffentlichkeit zugelassen werden.

Der Angeklagte sagte im Gericht, er sei bereit auszusagen. Zunächst hatte das Gericht gesagt, dass der Strafrahmen über zehn Jahre hinaus gehen könne.

Japke soll zwischen 2005 und 2008 ein Mädchen wiederholt sexuell missbraucht haben. Es war zu Beginn der Taten zwölf Jahre alt. Der Fall hatte für bundesweites Aufsehen gesorgt, auch weil der Moderator aus seiner Rundfunksendung heraus verhaftet worden war.

Dem Angeklagten werden insgesamt 46 Einzeltaten vorgeworfen. Es sei auch zum Geschlechtsverkehr gekommen.

[…]

http://www.ostsee-zeitung.de/nachrichten/brennpunkt/index_artikel_komplett.phtml?param=news&id=3599001

OZ/LOKAL vom 06.11.2012 16:15

Japke zu drei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt

Rostock (dpa/OZ) – Der Rostocker Radiomoderator Marcus Japke ist wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu drei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt worden. Der 39-Jährige hatte am Dienstag vor dem Landgericht Rostock gestanden, zwischen 2005 und 2008 ein anfangs zwölf Jahre altes Mädchen wiederholt sexuell missbraucht zu haben.

Insgesamt waren dem Mann 46 Einzeltaten vorgeworfen worden. […]

Das vergleichsweise milde Urteil war nach einer Absprache der Prozessbeteiligten zustande gekommen. […]

http://www.ostsee-zeitung.de/nachrichten/brennpunkt/index_artikel_komplett.phtml?SID=cddc626e35fd3e05686442989337b4d2&param=news&id=3599164

Schon vor Prozessbeginn hatte der Vorsitzende Richter dem Sänger des Schlagers „Hallo kleiner Engel“ Hoffnung auf eine mildere Strafe gemacht – wenn er gesteht und damit seinem heute 20-jährigen Opfer die Aussage vor Gericht erspart. „Bei einem Geständnis kann der Angeklagte mit einer Strafe zwischen drei Jahren und zwei Monaten und drei Jahren und sechs Monaten rechnen“, so der Richter.

Ohne Kooperation hätte ein langwieriger Indizienprozess gedroht, an dessen Ende Japke eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren gedroht hätte. Japke willigte also in den Deal ein, sagte unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu den schweren Vorwürfen aus.

Über 40 Mal soll der Radiomoderator, der vor Jahren auch bei den Berliner Sendern Radio Energy und BB Radio zu hören war, ein anfangs 13-jähriges Mädchen missbraucht haben, so die Anklage. Das Kind soll ein Fan des prominenten Moderators gewesen sein. Von den 46 Taten, die die Anklage auflistete, darunter Geschlechtsverkehr an unterschiedlichen Tatorten, gestand Japke 26. Bei einigen Missbrauchsfällen soll sogar eine Freundin des Opfers dabei gewesen sein.

http://www.berliner-kurier.de/polizei-prozesse/radio-moderator-marcus-japke-prozess-13-jaehrige-missbraucht,7169126,20804344.html

Der bislang seriöseste Bericht findet sich hier:

http://www.ndr.de/regional/mecklenburg-vorpommern/prozess1273.html

Das war ein wünschenswerter Kurzer Prozeß, so sollte es doch immer sein: innerhalb eines Tages ist das Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit, die nicht einmal die genauen Vorwürfe zur Kenntnis nehmen konnte, erledigt, niemand wird Rechtsmittel einlegen, das Urteil wird nicht überprüft und kann kurz gehalten werden. Wieviele Ressourcen da wieder geschont wurden!

Aber das Publikum weiß nicht, ob es sich angesichts der Androhung von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bei fehlendem Geständnis und der Gewißheit einer Verurteilung zu drei Jahren und zwei Monaten bis zu drei Jahren und sechs Monaten bei Marcus Japkes Geständnis um ein taktisches oder um ein echtes handelt. Fünf Monate U-Haft zermürben.

Vertrauen in den Rechtsstaat schafft diese Verfahrenserledigung jedenfalls nicht. Solche Deals sind abzulehnen: denn wenn Marcus Japke schuldig im Sinn der Anklage gewesen ist und man ihn zweifelsfrei hätte überführen können, dann ist die jetzt ›gefundene‹ Strafe geradezu lächerlich niedrig und im Sinn einer Gleichbehandlung aller Angeklagter schlicht ungerecht.

Unrecht im Namen der Prozeßökomie und angeblich leerer Staatskassen. Ich setze auf das BVerfG, daß es mit dieser Erledigungspraxis, die Unschuldige unter Druck setzt und Schuldige privilegiert, bald ein Ende hat. Morgen findet eine mündliche Verhandlung über drei gegen diese ›Verständigung im  Strafprozeß‹ gerichtete Verfassungsbeschwerden statt:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-071.html

Meine Meinung zu diesem Thema habe ich hier:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/11/06/jorg-miriam-kachelmann-recht-und-gerechtigkeit-mehr-als-eine-rezension-iv/

und hier:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/11/06/jorg-miriam-kachelmann-recht-und-gerechtigkeit-mehr-als-eine-rezension-iv/#comment-650

geäußert.

Werbung

Mannheim und kein Ende: Feminismus im Jugendamt contra Gerechtigkeit

Das Landgericht Mannheim hat über einen komplexen Fall zu entscheiden, der sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft allerdings wieder einmal mehr als klar und eindeutig ausnimmt:

Datum:  25.01.2012

Kurzbeschreibung:

– Darstellung laut Anklagevorwurf –

Verdacht des Totschlags durch Unterlassen, der Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen und der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln

Strafkammer 1 – Schwurgericht
1 Ks 200 Js 14922/10

Verfahren gegen

Nathalie B., geb. 1981
Verteidiger: Rechtsanwalt Lindberg, Mannheim

Prozessauftakt:
Freitag, 03. Februar 2012, 09.00 Uhr
(Fortsetzungstermine: 20. Februar, 01., 05., 08., 13. und 15. März 2012, jeweils 09.00 Uhr)

Der im April 2001 geborene Sohn der Angeklagten, das zweite von insgesamt drei Kindern, litt an einer erstmals im Februar 2008 diagnostizierten unheilbaren Erbkrankheit (Adrenoleukodystrophie), die einen raschen neurologischen Verfall zur Folge hat und bei der lediglich eine geringe Lebenserwartung besteht. Ende 2009 soll die Krankheit so weit fortgeschritten gewesen sein, dass der Sohn der Angeklagten gehunfähig, taub, blind und dauerhaft bettlägerig gewesen sei. Die Nahrungsaufnahme sei nur durch eine PEG-Sonde möglich gewesen.
Der Angeklagten wird zur Last gelegt, sie habe Ende Januar 2010 den Entschluss gefasst, ihren Sohn in ihrer in Mannheim gelegenen Wohnung in der gewohnten häuslichen Umgebung sterben zu lassen, damit er nicht länger seinem Siechtum ausgesetzt sei. In Ausführung ihres Vorhabens soll die Angeklagte in der Folgezeit ihren Sohn nicht mehr ausreichend mit Nahrung versorgt haben. Des weiteren soll sie jeglichen Kontakt zu Hilfseinrichtungen abgebrochen, Verwandte und Angestellte der Stadt nicht mehr in die Wohnung eingelassen und auch nicht auf Kontaktversuche telefonischer und brieflicher Art reagiert haben. Darüber hinaus soll die Angeklagte ihren Sohn auch nicht mehr ausreichend gewaschen und gesäubert haben.
Der zuständige Amtsarzt soll sich am 09.04.2010 Zutritt zu der Wohnung der Angeklagten verschafft und in der Wohnung den Sohn der Angeklagten in einem erheblich unterernährten (14 kg) und verwahrlosten Zustand vorgefunden haben. Der Sohn der Angeklagten sei umgehend in das Universitätsklinikum eingeliefert worden. Dort sei es durch die Nahrungszufuhr nach längerer Zeit fehlender Nahrungsaufnahme zu dem lebensbedrohlichen Krankheitsbild des sog. Refeeding-Syndroms mit der Folge einer erheblich reduzierten Immunitätslage gekommen. Trotz intensivmedizinischer Betreuung habe sich der Zustand des Sohnes der Angeklagten nicht mehr stabilisiert. Es habe sich eine Blutvergiftung entwickelt, die am Morgen des 29.05.2010 zum Tode des Kindes geführt habe.

Der Angeklagten, die regelmäßig Marihuana und mitunter auch Amphetamine konsumiert haben soll, wird darüber hinaus zur Last gelegt, sie habe im Zeitraum von Anfang Oktober 2009 bis Anfang Juni 2010 den gesondert verfolgten Antony G., ihren damaligen Lebensgefährten, bei dessen Handel mit Marihuana dadurch unterstützt, dass er die Wohnung der Angeklagten mit deren Einverständnis zum Abwiegen, Portionieren, Bunkern und zum Teil auch zum Verkauf des Marihuanas nutzen konnte.

Die Angeklagte befindet sich seit Anfang Juni 2011 in Untersuchungshaft.

http://www.landgericht-mannheim.de/servlet/PB/menu/1274303/index.html?ROOT=1160629

Eine Frau faßt den Entschluß, den unheilbar kranken Sohn sterben zu lassen, weist sämtliche Hilfsangebote ab und duldet, daß ihr Lebensgefährte in ihrer Wohnung mit Marihuana handelt. Hätte sie, die selbst Konsumentin war, es ihm verbieten können oder sollen, wenn sie auf Versorgung mit BTM und auf die Nähe eines Partners angewiesen war? Ungeachtet jeglicher sozialer Realität läßt sich ein komplexes Leben alllerdings auf handliche Tatbestände reduzieren, wenn eine Staatsanwaltschaft das so will. Und in Mannheim will man das so.

Die Leerstellen dieser staatsanwaltschaftlich präsentierten Vita springen den Leser der Pressemitteilung allerdings förmlich an. Eine Zwanzigjährige, die bereits zum zweiten Mal Mutter wird. Ein drittes Kind kommt 2005 dazu. Die Mutter konsumiert regelmäßig Marihuana, manchmal Amphetamine. Ihr letzter Lebensgefährte ist ein Dealer. Das todgeweihte zweite Kind bedarf intensivster Pflege, die selbst in einer intakten Familie in guten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen kaum zu leisten ist, ohne völlige Erschöpfung auszulösen. Das sind Verhältnisse, in denen von der Freiheit, eine Entscheidung zu treffen, nicht mehr die Rede sein kann. Da laviert man sich durch, nimmt hin, duldet, kann einfach nicht mehr, will sein sterbendes Kind bei sich haben und nicht in eine Klinik abschieben, schafft es aber auch nicht, dieses ständig schreiende Kind  auszuhalten, das einen nicht einmal mehr sehen und hören kann, entflieht manchmal… Will letztlich den unvermeidbaren Tod beschleunigen, weil dieses lange Sterben nicht auszuhalten ist. Und will den Tod des Kindes eigentlich doch nicht… Es soll ja leben! (BTW: das wäre doch einmal ein Thema für den neuen Bundespräsidenten: die notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen einer Freiheit, die verantwortliche Entscheidungen erst ermöglichen, zu thematisieren. Weichgespült genug hat Gauck sich bei der Vereidigung ja präsentiert. Nun muß er mehr als wohlfeile Worthülsen abliefern, falls er seine Beschwichtigungspolitik ernstmeinen sollte und sie nicht nur als Imagekorrektur einsetzt.)

Von den zahlreichen Kindstötungen durch Mütter, über die in letzter Zeit berichtet worden ist, weicht dieser Fall ab. Man spürt, daß das Unrecht dieses Unterlassens mit den Mitteln des Strafrechts weder zu erfassen noch zu ahnden ist. Daß hier ein Versagen der Gesellschaft mitursächlich war, ist offensichtlich. Diese kaputte ›Familie‹ sollte tatsächlich nicht vom Jugendamt betreut worden sein?

Natürlich doch, erfahren wir von Julia Jüttner bei SPIEGEL online.

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,819273,00.html

Seit Ende 2001 sogar. Der Kindsvater hat Alkoholprobleme, 2006 bringen Polizeibeamte das ausgerissene Kind Marcel nach Hause und berichten dem Jugendamt von einer verwahrlosten Wohnung, einem gleichgültigen Vater und einer überforderten Mutter. Indes, es gibt auch eine professionelle Gewöhnung an alltägliches Elend, wenn ihm nicht beizukommen ist:

Der Onkel, bei dem Marcels Geschwister nun aufwachsen, berichtete vor Gericht, er habe das Jugendamt informiert und sei abgewiesen worden mit dem Satz: „Für Schönauer Verhältnisse sei das doch normal.“

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,819273,00.html

Diese frustrationsvermeidende-resignative Grundhaltung eines unter Spardiktaten stehenden Jugendamtes kann, wenn sie sich mit einer falschen Ideologie verbündet, zum Todesurteil werden.

Zu Marcels Erkrankung finden sich allerdings in der Jugendamtsakte der Familie B. nur wenige Vermerke: Lediglich zwei persönliche Gespräche habe es mit seiner Mutter gegeben, alle anderen Kontaktversuche seien jedoch gescheitert, heißt es.

Nur indirekt ist die Rede von Marcel: Nathalie B. sei mit der Pflege und der gesamten Versorgung ihrer Familie überfordert. Im Februar 2010, sechs Wochen, bevor der Amtsarzt Marcel auffindet, wird auf einer Helferkonferenz konstatiert, dass „die Pflege von Marcel als einziges Erfolgserlebnis für die Kindesmutter“ angesehen wird. Alle Teilnehmer der Runde sind sich laut Aktennotiz einig: Die Pflege darf nicht in fremde Hände gegeben werden.

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,819273,00.html

Genau das ist die falsche – feministische – Ideologie: es kann nicht um Erfolgserlebnisse für die Mutter gehen, vorrangig ist das Wohl der Kinder. Und dann auch noch diese Gedankenlosigkeit, eine sterbebegleitende Pflege als subjektives ›Erfolgserlebnis‹ zu qualifizieren; jede Mutter geht durch die Hölle, wenn sie ihr Kind sterben sieht –: was ist das nur für ein sozialpädagogisch verbrämtes Gewäsch, Phrasendrescherei, eine reine Rechtfertigungs-Konstruktion für das Nichteingreifen der Behörde, die sehenden Auges einer überforderten Mutter nicht beisteht…

Kinder sind keine Sinnspender für das verkorkste Leben ihrer Mütter. Sie haben ein eigenes Recht auf ein beschütztes und sinnvolles Leben. Und wenn sie todkrank sind, dann jedenfalls ein Recht auf eine optimale und schmerzlindernde Pflege und Sterbebegleitung. Haben Ideologie und Sparzwänge jegliche Humanität ausgetrieben?

Das feministische Gedankengut hat mittlerweile die gesamte Gesellschaft erfaßt und folgerichtig Humanität und Rechtsstaat erschüttert. Jugendämter priorisieren das vermeintliche Wohlergehen der Mütter und vernachlässigen das Kindeswohl. Die Justiz blendet Rationalität aus und verfällt dem Opferglauben, wie im Fall Kachelmann beispielhaft geschehen, in dem auch noch feministischer Ideologie verpflichtete Psychologen wie Seidler und Greuel mit Traumatisierungs- und Selbstsuggestionshypothesen zugunsten der Anzeigeerstatterin die nüchterne Befassung mit der objektiven Beweislage und der näherliegenden Falschaussagehypothese erschwerten.

Der Siegeszug einer irrationalen Ideologie wie der des Schwarzerschen Fundamental-Feminismus’ kann sich allerdings auch GEGEN Frauen richten, wie u.a. in diesem Fall ersichtlich. Denn hier war das – wie flächendeckend üblich – feministisch orientierte Jugendamt Mannheim verantwortlich für die Entstehung der unlösbaren Lage. Hätte es im Februar 2010 das Kindeswohl im Blick gehabt und nicht ein unterstelltes Erfolgserlebnis für die mit der Pflege des Kindes bekanntlich überforderte Mutter, dann wäre das Kind nicht so gestorben.

Daher fiel es der Staatsanwaltschaft ersichtlich leichter, die individuelle Verantwortung der Mutter dämonisierend festzuschreiben (und auch gleich den Gedanken an Fluchtgefahr zu fassen, als sich irgendwie ein Jahr nach dem Tod des Kindes der Vorwurf der Vernachlässigung zum Totschlagsvorwurf durch Unterlassen heraufzonen ließ – und die Haftrichter in Mannheim unterzeichnen offenbar vertrauensvoll entsprechende Haftbefehlsanträge ihrer Staatsanwaltschaft, obwohl es doch einiger Phantasie bedarf, um sich vorzustellen, wie und wohin eine Hartz-IV-Bezieherin mit zwei Kindern denn fliehen sollte). Was die Mit-Verantwortung des Jugendamts angeht, tut man sich bei der Staatsanwaltschaft dagegen schon schwerer:

Inwieweit das Jugendamt seiner Überwachungsfunktion gerecht wurde, wird derzeit parallel zum Verfahren gegen Nathalie B. ermittelt

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,819273,00.html

Denn da wurden ja keine Fehler gemacht. So schön übersichtlich hätte es offenbar auch der Vorsitzende Richter gern:

Prozeßbericht vom 22.2.2012:

Richter verliert bei Befragung die Geduld

Von unserem Redaktionsmitglied Angela Boll

[…]

Die Vorwürfe gegen das Jugendamt – sie werden nun auch im Prozess immer lauter. Doch der damalige stellvertretende Leiter der Behörde schließt im Zeugenstand ein Fehlverhalten seiner Mitarbeiter aus. Man habe alles geprüft, „die Regularien sind eingehalten worden“, betont er. Die Situation sei für alle „sehr schrecklich“. Schließlich habe man auch in den vergangenen Jahren – also nach dem Fall Marcel – „viele Optimierungen in den Fallabläufen“ vorgenommen. Verteidiger Lindberg möchte es genauer wissen, verweist auf eine interne Sitzung vor Marcels Tod, in deren Verlauf der Fall im Jugendamt als „Mission Impossible“ – als unerfüllbare Mission – bezeichnet worden sei. Doch Richter Ulrich Meinerzhagen will davon nichts hören, watscht den Anwalt ab.

[…]

Auch nach einer Pause bleibt die Stimmung gereizt. Der Bruder des Kindsvaters sitzt nun im Zeugenstand. Marcels Geschwister leben seit Frühjahr 2010 bei ihm und seiner Frau. Der Mann wirkt mitgenommen, schon vor der Befragung. Die Zustände in der Familie seien schlimm gewesen, berichtet er: „Unsere Art zu helfen war, die gesunden Kinder ab und an da raus zu holen, mit ihnen Zeit zu verbringen.“ Mit seinem Bruder habe er nicht reden können, „der war ständig betrunken“. Mehrmals fährt Meinerzhagen den Zeugen an, hält ihm vor, die Umstände nicht genug hinterfragt, das Jugendamt nicht informiert zu haben. „Das haben wir einmal getan, dann hieß es dort für Schönauer Verhältnisse sei das doch normal“, sagt der Zeuge. Der Staatsanwalt versucht noch, beruhigend auf den Vorsitzenden einzuwirken. Doch bei dem Zeugen brechen zum Schluss alle Dämme, nach der Befragung bricht er weinend zusammen.

http://www.morgenweb.de/mannheim/fall-marcel/richter-verliert-bei-befragung-die-geduld-1.476130

Mannheim ist schon ein seltsames Biotop: da wird ein Verteidiger ›abgewatscht‹, der nur das tut, was seine Pflicht ist; da will der Richter nicht hören, daß das Jugendamt den Fall schon aufgegeben hat und dem absehbaren Schicksal seinen Lauf hat nehmen lassen. Dafür wird ein Zeuge geschurigelt, weil er die zuständige Verwaltung nicht auf Trab gebracht hat, sondern sich hat abwimmeln lassen. Da beruhigt der Staatsanwalt den gereizten Richter – sollte es nicht eher umgekehrt sein, wenn denn schon einmal die Nerven blank liegen?

Und das Phänomen des Mannheimer ›Hausgutachters‹, das schon im Kachelmann-Verfahren eine unheilvolle und für den Angeklagten, der auf eigene Kosten überlegene Gutachter engagieren mußte, kostspielige Rolle spielte, taucht auch jetzt wieder auf:

Dabei beginnt der zweite Verhandlungstag zunächst mit einer formellen Reaktion auf den neuen, von der Kammer beauftragten Gutachter. Verteidiger Steffen Lindberg lehnt den Sachverständigen Thomas Mörsberger ab, stellt einen Befangenheitsantrag. Lindberg hält Mörsberger, der im Fall Marcel die Vorgänge im Jugendamt und die Arbeit der Familienhelfer beurteilen soll, für „absolut nicht tauglich“. Er begründet seinen Antrag mit Zitaten aus Veröffentlichungen des Experten, die aus seiner Sicht „das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit“ belegen. Alleine die Tatsache, dass Mörsberger von 1998 bis 2004 Leiter des Landesjugendamts Baden gewesen ist, sei kritisch zu bewerten.

http://www.morgenweb.de/mannheim/fall-marcel/richter-verliert-bei-befragung-die-geduld-1.476130

Das ist tatsächlich kritisch zu bewerten. Hier ein Text von Mörsberger über ›Wirklichkeit und Wahrheit. Warum sich Jugendhilfe und Justiz so oft missverstehen‹ aus seiner Zeit als Leiter des Landesjugendamtes Baden-Württemberg (leider haben Landesjugendämter keine Fach- und Rechtsaufsicht über Jugendämter – das ist auch noch so ein Thema, das dringend beharkt werden müßte):

V. Vorschläge zur Verbesserung der Kooperation

So dürfte eigentlich auf der Hand liegen, was sehr konkret zur Verbesserung der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Justiz getan werden könnte beziehungsweise sollte. Natürlich hilft (fast) immer, durch die Pflege eines guten persönlichen Kontakts die Bereitschaft zu fördern, sich in die Lage des anderen hineinzuversetzen. Erst wenn diese Bereitschaft da ist, wird den Hinweisen auf die Systemunterschiede überhaupt Gehör geschenkt. Aber ebenso wichtig scheint es mir zu sein, konsequenter zu werden und die Prinzipien des eigenen Tuns offen zu legen – so man sie hat.

Dem steht aber eine alte und unheilvolle Tradition der Jugendhilfe im Weg, nämlich die Bereitschaft, sich zum „Ausputzer“ für jegliches Problem machen zu lassen, keine Grenzen aufzuzeigen und zu setzen. Demgegenüber gehe ich von dem Postulat aus: „Kooperation durch Abgrenzung“. Will sagen: Zusammenarbeit wird nicht dadurch gefördert, dass man auf jegliche Erwartung irgendwie flexibel reagiert. Die Reaktion ist – zumindest auf Dauer – absehbar: Enttäuschung. Man weckt falsche Erwartungen. Unter bestimmten Bedingungen können sich solche Erwartungen sogar zu Kränkungen steigern, je nach psychischer Disposition. Aber eben solche Konflikteskalationen sind in der Realität keineswegs selten.

http://www.sgbviii.de/S129.html

Der Jurist Thomas Mörsberger ist aktuell Vorstandsvorsitzender des ›Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V.‹ (DIJuF) in Heidelberg, das sich als Fachberater der Jugendämter versteht, aus denen sich seine zahlenden Mitglieder auch hauptsächlich zusammensetzen (im Jahr 2012 waren 562 von 573 Jugendämtern Mitglied im DIJuF e.V).

http://www.dijuf.de/mitglieder-satzung.html

In dieser Eigenschaft hielt er im Jahr 2010 eine Begrüßungsrede, ›JUGENDAMT programmatisch‹, anläßlich einer Fachtagung über Jugendämter, in der es fast noch problematischer zugeht, was das autarke Eigenleben von Sozialbehörden und ihre Abgrenzung gegenüber natürlich ungerechtfertigten Schuldzuweisungen betrifft:

Gleichwohl scheint die Rolle des Sündenbocks auf die Stirn geschrieben zu sein. Stecken böse Mitbürger dahinter oder ein rachsüchtigen Journalist oder gar ein so genannter Jugendamtsgeschädigter? Stößt heutzutage Kindern oder Jugendlichen etwas zu, mögen zunächst auch Lehrer, Ärzte und Psychologen im Kreuzfeuer der Kritik stehen. Diese Kritik mündet aber oft im nirgendwo, während das Jugendamt greifbar bleibt, sich offenbar dazu anbietet, sei es für Kritik am Handeln oder auch am Unterlassen. Am Fall Kelvin lässt sich das genau nachvollziehen, ich deute an, um was es mir insofern geht.

[…]

Obwohl traditionellerweise das Jugendamt immer wieder mit besonders schwierigen familiären Konstellationen konfrontiert ist, selten etwas sieht von den Schokoladenseiten des Lebens, so ist die Kommunalpolitik seit langer Zeit sehr bemüht darum, das Jugendamt als eine Institution darzustellen, die beweist, „dass unsere Stadt sauber ist, familienfreundlich und nicht zuletzt kinderfreundlich“. Was bedeutet es dann für das Image des Jugendamts, wenn – vielleicht auch nur in Einzelfällen – die Realität eine ganz andere ist?

Vielleicht gibt es da einen heimlichen weiteren Auftrag, nämlich sich als Prügelknabe in die Bresche zu werfen und Schuld zu übernehmen.

http://www.dijuf.de/tl_files/downloads/2010/fachveranstaltungen/Begruessung_Moersberger_26.04.2010.pdf

Eine solche Vorwärtsverteidigung der Jugendämter, denen bösartige Mitmenschen, kommunale Imagekampagnen oder die Gesellschaft als solche die Sündenbock-Rolle zuweisen, wenn Kinder zu Schaden kommen oder Väterrechte mißachtet werden, läßt erkennen, daß dieser Gutachter als Partei im Lager der Jugendämter steht. Der Mann ist Partei pur, sein Gehalt wird vorwiegend von den Jugendämtern bezahlt, und es verwundert nicht, daß nun gerade in Mannheim der Bock zum Gärtner gemacht wird. Jugendämter berufen sich, in Mannheim wie anderswo, nämlich immer nur auf eins:

Prozeßbericht vom 14.3.2012:

Fall Marcel: „Alle Vorschriften eingehalten“

Von unserem Mitarbeiter

Roger Scholl

[…]

Doch an diesem gestrigen sechsten Verhandlungstag vor der Großen Strafkammer des Landgerichts geht es nur mittelbar um die Schuld, die Nathalie B. auf sich geladen haben mag. Im Prozess rückt stattdessen die Rolle des Jugendamts in den Fokus. Allzu viel Konkretes können eine damalige Abteilungsleiterin und eine Diplomsozialpädagogin freilich gestern kaum beitragen.

[…]

Ihre Antwort freilich bleibt im Kern immer die gleiche: Alle Verfahrensvorschriften wurden eingehalten, und man habe stets danach gehandelt. Den Schwachpunkt sieht sie allenfalls im „Gesundheitssystem“ und in der Zusammenarbeit desselben mit dem Jugendamt: Bis zum Prozess habe sie nicht gewusst, dass über einen langen Zeitraum kein Arzt das Kind gesehen und kein Pflegedienst nachgeprüft habe, ob der todkranke Junge ausreichend pflegerisch versorgt worden war.

http://www.wnoz.de/index.php?WNOZID=c6f69b3ab88e1d1313d8abbe6d5210b6&kat=114&artikel=109988934&red=27&ausgabe=

Solange Zuständigkeiten und Vorschriften eingehalten sind, kommt es auf materiell-falsche Entscheidungen wie die, der überforderten Mutter Nathalie B. das Erfolgserlebnis der Pflege ihres todkranken Kindes zu gönnen, selbstverständlich nicht an. Da muß man auch gar nicht erst beim Gesundheitsamt nachfragen, wie man denn dort die Situation des kranken Kindes beurteile. Da ändert man flugs die Regularien, nachdem ein Kind, vielleicht qualvoller, jedenfalls früher, als es die tödliche Krankheit vorgezeichnet hatte, gestorben ist.

An den Automatismen der falschen jugendamtlichen Grundentscheidungen zugunsten der Mütter wird derlei Verfahrenskosmetik nichts ändern. Und natürlich auch nichts an der Zögerlichkeit der Justiz, das Versagen der Jugendämter zu sanktionieren. Denn das ist der zutiefst konservative Kern der Schwarzer-Botschaft von den Täter-Männern und den Opfer-Frauen: Kinder gehören (zu) ihren Müttern, da sind sie vor ihren im Zweifel bösen Vätern geschützt. Und selbst die ungeeignetste Mutter ist gut für ihre Kinder (und jedenfalls billiger als eine Pflegefamilie oder ein Heimplatz).

Innerhalb der insgesamt eher konservativ eingestellten Justiz, (was insbesondere in einem Bundesland mit jahrzehntelanger CDU-Regierung mit Sicherheit der Fall ist, da über die Beförderungen im Ministerium entschieden wird), fallen solche Parolen auf fruchtbaren Boden. Zumal auch alle Parteien unbedarft auf dem Opfer-Ticket reisen und dem nur mutmaßlichen Opfer, das auch ein Falschbeschuldiger sein kann, den Rang einer Nebenstaatsanwaltschaft mit subjektiven Vergeltungsansprüchen eingeräumt haben.

Alice Schwarzer ist zurecht bei der CDU und bei BILD gelandet. Nur in der Abtreibungsfrage ist sie Abweichlerin von der Parteilinie. Aber das kriegt sie auch noch hin. Bei der Frauenquote hat sie sich schließlich auch um 180 Grad gedreht, nachdem sie sich von der unzuständigen Frau von der Leyen nicht hat überholen lassen wollen. Und der Schröder hat sie damit auch noch einen einschenken können, die daraufhin mit einer voreiligen Subventionszusage für Schwarzers Stiftungs-Archiv reagierte…

Auf welcher Parteilinie Schwarzer allerdings mit ihrer Unwort-Kampagne gegen die Unschuldsvermutung (natürlich nur bezogen auf Männer, denen Frauen Sexualstraftaten vorwerfen) liegen mag? Dazu fallen mir nur Parteien ein, die sich außerhalb des demokratischen Spektrums bewegen. Die anderen trauen sich nur noch nicht.

Update:

Die Rechtsanwaeldin am 25.3.2012:

Auch der einst im Kachelmann-Prozess nachberufene RA Schwenn scheint inzwischen – wenn nicht an seiner Wieder-Partnerin Combé so doch am gerichtlichen Kleinklima in und um Mannheim (siehe schon Harry Wörz) einen Narren gefressen zu haben.

und wieder die Medien mit dem bösen, bösen Unwort „Ehren“-Mord:

Junger Mann vor Gericht in Mannheim – Mord, um Ehre zu retten?

Wormser Zeitung – vor 5 Tagen

Seit Montag muss sich der 22-Jährige vor dem Mannheimer Landgericht vertreten von den Anwälten Andrea Combé (Heidelberg) und Johann Schwenn (Hamburg).

Prozess um versuchten „Ehrenmord“‎ Schwäbisches Tagblatt

Eingestellt von Die Rechtsanwäldin um 04:19

http://rechtsanwaeldin.blogspot.de/2012/03/berechtigte-zweifel-und-dream-team.html

Hier ein etwas ausführlicherer Bericht über das angebliche ›Ehrenmordverfahren‹, in dem eine Frau ihren Partner mit erfundenen oder übertriebenen Angaben über eine sexuelle Annäherung/Nötigung eines Dritten dazu brachte, den angeblichen Täter aggressiv ›zur Rede zu stellen‹ bzw. die ›Vorwürfe zu  klären‹, nachdem die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen der angeblichen sexuellen Übergriffe eingestellt hatte:

http://www.wormser-zeitung.de/region/rhein-neckar/meldungen/11786540.htm

So etwas macht natürlich kein Deutscher bzw. Nicht-Muslim. Da sind Selbstjustiz-Tendenzen vollkommen unbekannt.

Und hier ein Bericht, der vielleicht erklärt, wieso der Vorsitzende Richter in dem Parallel-Verfahren gegen Nathalie B. etwas verschnupft auf eine engagierte Befragung des Verteidigers reagierte:

Gemeinsam mit seiner mutmaßlichen Verlobten hatte er im März 2011 Anzeige gegen den Mann erstattet. Der habe der heute 18-Jährigen die Hand auf den Oberschenkel gelegt und versucht, sie zu küssen, gab Bland B. damals zu Protokoll. Doch das Verfahren wurde eingestellt. Die Frau habe ihre Aussage mehr oder weniger zurückgenommen, erklärt der Oberstaatsanwalt und spricht von 6000 Euro, die die Familie des 39-Jährigen der Familie der jungen Frau gezahlt habe. Weitere 15 000 seien in Aussicht gestellt worden.

Im August schließlich erzählte die Frau Bland B. seiner damaligen Aussage zufolge, der 39-Jährige habe sie nicht nur zu küssen versucht, sondern darüber hinaus auch gefesselt. Am selben Abend noch fuhr Bland B. zu dem Mann, der in diesem Verfahren als Nebenkläger auftritt – um diese Vorwürfe zu klären. So soll er sich direkt nach der Tat einem Polizisten gegenüber ausgedrückt haben. Er habe das als Frage der Ehre empfunden.

Der Befragung dieses Polizisten vor Gericht allerdings widerspricht Verteidiger Johann Schwenn, da der Beamte Bland B. vor dieser Aussage nicht vollständig belehrt habe. Immer wieder hakt der Rechtsanwalt aus Hamburg ein, der im vergangenen Jahr mit der Verteidigung von Wettermoderator Jörg Kachelmann Aufsehen erregt hatte. Er verteidigt Bland B. auf Wunsch von dessen Familie – wie damals gemeinsam mit der Heidelberger Rechtsanwältin Andrea Combé.

© Mannheimer Morgen, Dienstag, 20.03.2012

http://www.morgenweb.de/mannheim/mannheim-stadt/gewalttat-als-eine-frage-der-ehre-1.509467

Die Fortsetzung zum Urteil findet sich hier:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/05/11/mannheim-und-kein-ende-feminismus-im-jugendamt-das-urteil/