Ein Sommer-Capriccio
Die schönste aller Prokrastinationen – die hatten wir hier schon mal –
sind zweifellos Urlaubstage. Und wenn sich sogar in Deutschland einmal der Hochsommer einstellt, dann lockt das Meer sprich die naheliegende Ostsee. Wenn es so heiß ist, daß die Gedankenströme klebrig werden und gänzlich zu versiegen drohen, der Körper matt und matter wird, das Eis schon auf dem Weg vom Supermarkt zum heimischen Kühlschrank schmilzt, dann muß man einfach nach Warnemünde fahren.
Und war das wieder einmal schön: das kühle Naß –
und der zauberhafte Strand:
Fotos lügen nicht?
Weit gefehlt! Man muß nur den richtigen Ausschnitt wählen und ganz schnell abdrücken, bevor jemand durchs Bild latscht. Denn natürlich sah es am Wochenende dort ganz anders aus.
Hier das Meer:
Und hier der Strand:
Dort gab es dann einen richtigen Kulturschock (nein, nicht wegen des Menschengewimmels, das und nichts anderes hatte ich erwartet) –: kein einziger Strandkorb weit und breit. Stattdessen zeigte sich mal wieder der Trend zur Autarkie. Heutzutage bringt der Strandbesucher seinen eigenen Korb in Form eines bunten Nylon-Halb-Iglus mit, schließlich muß man sich vor Wind und Sonne zeitgemäß schützen, obwohl man doch gerade Strandurlaub macht, um Wind und Sonne zu genießen… Ich fand die Dinger praktisch, dienen sie doch als Orientierungspunkte bei der Suche nach dem eigenen Liegeplatz. Da tritt man den Gang ins Wasser ganz unbesorgt an, wenn man weiß, daß das altvertraute Handtuch zwischen dem orangefarbenen und dem blau-roten Halb-Iglu liegt.
Fatal nur, wenn der orangefarbene bei Rückkehr bereits abgebaut ist und eine massive Mehrheit blau-rote bevorzugt… Dann irrt man, mit vorgerecktem Kopf spähend, an der Wasserlinie umher und versucht krampfhaft, den Eindruck zu vermeiden, man sei voyeuristisch veranlagt (oder ein dummes Hühnchen ohne Orientierungssinn – man will ja keine Geschlechterstereotype verfestigen).
Ein entschiedener Vorzug des mobilen Strandkorbs ist das große Kino, das mitunter bei dessen Abbau gegeben wird.
Drei Frauen: eine studiert die Gebrauchsanweisung und weist die anderen beiden ein. Diese klappen das flexible Teil ein und um, verdrehen es zu Achten, schütteln Sand heraus, ein Windstoß bläst die fragile Konstruktion wieder auseinander, alles beginnt von vorne – eine saukomische Choreographie, ein Menuett der Vergeblichkeit. Nach fünfzehn Minuten ist ein etwas sperriger kreisrunder widerspenstiger Gegenstand geformt, der aber immer noch doppelt so groß ist wie die Hülle mit dem praktischen Tragegriff, in die er hineinsoll. Die drei Frauen beschließen, eine benachbarte Halb-Iglu-Bewohner-Familie um Rat zu fragen. Der Familienvater verweist auf seine Ehefrau: die kenne sich damit besser aus. Nun beginnt das Ballett erneut, weitaus harmonischer als zuvor, denn nun mühen sich gleich vier Grazien ab. Und obwohl die Angelegenheit jetzt irgendwie zielstrebiger aussieht, dauert es dann doch noch fünf Minuten, bis das Teil dergestalt in die Tragetasche verfrachtet ist, daß der Reißverschluß noch funktioniert.
Es gibt aber noch ein anderes neuzeitliches Strandkorb-Modell, dessen Abbau ein gegerbtes Naturfreund-Ehepaar in mustergültigem Zusammenspiel in Null-Komma-Nichts bewältigte: Sie zupfte rhythmisch den Nylonstoff von den Stangen und faltete ihn zu einem ordentlichen Päckchen, während Er die zusammengesteckten Stangen auseinandernahm und die handlichen Teilstäbchen ordentlich bündelte und verschnürte. Zeitgleich beendete das Paar seine Tätigkeit, Sie hielt ihm die erstaunlich kleine Tragetasche hin, Er verstaute das ordentliche Bündel und das ordentliche Päckchen, woraufhin Sie den Reißverschluß zuzog. Ein eingespieltes Team, eine fast militärisch anmutende Präzision der Vorführung. Wurde hier mehr als der Abbau des modernen Strandkorbs vorgeführt? War das hier eine Schlüsselszene, die das Geheimnis einer gelungenen Ehe offenbarte?
Aber ach, es ist viel zu heiß zum Denken. Man liegt und fühlt und schaut und es denkelt nur noch zusammenhanglos & unsinnig vor sich hin, das Gehirn.
Der alte Schopi hatte schon recht, als er die Frauen das ›kurzbeinige Geschlecht‹ nannte.
Menschen mit Ganzkörper-Tatoos können eigentlich nur uni-Bademoden tragen, möglichst helle oder schockfarbene, sonst sieht man nicht, wo die Bekleidung anfängt und die Tätowierung aufhört.
Kein Körper gleicht dem anderen, und kaum einer dem Ideal. Entweder findet man sie alle schön oder alle häßlich. Und wie ist es nur möglich, daß es einheitliche medizinische Standards für so unterschiedliche Gebilde gibt?
Was das Meer und der Himmel alles schon gesehen haben und noch sehen werden.
Kinder haben es gut. Die vergleichen nur, wer von ihnen den besten Handstand hinbekommt.
Die riesige Möwe heute auf der Frühstücksterrasse, die sich ein ganzes Brötchen reinwürgte wie eine Boa constrictor ein Kaninchen. Fast hätte sie sich den Schnabel ausgerenkt oder wäre vor Gier erstickt.
Die zartgliedrige Maid nebenan, die sich oben ohne sonnte: keiner guckte hin. Aber als die junge afrikanische Frau, Typ Mammy, schwarzer Bikini, majestätisch-graziös, in unbeschreiblichem Stolz und unglaublicher Würde den Strand entlangschritt, zog sie die Blicke auf sich. Erotik hat nichts mit Schlankheit zu tun. Auch Masse kann schweben.
Ist noch Wasser in der Flasche? Warum sehe ich schon wieder so paniert aus?
Wie schön, nichts machen und nichts denken zu müssen… Da fällt mir ein, daß die Regierung in Gestalt unserer wackeren Verbraucherschützerin Frau Ilse Aigner ein Ampelsystem für Klamotten einführen sollte. Kombiniere nie eine zitronengelbe Hose mit blaurotorange-kariertem Hemd. Ein No-go für Leptosome: die geräumigen Bermuda-Shorts mit dem tiefhängenden Hosenboden. Quergestreiftes ab Größe 48 darf nicht einmal mehr produziert werden – der Verbraucher muß vor eigenschädigenden ästhetischen Mißgriffen ganz unbedingt geschützt werden. Dafür ist eine Regierung schließlich da. Tiefstrote Ampel für die Sandalensocke, kombiniert mit einem akustisch vernehmbaren Sockenschuß, wenn sie ins unpassende Schuhwerk gezwungen werden soll.
Hahaha, die Frau, die den Iglu-Abbau erklärt hat, braucht jetzt auch zehn Minuten, um das störrische Ding zusammenzufalten…
Kinners, war das wieder toll am Strand! Wenn ich in zehn Jahren noch mal vorbeischaue, karrt wohl jeder zweite schon sein eigenes Dixi-Klo heran.
Und auch spät abends, nach einem leichten Mahl und einem leichten Rosé, (schon lange keinen Rosé mehr getrunken: erst als die Dame am Nachbartisch fragte, wo denn ihr Riesling bleibe, fiel’s mir wie Schuppen von den nachtblinden Augen…) hält die Leichtigkeit des Seins an. Daß Häuser schwimmen können…
P.S.
Nicht mal als Strandlektüre hätte sich der Steinfeld-Krimi ›Der Sturm‹ geeignet, wäre er an jenem Warnemünde-Wochenende bereits im Handel erhältlich gewesen. O.K., wer sich bei Thomas Wörtche die Rezension eines deutschen Krimis (oder auch nur die Besprechung über einen, der gelesen werden will) bestellt, weiß, daß er einen Verriß aquiriert – das war also kulturbetriebsinterne quantité négligeable –
Mit Kriminalliteratur auf der Höhe der Zeit hat der Roman so wenig zu tun wie ein Ritterschmöker à la „Die Wanderhure“ mit der Artus-Epik. „Der Sturm“ versucht, tagespolitische Themen mit der biedersten kriminalliterarischen Ästhetik zu verhandeln. Das war auch die Achilles-Ferse der Wallander-Romane – insofern wäre die ursprüngliche Schweden-Fiktion schon sinnvoll gewesen. Das Getöse um das Buch ist ein anderes Thema.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1844300/
Aber auch Gerrit Bartels im TAGESSPIEGEL meint, daß das Buch weder als Krimi noch als Schlüsselroman taugt:
So ließe sich jetzt noch die eine oder andere Beschreibung von Meier zitieren – trotzdem bleibt er als Figur blass. Ronny Gustavsson sagt zwar einmal, dass ihn das Opfer mehr interessiere als der Täter. Nach Klärung der Opferidentität ist das aber eine reine Behauptung: Meier spielt im Folgenden keine Rolle mehr, sein Umfeld, sein Tun, all das, was in einem klassischen „Whodunnit“-Krimi von Bedeutung wäre.
Ansonsten ist „Der Sturm“ eine solide Genrearbeit geworden, gerade in den ersten zwei Dritteln. Eine schnelle Kapitelabfolge, viel schwedisches Lokalkolorit, ein kluger, sympathischer, in Liebes- wie Berufsdingen aber gescheiterter und alles andere als ermittelnder Reporter als Hauptfigur, ein weiterer Toter, New York und Berlin als Nebenschauplätze.
[…]
Der Wintersturm, der Schonen dann heimsucht und die Existenz schwedischer Bauern und Waldbesitzer bedroht, ist die etwas dick aufgetragene Metapher für diese heftig in Bewegung geratene Welt. Der Sturm fördert schließlich auch den BMW des Mordopfers zutage, auf dass Steinfeld/Winkler eine unspektakuläre, mäßig interessante Auflösung ihrer Geschichte präsentieren können.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/der-dax-und-die-dachse/7037320.html
Ach, wie war mir das alles am Strand von Warnemünde Hekuba – Sonne, Meer und Wind: das Existenzielle zählt.