Ukraine: Informationskrieg um MH 17 (1)

MH 17 TitelfotoFortsetzung von:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2014/08/17/ukraine-quo-vadis-ii/

Die Berichterstattung zur Ukraine-Krise krankt nicht nur an ihrer ideologischen Aufladung – Transatlantiker hier, Entspannungspolitiker dort –, mit der Fakten bewertet, entstellt oder auch weggelassen werden, wenn sie zur eigenen Sicht nicht recht passen wollen. Sie krankt auch daran, daß die Protagonisten der Krise lügen und deren Unwahrheiten von den Medien unkritisch als Fakten überliefert werden. Dies gilt insbesondere für Kiewer Falschdarstellungen und deren unfallfreien Transport durch westliche Medien.

Bis zum 22.9.2014 hat es gedauert, bis selbst die WELT einsah, daß (auch) die ukrainische Seite lügt wie gedruckt und die Pressefreiheit mißachtet…

http://www.welt.de/politik/ausland/article132448944/Kiews-zweifelhafter-Umgang-mit-der-Wahrheit.html

Am selben Tag dämmerte es auch dem SPIEGEL, daß man antirussische Regierungsfanfaren aus Kiew immer erst einmal überprüfen sollte, bevor man sie weitertrompetet:

22.9.2014

Facebook-Propaganda: Kiews Verteidigungsminister erntet Spott für Bericht über Atomschlag

Das war dann doch zu viel der Propaganda: Der ukrainische Verteidigungsminister behauptete, Luhansk sei von russischen Atomgranaten getroffen worden. Auch aus den eigenen Reihen musste er sich Belehrungen über Waffentechnik gefallen lassen.

[…]

http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-minister-erntet-spott-fuer-bericht-ueber-atomschlag-a-993149.html#ref=veeseoartikel

Die kritische Einordnung der absurden Äußerungen von Verteidigungsminister Geletey war in diesem Fall allerdings schon durch das ukrainische Innenministerium vorgenommen worden. RT berichtet nicht nur präziser über diesen Vorfall, sondern bringt auch die Vorgeschichte dieser regierungsinternen Auseinandersetzung:

If anything, the defense minister and the journalist, who misreported his words, have given ammo to critics of Ukraine, said Anton Gerashchenko, an aide to Interior Minister Arsen Avakov.

“Why would anyone make such statements that can be easily checked and proven false?” he wrote on his Facebook page. “In the end Russia and the entire world will now ridicule us. Too bad, it’s nothing new for us.”

The two Ukrainian ministries involved in the military campaign against rebel forces in the east have been trading accusations lately. The latest round of bickering this week came after Geletey said in an interview that “there were no real heroes” among the commanders of the Interior Ministry’s National Guard, who are now seeking seats in parliament. Avakov responded with a demand for an apology from his fellow minister.

http://rt.com/news/189420-ukraine-nuclear-strike-russia/

Wer sich für die ukrainischen Machtproben in Politik und Gesellschaft, zwischen Militär und Milizen, die zur Zeit inszeniert werden, interessiert, wird bei Lektüre des Poroschenko-Interviews vom 21.9.2014 feststellen, wie notwendig für diesen Prozeß die Behauptung ist, russische reguläre Truppen hätten die Kriegswende herbeigeführt:

http://euromaidanpress.com/2014/09/22/poroshenko-discusses-ilovaisk-and-ukraines-army/

Am unwürdigsten gestaltet sich dieses seit Monaten andauernde Gezerre um die Meinungs- und Faktenhoheit allerdings bei der Frage, wer und was hinter dem Abschuß der malaisischen Boeing MH 17 vom 17.7.2014 steckt. Sie ist bis heute ungeklärt – aber die sie begleitenden Lügen, Halbwahrheiten und Deutungen lassen sich doch auf eine so genaue Art und Weise nachverfolgen, daß dieses Bild schon aufschlußreich genug ist.

Der Abschuß dieses Flugzeugs, dem 298 Menschen zum Opfer fielen, war der „game-changer“, der die Sanktionsspirale des Westens gegenüber Rußland eröffnete. Die cui bono-Frage wäre damit beantwortet. Was nun allerdings Rußland mit dem tragischen Tod dieser Menschen zu tun hat? Das wußte auch der SPIEGEL nicht, als er am 28.7.2014 den Titel seiner Nummer 31/2014 mit roten Lettern „STOPPT PUTIN JETZT!“, unterlegt von zahlreichen unbefugt erlangten Fotos namentlich bezeichneter Opfer, im BILD-Stil aufpeppte. Zurecht wurde er für diese Aktion wegen politischer Instrumentalisierung der Opfer vom Presserat mit einer Mißbilligung bedacht.

http://meedia.de/2014/09/09/opferschutz-verletzt-presserat-missbilligt-u-a-spiegel-berichterstattung-zu-mh17/

Man muß kein „Putinversteher“ sein, um die Berechtigung dieser Anklage festzustellen:

19.09.2014

Russlands Botschafter bei den Vereinten Nationen (UN), Witali Tschurkin, hat die bisherigen Ermittlungen zum Flugzeugabsturz der malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine als „Informationskrieg“ bezeichnet. Tschurkin kritisierte, der russischen Regierung sowie den prorussischen Separatisten in der Ostukraine sei ohne jegliche Beweise vorgeworfen worden, in den Abschuss von Flug MH17 verwickelt gewesen zu sein. Vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York erklärte der Botschafter, eine transparente und objektive Untersuchung des Flugzeugabsturzes sei nur unter Beteiligung der UN möglich.

In dem vorläufigen Bericht der niederländischen Sicherheitsbehörde vom 9. September über die möglichen Gründe für den Absturz wird davon gesprochen, die Boeing 777 sei von mehreren „von mit großer Energie betriebenen Objekten“ getroffen worden und dann auseinander gebrochen. Das sei „nicht wirklich informativ“ erklärte Tschurkin.

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/nach-absturz-von-flug-mh17-russland-spricht-von-informationskrieg-13163379.html

Tatsächlich konnte man von einer Flugunfall-Untersuchung generell nicht viel erwarten, weil sie keine Schuldigen benennt, sondern den Zweck erfüllen soll, unfallvermeidende Konzepte für die Zukunft zu gestalten. Erschwerend kommt hinzu, daß dem Dutch Safety Board ersichtlich der Ermittlungseifer fehlte. Die Entscheidung des DSB – oder vielmehr der niederländischen Regierung – , nicht zugleich mit den Pathologen auch Unfallermittler und Chemiker zur Unfallstelle zu schicken, ist nicht nachvollziehbar:

21.8.2014

  1. Why has the Dutch Safety Board not yet visited the crash site?

The Dutch Safety Board was not abled to visit the crash site because the safety of the investigators could not be guaranteed. The Dutch government believes that people investigating the causes of the crash will be at greater risk than forensic investigators, next of kin or journalists. In this respect, the safety of others at the crash site is also being taken into account: the presence of Dutch Safety Board investigators must not put others in danger.

Moreover, recovering the victims‘ bodies and searching for personal belongings had top priority. The opportunities for visiting the crash site were limited, and priority was given to forensic investigators (and the supporting marechaussees).

http://www.onderzoeksraad.nl/en/onderzoek/2049/investigation-crash-mh17-17-july-2014/onderzoek/1559/questions-and-answers-concerning-the-investigation-into-flight-mh17#fasen

Von den Rebellen ging allerdings keinerlei Gefahr aus. Entgegen der sofort einsetzenden westlichen Propaganda waren sie von Anfang an kooperativ, klauten weder Teddybären noch Eheringe, und zu diesem Zeitpunkt hielt sich auch die ukrainische Armee noch mit Angriffen zurück, wie die zahlreiche Anwesenheit von Journalisten vor Ort eindrücklich belegt:

https://www.youtube.com/watch?v=JhjN3baw57M&feature=youtu.be

Auch die mehreren hundert freiwilligen Helfer des Katastrophenschutzamtes, die man wahlweise schalt, weil sie die Leichen zu früh bargen – Veränderung des Unfallorts! –, wahlweise, weil sie sie zu spät bargen – unwürdiger Umgang mit sterblichen Überresten! –, wurden von dem niederländischen Pathologen-Team ausdrücklich gelobt:

Dutch forensic team ‘impressed’ by work at MH17 crash site
21 July 2014 Last updated at 18:06 BST

The leader of a Dutch forensics team has said he was impressed with the work done at the site of the MH17 airliner crash in Ukraine.
Forensics expert Peter Van Vliet said: “I think they did a hell of a job in a hell of a place”.
Pro-Russian rebels have allowed bodies from the Malaysia Airlines plane crash to be taken to the city of Kharkiv.

http://www.bbc.com/news/world-europe-28405448

Überhaupt zeigte die malaysische Regierung ein größeres Aufklärungsinteresse als die niederländische, ließ sich von der Kiewer Regierung nicht abhalten und nahm direkte Verhandlungen mit der politischen Führung der Rebellen auf, die das unmittelbare Umfeld der Absturzstelle bei Hrabowe/Grawoba kontrollierten.

Tuesday, July 22, 12:45 AM GMT +0800 Prime Minister Najib Razak Statement on MH17 Agreement

[…]

Earlier this evening I spoke to Alexander Borodai, who is in command of the region where the tragedy occurred. We have agreed the following:

Firstly, the remains of 282 people, currently in Torez, will be moved by train to Kharkiv, where they will be handed over to representatives from the Netherlands. The train will depart this evening Ukraine time, and will be accompanied by six Malaysian members of the recovery team. The remains will then be flown to Amsterdam on board a Dutch C130 Hercules, together with the Malaysian team. Following any necessary forensic work, the remains of Malaysian citizens will then be flown home to Malaysia.

Secondly, at approximately 9pm tonight Ukraine time, the two black boxes will be handed over to a Malaysian team in Donetsk, who will take custody of them.

Thirdly, independent international investigators will be guaranteed safe access to the crash site to begin a full investigation of the incident.

I must stress that although agreement has been reached, there remain a number of steps required before it is completed.

There is work still to be done, work which relies on continued communication in good faith. Mr Borodai and his people have so far given their co-operation.

[…]

http://www.malaysiaairlines.com/mh17

So geschah es dann auch am 22.7.2014: Borodai übergab die black boxes (Flugdatenspeicher und Aufnahmen der letzten 30 Minuten der Cockpit-Gespräche) Vertretern der malaysischen Regierung.

Am 27.7.2014 erreichte die malaysische Regierung sogar folgendes Abkommen mit der politischen Führung der Separatisten:

Sunday, July 27, 05:33 PM GMT +0800 MALAYSIA SECURES AGREEMENT FOR INTERNATIONAL POLICE DEPLOYMENT TO MH17 CRASH SITE

[…]

Malaysia has secured an agreement with Ukrainian separatists, who control the area around the MH17 crash site, to allow a group of international police personnel to enter the area in order to provide protection for international crash investigators.

Pursuant to the earlier agreement between Prime Minister Najib Razak and Alexander Borodai, leader of the separatist forces, Mr Borodai today agreed to allow a deployment of international police personnel to enter the crash site.

Prime Minister Najib has today spoken to the prime ministers of the Netherlands and Australia, and the three grieving countries have agreed to work closely together in deploying police personnel.

68 Malaysian police personnel will leave Kuala Lumpur for the crash site on Wednesday as part of the international deployment.

Under the original three point agreement brokered between Prime Minister Najib and Mr Borodai last week, the Ukrainian separatists agreed to:
transfer the black boxes to Malaysia;
handover the human remains to international officials;
and grant full access to the crash site for international investigators.

So far, international air crash investigators have been unable to properly deploy across the vast crash site in eastern Ukraine and collect evidence due to ongoing security concerns, including continued military activity. Malaysia calls for an immediate cessation of all military activities in and around the crash site.

[…]

http://www.malaysiaairlines.com/mh17

Die erfolgreichen Exklusiv-Verhandlungen zwischen der malaysischen Regierung und den „Terroristen“ konnte die Regierung in Kiew als Signal einer „internationalen“ Anerkennung der selbsternannten Volksrepublik Donezk nicht dulden. Zwar war sie durch das Versprechen Poroschenkos gebunden, in einer 40 km-Zone rund um das Absturzgebiet nicht militärisch vorzugehen; zudem gab es die UNO-Resolution des Sicherheitsrates 2166 (2014) vom 21.7.2014, die in Ziff. 7 Folgendes niederlegte:

7.

verlangt, dass alle militärischen Aktivitäten, einschließlich derjenigen bewaffneter Gruppen, in der unmittelbaren Umgebung der Absturzstelle sofort eingestellt werden, damit die Sicherheit der internationalen Untersuchung gewährleistet werden kann;

http://www.un.org/Depts/german/sr/sr_14/sr2166.pdf

Das kümmerte die Regierung in Kiew nicht weiter. Zeitgleich mit der malaysischen Vereinbarung machte sie jegliche weitere Untersuchung des Absturzortes zunichte.

Gefechte rund um MH17-Absturzstelle

Internationale Experten haben den Besuch der Absturzstelle von Flug MH17 abgesagt. In dem Gebiet in der Ostukraine brachen Panzergefechte zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Rebellen aus.

27.07.2014

Die internationalen Bemühungen um Zugang zur Absturzstelle vom Flug MH17 in der Ostukraine haben einen schweren Rückschlag erlitten. Zwar erreichten die Niederlande und Malaysia Absprachen mit den prorussischen Separatisten, Experten an die Unglücksstelle zu lassen. Doch am Sonntag brachen dort heftige Panzergefechte aus. Die ukrainische Armee versuchte nach Angaben aus Kiew, die Absturzstelle der malaysischen Boeing 777-200 bei Grabowo von den Aufständischen zu erobern.

[…]

Die bislang geborgenen Toten waren in einer Luftbrücke bis Samstag [26.7.2014] nach Eindhoven ausgeflogen worden. Ein erstes Opfer, ein Mann aus den Niederlanden, konnte gerichtsmedizinisch identifiziert werden.

[…]

Die ukrainischen Truppen wollten „das Absturzgebiet der Boeing 777 von Terroristen befreien, um internationalen Experten Sicherheit zu garantieren und die Möglichkeit für ihre Untersuchungen“. Das sagte der Sprecher des Sicherheitsrates, Andrej Lyssenko, in Kiew nach Angaben der Agentur Interfax. In den Tagen vorher hatte Präsident Petro Poroschenko eine Waffenruhe im Umkreis von 40 Kilometern um die Unglücksstelle zugesagt.

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/ostukraine-gefechte-rund-um-mh17-absturzstelle-13067171.html

Halten wir als erstes Zwischenergebnis fest: es waren nicht die Rebellen, die eine Untersuchung der Unfallstelle verhindert haben. Es war die niederländische Regierung, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen meinte, sie könne zwar Pathologen, aber keine Unfallexperten und Chemiker zur Unfallstelle entsenden. Es waren Kiew-unabhängige Direkt-Verhandlungen der malaysischen Regierung, die dazu führten, daß die politische Vertretung der Rebellen ihr die innerlich unversehrten und unmanipulierten black boxes übergab. Es war die Kiewer Regierung, die ab dem 27.7.2014 unter Verstoß gegen ein Poroschenko-Versprechen und gegen eine UNO-Resolution militärisch eingriff und eine weitere Untersuchung verhinderte. Dies setzte sich trotz des (brüchigen) Waffenstillstands vom 5.9.2014 fort. Hier ein Bericht der OSZE, die am 14.9.2014 wegen Beschusses von beiden Seiten vergeblich versuchte, die Absturzstelle zu erreichen.

Spot report by the OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine (SMM), 15 September 2014: Monitoring to the east of Donetsk, SMM patrol vehicles hit by fire

DONETSK 15 September 2014

SUMMARY

On 14 September the SMM monitored the situation and adherence to Minsk Protocol provisions in the areas east of Donetsk city. These areas have not been regularly patrolled by the SMM since the signing of the Protocol; breaches of the Protocol in these areas have been reported to the SMM.  The SMM covered the areas of the H21 road after Shakhtarsk (60 km to the east of Donetsk), Torez (69 km east of Donetsk) and the route northwards towards Debaltseve (70 km north-east of Donetsk), a strategic area which had been subject to intense fighting prior to the signing of the Protocol. The SMM also carried out an on-site assessment in the area of the MH17 crash site, upon request of the Dutch, Australian and Malaysian authorities. The patrol vehicles were damaged by artillery or mortar fire at 18:37. The team left the area in the remaining useable vehicle and returned to Donetsk city at 00:32 hrs today.

[…]

http://www.osce.org/ukraine-smm/123587

Von dem vorläufigen Bericht des Dutch Safety Board war schon deshalb nicht viel zu erwarten, weil es in einem Artikel der unverdächtigen SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG – die wegen Verdruß ob der kritischen Leser-Kommentare zu ihrer Ukraine-Berichterstattung ihren Kommentarbereich komplett schloß, während die FAZ lediglich Kommentierungen ihrer Ukraine-Artikel unterband – vom 3.9.2014 hieß:

Mittwoch, 03.09.2014

Immer mehr Rätsel um Flug MH17

Die bisherige Theorie über den Abschuss ist nicht belegt – und die Zweifel an der Unabhängigkeit der Ermittler wachsen.

Von Detlef Drewes, SZ-Korrespondent in Den Haag

[…]

Inzwischen diskutiert die niederländische Öffentlichkeit heftig über eine kleine Nachricht der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft, die zunächst lange unbeachtet geblieben war. Schon im August hatte deren Sprecher nämlich betont, „die Ergebnisse der Ermittlungen werden nach Abschluss sowie nach Zustimmung aller Parteien, die an der Untersuchung beteiligt sind, bekannt gegeben.“ Dies sind neben den Niederländern auch Belgier, Australier und die Ukraine – erstaunlicherweise aber nicht die malaysische Seite. Die Vorstellung, dass man sich nicht auf die Preisgabe aller Details verständigen könnte, „macht mich rasend und wütend“, sagte gestern ein Angehöriger der Opfer in Den Haag gegenüber der SZ.

[…]

http://www.sz-online.de/nachrichten/immer-mehr-raetsel-um-flug-mh17-2919260.html

Um die Angehörigen der Opfer geht es natürlich nicht – diese Untersuchung ist politisch kontaminiert. Es wird die Angehörigen auch nicht trösten, daß die berichtete Vereinbarung vom 8.8.2014 sich nicht auf die Flugunfall-Untersuchung, sondern auf die parallel laufenden strafrechtlichen Ermittlungen bezieht. Daß die Ukraine als potentielle Beschuldigte hier ein Mitspracherecht hat, was die Veröffentlichung von Ergebnissen angeht, ist schlicht ein Unding und kann nicht rechtlich, sondern nur politisch begründet werden.

Unter diesen Prämissen war es nicht überraschend, daß der vorläufige Bericht des DSB vom 9.9.2014 sich im Ergebnis auf das Minimum beschränkte, nämlich zu konstatieren:

Based on the preliminary findings to date, no indications of any technical or operational issues were found with the aircraft or crew prior to the ending of the CVR and FDR recording at 13.20:03 hrs.

The damage observed in the forward section of the aircraft appears to indicate that the aircraft was penetrated by a large number of high-energy objects from outside the aircraft. It is likely that this damage resulted in a loss of structural integrity of the aircraft, leading to an in-flight break up.

http://www.onderzoeksraad.nl/uploads/phase-docs/701/b3923acad0ceprem-rapport-mh-17-en-interactief.pdf

[S. 30]

Das wußte man von Anfang an. „Hochenergie-Objekte“ – pfft. Abstrakter als mit diesem Kunstbegriff kann man es nicht ausdrücken. Als ob das DSB nicht wüßte, daß es der Öffentlichkeit darauf ankommt, ob ein Buk-Beschuß mittels Boden-Luft-Rakete vorliegt (dann ist die Frage offen, ob es sich um eine von ukrainischem Militär oder von Separatisten benutzte Waffe handelt) oder alternativ um Beschuß durch ein Kampfflugzeug (mittels Bordkanone und/oder Luft-Luft-Rakete). In diesem schlimmsten anzunehmenden Fall wäre die ukrainische Armee schuldig, wobei ein Versehen nicht unterstellt werden könnte.

Im Grunde könnte die Flugunfall-Untersuchung hier Schluß machen und sich auf die Aufgabe konzentrieren, wie zukünftig Kriegsereignisse durch verbesserte Überflug-Regelungen als Unfallursache ausgeschlossen werden können.

Man darf allerdings nicht annehmen, daß die untersuchenden Fachleute Technokraten seien, die in stiller Einfalt im Auge des Hurrikans der politischen und medialen Verwirbelungen ihre rein technischen Überprüfungen veranstalten. Die Berichtsverfasser jedenfalls haben sich als ausgefuchste Politiker erwiesen: dieses so sachlich daherkommende vorläufige Ergebnis, abgestimmt zwischen allen teilnehmenden Staaten, ist ein diplomatisch feinziseliertes Papier. Es ist ein Mosaikstück im Informationskrieg rund um den MH 17-Abschuß.

War es dieses erwartbare Ergebnis, das die  Bundesregierung davon abhielt, offizieller Teilnehmer dieser Untersuchung zu werden, obwohl doch vier der getöteten Menschen deutsche Staatsangehörige waren, mithin ein Teilnahmerecht existierte?

Die USA wurden wegen ihrer Eigenschaft als Staat der Boeing-Konstrukteure Teilnehmer der Untersuchung. Ob sie irgendetwas zur Aufklärung beigesteuert haben, wird in dem Bericht nicht mitgeteilt. Man muß schon zwischen den Zeilen lesen, um zu erfahren, daß sie nichts geliefert haben.

The investigation is making use of a wide range of information, including:

[…]

satellite imagery taken in the days after the occurrence;

http://www.onderzoeksraad.nl/uploads/phase-docs/701/b3923acad0ceprem-rapport-mh-17-en-interactief.pdf

[S. 9]

Satellitenbilder aus den USA, aufgenommen kurz vor oder während des Abschusses, lagen demnach nicht vor.

Das konnte man schon ahnen, als man Marie Harf, stv. Sprecherin des Außenministeriums der USA, lauschte, wie sie um den heißen Brei herumredete:

Marie Harf
Deputy Spokesperson
Daily Press Briefing
Washington, DC
July 21, 2014
[…]

QUESTION: Is all – really? Ganging up, huh? (Laughter.)
I just want to make sure – so you’re saying that the information that the Secretary – that James just went through – the imagery, all that kind – that this is stuff that you’re going to provide to the investigators?

HARF: I did not say that, Matt.

QUESTION: Oh.

HARF: I said that we endeavor to make as much public as we can.

QUESTION: But whether or not it’s made public, you will give them to the investigation team, right?

HARF: Well, the Dutch is leading the investigation. We’re obviously a part of it, as are other countries as well. I don’t have anything to preview for what we’ll provide to them, but we’ve said we’ll cooperate as much as we can.

http://www.state.gov/r/pa/prs/dpb/2014/07/229550.htm#UKRAINE

Einen Tag später, nach einem Geheimdienst-Briefing vor auserwählten Journalisten, erfuhr man, daß die USA offiziell nicht die geringsten Beweise hatten, dennoch dieses und jenes schlicht „glaubten“:

U.S. officials believe attack against Malaysian plane was mistake

By Brian Bennett

July 22, 2014, 2:45 PM REPORTING FROM RUSSIA

American intelligence agencies believe Ukrainian separatists shot down a Malaysia Airlines passenger jet by mistake, possibly by misreading fuzzy radar images on a sophisticated surface-to-air missile launcher provided by Russia, senior U.S. intelligence officials said Tuesday.

[…]

The launcher that U.S. officials believe fired the SA-11 heat-seeking missile used a rudimentary radar system that gives an incomplete picture of what is flying above, officials said. Such antiaircraft systems are designed to be linked to other radar that would allow the crew on the ground to distinguish between military and civilian aircraft.

Because separatists did not have secondary radar images available, they probably mistook the airliner for a Ukrainian military plane, the officials said.

The missile that took down the jetliner was probably fired by an „ill-trained crew,“ said one U.S. official who requested anonymity because he was not authorized to speak publicly on the issue. „It does appear to be a mistake.“

[…]

U.S. officials have not released evidence proving that Russia’s military played a direct role in the downing of the jet or in training separatists to use the SA-11 missile system.

[…]

Since the crash, Russia has increased the movement of military hardware into eastern Ukraine, officials said. On Tuesday morning, U.S. intelligence agencies confirmed that about 20 tanks and armored vehicles crossed Russia into eastern Ukraine.

The Russian government is also training separatists on a „gigantic“ military base near the southwestern town of Rostov, officials said. Officials shared satellite images of the base that showed a large buildup of vehicles between June and mid-July. One image was dated June 19 and the other image, which showed dozens of rows of additional vehicles, was dated July 21.

Tanks and infantry fighting vehicles from Russia have been driven into the area around Luhansk in eastern Ukraine in the last week, officials said.

[…]

U.S. intelligence agencies have so far been unable to determine the nationalities or identities of the crew that launched the missile. U.S. officials said it was possible the SA-11 was launched by a defector from the Ukrainian military who was trained to use similar missile systems.

[…]

http://www.latimes.com/world/europe/la-fg-ukraine-intelligence-us-20140722-story.html

Da Buk-Raketen nicht hitzesuchend, sondern radargeleitet sind, dürfte es sich hier um einen journalistischen Fehler handeln. Es ist zu konstatieren, daß der Geheimdienst weder einen Buk-Transport aus Rußland in die Ostukraine behauptet noch gar weiß, welche Seite die Rakete abgefeuert hat. Ein versehentlicher Abschuß wird daraus hergeleitet, daß ohne den Betrieb einer kompletten Buk-Batterie, bestehend aus dem Radarfahrzeug „Kupol“, der Kommando-Zentrale, die die Zielerfassung vornimmt und verfolgt sowie die Daten an die Abschußrampe weitergibt, und den Abschußrampen mit ihrem bloßen Feuerleitradar, ein Abschuß schwierig bis unmöglich ist.

Und was mag die Grundlage für die Annahme sein, daß ein übergelaufener ukrainischer Soldat die nahezu zielerfassungsunfähige Buk-Abschußrampe bedient haben könnte? Weil selbst die Radar-Einrichtung der Abschußrampe ausgesprochen kompliziert zu bedienen ist?

Hier ein „Werbefilm“ über Buk-Batterien, der einen Einblick in die komplizierte Radartechnik ermöglicht – ich empfehle, vor Anklicken des YouTube-Films den Ton abzustellen:

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=mBlU2hHYJMg

Noch deutlicher wird AP, die ebenfalls vom Geheimdienst gebrieft wurde:

U.S.: No evidence of Russian government in plane downing

BY Ken Dilanian, Associated Press  July 22, 2014 at 5:09 PM EDT

 

Senior U.S. intelligence officials said Tuesday that Russia was responsible for “creating the conditions” that led to the shooting down of Malaysia Airlines Flight 17, but they offered no evidence of direct Russian government involvement.

[…]

But the officials said they did not know who fired the missile or whether any Russian operatives were present at the missile launch. They were not certain that the missile crew was trained in Russia, although they described a stepped-up campaign in recent weeks by Russia to arm and train the rebels, which they say has continued even after the downing of the commercial jetliner.

In terms of who fired the missile, “we don’t know a name, we don’t know a rank and we’re not even 100 percent sure of a nationality,” one official said, adding at another point, “There is not going to be a Perry Mason moment here.”

The officials said the most likely explanation for why the plane was shot down is that the rebels made a mistake. Separatists previously had shot down 12 Ukrainian military airplanes, the officials said.

The officials made clear they were relying in part on social media postings and videos made public in recent days by the Ukrainian government, even though they have not been able to authenticate all of it. For example, they cited a video of a missile launcher said to have been crossing the Russian border after the launch, appearing to be missing a missile.

But later, under questioning, the officials acknowledged they had not yet verified that the video was exactly what it purported to be.

[…]

http://www.pbs.org/newshour/rundown/us-evidence-direct-russian-link-plane/

Es kann natürlich auch einen anderen Grund haben, daß die USA ihre Satellitenbilder dem Dutch Safety Board nicht übergeben haben: weil darauf etwas zu sehen war, was nicht zu sehen sein soll. Der investigative Journalist Robert Parry berichtet von Mitteilungen einer Quelle:

What Did US Spy Satellites See in Ukraine?
July 20, 2014

Exclusive: The U.S. media’s Ukraine bias has been obvious, siding with the Kiev regime and bashing ethnic Russian rebels and Russia’s President Putin. But now – with the scramble to blame Putin for the Malaysia Airlines shoot-down – the shoddy journalism has grown truly dangerous, says Robert Parry.

By Robert Parry

[…]

What I’ve been told by one source, who has provided accurate information on similar matters in the past, is that U.S. intelligence agencies do have detailed satellite images of the likely missile battery that launched the fateful missile, but the battery appears to have been under the control of Ukrainian government troops dressed in what look like Ukrainian uniforms.

The source said CIA analysts were still not ruling out the possibility that the troops were actually eastern Ukrainian rebels in similar uniforms but the initial assessment was that the troops were Ukrainian soldiers. There also was the suggestion that the soldiers involved were undisciplined and possibly drunk, since the imagery showed what looked like beer bottles scattered around the site, the source said.
[…]
http://consortiumnews.com/2014/07/20/what-did-us-spy-satellites-see-in-ukraine/

Betrunkene ukrainische Soldaten einer kompletten Buk-Batterie kontra einen nüchternen ukrainischen Überläufer, der in der Lage ist, ein 900 km/h schnelles Objekt in einer Höhe von 10 km mit einem Feuerleitradar zu finden, der über eine Reichweite von 35 km nicht hinausgeht…

Auch die russische Seite hat ihre am 21.7.2014 öffentlich vorgeführten Satellitenfotos nicht abgeliefert, dafür allerdings die Aufzeichnungen ihres Primary Radar der Flugsicherung von Rostow-am-Don: dieser ist dem Sekundär-Radar der ukrainischen Flugsicherung von Dnipropetrowsk dahingehend überlegen, daß er auch Objekte erfassen kann, die lediglich reflektieren, und nicht nur mittels Transponder-Signalen und sonstigen zivilen Flugzeug-Datensendungen auf dem Radar erscheinen.

Dem Dutch Safety Board war bekannt, daß Rußland auf seinem der Ukraine nicht zur Verfügung stehenden Primary Radar ein Militärflugzeug aufgefallen war.

Als einziges vorläufiges Auswertungsergebnis präsentiert der Untersuchungsbericht dann aber nur die grundstürzende Erkenntnis, daß der Flug MH 17 sowohl auf dem ukrainischen wie auch auf dem russischen Radar mit „B 777-200“ auf der Höhe FL330 (33.000 Fuß, ca. 10 km) gekennzeichnet sei.

2.5.1
ATC surveillance data

For this investigation ATC surveillance data was obtained from both Ukraine (UkSATSE) and the Russian Federation. The data obtained was the following:
•Primary surveillance radar recorded by the Russian surveillance aids
•Secondary surveillance radar (SSR / Mode S)6
•Automatic Dependant Surveillance – Broadcast (ADS-B)7ground based reception.

Preliminary information shows that Ukrainian and Russian ATC surveillance radar identified flight MH17 as a B777-200 at FL330. Analyses of recorded ATC surveillance data is ongoing.

[…]
2.5.3
Other traffic

According to information received from the NBAAI, recorded ATC surveillance information revealed that three other commercial airliners overflew the same restricted airspace as flight MH17 around the time of the occurrence. Two of those aircraft were cruising eastbound and one was cruising westbound. All were under control of Dnipro Radar. At 13.20 hrs the distance between MH17 and the closest of the three aircraft was approximately 30 kilometres. Analyses is ongoing.

Klicke, um auf b3923acad0ceprem-rapport-mh-17-en-interactief.pdf zuzugreifen

[S. 14]

Das überlegene russische Radar-Material, das allein hätte die Anwesenheit von Militärmaschinen beweisen können, wurde demnach monatelang vernachlässigt. Bei der Detektion weiterer drei ziviler Maschinen im Luftraum, die auch durch das russische Material belegt war, bezieht sich der Bericht allein auf Informationen durch „NBAAI“.

Letzteres Kürzel repräsentiert nichts anderes als:

the National Bureau of Air Accident Investigation of Ukraine (NBAAI)

http://www.onderzoeksraad.nl/uploads/phase-docs/701/b3923acad0ceprem-rapport-mh-17-en-interactief.pdf

[S. 7]

Hat sich tatsächlich niemand das russische Radarmaterial angesehen? Oder sollte mit diesem vorläufigen Ergebnis der Eindruck hervorgerufen werden, daß sich ausschließlich die drei weiteren bekannten Zivilmaschinen im benachbarten Luftraum bewegt hätten?

Aktuell fordert die russische Seite Folgendes:

Boeing-Absturz: Russland fordert Offenlegung der Flüge ukrainischer Kampfjets

MOSKAU, 25. September (RIA Novosti).

Nach dem Absturz des malaysischen Verkehrsflugzeuges in der Ukraine fordert Russland, den Flugplan der ukrainischen Luftwaffe am Tag der Katastrophe offenzulegen. Die Luftfahrtbehörde Rosaviazia hat an die zuständige internationale Ermittlungskommission einen entsprechenden Brief gerichtet.

Darin werden die Ermittler aufgefordert, die Flüge der ukrainischen Militärflugzeuge  am 17. Juli im Kampfgebiet im Osten des Landes zu analysieren, die Betriebsfähigkeit der ukrainischen Radare zu überprüfen sowie die entsprechenden Kontrolldaten der ukrainischen Luftverteidigung auszuwerten.

[…]

http://de.ria.ru/society/20140925/269642095.html

Eine Forderung, der sich das DSB unter Hinweis darauf, daß es zur Ermittlung von Schuldigen nicht zuständig sei, entziehen könnte.

Zweifel wirft auch diese Passage auf [Hervorhebungen von mir]:

History of the flight

On 17 July 2014, a Malaysia Airlines Boeing 777-2H6ER operating as flight MH17, departed Amsterdam Airport Schiphol in the Netherlands at 10.31 hrs on a scheduled passenger flight to Kuala Lumpur International Airport in Malaysia. Malaysia Airlines had determined and filed the flight plan for flight MH17, which was approved by all involved air traffic control centres for their concerned regions. According to the flight plan, flight MH17 would initially fly at Flight Level 330 (FL330)5 above Ukraine until the waypoint PEKIT, which is on the Flight Information Region (FIR) boundary between Kiev FIR (UKBV) and Dnipropetrovs’k FIR (UKDV). From waypoint PEKIT the flight plan indicates FL350 for the remaining part over Ukraine.

According to ATC data, at 12.53 hrs the aircraft was flying within the Dnipropetrovs’k FIR, Control Sector 2, at FL330, controlled by Dnipro Control. At that time, Dnipro Control asked whether MH17 was able to climb to FL350 in accordance with the flight plan of MH17 and also to clear a potential separation conflict with other traffic in the area, another Boeing 777 flying at FL330 and approaching from behind.

The crew replied they were unable to comply and requested to maintain at FL330.This was agreed by Dnipro Control. As an alternative to solve the separation conflict, the other traffic climbed to FL350.

According to ATC data, at 13.00 hrs the crew of flight MH17 requested to divert the track 20 NM to the left, due to weather. This also was agreed by Dnipro Control, after which the crew requested whether FL340 was available.
Dnipro control informed MH17 that FL340 was not available at that moment and instructed the flight to maintain FL330 for a while
. At 13.07 hrs the flight was transferred to Dnipropetrovs’k CTA 4, also with call sign Dnipro Control.

http://www.onderzoeksraad.nl/uploads/phase-docs/701/b3923acad0ceprem-rapport-mh-17-en-interactief.pdf

[SW. 11]

Nichts von alldem hat das DSB anhand der von Kiew übermittelten Daten dokumentiert. Die Wiedergabe der Gespräche zwischen Cockpit und Flugsicherung setzt erst um 13:08 ein. Man soll wohl einfach glauben, was da erklärt wird. Warum weigert sich MH 17, auf 35.000 Fuß zu steigen, wenn es der hinter ihr fliegenden Maschine problemlos möglich ist? Wieso bittet es nach der nördlichen Abweichung von der Flugroute wegen Witterungsbedingungen zwischen 13 Uhr und 13:08, auf 34.000 Fuß zu steigen, wenn doch bekannt ist, daß Maschinen mit östlicher Richtung grundsätzlich auf ungeraden Flight Levels unterwegs sind?

2.4.2
Standard flight levels

For IFR air traffic the general principle of standard flight levels apply: odd thousands of feet (flight levels 310, 330, 350) when on an magnetic track of 0º through 179º degrees and even thousands of feet (flight levels 300, 320, 340) when on a magnetic track of 180º through 359º. Other flight levels may be available by ATC clearance.
For flight MH17, following route L980 on an eastbound track, it was kept to the odd standard flight levels as depicted in its flight plan for this part of its routing: FL330 and FL350.

http://www.onderzoeksraad.nl/uploads/phase-docs/701/b3923acad0ceprem-rapport-mh-17-en-interactief.pdf

[S. 13]

Und welcher weitere Flugverkehr verhinderte eine individuelle Freigabe von FL340?

Die Darstellung auf S. 12, für die auf unzulängliches ukrainisches Material zurückgegriffen wurde (es zeigt nicht die weiteren beabsichtigten Routen der drei weiteren im Luftraum anwesenden zivilen Flugzeuge), deutet auf keine Kollisions-Probleme hin. Bezeichnend, daß hier allein auf die ukrainische Flugsicherungs-Quelle zurückgegriffen wurde. Und die wich dann auch noch von der Berichts-Behauptung ab, daß die Radaraufzeichnungen der Ukraine wie auch Rußlands für den MH 17 Flug dieselbe Bezeichnung gewählt hätten.

DSB S.12Zum Vergleich die Version, die das russische Verteidigungsministerium vorhält:

Verteid.Min Originalhttp://stat.multimedia.mil.ru/multimedia/photo/gallery.htm?id=17402@cmsPhotoGallery

Daß diese Visualisierung der Radaraufzeichnungen aussagekräftiger ist als die der ukrainischen Seite, leuchtet unmittelbar ein. Neben dem nicht-zivilen Flieger Nr. 3505 finden sich Routen von zivilen Flugzeugen nebst Markierung von deren Standorten um 17:20 Uhr Moskauer Zeit = 16:20 Ortszeit = 13:20 UTC, die dem niederländischen Bericht zugrundeliegt – dies war der Zeitpunkt, als nach dem niederländischen Bericht die Blackboxes nichts mehr aufzeichneten, also deren Stromzufuhr unterbrochen wurde, und nach russischen Angaben die Geschwindigkeit von MH 17 von 900 km/h auf 200 km/h gedrosselt wurde. Dies war also der Zeitpunkt des Angriffs.

Im benachbarten Luftraum waren demnach eine 747 von Kopenhagen nach Singapur (17:17 Uhr), eine 778 von Paris nach Taipei (17:24 Uhr) und eine 778 von Delhi nach Birmingham (irrtümlich mit !6:10 Uhr bezeichnet) unterwegs. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Flugrouten und Höhen kann eine Kollisionsgefahr ausgeschlossen werden.

Eine Überprüfung dieser Visualisierung anhand der Daten hat angeblich nicht stattgefunden.

Welche Wetterprobleme gab es, die zur angeblich erbetenen nördlichen Abweichung vom üblichen Flugpfad L980 führten? Nach den vorläufigen meteorologischen Befunden auf S. 17 f. gab es hierfür keinen Grund:

DSB S. 18„Versehentlich“ ist nicht eingezeichnet, über welchem Gebiet die nördliche Abweichung erbeten wurde. Aber die hier präsentierten Erkenntnisse über das Wetter am Tattag kann man ohnehin nur als laienhaft bezeichnen, denn dargestellt wird das Wetter um 12 Uhr. Die dazugehörige Fußnote 10 auf S. 18 im Bericht lautet:

10

This image was chosen from the available satellite images. The time this image was made, was the most close to the time of the accident.

Man fragt sich, was da für Experten zugange sind. Seit wann verläßt man sich auf Satellitenbilder, um meteorologische Bedingungen an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit nachzuvollziehen? Gibt es in der Ukraine etwa keine amtlichen Wetterstationen, die punktgenau nachvollziehen können, wann welches Wetter in welcher Region herrschte?

Nein, „glauben“ kann man diesem Bericht gar nichts. Schon deshalb nicht, weil Malaysian Airlines der im Bericht unbelegten Behauptung, daß der Flugplan bei Erreichen des ukrainischen Luftraums (kontrolliert durch die Flugsicherung Kiew) eine Flughöhe von 33.000 Fuß vorgesehen habe, schon am 18.7.2014 klar widersprochen hatte [Hervorhebungen von mir]:

Statement & Information on Flight MH17

Friday, July 18, 08:20 PM GMT +0800 Media Statement 4 : MH17 Incident

  1. Flight plan
    MH17’s flight plan was approved by Eurocontrol, who are solely responsible for determining civil aircraft flight paths over European airspace. Eurocontrol is the air navigation service provider for Europe and is governed under ICAO rules.
    The route over Ukrainian airspace where the incident occurred is commonly used for Europe to Asia flights. A flight from a different carrier was on the same route at the time of the MH17 incident, as were a number of other flights from other carriers in the days and weeks before. Eurocontrol maintains records of all flights across European airspace, including those across Ukraine.
    In April, the International Civil Aviation Organization identified an area over the Crimean peninsula as risky. At no point did MH17 fly into, or request to fly into, this area. At all times, MH17 was in airspace approved by the ICAO.
  2. Altitude
    MH17 filed a flight plan requesting to fly at 35,000ft throughout Ukrainian airspace. This is close to the ‘optimum’ altitude.
    However, an aircraft’s altitude in flight is determined by air traffic control on the ground. Upon entering Ukrainian airspace, MH17 was instructed by Ukrainian air traffic control to fly at 33,000ft.

http://www.malaysiaairlines.com/my/en/site/mh17.html

Der Erklärung von Malaysia Airlines folge ich um so mehr, weil das Dutch Safety Board seine gegenteilige Darstellung nicht mit Gesprächen zwischen Flugsicherung und Cockpit unterlegt hat. Hieraus dürfte zu schließen sein, daß Kiew nicht sämtliche ATC-Aufzeichnungen übergeben hat, insbesondere nicht die der Kiewer Flugsicherung.

Besonders unglaubhaft erscheint mir diese Ankündigung im vorläufigen Bericht des Dutch Safety Board:

This report is preliminary. The information must necessarily be regarded as tentative and subject to alteration or correction if additional evidence becomes available. Further work will at least include the following areas of interest to substantiate the factual information regarding:

[…]

  • results of the pathological investigation;

[…]

http://www.onderzoeksraad.nl/uploads/phase-docs/701/b3923acad0ceprem-rapport-mh-17-en-interactief.pdf

[S. 32]

Natürlich ist es für eine Flugunfall-Untersuchung unerheblich, was die Pathologen befundet haben, denn denen kommt es nur darauf an, festzustellen, an welcher Waffeneinwirkung Piloten und evt. Passagiere verstorben sind, soweit sie nicht wegen des Auseinanderbrechens der Maschine in Sekundenbruchteilen ums Leben kamen. Diese Untersuchungen sind natürlich längst abgeschlossen.

Man bedenke, wie schnell derartige Untersuchungen, nämlich binnen einer Woche, stattfanden, nachdem die Ukraine im Jahr 2001 während eines Manövers versehentlich eine zivile russische Maschine abgeschossen hatte:

Ukraine admits it shot down Russian airliner

By Ben Aris in Moscow

12:01AM BST 13 Oct 2001

Ukraine finally admitted yesterday that its military shot down a Russian airliner that crashed into the Black Sea last week, killing all 78 passengers and crew.

Evhen Marchuk, the chairman of Ukraine’s security council, conceded that the plane had probably been brought down by „an accidental hit from an S-200 rocket fired during exercises“.

Russian investigators believe a missile exploded near the plane, spraying it with shrapnel. Russian and Israeli scientists found metal pellets in the victims and in the fuselage.

Vladimir Rushailo, the chairman of Russia’s security council, said: „The investigation has found that the disaster resulted from a strike by a warhead from an anti-aircraft missile.“

Although both Russia and Ukraine were almost certainly aware of the cause from the start, it took eight days for Ukraine to accept responsibility.

http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/ukraine/1359353/Ukraine-admits-it-shot-down-Russian-airliner.html

Fotos eines Pilotensitzes der MH 17 befinden sich hier:

https://www.flickr.com/photos/33705716@N05/14687968889/in/set-72157646326477044

http://aviaforum.ru/attachment.php?attachmentid=448667&d=1406975116

Vor diesem Foto muß ich warnen, weil es auch eine Aufnahme der Leiche des Co-Piloten enthält:

https://www.flickr.com/photos/128147213@N02/15358469675/lightbox/

Es ist daher davon auszugehen, daß bei den spätestens ab dem 22.7.2014 vorgenommenen Obduktionen entsprechende Metallteile herauspräpariert wurden und daß deren chemische Untersuchung längst stattgefunden hat, was eine Bestimmung der Munitionsart ermöglicht.

Insoweit halte ich es für Desinformation, wenn das Dutch Safety Board einen Tag nach Präsentation des vorläufigen Berichts erklärt, man habe in den Körpern der Piloten Metallteile gefunden, die nun untersucht werden müßten:

Unidentified Fragments Found in Bodies of MH17 Crew: Dutch Safety Board

Topic: Malaysia Airlines Boeing Crashes in Ukraine

13:49 10/09/2014

Updated 2:40 p.m. Moscow time

MOSCOW, September 10 (RIA Novosti) – Unidentified fragments have been found in the bodies of Malaysia Airlines flight MH17 pilots, their origin is currently being established, a Dutch Safety Board (DSB) spokeswoman told RIA Novosti Wednesday.

“Some fragments are found in the bodies of flight crew, pilots. We have to investigate them to see if they are fragments of the plane. If they are not, it might be fragments of the objects, coming from outside. We’re not sure yet what these pieces are fragments of. Experts are working with bodies,” DSB spokeswoman Sara Vernooij said.

http://en.ria.ru/world/20140910/192802348/Unidentified-Fragments-Found-in-Bodies-of-MH17-Crew-Dutch-Safety.html

Selbstverständlich haben die Obduzenten ihre Arbeit längst erledigt; seitdem sind DNA-Experten mit der Identifizierung der Opfer beschäftigt.

Zur Abrundung brach am 12.9.2014 sogar die niederländische Staatsanwaltschaft erstmals ihr Schweigen, um dem nichtssagenden Bericht der Unfalluntersuchungs-Behörde den richtigen Spin zu geben – was die FAZ, die das schon einen Tag zuvor erledigt hatte, mit tiefer Befriedigung erfüllte. Bedauerlicherweise bebilderte sie ihren Artikel mit einem Wrackteil-Foto, das einen glatten kreisförmigen Durchschuß wie von einer 30 mm-Bordkanone aufwies:

MH-17-Ermittler

Ein Angriff vom Boden aus das „wahrscheinlichste Szenario“

Ohne Spezialwissen ließen sich die Schlüsse aus dem am Montag vorgestellten Bericht kaum ziehen. Nun leistet der niederländische Chefermittler Interpretationshilfe. Eine Boden-Luft-Rakete soll MH17 getroffen haben.

12.09.2014

Das über der Ostukraine abgestürzte malaysische Passagierflugzeug ist nach Ansicht der Strafermittler in den Niederlanden vermutlich von einer Luftabwehrrakete abgeschossen worden. Das sei das „wahrscheinlichste Szenario“ sagte Staatsanwalt Fred Westerbeke am Freitag in Rotterdam. Damit bestätigte Westerbeke eine Analyse dieser Zeitung auf Grundlage des am Montag vorgestellten Berichts.

Von den 500 Spuren, die die Sonderkommission sichergestellt habe, konzentrierten sich die Ermittlungen auf 25 Metallteile, die an Opfern und Gepäckstücken gefunden worden seien. Zurzeit werde überprüft, ob diese von dem Flugzeug stammten oder von einer Rakete, sagte Polizeichefin Patricia Zorko.

[…]

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/mh-17-ermittler-ein-angriff-vom-boden-aus-das-wahrscheinlichste-szenario-13150071.html

Der SPIEGEL wußte am 12.9.2014 noch folgendes beizusteuern:

„Es ist klar, dass es nicht einfach wird,“ sagte Westerbeke, der die internationalen Ermittlungen leitet, „aber ich erwarte, dass wir sehr weit kommen.“ Hoffnungen setzt er auch auf US-Satellitenaufnahmen, die Aufschluss über Raketenstellungen geben könnten. „Wenn wir wissen, wo sie (eine Rakete) abgefeuert wurde, dann können wir herausfinden, wer das Gebiet kontrolliert hat.“ Die US-Aufnahmen lägen noch nicht vor. „Wir werden sie bekommen“, sagte Westerbeke, aber es sei „ein langer Prozess.“ Sobald die Sicherheitslage es zulasse, sollen Ermittler auch die Absturzstelle untersuchen.

http://www.spiegel.de/panorama/mh17-ermittler-haelt-abschuss-fuer-hoechstwahrscheinlich-a-991360.html

Ein Rechtshilfeersuchen an die USA ist ein langwieriges Verfahren – und man kann sicher sein, daß es mit dem Argument, man wolle nicht offenbaren, wie effektiv die eigenen Aufklärungs-Satelliten arbeiten, aus Gründen der Staatsraison abgelehnt werden wird. Vielleicht sollte Herr Westerbeke in der Zwischenzeit die russischen Satelliten-Aufnahmen beiziehen und kritisch würdigen?

http://stat.multimedia.mil.ru/multimedia/photo/gallery.htm?id=17402@cmsPhotoGallery

Mit den „Beweisfotos“ der USA, hier auf der Facebookseite der amerikanischen Botschaft in Kiew vom 22.7.2014, kann er sich jedenfalls nicht zufriedengeben:

FB US-Botschaft

 

https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10152288664556936&set=a.431664811935.225869.43732151935&type=1&theater

(Fortsetzung folgt)

Und zwar hier:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2014/10/23/ukraine-informationskrieg-um-mh-17-2/

 

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Jenseits von Gut und Böse: Bettina Wulff, die Medien und das Internet


Betrachtet man das mediale Getöse rund um Bettina Wulffs Bekenntnis-Buch ›Jenseits des Protokolls‹ mit einigem Abstand, erblickt man rundum nur Versehrte:

Bettina Wulff hat ihr erklärtes Ziel, ihrem medialen Fremdbild aus Klischees und üblen Verleumdungen ihr Selbstbild korrigierend entgegenzuhalten, verfehlt.

PR als Mittel der Beeinflussung der öffentlichen Meinung hat angesichts des Zustands einer Presselandschaft, die sich mehr und mehr den Internet-Shitstorms anonymer Pöbler annähert, die man aus Foren, Facebook-Plattformen und obskuren verschwörungstheoretischen Internetseiten kennt, ausgedient.

Amazon stellt die Funktion der Leser-Rezension ausgewiesenen Nicht-Lesern zur Verfügung, die tausendfach den erbärmlichen Zustand ihres außer Kontrolle geratenen Seelenhaushalts zur Schau stellen.

Google steht als Manipulateur da, der im gewerblichen Eigeninteresse und auf staatlichen oder Lobbyisten-Druck reagiert, nicht aber, wenn es um Persönlichkeitsrechtsverletzungen von Individuen geht.

Günter Jauch verteidigt eigene journalistische Fahrlässigkeiten und knickt erst ein, nachdem die Klageerhebung und seine vorangegangene Weigerung, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen, publik geworden sind. Soviel ersichtliche Hartleibigkeit schadet schließlich dem Image.

Vielleicht schafft es wenigstens der Riva-Verlag, die 100.000 Exemplare der Erstauflage abzusetzen, was allerdings fraglich erscheint, seitdem ein Anonymus am 15.9.2012 das Buch zum kostenlosen Download unter der perfiden Vortäuschung, Bettina Wulff sei die Initiatorin, ins Netz gestellt hat – mittlerweile haben bereits über 1.000 Facebook-User auf den ›Gefällt mir‹-Button dieser illegalen Site gedrückt.

Wer redet eigentlich über Politiker, die die Verbreitung ehrverletzender Gerüchte für ein Mittel der Auseinandersetzung im Konkurrenzkampf halten? Wer über die Auswirkungen einer beispiellosen medialen Negativ-Kampagne, wie im Fall Christian Wulff unter Führung der BILD geschehen, die sich nicht erst aus heutiger Sicht als substanzlos erwiesen hat? Was bedeutet solch ein hämisches Niederschreiben für die Familie des Betroffenen, für das Amt selbst, für die Entfesselung eines ›Volkszorns‹, der kein Maß und Ziel mehr kennt? Müßte nicht einmal grundsätzlich über das Frauenbild geredet werden, das dem Verständnis des Bundespräsidialamtes von der Rolle einer First Lady zugrundeliegt? Über Arbeitsleben in Wirtschaft und Politik, das sowohl in der zeitlichen als auch in der Intensität der medialen Beobachtung jegliches Privatleben vernichtet? Über Anonymität im Internet, über die Macht privater Firmen, die geschäftstüchtig und nach Gutdünken über unsere Daten verfügen?

Alle diese Fragen stößt das Buch von Bettina Wulff an, auf ihre eigene persönliche Art. Die mag man kritisch sehen, aber die Fragen selbst bleiben drängend und verlieren nichts von ihrer grundsätzlichen Natur. Die Chance, sich mit ihnen ernsthaft zu beschäftigen, hat der allseits herrschende Furor ausgeschlagen. Der Wunsch nach Auflagesteigerung & Deutungshoheit, das Bedürfnis nach Frustabbau & Häme haben gesiegt.

Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Es fing ja gut an: Hans Leyendecker hatte Aktenmaterial zu den diversen, seit Februar 2012 von Bettina Wulff gegen Verleumder geführten, Verfahren erhalten und legte (zusammen mit Ralf Wiegand) los. Zunächst mit einem kurzen zusammenfassenden Artikel von Freitag, dem 7.9.2012 in der SÜDDEUTSCHEN, der als Teaser für einen S.3-Artikel in der Print-Ausgabe von Samstag/Sonntag dienen sollte:

Klage gegen Google und Jauch

Bettina Wulff wehrt sich gegen Verleumdungen

07.09.2012, 21:53

Von Hans Leyendecker und Ralf Wiegand

Es geht um das Gerücht, sie habe im Rotlichtmilieu gearbeitet: Bettina Wulff, Frau des Ex-Bundespräsidenten, verklagt Google und Günther Jauch. Nach SZ-Recherchen haben CDU-Kreise in Hannover seit 2006 Gerüchte gestreut. Die Denunziation sollte offenbar vor allem Christian Wulff treffen.

Geschichte einer Verleumdung: Die ausführliche Seite-Drei-Reportage von Hans Leyendecker und Ralf Wiegand zur Causa Bettina Wulff  lesen Sie in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung – oder auf dem iPad.

http://www.sueddeutsche.de/politik/klage-gegen-google-und-jauch-bettina-wulff-wehrt-sich-gegen-verleumdungen-1.1462439

Leider ist Leyendecker nun mal kein Enthüllungsjournalist, und seine investigativen Tätigkeiten beschränken sich in der Regel darauf, ihm zur Verfügung gestelltes Material im Sinne der Lieferanten aufzubereiten. Und so war der große Artikel in der Wochenendausgabe vom 8./9.9.2012 auf S. 3 eine ebenso große wie erwartbare Enttäuschung:

»Notruf

In der CDU Niedersachsens gibt es ein Gerücht, das Internet bläst es auf: Arbeitete Bettina Wulff im Rotlichtmilieu? Seit Jahren geht das so. Nun wehrt sich die Frau des ehemaligen Bundespräsidenten. Die Geschichte einer Verleumdung.«

So richtig investigativ ist der Artikel natürlich nicht. Als Verbreiter der Internetgerüchte (die erst im Juni 2010 begannen), wird namentlich ein 88-jähriger Hamburger erwähnt, Hartmut Bachmann, Klimaskeptiker, ein Politikverdrossener, der die Rotlichtmilieu-Story in der berüchtigten Frageform als erster am 20.6.2010, zehn Tage vor der Präsidentenwahl, auf „wahrheiten.org“ gepostet hatte – danach übernahmen andere. Ihn kostete das letztlich die Anwaltkosten von Bettina Wulff, 1.200,- Euro, den Seitenbetreiber, einen Informatiker aus der Südpfalz, wohl auch – der bat allerdings um Ratenzahlung.

Die „Informantin“ von Bachmann war wiederum eine Hannah Thiele, 71, in der Nähe von Hannover wohnhaft, eine „Mutter Courage der Windkraft-Gegner“, früher in FDP-Ausschüssen für Wirtschaft und Umwelt von Niedersachsen und auch im Bund tätig, die die Gerüchte aus CDU-Kreisen in Hannover und Berlin mitbekommen hatte.

Danach schrieb sie Briefe an Wulff, Merkel, Homburger, Westerwelle und die niedersächsische Staatskanzlei mit der Frage, ob Wulffs Frau im „Artemis“ gearbeitet habe. Nachdem sie keine Antwort erhalten habe, habe sie ihren Blogger-Kollegen Bachmann aufgefordert, die Story zu bringen. „kreuz.net“ (fundamentalistisch katholisch), „Derhonigmannsagt“ (rechts), eine obskure Seite namens „rentner-news“, Udo Ulfkotte nebst dem verschwörungstheoretisierende Kopp-Verlag verbreiteten weiter (10.000,- Euro Schmerzensgeld).

Ansonsten nannte Leyendecker keine Namen der eigentlich verantwortlichen Gerüchteverbreiter aus der Politik, obwohl er sie kennen müßte:

»Ehemalige Mitglieder des Kabinetts Wulff, solche, die vielleicht selbst gerne seine Nachfolge angetreten hätten als Ministerpräsident und solche, die unter seiner Regentschaft ihren Einfluss verloren hatten, stichelten gegen Bettina Wulff. Sie habe ihm den Kopf verdreht; zu viel Glamour, zu wenig Politik. Älterer Mann mit Macht verfällt lebenslustiger junger Frau.«

Journalisten wie Deppendorf seien in der Nacht nach der Präsidenten-Wahl von CDU-Politikern auf die Internet-Berichte über Bettina Wulff hingewiesen worden. Ein Justitiar der ARD sei auf einem Empfang in Berlin von einem Wulff-Gegner aus der CDU auf die Internet-Geschichten aufmerksam gemacht worden mit dem Zusatz, da sei was dran. In politischen Zirkeln sei Bettina Wulff „Pretty Woman“ genannt worden. Es fehlen: Namen, Daten, Fakten, auf daß diejenigen Politiker kenntlich würden, die sich solch abscheulicher Mittel bedienen.

Bei Leyendecker hieß es nur  vage, in Berlin habe eine Liste mit Namen von Prostituierten, die für „eines der genannten Bordelle gearbeitet hatten“, kursiert: zuvor benannt hatte er „ein Bordell in Osnabrück“, ein Escort-Servie und das „Chateau am Schwanensee“ in Hannover. Eine der Frauen, eine „Betty“, habe als Zeugin in einem Steuerstrafverfahren eines Zuhälters als Zeugin ausgesagt, allerdings eine andere Betty. Roß und Reiter wurden nur genannt, wenn es um greise Internet-Verbreiter geht.

Da war ja sogar BILD am SONNTAG vom 10.9.2012 investigativer:

Nach Recherchen von BILD am SONNTAG wurden haltlose Behauptungen über eine angebliche Tätigkeit Bettina Wulffs in einem Bordell aus Wulffs eigener Landesregierung verbreitet.
Konkret ging es um Informationen aus einem Steuerstrafverfahren im Zusammenhang mit dem „Chateau am Schwanensee“.
Das Bordell nahe Hannover war im Jahr 2004 in finanzielle Schwierigkeiten geraten und musste später schließen. Die Ermittler befragten seinerzeit auch eine der dort tätigen Prostituierten als Zeugin. Sie berichtete unter anderem über eine Reihe von Kolleginnen, die während der Messen in Hannover zur Verstärkung angeheuert wurden, darunter auch eine „Tina, Studentin“, die für ein Jahr im „Chateau“ gearbeitet habe.
Diese Zeugenaussage wurde aus Hannover mit dem verleumderischen Hinweis gestreut, bei „Tina“ könne es sich um Bettina Wulff handeln – eine durch nichts bewiesene Unterstellung.
Schnell machte das ungeheuerliche Gerücht die Runde, erst in Hannover, dann in Berlin und erreichte schließlich auch Christian Wulff und dessen Gattin Bettina.

http://www.bild.de/politik/inland/bettina-wulff/haeme-ueber-bettina-wulff-im-heute-journal-26120524.bild.html

Danach kann es ja bloß der Justiz- oder der Finanzminister gewesen sein…

Leyendecker legte zwar noch nach:

Klage der ehemaligen Präsidentengattin

Jauch erkennt Wulffs Unterlassungsanspruch an

08.09.2012, 13:15

Von Hans Leyendecker

Günther Jauch hat sich verpflichtet, die Gerüchte über eine angebliche Rotlicht-Vergangenheit Bettina Wulffs nicht weiterzuverbreiten. Aus Sicht der Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten hat der Moderator die im Internet kursierenden Denunziationen erst gesellschaftsfähig gemacht. Juristisch erledigt ist die Angelegenheit damit nicht.

http://www.sueddeutsche.de/politik/klage-der-ehemaligen-praesidentengattin-jauch-erkennt-wulffs-unterlassungsanspruch-an-1.1462543

Verletzung von Persönlichkeitsrechten im Internet

E wie „Escort“, K wie „Kampf gegen Google“

09.09.2012, 17:21

Von Hans Leyendecker

Bettina Wulff reicht bei Gericht eine Liste von Begriffen ein, welche die Suchmaschine nicht mehr automatisch mit ihrem Namen verbinden soll. Sie wehrt sich gegen Verleumdung, und ihre Anwälte klagen nicht nur auf Unterlassung – sie werfen dem Webdienst sogar Mittäterschaft vor.

[…]

Ihr Anwalt Lehr weist darauf hin, dass viele der rechtlich Verantwortlich nicht aufzufinden sind oder in Deutschland nicht belangt werden können. Die meisten der „massiven Ehrverletzungen“ würden im Ausland ins Internet gestellt. Zehn Beiträge in Sachen Bettina Wulff hat der Konzern bislang nach Beanstandungen der Anwälte Wulffs aus der Ergebnisliste der deutschen Websuche unter http://www.google.de entfernt. Mehr als fünfzig Beiträge wollten Bettina Wulffs Anwälte löschen lassen und diese fünfzig waren eigentlich erst der Anfang.

Wer sich, wie Bettina Wulff, gegen digitales Unrecht wehrt, wird in der Hardcore-Szene der Internetgemeinde verspottet. Auf Twitter wurde am Wochenende über die Frau gejuxt, die nicht verstanden habe, wie das Internet so beschaffen sei.

http://www.sueddeutsche.de/medien/verletzung-von-persoenlichkeitsrechten-im-internet-e-wie-escort-k-wie-kampf-gegen-google-1.1463160-2

Am 10. 9.2012 wurden gleich zwei Artikel von ihm ins Netz gestellt – aber richteten die sich gegen jene verlotterten CDU-Politiker, die über die infame Ehrverletzung einer Frau deren Mann abschießen wollten? Nein. Zunächst ging es mal wieder gegen Jauch, der unnachsichtig jede Privatsphären-Verletzung durch die Journaille verfolgt und daher für die Medien sowieso ein Feindbild par excellence darstellt:

Rotlicht-Gerüchte um Bettina Wulff

Jauch, der Schurke im Stück

10.09.2012, 10:41

Von Hans Leyendecker

Günther Jauch fragte in seiner ARD-Talkshow nach dem angeblichen Vorleben von Bettina Wulff – sie klagte und er akzeptierte nun. Aus ihrer Sicht hat der Moderator das Rotlicht-Gerücht erst salonfähig gemacht. Sie wird ihn nicht einfach davonkommen lassen.

[…]

Am vergangenen Freitagnachmittag bekam Jauchs langjähriger Anwalt Christian Schertz eine Klage von Bettina Wulff wegen „Unterlassung falscher Tatsachenbehauptungen“ zugestellt. Es ging um die ARD-Talkshow am 18. Dezember. Jauch hatte damals aus einem Artikel der Berliner Zeitung zitiert, den er „besonders interessant“ fand: Es ging um Bild und angebliche Informationen des Blattes über das angebliche Vorleben von Bettina Wulff. Der stellvertretende Bild-Chef Nikolaus Blome, der Gast in der Sendung war, hatte den zitierten Bericht dementiert: „Kompletter Quatsch“: „Völlig aus der Luft gegriffen?“ und „Haben Sie denn noch etwas in der Schublade?“ hatte Jauch nachgesetzt.

http://www.sueddeutsche.de/medien/rotlicht-geruechte-um-bettina-wulff-jauch-der-schurke-im-stueck-1.1463341

[…]

Seine Erklärung zu dem Vorgang war dann schon etwas gewunden: Er habe „niemals über Frau Wulff eine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt, sondern lediglich“ aus einem Artikel zitiert und daraus „eine entsprechende Frage“ an den Mann von Bild formuliert. Wer daraus eine „Herabsetzung von Frau Wulff konstruiert, liegt daneben. Da ich allerdings kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit Frau Wulff habe, habe ich den Rechtsstreit beenden lassen“. Da muss vor allem Frau Wulff völlig danebenliegen. Sie meint, der Liebling der Herzen habe ihre Reputation zerstört.

Nach der Sendung kochte die Gerüchteküche über: „War Bettina Wulff eine Prostituierte?“ Einen Monat später, am 19. Januar, schrieb der Stern, der sich in der Sache Bettina Wulff nicht immer mit Ruhm bekleckert hat, von einem „versuchten Rufmord an Bettina Wulff, deren angebliches Vorleben als pures Gerücht sogar in einem Talk von Günther Jauch vor Millionenpublikum thematisiert“ worden sei.

[…]

http://www.sueddeutsche.de/medien/rotlicht-geruechte-um-bettina-wulff-jauch-der-schurke-im-stueck-1.1463341-2

Danach versuchte er sich noch an einer fachfremden Buch-Rezension, die naturgemäß wenig überzeugend ausfiel:

Buch von Bettina Wulff

Gut platziert

10.09.2012, 19:09

Von Hans Leyendecker

In die Schlagzeilen um Bettina Wulffs angebliche Rotlicht-Vergangenheit erscheint ein Buch der Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten. In „Jenseits des Protokolls“ geht es um die Verleumder aus der Politik, ihr Rollen-Korsett und die Fehler ihres Mannes. Das Buch ist weder klug noch liebenswürdig oder grazil – aber ziemlich deutlich.

http://www.sueddeutsche.de/panorama/buch-von-bettina-wulff-gut-platziert-1.1464149

Schuster, bleib bei Deinen Leisten – was bitte soll ein ›graziles‹ Buch sein?

Wenn auch die SÜDDEUTSCHE mangels Recherche und klarer Worte den entscheidenden Akzent nicht setzen konnte: ihr muß immerhin attestiert werden, daß sie nicht kippte und, von kleinen Ausnahmen abgesehen, nicht in den Haßgesang einstimmte, den andere Leitmedien ertönen ließen.

Über SPIEGEL Online sollte man kein Wort mehr verlieren; zwei bis fünf Bettina Wulff-Artikel pro Tag sind bestens geeignet, den Überdruß der Leser zu provozieren. Ein Organ, das unmoderiert anonyme Internet-Kommentatoren niedrigste Instinkte austoben läßt, um dann eben diese Leser-Kommentare in einem Artikel als bedenkenswerte Stimme des Volkes zu adeln, verdient keinen Respekt mehr.

Spiegel Online

12.09.2012

Reaktionen auf Bettina Wulff

„Meine Güte, ist das alles peinlich“

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/leser-reagieren-auf-bettina-wulffs-aeusserungen-a-855396.html

Es ist überhaupt bezeichnend, daß die Gerüchte um Bettina Wulff durch entsprechende Hinweise auf Suchwörter und Links befeuert wurden, die in Leser-Kommentaren zu Artikeln der bürgerlichen Presse gepostet wurden – so bin jedenfalls ich auf diese widerlichen Seiten gestoßen…

Der BILD-Aufzug nach oben für Bettina Wulff funktionierte nur ein paar Tage lang (und schon das mußte verwundern, wehrt sich Bettina Wulff in ihrem Buch doch vehement gegen die BILD-Methoden – da konnten doch eigentlich weder sie noch ihr Mann ungeschoren bleiben, Kommerz hin oder her). Zunächst machte BILD Auflage mittels Reklame für ihr Buch (Vorabdrucke inclusive):

Die Abrechnung der ehemaligen First Lady

Mit dem Buch kämpft Bettina Wulff um ihren guten Ruf

10.09.2012 — 00:01 Uhr

Von ALFRED DRAXLER

Bettina Wulff, die Frau des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, hat TV-Star Günther Jauch und den Internet-Suchdienst Google verklagt. Damit setzt sie sich gegen Gerüchte zur Wehr, sie habe ein Vorleben als Prostituierte oder als Escort-Dame geführt. Jauch gab bereits am Wochenende eine Unterlassungserklärung ab.

Vor diesem Hintergrund wird ein Buch, das Bettina Wulff geschrieben hat, mit Höchstspannung erwartet. Es soll im Laufe dieser Woche erscheinen.

BILD liegt es bereits vor. Eine erste Beschreibung: Ich halte das Buch, über das ganz Deutschland sprechen wird, in der Hand. Es hat 223 Seiten und kostet 19,99 Euro. Erschienen ist es im Münchner „riva Verlag“, in dem Fußballmanager Rudi Assauer sein „Alzheimer-Outing“ veröffentlicht hat.

Die ehemalige First Lady hat den Titel gewählt „Jenseits des Protokolls“. Was, so vermute ich, aussagen soll, dass sie als Privatperson handelt.

Im Vorwort schreibt sie: „Ich möchte, dass die Menschen mich so sehen, wie ich bin. Als eine ziemlich normale Frau und Mutter, die ihr Leben so leben möchte, wie sie es will, und nicht, wie andere es von ihr erwarten …“

[…]

Ich sage voraus, dass dieses Buch ganz schnell auf Platz 1 der Bestsellerliste stehen wird.

http://www.bild.de/politik/inland/bettina-wulff/kaempft-mit-buch-gegen-prostituierten-geruechte-26111608.bild.html

Aber schon im nächsten BILD-Artikel vom 10.9.2012 wurde, noch unter dem Deckmantel einer heuchlerischen Empörung über eine Abmoderation von Claus Kleber, Negatives verbreitet, und BILD mußte sich natürlich gegenüber Bettina Wulff reinwaschen, BILD habe irgendetwas mit der Verbreitung der üblen Gerüchte über ihr angebliches Vorleben zu tun – zur Erreichung dieses edlen Ziels schreckte man noch nicht einmal vor entstellenden Zitat-Verkürzungen zurück:

Rotlicht-Gerüchte

Häme für Bettina Wulff
im „heute journal“

10.09.2012 — 13:11 Uhr

Bettina Wulff (38) sorgt in Deutschland derzeit für Aufregung! Am heutigen Montag erscheint ihr erstes Buch „Jenseits des Protokolls“ – eine Abrechnung mit ihrer Amtszeit als First Lady.

Im Kapitel „Die Gerüchte“ setzt sie sich gegen ihr angebliches Vorleben als Escort-Dame und Prostituierte zur Wehr. Das ehrabschneidende Getuschel begann bereits, als ihr Mann noch Ministerpräsident in Niedersachsen war. Ihre eindeutige Ansage dazu in dem Buch: „Ich habe nie als Escort-Lady gearbeitet.“

HÄME IM „HEUTE JOURNAL“

Das „heute journal“ widmete der ehemaligen First Lady am Samstag mehr als vier Minuten, fast ein Drittel der Sendung!

Dann die Abmoderation von Claus Kleber: „Ihr Verlag erwartet von seiner neuen Autorin mit Sicherheit, dass sie den aktuellen Sachbuch-Toptitel des Hauses überholt. Der heißt ‚Bel Ami‘, es sind die Lebenserinnerungen eines Bordell-Besitzers. Vielleicht sollte die PR-Beraterin Wulff darüber einmal mit ihrer PR-Beratung reden.“

In ihrem Buch setzt sich Bettina Wulff auch sehr kritisch mit der BILD-Zeitung auseinander.

Es sei alles ein großes Spiel, bei dem es nur ein Ziel gäbe: Auflage zu machen! Und plötzlich Teil dieses Spiels zu sein, ein Spielball der gesamten Medien… habe sie von Anbeginn an überrumpelt.

Beim Thema „Rotlicht-Gerüchte“ hat sich BILD zwar nicht beteiligt, Bettina Wulff beschreibt aber ein privates Treffen mit Chefredakteur Diekmann: „So war zum Beispiel dieses Frühstück ein nettes Beisammensein, bis zu dem Moment, als er mich ohne Vorwarnung fragte, was denn an den Gerüchten zu meiner vermeintlichen Vergangenheit im Rotlichtmilieu dran sei.

Einige seiner Redakteure hätten Derartiges erwähnt…Ich war völlig entgeistert und mir blieb fast das Brötchen im Halse stecken. Zwar versuchte ich noch, meine Fassungslosigkeit mit einem ironischen „Das ist ja interessant!“ zu überspielen. Kai Diekmann meinte, dass damit das Thema für ihn erledigt sei. Doch für mich war damit auch das ganze Frühstück gegessen.“

[…]

Damals hatte der Moderator [Jauch] einen Artikel der „Berliner Zeitung“ zitiert. Das Blatt hatte über das Gerücht geschrieben, BILD habe eine „Geschichte über das frühere Leben Bettina Wulffs“ in der Schublade, die aus Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten aber nicht veröffentlicht würde.

Noch in der Sendung bezeichnete der stellvertretende BILD-Chefredakteur Nikolaus Blome das als „kompletten Quatsch“.

[…]

http://www.bild.de/politik/inland/bettina-wulff/haeme-ueber-bettina-wulff-im-heute-journal-26120524.bild.html

›Einige seiner Redakteure hätten Derartiges erwähnt…‹ Ist das Zitat vollständig? Und was mag sich wohl hinter den Pünktchen verbergen? Das vollständige Zitat in Bettina Wulffs Buch lautet tatsächlich so:

Einige seiner Redakteure hätten Derartiges in einer Redaktionskonferenz erwähnt und recherchierten in diese Richtung.

[S. 182]

Das war Ende September 2010 und damit der erste Warnschuß, was passieren könnte, sollte das Präsidentenpaar, anders als das Ministerpräsidentenpaar, Distanz zu BILD aufbauen.

Kai Diekmann ist einfach ein Fuchs.

Schreibt Bettina Wulff auf S. 181, und das ist keineswegs als Kompliment gemeint, folgt doch danach jene sie bestürzende Frage Diekmanns, die mitten in ein vermeintlich freundliches Hintergrundsgespräch-Frühstück im Schloß Bellevue hineinplatzt. Eine Begegnung, in der Christian Wulff die Resonanz auf seine alsbaldige Rede mit dem Zitat: ›Der Islam gehört zu Deutschland‹ testen wollte. Das ist wohl Realität in Deutschland, daß man BILD gewinnen muß, um nicht den ausländerfeindlichen Mainstream gegen sich aufzubringen…

Am 11.9.2012 erschien einer dieser typischen gemischten BILD-Artikel, in denen zwar PR-mäßig Hörbuch-Ausschnitte aus dem Buch offeriert, zugleich aber auch kritische Stimmen zu den PR-Aktivitäten zugunsten des Buchs zitiert wurden (wozu dann auch gleich die berechtigten Klagen gegen Google und Jauch gerechnet wurden) – und besonders lustig war, daß selbst Leyendeckers amateurhafte ›Rezension‹ gegen das Buch in Stellung gebracht wurde:

http://www.bild.de/politik/inland/bettina-wulff/hier-liest-bettina-wulff-aus-ihrem-buch-zum-reinhoeren-26137370.bild.html

Dabei wurde ausgeblendet, daß der Riva-Verlagschef einen Tag zuvor erklärt hatte, daß die aktuellen Rechtsstreitigkeiten nichts mit dem vorgezogenen Start des Buchs von November auf September zu tun hätten (was glaubhaft ist: der Leak von Lehr zu Leyendecker dürfte kaum auf den Verlag zurückgehen):

http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/bettina-wulffs-verleger-jetzt-kann-jeder-hinter-die-kulissen-schauen/7116934.html

In einem Kommentar in der SÜDDEUTSCHEN versuchte  Ralf Wiegand am 11.9.2012, die Sache auf die politische Schiene, auf die sie gehört, zurückzubringen:

Affäre Wulff

Die Frau verleumden, den Mann treffen

11.09.2012, 07:31

Ein Kommentar von Ralf Wiegand

Bettina Wulff ist eine Art Kollateralschaden, denn das eigentliche Ziel der Gerüchte war immer Christian Wulff. Es ist die klassische Geschichte von Aufstieg und Fall eines Karrieristen, der seinen Zielen alles untergeordnet hat – auch Freunde und Familiäres.

Bettina Wulff gehört in diesen Tagen alle Aufmerksamkeit. Sie war das Opfer eines Rufmords, sie hat ein Buch veröffentlicht, sie geht juristisch gegen Google und Günther Jauch vor, sie kämpft mit dem Internet, in dem Gerüchte über sie aufploppen, wohin man klickt.

Sie, sie, sie. Und er? Das Ziel allen verleumderischen Geredes über die spätere First Lady war ja stets ihr Mann. Unmöglich gemacht werden sollte über den Umweg Bettina allein Christian Wulff. Sie ist eine Art Kollateralschaden.

Da stellt sich die Frage: Was hat Christian Wulff in seinem politischen Leben angerichtet, dass eine Frau, die nur einen kurzen Weg seines Aufstiegs mitgegangen ist, über die Klinge springen sollte? Welche Feinde hat er sich gemacht, dass ihn niemand schützte, nicht einmal in seiner eigenen Partei, der CDU?

http://www.sueddeutsche.de/politik/affaere-wulff-die-frau-verleumden-den-mann-treffen-1.1464307

Vergebens. Der Boulevard übernahm.

Am 13.9.2012 war es dann endlich soweit: BILD stürzte sich auf Bettina Wulff – um ihren Mann zu treffen. Die besagten Kollateralschäden sind eingepreist.

Warum tut eine Frau ihrem Mann so was an?

Deutschland diskutiert über Bettina Wulff

Seit Bettina Wulff sich öffentlich von ihrem Mann distanziert hat, gibt es im Internet und auf der Strasse kaum noch ein anderes Thema

13.09.2012 — 00:01 Uhr

Von S. BILGES,R. SCHULER und S. SELONKE

Es waren Worte voller Respekt und Loyalität. Als Christian Wulff (53) am 17. Februar vom Amt des Bundespräsidenten zurücktrat, dankte er seiner Frau: „Sie hat mir immer, gerade in den vergangenen Monaten, und auch den Kindern starken Rückhalt gegeben.“

Jetzt, knapp sieben Monate später, tritt seine Frau Bettina (38) an die Öffentlichkeit.

WAS SIE SAGT, HAT EINE ANDERE TONLAGE!

Deutlich und rigoros distanziert sich Bettina Wulff sowohl in ihrem Buch „Jenseits des Protokolls“ als auch in mehreren Interviews von ihrem Mann:

Sie habe, als er bei seinem Rücktritt vor die Presse trat, absichtlich Abstand zu ihm gehalten.

• Sie kritisiert sein Krisenmanagement als Präsident. Er hätte statt „peu à peu“ auf die Vorwürfe zu reagieren, sich einmal umfassend erklären sollen.

Sie beklagt sich über sein Verhalten in der Ehe. Sie habe jahrelang ihre eigenen Bedürfnisse unterdrücken müssen und zu lange nach seinen Terminplänen gelebt. „Jetzt geht es um mich und meine Söhne.“

Ihr Mann habe sie (…) in die Rolle der First Lady (…) gedrängt: „Und wenn ich es im Nachhinein betrachte, rächt sich das auch in der Beziehung“.

Viele fragen sich jetzt: Warum distanziert sich Bettina Wulff so öffentlich von ihrem Mann? Warum tut sie ihm das an?

http://www.bild.de/politik/inland/bettina-wulff/deutschland-diskutiert-ueber-bettina-wulff-26167808.bild.html

Eigentlich ein Nullum, was da berichtet wurde – verriete es nicht ein Verständnis von Ehe, das aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts entsprungen zu sein scheint: die Frau als verzückt zum Mann aufblickende Dulderin, die ihm, eigener Gedanken nicht mächtig, klaglos den Rücken freihält und die Pantoffeln reicht, wenn er spätnachts nach Hause kommt. Das sahen auch unsere BILD-Autoren ein und griffen zu dem Trick, nunmehr das Volk direkt sprechen zu lassen. Und schon hatten sie die Richtige am Wickel – denn die gibt es ja vereinzelt immer noch:

BILD-Leserin Gabriele Fahneberg (41): „Hat Frau Wulff noch nie gehört, dass hinter jedem erfolgreichen Mann auch eine starke Frau steckt? Auch mein Mann ist beruflich erfolgreich und viel unterwegs. Unsere Ehe funktioniert nur deshalb so gut, weil ich zurückstecke und viel Verständnis aufbringe. dennoch bin ich mit meinem Leben sehr glücklich.“

http://www.bild.de/politik/inland/bettina-wulff/deutschland-diskutiert-ueber-bettina-wulff-26167808.bild.html

Es geht noch eine Etage tiefer, denn nun müssen Spekulationen aus der Welt von Twitter, Internet und Amazon herhalten:

Im Internet gibt es einen regelrechten Shitstorm gegen Bettina Wulff. Viele spekulieren, ob sie mit ihren Äußerungen eine Trennung vorbereitet.

Das Netz twittert über Scheidung

http://www.bild.de/politik/inland/bettina-wulff/deutschland-diskutiert-ueber-bettina-wulff-26167808.bild.html

Da muß schon ein veritabler Psychiater her, um nach all dem Dreck, den BILD sich zueigen macht, zu konstatieren, daß ja eigentlich alles vollkommen in Ordnung sei:

Aber es gibt auch Verständnis für das offene Ansprechen der Probleme, die Bettina Wulff in ihrer Rolle als First Lady und Ehefrau von Christian Wulff hatte:

„Ausgehend davon, dass sie sich mit ihrem Mann abgesprochen hat“, so Prof. Claas-Hinrich Lammers, Chefarzt für Psychiatrie in Hamburg (Asklepios), „ist ein solches Verhalten vollkommen in Ordnung. Grundsätzlich ist es gut, dass sie sagt, wenn ihr die Termine oder das öffentliche Leben zu viel sind. Dass sie das öffentlich tut, mag verwundern.“

http://www.bild.de/politik/inland/bettina-wulff/deutschland-diskutiert-ueber-bettina-wulff-26167808.bild.html

Janun, manche Psychiater sind anscheinend etwas lebensfremd: wer öffentlich angegriffen wird, schlägt öffentlich zurück: das nennt man Waffengleichheit. Der Artikel schließt mit scheinbar neutralen Informationen über weitere PR-Termine, die nun auch die BILD-Autoren und deren Leser ›verwundern‹ mögen:

Bettina Wulff bleibt weiter präsent: Heute Titelgeschichten in „Stern“, „Gala“ und „Bunte“. Am kommenden Dienstag ist sie bei Maischberger, am 21. September in der Radio-Bremen-Talkshow „3nach9“ zu Gast.

http://www.bild.de/politik/inland/bettina-wulff/deutschland-diskutiert-ueber-bettina-wulff-26167808.bild.html

Das ist natürlich entlarvend. Eine Frau, die ihren Mann kritisiert, tut ihm was an. Die ist kurz vor dem Absprung. Volkes Stimme wird bemüht. Trennungsgerüchte werden verbreitet. Der arme feige Mann, der am Nasenring vorgeführt wird und überhaupt ein Schwächling ist, sonst hätte er seiner Frau doch einfach schlicht verboten, dieses Buch zu schreiben. Eine Frau darf nämlich keine eigene Meinung und keine eigene Sicht der Dinge haben. Und wenn sie die schon mal hat, sollte sie jedenfalls den Mund halten.

Wie selbstverständlich stieß Jürgen Dahlkamp im SPIEGEL Print (der auch kaum noch besser ist als SPON), in der Ausgabe 38/2012 vom 17.9.2012 in dasselbe Horn – tarnte seine ersichtlich mit ihm durchgehende Antipathien allerdings staatstragend:

Schwarz-Rot-Geld

Christian Wulff war nicht nur der falsche Präsident. Bettina Wulffs Memoiren zeigen: Er hatte für das Amt auch die falsche Frau. Von Jürgen Dahlkamp

[…]

Bettina Wulff war nicht das stumme Anhängsel dieses Bundespräsidenten, sie war – und hat sich so sehen wollen – Teil eines Teams, eines modernen Paares, das diesem Land ein modernes Gesicht geben wollte.

Damit aber hat sie auch, ganz altmodisch, eine Verpflichtung übernommen, gegenüber dem Amt und dessen Würde. Eine Verpflichtung, die nicht mit dem Tag endet, an dem ein Präsidentenpaar aus der Dienstvilla in Dahlem auszieht. Bettina Wulff will ihr nun aber offenbar nicht mehr gerecht werden, sie hat sie abgestreift, mit diesem Buch. Ihr Schweigen wäre Gold gewesen, stattdessen redet sie nun und zerredet Schwarz-Rot-Gold zu Schwarz-Rot-Geld.

[S. 34]

Bullshit. Es waren Journalisten, die die Würde des Amts verletzten – zuerst gegenüber Horst Köhler, dann gegenüber Christian Wulff, der wegen vermeintlicher Fehlleistungen im vorangegangenen Amt des Ministerpräsidenten aus dem Amt geschrieben wurde – die Präsidentschaft ist ein demokratisches Amt auf Zeit, und es ist geradezu überfällig, seine royale Überhöhung, die nolens-volens auch die Ehefrau des jeweiligen Präsidenten-Darstellers per Sippenhaft zur lebenslangen Repräsentationsfigur erstarren läßt, zugunsten beider menschlicher Protagonisten aufzulösen.

Was für ein Abgrund an Rollenbildern und Demokratieverständnis tut sich hier auf! Der gescholtene Christian Wulff ist jedenfalls weitaus souveräner als die heuchlerisch barmenden Medien, die ihn zum Pantoffelhelden und sie zu der den Versager Verlassenden zurechtstutzen wollten (während ihr Buch das Gegenteil belegt, nämlich das Ringen um Autonomie und zugleich die Rettung von Ehe und Familie gegen diesen zerstörerischen Betrieb). Die Buch-Widmung lautet: ›Für meine Familie‹. Nicole Maibaum, ihre Co-Autorin, hatte Christian Wulffs Anteil an dem Buch schon am 12.9.2012 deutlich gemacht:

Inwieweit war denn Christian Wulff an dem Prozess beteiligt? Hat er Ihnen Kaffee gebracht, wenn Sie zusammensaßen?

Nein, er war gar nicht da. Es war eine professionelle Situation. Wenn man ein Interview führt, wäre es unangebracht, wenn zum Beispiel Kinder um einen herumturnen. Wir haben uns getroffen und waren dann zu zweit. Herr Wulff war insofern involviert, als dass er die Kapitel gelesen und dazu seine Anmerkungen gemacht hat.

Wie stark hat er denn gekürzt oder gestrichen?

(lacht) Es hielt sich im Rahmen.

http://www.stern.de/politik/deutschland/bettina-wulff-buch-es-ist-ihr-buch-nicht-sein-buch-1893354.html

Derselbe Boulevard, der eine Anne Sinclair verurteilte, weil sie zu ihrem angeriffenen Mann DSK stand, verurteilt eine Bettina Wulff, weil sie sich eine eigene Meinung zu dem Verhalten ihres Mannes während seiner Präsidentschaft und des Krisen-Handlings leistet – was nur zu dem Schluß führen kann, daß man ohne Rücksicht auf die Meinung ahnungsloser Dritter leben sollte. Denn diese Dritte sind nicht nur ahnungslos, sondern auch bösartig.

Der STERN hat es auf eine Weise vorgeführt, daß einem schlecht wird. Mit Bettina Wulff sollte Auflage gemacht werden, ungeachtet der Tatsache, daß der STERN ihren Mann fast am widerwärtigsten niedergemacht hatte und gegenüber Bettina Wulff eine Unterlassungserklärung abgeben mußte.

Also jubilierte Florian Güßgen im STERN am 10.9.2012 pflichtschuldigst:

10. September 2012, 19:25 Uhr

Buch „Jenseits des Protokolls“

Die Bettina-Wulff-Story

Das Buch ist ein Knaller. Um ihre Ehre zu retten, rechnet Bettina Wulff schonungslos ab: mit dem Amt, mit Rufmördern. Auch ihr Mann kommt nicht immer gut weg. Ein Überblick. Von Florian Güßgen

Es ist ein Paukenschlag. Flankiert von einer Aufsehen erregenden juristischen Offensive veröffentlicht Bettina Wulff, die Frau des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, diese Woche ihr mit Spannung erwartetes Buch. Es ist eine facettenreiche Abrechnung mit ihrer Zeit als First Lady, mit den Zwängen des Amtes, mit jenen Büchsenspannern, die ihr andichteten, sie habe als Edelprostituierte gearbeitet – und auch eine Abrechnung mit ihrem Mann, Christian. Wir haben das Buch gelesen. Es ist aus vielen Perspektiven spannend, interessant – und bietet Stoff für Diskussionen. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen.

[…]

Lohnt es sich, das Buch zu lesen?

Absolut. Es ist eine kurzweilige Lektüre, die tatsächlich einen Schlüssellochblick auf die Präsidentschaft Christian Wulffs gewährt – nicht auf die hohe Politik, sondern auf die persönliche Ebene. Bettina Wulff ist eine spannende Persönlichkeit, die sich hier offenbart. Um sich ein wirklich eigenes Bild machen zu können, lohnt es sich, das ganze Werk zu lesen.

http://www.stern.de/politik/deutschland/buch-jenseits-des-protokolls-die-bettina-wulff-story-1892373.html

In diesem Ton ging das bis zum Exklusiv-Interview in Nr. 38 vom 13.9.2012 weiter, wobei das Heft bereits am 12.9.2012 erhältlich war. Bettina Wulff auf dem Titel mit der wie von BUNTE abgekupferten Zeile ›Jetzt rede ich!‹, mit einem engagierten Editorial von Thomas Osterkorn als Beweis für tätige Reue, und mit einer Interview- und Fotostrecke von S. 32 bis S. 45. Wieviel an Gewinn mag das gebracht haben?

Offenbar nicht genug, denn so exklusiv war das Interview denn nun doch nicht, es  erschienen auch in BUNTE, BRIGITTE und GALA Bettina Wulff-Interviews. Noch am 13.9.2012, zeitgleich mit BILD, dem alten  Kampfgenossen aus der Christian Wulff-Schlacht, änderte der STERN seine Linie und schoß ONLINE zurück – in Gestalt desselben Florian Güßgen, der wenige Tage zuvor das Buch überschwänglich zur Lektüre empfohlen hatte, egal, jetzt war man wieder auf der alten Polemik-Schiene, auf der man sich als gestalterische Kraft empfinden darf:

13. September 2012, 16:11 Uhr

Die Wulffs und die „Bild“

Präsident von Diekmanns Gnaden

Man mag über Bettina Wulffs Buch denken, was man will. Aber eines ist sicher: Es wirft ein grelles Licht auf das Verhältnis der Wulffs zur „Bild“-Zeitung – und die „Bild“ kommt dabei besser weg. Von Florian Güßgen

Auch wenn vieles, was in Bettina Wulffs Buch drinsteht, an einem vorbeifließt, den Gedanken entgleitet: Es gibt ein paar Aspekte ihrer Geschichte, die hängen bleiben – und tief blicken lassen. Dazu gehört ihre Beschreibung des Verhältnisses der Wulffs zur „Bild“-Zeitung und deren Chefredakteur Kai Diekmann. Denn der Politiker Christian Wulff, so lässt sich herauslesen, hat offenbar tatsächlich und ernsthaft geglaubt, dass es zwingend zum politischen Handwerk gehört, irgendeine stille, bisweilen sogar laute Übereinkunft mit dem vermeintlichen Leitmedium des Volkes zu haben. Zudem glaubte er, die „Bild“ beherrschen, steuern zu können. „Es ist ein Fakt“, schreibt Bettina Wulff in ihrem Buch. „Wenn man in Deutschland einen bestimmten Grad an Öffentlichkeit erreicht hat, kommt man nicht um die ‚Bild‘ herum.“ Wulff bemüht auch die legendäre, wie ein physisches Gesetz anmutende Einsicht von Springer-Chef Mathias Döpfner: „Wer mit der ‚Bild‘-Zeitung im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten.“ Es gehört zur Tragik des vermeintlich ausgebufften Politprofis Christian Wulff, dass er dieses Gesetz fast bis zum Schluss nicht verstanden hatte.

[…]

Bemerkenswert ist noch ein zweiter Aspekt dieses Frühstücks. Denn Diekmann tat das, was Journalisten bei Gerüchten tun sollten: Er konfrontierte – und fragte Bettina Wulff, ob denn etwas dran sei an den Gerüchten über ihre Rotlichtvergangenheit. Bettina Wulff erwischte er so kalt. „Ich war völlig entgeistert, mir blieb fast das Brötchen im Halse stecken. Da saßen wir beim Frühstück zusammen, und dann stellt dieser Mann so eine Frage.“ Schon zu dem Zeitpunkt hätten die Wulffs eigentlich begreifen müssen, dass der Pakt mit der „Bild“, den sie meinten, festigen zu müssen, zu keinem Zeitpunkt wirklich einer war.

[…]

Es ist eine der Ironien der Wulff-Story, ob gewollt oder nicht, dass die „Bild“-Zeitung und ihr Chef in Bettina Wulffs Buch im Prinzip besser wegkommen als ihr eigener Mann. Denn zumindest in diesem Fall erfüllte Diekmann seine Rolle als Journalist, Wulff wirkte dagegen einmal mehr wie ein Politiker, der die Gebote seines Amtes verriet, wenn nicht sogar verhöhnte. Diekmann kann jener Begegnung mit Bettina Wulff jedenfalls recht gelassen entgegensehen, die sie ihm im Buch verheißt. „Man sieht sich im Leben mindestens zweimal“, schreibt sie. „Auch mit einem Kai Diekmann wird es für mich ein Wiedersehen geben, da bin ich mir fast sicher.“

Der „Bild“-Zeitung wird’s ohnehin recht sein. Am Montag veröffentlichte sie als Erste Auszüge aus dem Buch – und machte mit Bettina Wulff auch die Zeitung auf. Mit der Schlagzeile „Abrechnung auch mit Bild“ veröffentlichte die „Bild“, zumindest online, auch die vermeintliche Kritik Wulffs an dem Medium. Beschrieben wurde jene Situation, in der Diekmann Wulff mit den Prostitutionsvorwürfen konfrontierte und jene, als Christian Wulff Diekmann auf den Anrufbeantworter pöbelte. In beiden Situationen adelt Wulffs Kritik Diekmann natürlich eher, als dass sie ihn treffen könnte. Am Donnerstag war Bettina Wulff wieder Titel der Zeitung, verbunden mit der Zeile: „Warum tut sie ihm das an?“ Offenbar sind die Wulffs im Aufzug steckengeblieben. Und zwar irgendwo auf Höhe der Tiefgarage.

http://www.stern.de/politik/deutschland/die-wulffs-und-die-bild-praesident-von-diekmanns-gnaden-1894162.html

So, der große Diekmann ist also ein Journalist, der selber recherchiert und konfrontiert? Oder nicht vielmehr der Chefredakteur, der durchblicken läßt, daß seine Leute was für die Schublade suchen, die zu gegebener Zeit geöffnet werden wird? Güßgen ist jedenfalls Diekmann-Fan: so mächtig und clever möchte er auch einmal werden, wenn er groß ist, und die Sache mit dem Aufzug-rauf-und-runterfahren übt er ja schon fleißig. Ob dieser Artikel sein Bewerbungsschreiben mit dem Ausweis für gewissenlosen Journalismus ist?

Gut zwei Stunden später schrieb der STERN das Buch zum kommerziellen Mißerfolg herunter, nachdem eine Journalistin (?) am zweiten Tag seines offiziellen Erscheinens ein paar Buchhandlungen abtelefoniert hatte:

13. September 2012, 18:40 Uhr

Verkaufszahlen des Wulff-Buches

Jenseits des Bestsellers

Es sollte ein absoluter Verkaufsschlager werden. In ihrem Buch erzählt Bettina Wulff alles – und scheint damit bisher auf ziemlich großes Desinteresse zu stoßen. Von Verena Kuhlmann

http://www.stern.de/kultur/buecher/verkaufszahlen-des-wulff-buches-jenseits-des-bestsellers-1894411.html

Am Montag, dem 17.9.2012, wurde diese grandiose ›Rechercheleistung‹ widerlegt:

Literatur

Buch von Bettina Wulff springt an die Spitze der Bestseller-Charts

17.09.2012 | 15:51 Uhr

http://www.derwesten.de/panorama/buch-von-bettina-wulff-springt-an-die-spitze-der-bestseller-charts-id7106590.html

Knapp vorbei ist auch daneben, weshalb sich am 14.9.2012 Sophie Albers im STERN aus Großburgwedel meldete, von dort ebenfalls scheinbar maue Verkaufszahlen (13 Stück am ersten Tag) und lauwarme Gerüchte mitbrachte:

14. September 2012, 13:35 Uhr

„Jenseits des Protokolls“ von Bettina Wulff Lautes Schweigen in Großburgwedel

Bettina Wulffs Innenansichten sind DAS Medienthema. Auch im Heimatort der ehemaligen First Lady wird das Buch beworben. Ein Streifzug durch Großburgwedel. Von Sophie Albers

[…]

Kritik kommt vereinzelt, eben weil Bettina Wulff sich nicht an das „Man hält die Klappe und denkt sich seinen Teil“ gehalten hat. Das Wort „privat“ hat in dem Ort mit den gepflegten Gartenzäunen große Bedeutung.

Natürlich gibt es auch den richtig fiesen Tratsch. Höhepunkt sind Spekulationen über eine mögliche Trennung der Wulffs. Hat sie mit ihrem Buch den Bogen überspannt? Starke, selbstständige Frauen sind nicht jedem Burgwedeler willkommen. Aber wo sind sie das schon.

http://www.stern.de/panorama/jenseits-des-protokolls-von-bettina-wulff-lautes-schweigen-in-grossburgwedel-1894520.html

Am 16.9.2012 engagierte der STERN die ›Bestseller-Autorin‹ (???) Else Buschheuer zum gefälligen Wulff-Bashing. Das sah dann so aus:

16. September 2012, 19:00 Uhr

Bettina Wulff

Ich, die Pooth und Frau Wulff

[…]

Man muss nachsichtig sein. Bettina Wulffs Ruhm kommt über den zweiten Bildungsweg. Sie ist niemand. Sie ist die Frau von jemand. Das heißt, sie ist die Frau von niemand, aber der war einmal jemand. Jetzt muss Frau Wulff, ehe ihr Name restlos vergessen ist, selber jemand werden.

[…]

Die-die-keine-Nutte-war

Wie aber sieht es mit Bettina Wulff aus? Wird sie die Geister, die sie rief, wieder los? Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, kommt darin um, heißt es. Kann man Massenmedien an der Leine führen wie Siegfried und Roy ihre weißen Tiger? Muss man nicht riskieren, dass sich eines der Viecher plötzlich umdreht und einem ein Stück vom Kopf abbeißt, einfach so? Wird Frau Wulff am Ende des Jahres in die „Menschen 2012“-Sendung eingeladen werden? Und, wenn ja, als was? Als Verleumdungsopfer? Als mutige Frau, die sich nichts gefallen lässt? Als Bestseller-Autorin und PR-Agentin? Als Ex-Frau vom Ex-Bundespräsidenten? Als neue Liebe von XY (hier beliebigen Prominenten einsetzen). Oder als die-die-keine-Nutte-war?

Falls Letzteres eintritt, sollte sie sich vom Erlös ihres Bestsellers einen neuen PR-Berater leisten.

Good Luck, Bettina!

http://www.stern.de/politik/deutschland/bettina-wulff-ich-die-pooth-und-frau-wulff-1894318.html

Ja, Frauen können so schön böse sein! Hach, und so spitzzüngig… Wenn man meinte, das sei jetzt der finale Schlag des STERN gewesen, so sah man sich getäuscht. Einen Tag später trat die Allzweckwaffe Alice Schwarzer auf und nach. Noch am 11.9.2012 hatte sie sich in einem Blogbeitrag wuchtig als Beschützerin des klassischen weiblichen Opfers ohne Wenn und Aber inszeniert:

11.09.2012

Die Ehre der Bettina Wulff

[…]

Und die Brandmarkung einer Frau als Prostituierte? Ist das nicht Frauenfeindlichkeit, also Sexismus? Oder ist es Gewohnheit? Sollen wir uns nicht so anstellen, wir Frauen? Denn in der Tat: Es gab sicherlich jüdische Interessengruppen, die in Frankreich Druck auf Google gemacht haben. Aber es gibt bisher noch keine Frauengruppen, die in Sachen Sexismus Google zur Verantwortung ziehen.

Und Bettina Wulff? Der wird zurzeit angekreidet, die Verbindung von Klage & Buch sei eine „geschickte Marketingstrategie“ und ihr Buch ein „Groschenroman“. Na und? Niemand hat behauptet, hier komme hohe Literatur. Es geht schlicht um eine für diesen Menschen existenzielle Richtigstellung in eigener Sache. Und was die Marketingstrategie angeht: Das ist doch auch mal schön, dass hier eine, die mit größtmöglicher Wucht gehetzt und verleumdet wurde, mit größtmöglicher Wucht zurückschlägt.

Alice Schwarzer

Was war geschehen, daß sie ihre Meinung so geändert hatte und nun plötzlich STERN-kompatibel wurde? War es der Umstand, daß ihr Ex-Auftraggeber BILD seit dem 13.9.2012 den Wulff-Bashing-Kurs eingeschlagen hatte? Oder die Tatsache, daß Bettina Wulff, erschreckt von der Gewalt, dem Niveau und der Tendenz der gegen sie und ihren Mann gerichteten medialen Angriffe, den Talkshow-Auftritt bei Sandra Maischberger abgesagt und Alice Schwarzer damit eine neuerliche Bühne für ihre Lieblingsrolle als Rächerin der Enterbten geraubt hatte? (Als Gast in der Ersatzsendung über den Haß-Film gegen Mohammed war sie eher deplaciert: denn nach eigenem Eingeständnis kennt sie weder den Islam noch hatte sie den betreffenden Video-Trailer zum Film gesehen.) Oder hatte sie in Vorbereitung auf die Sendung das Buch ihres reflexhaft erkorenen Schützlings erstmals gelesen? Nicht auszuschließen wäre auch, daß der STERN kritische Bemerkungen zu Bettina Wulff als Auftragsbedingung ausgehandelt hatte. Wes Brot ich eß, des Lied ich sing‘. So ist das nun mal. Und so entledigte sich Alice Schwarzer dieses winzigen Problemchens (Journalisten sind ja geschmeidig):

17. September 2012, 21:00 Uhr

„Jenseits des Protokolls“

Die Entblößung der Bettina Wulff

Es gibt viele gute Gründe, mit Bettina Wulff solidarisch zu sein. Schade nur, dass sie jeden Ansatz von Verbundenheit selbst zunichte macht – mit der Veröffentlichung ihres Buches. Ein Gastkommentar von Alice Schwarzer

Der Wiederherstellung der Ehre von Bettina Wulff dient diese indiskrete Plapperei der ehemaligen First Lady nicht. Aber deswegen haben ihre Kritiker noch lange nicht in allen Punkten recht.

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Die Frau steht im Schatten ihres Mannes

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Währenddessen versank hierzulande die beruflich hoch qualifizierte Hannelore Kohl neben dem Kanzler im Licht bis zur Selbstvernichtung im Dunkeln. Und auch die nächste Generation, Doris Schröder, gab Eigenständigkeit und Beruf prompt auf. Bettina Wulff nun behauptet, sie würde das nicht noch mal so machen – auch wenn sie es in der Amtszeit ihres Mannes genau so getan hat.

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Mit einem fundierten Interview wäre der Gekränkten allerdings mehr gedient gewesen. Oder mit der Beschränkung auf drei von 16 Kapiteln: der Zurückweisung der infamen Rotlichtgerüchte sowie der Schilderung der dramatischen letzten Monate in Schloss Bellevue aus ihrer Sicht. Zu Recht beklagt Bettina Wulff sich über ihre Entblößung im Internet und in manchen Medien. Nun aber entblößt sie sich selber. Und den Politiker Wulff gleich mit.

Ein Gastkommentar von Alice Schwarzer

http://www.stern.de/politik/deutschland/jenseits-des-protokolls-die-entbloessung-der-bettina-wulff-1896170.html

Gewogen und zu leicht befunden. Einfach nicht emanzipiert genug, und während sie, Alice Schwarzer, in ihrer Autobiographie und während gefühlt Hunderten an öffentlichen Auftritten offenherzig über ihre große Liebe zu Bruno und ihren Hang zu Miniröcken plauderte (ja, sie war mal eine ganz normale Frau), plappert Bettina Wulff nur und ›entblößt‹ sich. Leiderleider kann man sich die passenden Opfer nicht schnitzen.

Ein letztes Mal hat Bettina Wulff versucht, dem neuen medialen Zerrbild des Paares Wulff (sie, die eiskalte Abzockerin auf dem Absprung, er, der am Nasenring geführte Versager) entgegenzutreten. Und obwohl sie dieses Interview letztlich nicht autorisierte, ist ihre Botschaft doch angekommen:

WELT am SONNTAG

16.09.12

Ex-First-Lady

Und plötzlich verstummte die redselige Bettina W.

Bettina Wulff sitzt in ihrer Lieblingskneipe in Hannover und spricht über Zufälle, Gerüchte und Dementis, über ihr Leben und ihr Buch. Am nächsten Tag zieht sie das Interview zurück. Von Ulrich Exner und Heike Vowinkel

[…]

Christian Wulff als erster Leser

Also, neuer Versuch: Nein, sagt Bettina Wulff, sie habe ihren Mann mit „Jenseits des Protokolls“ nicht am Nasenring durch die Manege führen wollen, wie es ihr einige Kritiker jetzt vorwerfen. Das entspreche nicht im Geringsten ihrer Intention, auch nicht dem Inhalt ihres Buches, sondern entspringe der Fantasie von Journalisten, die einzelne Halbsätze ihres Buches aus dem Kontext gerissen und zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt hätten. Er liebe sie „abgöttisch“, wird er zitiert. Sie stelle sich lieber etwas weiter weg. Man gewinnt den Eindruck, Bettina Wulff findet das, was jetzt gerade mit ihr passiert, sei so etwas wie ein zweiter Rufmord.

Das Gegenteil dessen, was berichtet wird, ist aus ihrer Sicht richtig: Einvernehmen. Christian Wulff habe viele Kapitel als Erster gegengelesen. Er habe jeden Schritt der Buchveröffentlichung verfolgt und gutgeheißen, auch wenn dieses Buch in erster Linie natürlich ihr Buch, ihr Projekt sei, ihre Art, das Vergangene aufzuarbeiten. Aber ihr Mann habe diesen Prozess nun mal konstruktiv begleitet. Und im Übrigen plane man, damit das ganz klar ist, eine gemeinsame Zukunft.

Auch das ist ein Konter. Ein Gegenangriff auf jene weiteren Gerüchtefetzen, die ihr und ihrer Familie, jetzt schon wieder um die Ohren fliegen und nach denen ihre Ehe bedroht, wenn nicht schon ganz und gar am Ende sei. Bettina Wulffs kämpferischer Solo-Auftritt im „Café HeimW“ ist ein ebenso starkes Dementi dieser Endzeiterzählungen wie das gemeinsame Auftreten des Ehepaares Wulff bei Peter Maffays Duderstädter Kinderprojekt in der vergangenen Woche. Ein klares Bekenntnis zu ihm, bei dem man sich automatisch fragt, warum es eigentlich schon wieder so viele gibt, die ihr das partout nicht abnehmen.

http://www.welt.de/vermischtes/article109254822/Und-ploetzlich-verstummte-die-redselige-Bettina-W.html

Warum wohl? Das liegt an den Medien, die sich lieber ihre eigenen Bilder basteln, je klischeehafter, umso lieber. Und wenn sie dann noch jemanden abschießen können, also MACHT ausüben und damit noch Geld verdienen können, ist die Verzerrung von Wirklichkeit geradezu geboten.

Nachtrag:

Es gab auch Positives zu lesen. Heribert Prantls eindrücklicher Artikel über die Macht von Google, in dem sich folgende bemerkenswert selbstkritische Sätze finden:

Bettina Wulff und Gerüchte im Netz

Wenn das Recht auf Vergessen nicht gilt

15.09.2012, 14:44

Von Heribert Prantl

Die frei erfundenen Gerüchte gegen Bettina Wulff können im Netz bis heute ungebremst weiterwuchern. Internetrecht? Allein das Wort ist ein schlechter Witz. Der Gesetzgeber schaut dem digitalen Mobbing seit Jahren tatenlos zu. Ein Skandal.

http://www.sueddeutsche.de/panorama/rolle-der-justiz-in-der-causa-bettina-wulff-wenn-das-recht-auf-vergessen-nicht-gilt-1.1468695

Mit der Verbissenheit der Kampagne und der Maßlosigkeit ihrer Mittel entzog Maximilian Harden seinerzeit seiner politischen Kritik die Legitimität. Man ist ein wenig erinnert an die Art und Weise, wie die Kampagne gegen den unglücklichen und glücklosen Bundespräsidenten Christian Wulff betrieben wurde – die Verleumdung seiner Ehefrau war ein Teil dieser über weite Strecken ziemlich selbstgefälligen publizistischen Kampagne.

Wie gesagt: Am Beginn des Zeitungszeitalters stand diese Eulenburg-Affäre. Am Beginn des Internet-Zeitalters stehen Kampagnen wie die gegen die Wulffs.

http://www.sueddeutsche.de/panorama/rolle-der-justiz-in-der-causa-bettina-wulff-wenn-das-recht-auf-vergessen-nicht-gilt-1.1468695-2

Stefan Niggemeiers Anti-Google-Artikel ›Der Verleumdungs-Automat‹ im SPIEGEL 38/2012 gehörte ebenfalls zu den erfreulichen Begleiterscheinungen dieser neuerlichen Hetzkampagne, ebenso wie die Bemühungen von Prof. Simitis und der Justizministerin, den 69. Deutschen Juristentag zu einer entsprechenden Beschlußfassung zugunsten einer gesetzlichen Regelung gegen die Google Autocomplete-Funktion zu bewegen – was leider knapp abgelehnt wurde. Immerhin hat der Fall Bettina Wulff aber zu folgender Beschlußfassung geführt:

Namenhafte Datenschützer haben sich beim aktuell in München stattfindenden 69. Deutschen Juristentag (DJT) für eine Identifizierbarkeit aktiver Internetnutzer ausgesprochen, sofern diese eigene Beiträge im Netz veröffentlichen. Dies entspricht auch den Forderungen der Innenminister, die sich schon früher hierfür ausgesprochen haben.

Empfehlungen an den Gesetzgeber

Thema der alle zwei Jahre stattfindenden Veranstaltung war diesmal „Persönlichkeits- und Datenschutz im Internet – Anforderungen und Grenzen einer Regulierung.“  Die bedeutende rechtspolitische Veranstaltung formuliert zum Abschluss ihrer Beratungen Beschlüsse, die als Empfehlungen an den Gesetzgeber gerichtet sind. Darunter auch folgende Beschlüsse, die in Richtung De-Anonymisierung zielen:

Ein „Recht auf anonyme Internet-Nutzung“ ist nicht anzuerkennen. Bei aktiver Nutzung des Internets mit eigenen Beiträgen darf der Nutzer nicht anonym bleiben, sondern muss im Rahmen einer Verwendung von Pseudonymen zumindest identifizierbar sein. Nur dann lassen sich Rechtsverstöße wirksam verfolgen. Internet-Dienste sollen den Klarnamen und die Internetverbindung ihrer Nutzer registrieren.  

Bei behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist dem Betroffenen – in Anlehnung an §§ 101 UrhG, 19 MarkenG, 140b PatG – ein Auskunftsanspruch zur Benennung des Rechtsverletzers zu gewähren; Ausnahmen sind nur in verfassungsrechtlich gebotenen Fällen zuzulassen.

http://www.datenschutzbeauftragter-info.de/

Das wäre der richtige Weg im Sinn eines zivilisatorischen Fortschritts. Leider muß man das konstatieren, denn auf Einsicht ist nicht zu hoffen. Wenn schon namentlich bekannte Journalisten keine Einsicht haben und, wie insbesondere Alice Schwarzer in ihrem Feldzug gegen Jörg Kachelmann, nur durch Gerichte in ihren rechtsverletzenden Aktivitäten ausgebremst werden können, ist Hopfen und Malz verloren. Wie der Herr, so’s Gescherr.