Politik, Medien, Volkes Stimme & die Justiz: der Versuch eines Überblicks

Nebel

 

Seit über drei Monaten habe ich keinen Blog-Artikel mehr verfaßt, obwohl das Thema, die Analyse des psychiatrischen Gutachtens von Dr. Klaus Leipziger im Verfahren gegen Gustl Mollath, keineswegs beendet ist. Spüre ich den Ursachen meiner mangelnden Konsequenz nach, so muß ich eine merkliche Unlust, mich mit diesem Gutachten zu beschäftigen, eingestehen. Sie ist, diese Arbeit, bloße Destruierung ohne konstruktiven Mehrwert. Das Gutachten ist Geschichte wie die auf ihm fußende Verurteilung. Und was im Wesentlichen aus juristischer Sicht dazu zu sagen wäre, hat Oliver García schon vor langer Zeit in aller Kürze gesagt:

http://blog.delegibus.com/2013/08/26/fall-mollath-der-schleier-ist-gelueftet/

Neben dieser Unlust war es aber auch etwas anderes, das mich von der konzentrierten Arbeit an einem Artikel abhielt. Es waren die weiteren aus dem Ruder gelaufenen Ermittlungs- und Strafverfahren, die seit Ende 2013 auf die unnützliche Kommentatorin einwirkten. Seit Januar 2014 führten sie zu über 3.500 Kommentaren auf diesem Blog, von denen gut 25 % von ihr selber stammen dürften.

Die Verfahrensstoffe mögen noch so unterschiedlich sein: es eint sie doch das Phänomen, daß medialer und politischer Overkill deren eigentliche juristische Bedeutung bis zur Unkenntlichkeit überlagern. Gemeinsam ist diesen Fällen auch, daß das Verfahren selbst, unabhängig von seinem Ausgang, die eigentliche Strafe ist. Daß mit Mitteln des Strafrechts Politik gemacht wird. Und als basso continuo erklingt in User-Kommentaren und Blogs mehrheitlich das Mißtönendste, zu dem Volkes gern kernig- rauhe Stammtischstimme fähig ist: ein ohrengellendes „Kreuziget ihn!“ aus niedrigen Beweggründen.

Nehmen wir den Fall Uli Hoeneß. Verhandelt auf Seite eins in allen Printmedien, Live-Ticker in den online-Medien, Zigtausende von dissenden anti-FC-Bayern-Leser-Kommentaren, vom Opfer auch noch wurstsemmelverwöhnte Paparazzi am Tegernsee, Ferndiagnosen von unberufenen Seelenflüsteren, die zwischen Spielsucht und Narzißmus schwankten -: alle alle engagierten sie sich, ob Sportreporter, Gerichtsberichterstatter oder Wirtschaftsjournalist; allen voran der STERN, der sich mit Journalistenstolz nach dem Präsidentensturz nun auch noch den Abschuß einer Sport- und Gesellschaftsgröße ordensmäßig an die geschwellte Brust heftet. In dieser Selbstbesoffenheit scheinen juristisch geahndete Falschinformationen nur eine Petitesse zu sein, zumal es ja noch eine zweite Instanz gibt:

28. März 2014 19:21

Zivilprozess gegen den „Stern“ 4:0 für Hoeneß

Im Strafprozess in München wurde Uli Hoeneß zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, im Zivilprozess gegen den „Stern“ bleibt der ehemalige Fußballmanager der Gewinner. Das Landgericht Hamburg verurteilt den Verlag Gruner + Jahr und einen Reporter zu einer Unterlassungserklärung in vier Punkten.

Von Hans Leyendecker

http://www.sueddeutsche.de/sport/zivilprozess-gegen-den-stern-fuer-hoeness-1.1924434

Andererseits wird jetzt deutlich, daß der vermutlich gutbezahlte STERN-Informant von der Vontobel-Bank, wahrscheinlich ein finanztechnisch eher unbeleckter System-Administrator, nur oberflächlich über die wirtschaftlichen Hintergründe der Kontenbewegungen unterrichtet war, wie man diesem klug analysierenden Artikel entnehmen kann:

Banken

Die Helfer des Uli Hoeneß

An der Zockerei des Managers waren mehrere Banken beteiligt – unter ihnen Julius Bär. So manches Rätsel scheint inzwischen gelöst. von Arne Storn

DIE ZEIT Nº 14/2014 26. März 2014  19:15 Uhr

Einmal schauen, wie der berühmteste Straftäter der Republik bald leben wird, einmal hören, welche Arbeiten auf ihn zukommen: Nächste Woche dürfen Journalisten sich ein Bild davon machen, welche Haftbedingungen Uli Hoeneß in der Justizvollzugsanstalt in Landsberg am Lech erwarten. Dort muss der Ex-Präsident des FC Bayern München demnächst seine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten antreten.

Während sich die Scheinwerfer der Medien bereits auf die Zukunft richten, scheinen sich langsam ein paar Rätsel der Vergangenheit zu klären, die nach dem Urteil offen geblieben waren: Woher kam das Geld zum Beispiel? Wie konnte es sich so drastisch vermehren?

http://www.zeit.de/2014/14/uli-hoeness-zockerei-banken/komplettansicht

In all diesem Getöse wirkte die Hauptverhandlung selbst wie eine gutgeölte Inszenierung, die zu unaufwendig daherkam, um den außerprozessualen Aufwand rechtfertigen zu können. Eine notwendige Fußnote im Gesamtgeschehen, den Gesetzen der Prozeßökonomie gehorchend, einen unausgesprochenen Deal vollziehend. Ob das Urteil „gerecht“ war? Janun, das ist so wie mit dem halbleeren und dem halbvollen Glas. Zwischen der kompletten Strafbefreiung durch eine wirksame Selbstanzeige und einer ausschließlich an der Höhe der hinterzogenen Steuer orientierten Strafzumessung hat man sich auf dem kürzesten, nämlich dem halben, Weg getroffen. Und die Schlußrechnung wird ohnehin das Finanzamt Miesbach aufmachen…

Das Strafverfahren war lediglich conditio sine qua non für das Eigentliche, nämlich das wollüstige Suhlen im Schicksal des gefallenen Helden, ein antikisches Drama mühsam wiederbelebend. Ein Circus Maximus der öffentlichen Erregung. Gut 150 Reporter tummelten sich am Tag der offenen Zelle im Landsberger Gefängnis. Es blieb der ZEIT vorbehalten, beim JVA-Sightseeing sowohl mitzumischen als auch Distanz zu BILD-Reportern einzunehmen, die dort Selfies im Knastraum produzierten. Und nebenbei daran zu erinnern, daß Knast bürokratische Gewaltunterworfenheit bedeutet, die der angeblich angestrebten Resozialisierung diametral entgegenwirkt. Von der Subkultur, die im Erstverbüßer-Vollzug in Landsberg allerdings nicht sehr ausgeprägt sein dürfte, mal ganz abgesehen.

Haftstrafe Hoeneß und die JVA-Metzgerei

Kurz vor Haftantritt des früheren FC-Bayern-Präsidenten öffnet die Justizvollzugsanstalt Landsberg ihre Türen für Journalisten. Denen vergeht auf dem Rundgang das Lachen. von Georg Etscheit, Landsberg

Aktualisiert 31. März 2014  17:52 Uhr

„Die Mitnahme von Geschirr und Besteck in die Hafträume ist grundsätzlich verboten.“

„Die Spülküche ist kein Aufenthaltsraum. Nichtbeachtung wird disziplinarrechtlich geahndet.“

„Badeschlappen und Hauspantoffeln nur im Haftraum und auf dem Weg zur Dusche und zurück. Sonst ist das Tragen wegen Unfallgefahr verboten.“

„Ab Februar 2009 besteht bis auf weiteres die Möglichkeit, einmal im Monat Gebäck aus der Anstaltsbäckerei zu bestellen. Es gibt drei verschiedene Sorten.“

Es gleicht einem radikalen Akt konkreter Poesie, all die Anordnungen, Vorschriften, Erlasse und Verfügungen, die hier die Wände bedecken und die Aushängekästen füllen, unkommentiert hintereinander zu stellen.  Schnell lässt sich zumindest ansatzweise ermessen, was es bedeutet, hier in der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech Tage, Monate, gar Jahre verbringen zu müssen: Wer hier einsitzt, verliert nicht nur die Bewegungsfreiheit, sondern auch, ganz allgemein gesprochen, die Verfügungsgewalt über das eigene Leben.

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-03/jva-landsberg-gefaengnis-hoeness

Ich hätte nicht gedacht, daß ich Horst Seehofer einmal würde loben können: aber für diese Aktion tue ich es:

Am Ende der Debatte stand nach Aussage Aigners „die Bitte des Ministerpräsidenten, dass in Zukunft staatliche Stellen nicht dazu beitragen, hier Tür und Tor zu öffnen“.

Teilnehmer der Kabinettssitzung schilderten den Vorgang etwas drastischer. Seehofer sei schon „sehr, sehr sauer“ zur Tür hereingekommen und habe gleich zu Beginn der Sitzung Bausback zur Rede gestellt. Hintergrund war angeblich eine Beschwerde des FC Bayern über die Fotos und Filme sowie die Live-Reportagen von Fernsehsendern aus der Justizvollzugsanstalt. Dabei wurden nicht nur Gebäude, Gänge und der Fußballplatz der Anstalt gezeigt, sondern auch das Innenleben der Zellen. Dies wurde beim FC Bayern und dann auch vom Ministerpräsidenten offenkundig als Verletzung der Intimsphäre gewertet und soll sich künftig nicht wiederholen. Seehofer wurde mit den Worten zitiert: „Das hört sich auf!“ Bausback habe sich im Kabinett, wie es gestern hieß, mit Hinweis auf das große Medieninteresse verteidigt.

Uli Bachmaier

http://www.mainpost.de/regional/bayern/Nach-Pressetermin-im-Fall-Hoeness-Seehofer-aergert-sich-ueber-JVA;art16683,8063581

Das ist allerdings auch bereits Schnee von gestern in unserer schnellebigen Welt, denn nun wird schon in eine ganz andere Richtung spekuliert:

Die Führung von 157 Reportern und Fernsehtechnikern durch die JVA Landsberg hat in der Öffentlichkeit ein geteiltes Echo gefunden. Hat Gefängnisleiterin Monika Groß den Informationsanspruch von Presse, Funk und Fernsehen übererfüllt, indem sie auch exemplarische Zellen zur Besichtigung öffnete? Wurde die Privatsphäre von Hoeneß bereits verletzt, bevor er seine Strafe überhaupt angetreten hat? Oder war alles ohnehin nur Show, weil Hoeneß gar nicht lange in Landsberg bleiben, sondern an die JVA-Außenstelle in Rothenfeld nahe Andechs am Ammersee überstellt wird?

Das glaubt ein ehemaliger Landtagsabgeordneter, der einst selbst im Polizeidienst war. Er bescheinigt Landsberg, eine „Muster-JVA zu sein, die auch vorzüglich geleitet wird“, erwartet aber die baldige Verlegung des Promi-Inhaftierten Hoeneß („Innerhalb von 24 Stunden – denn ein normaler Vollzug dürfte in der Haupteinrichtung nicht zu realisieren sein“) nach „Rothenfeld Nr. 2“. Dort finde man „wenig Gemeinsamkeiten mit der Haftanstalt für Jedermann in Landsberg. Sie verfügt über Einrichtungen und Möglichkeiten, die den gehobenen Ansprüchen ,gehobener Gäste’ entspricht. Auch der Kontakt zu den Häftlingen in der Landsberger Einrichtung und auch die Freigängermöglichkeiten sind hier den besonderen Gästen angepasst.“

http://www.merkur-online.de/sport/fc-bayern/uli-hoeness-jva-landsberg-gemueseanbau-rothenfeld-3452066.html

Voilà, für Medienfutter und Neiddebatten wird auch weiterhin gesorgt sein.

Unter umgekehrten Vorzeichen fand der Prozeß gegen Christian Wulff statt. Hier hatten die Medien das Wild bereits erlegt, und der Staatsanwaltschaft Hannover oblag die undankbare Aufgabe, ihren Antrag auf Aufhebung der Immunität des damaligen Bundespräsidenten im Nachhinein zu rechtfertigen. Mit einem in jederlei Hinsicht unproblematischen privaten Hauskredit hatte die Medienmeute unter Anführerschaft von BILD-Heidemann begonnen, nachgelegt wurde mit allerlei Verdächtigungen wie einem späteren angeblichen „Schnäppchen-Kredit“; sie machten vor dem berühmten Bobby-Car für den Sohn und Kleider-Ausleihe für die Gattin nicht halt, sogar Erfindungen wie die einer kostenlose Zur-Verfügung-Stellung eines Spezialfahrzeugs der Firma Audi zugunsten der Ehefrau dienten dem ersichtlichen Ziel, den ungeliebten Präsidenten loszuwerden. Nachdem BILD wahrheitswidrig verbreitet hatte, Präsi-Kumpel Groenewold habe versucht, in Sylt Beweismittel beiseitezuschaffen (tatsächlich hatte er sich dort nur Buchungs- und Rechnungskopien besorgt), gab es kein Halten mehr. Die Staatsanwaltschaft witterte Verdunkelungsgefahr, und wo verdunkelt wird, muß zwingend eine Straftat vorliegen.

By the way: einem BILD-Verantwortlichen wie Kai Diekmann wahre Worte auf den Anrufbeantworter zu sprechen, halte ich nicht für einen Angriff auf die Pressefreiheit, sondern für Bürgerpflicht. Und Christian Wulff ist lediglich vorzuwerfen, daß er teilweise die winselnde Diktion eines Bittstellers verwandte.

http://www.bild.de/politik/inland/wulff-kredit-affaere/das-sprach-wulff-dem-bild-chef-auf-die-mailbox-34832232.bild.html

So nahm das Verhängnis seinen Lauf. Mit Millionenaufwand und einem Heer von sich verselbstständigenden LKA-Ermittlern wurde jeder Stein umgedreht. Zwischenzeitlich leakten strafrechtlich unerhebliche Ermittlungsergebnisse an die Presse, vom zeitweise überzogenen Konto des Ministerpräsidenten bis zur verpfändeten Rolex. Der Berg kreißte, aber er gebar nur das 750-Euro-Mäuslein einer Oktoberfest-Einladung im Jahr 2008 durch Freund Groenewold. Der Komplex „Sylt“ hatte sich genauso unergiebig wie alles andere auch erwiesen, das bereits geräuschlos von den Staatsanwaltschaften in Stuttgart und Berlin eingestellt worden war. Da man sich als Staatsanwaltschaft ja sonst nichts gönnt, leistete man sich jedenfalls Starfotos der wackeren Ankläger, die Generalstaatsanwalt Frank Lüttig, von Wulffs Intim-Parteifeind Bernd Busemann ernannt, als Kanonenfutter an die unhaltbare Front schickte, während der General selbst die Vorverurteilungs-Werbetrommel rührte.

http://www.staatsanwaltschaften.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=22924&article_id=119405&_psmand=165

[Fotos links unten]

Generalstaatsanwalt verteidigt Verfahren

Beweise sind „sehr stark“: Wulff-Anklage wegen Bestechlichkeit

Samstag, 20.04.2013, 10:03

In die Ermittlungen gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff hat sich nun auch Generalstaatsanwalt Frank Lüttig eingeschaltet. Die Beweise gegen Wulff seien „sehr stark“, sagte er dem FOCUS. Außerdem verteidigte er die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Hannover gegen Kritik.

http://www.focus.de/politik/deutschland/wulff-unter-druck/generalstaatsanwalt-verteidigt-verfahren-beweise-sind-sehr-stark-wulff-anklage-wegen-bestechlichkeit_aid_966243.html

Es kam, wie es kommen mußte: die Hauptverhandlung ergab Nullkommanichts für eine durch das Landgericht Hanover bereits im Eröffnungsbeschluß von der angeklagten Bestechlichkeit heruntergezonte Vorteilsnahme; begann die Hauptverhandlung zunächst sachlich, entwickelte sie sich zunehmend zur Farce und endete als das Trauerspiel eines realitätsblinden Oberstaatsanwalts, der sich zuletzt sogar seiner Pflicht entzog, ein Plädoyer zu halten – stattdessen stellte er weitere sinnlose Beweisanträge. Der Freispruch vom 27.2.2014 folgte auf dem Fuße, ebenso die von Generalstaatsanwalt Lüttig bereits im Vorfeld angekündigte Revision.

Freispruch im Korruptionsprozess: Die gerettete Ehre des Christian Wulff

Von Gisela Friedrichsen, Hannover

Der Freispruch für Christian Wulff war zugleich Kritik an den Anklägern. Sie hätten eine eindrucksvolle Indizienkette präsentiert, doch entlastende Faktoren nicht gewürdigt und letztlich keine Beweise für ein Vergehen geliefert – dies sagte Richter Rosenow in der Urteilsbegründung.

[…]

Dann befasste sich das Gericht mit den Anklagepunkten, von denen die Staatsanwaltschaft – ohne sie beweisen zu können – nicht lassen wollte.

  • Die Kammer habe nicht feststellen können, ob Wulff am Abend des 26. September 2008 im Restaurant Trader Vics, einem Lokal im Keller des Hotels Bayerischer Hof in München an einem von Groenewold bezahlten Abendessen teilgenommen habe.

  • Sie habe auch nicht feststellen können, ob Wulff überhaupt gemerkt habe, dass Groenewold einen Teil der Wulffschen Hotelkosten übernahm.

  • Es gebe auch keinen Beleg dafür, dass er Groenewold nicht die Babysitter-Kosten in bar zurückgab, als er bemerkte, dass die auf seiner eigenen Rechnung fehlten.

  • Eine unter Juristen sogenannte „Unrechtsvereinbarung“ (nach dem Motto: Ich gebe dir etwas, damit du mir dann dafür einen Gefallen tust) habe man auch nicht feststellen können.

Die Angaben der Angeklagten, so Rosenow, seien „im Kern“ nicht widerlegbar. Für eine Verurteilung reiche es nicht aus, wenn ein Geschehen „möglich“ gewesen wäre, Handlungsalternativen aber auch denkbar seien. Die Staatsanwaltschaft habe eine Indizienkette geknüpft, die „auf den ersten Blick in dieser Zusammenballung ihre Wirkung nicht verfehlt“, so der Vorsitzende. Aber bei näherer Betrachtung, in der Gesamtschau, gebe es eben auch eine ganze Reihe entlastender Gesichtspunkte. „Bei dieser Ausgangssituation hätte es schon sehr handfester Beweise bedurft“, sagte Rosenow, „die hat man hier nicht.“ Die Abläufe „könnten so gewesen sein, wie die Staatsanwaltschaft annimmt. Aber es könnte auch anders gewesen sein.“

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-gerettete-ehre-des-christian-wulff-a-956089.html

Die Sache wird enden wie das Kachelmann-Verfahren: eine maßlose Staatsanwaltschaft wird nach Lektüre der schriftlichen Urteilsgründe kapitulieren und die Revision zurücknehmen.

Bleiben wir zunächst bei der politisierten Staatsanwaltschaft Hannover, die mit dem Anfangsverdacht so ihre Probleme hat. Wenden wir uns also dem krassen Nicht-Fall Sebastian Edathy zu.

Man weiß gar nicht, wo man zuerst anfangen soll. Bei einem schlingernden BKA, das einerseits sehr früh auf die kanadischen Daten von Azovfilms des Brian Way aus der Operation „Spade“ reagiert, die aus unerfindlichen Gründen beim BKA als Operation „Selm“ firmiert. Das andererseits sehr viel sehr lange liegen läßt und angeblich erst am 15.10.2013 durch das Polizeipräsidium in Nienburg darüber informiert wird, daß einer der Besteller der selbst vorsortierten strafrechtlich unbedenklichen Fotos und Filme der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy sei. Desjenigen Abgeordneten, der seit Ende Januar 2012 als Vorsitzender des NSU-Ausschusses dem BKA und dessen Freunden vom Bundesverfassungsschutz Feuer unter dem Hintern machte. Muß eigentlich eine strafrechtlich nicht relevante Tatsache durch den BKA-Chef Ziercke zwingend dem bekannt schwatzhaften Politikbetrieb gemeldet werden? Was soll der denn damit anfangen?

Ziercke tut es jedenfalls, er meldet diese strafrechtlich irrelevante Erkenntnis zunächst an den Staatssekretär des Innern, Fritsche, jener an seinen Minister-Chef Friedrich, der sich gerade in Koalitionsverhandlungen mit der SPD befindet. Und daß die den aufstrebenden NSU-Untersuchungsausschuß-Star Edathy in ein Regierungs- oder Koalitionsamt befördern könnte, muß im Interesse auch der CDU verhindert werden. Partei, Regierung und Staat sind ja irgendwie identisch, alle drei müssen vor Schaden bewahrt werden, und so landet die Stille Post rechtswidrigerweise via Friedrich beim SPD-Chef Gabriel, der tratscht die wie auch immer mittlerweile deformierte Information an den Fraktionsvorsitzenden Steinmeier weiter, der an den Fraktionsgeschäftsführer Oppermann und letzterer schließlich an seine Nachfolgerin im Amt. Und nun schließt sich der Kreis, denn SPD-Oppermann ruft bei SPD-Ziercke an und erkundigt sich, was an der Sache dran sei. Vielsagendes Schweigen soll, so seine zweite Version des Telefonats, ertönt sein, und daraufhin weiß Oppermann, was zu tun ist, nämlich größtmögliche Distanz zum verdienten Parteifreund einzunehmen. Indem er, als alles publik geworden ist, am 11.2.2014 vollmundig erklärt:

SPD-Politiker Edathy

Oppermann fordert schnelle Klärung

Der SPD-Fraktionschef drängt die Staatsanwaltschaft, die Vorwürfe gegen Sebastian Edathy schnell aufzuklären. Sie wögen „ungeheuer schwer“.

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-02/thomas-oppermann-sebastian-edathy-ermittlungen

Dabei ist er ja eigentlich darüber informiert worden, daß strafrechtlich inkriminierende Bestellungen gar nicht vorliegen, und als Jurist müßte ihm schwanen, daß die Staatsanwaltschaft Hannover ohne einen validen Anfangsverdacht zugeschlagen hatte, wie der VorsRBGH Prof. Thomas Fischer in der ZEIT fulminant dargelegt hat:

Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy

Das Recht lebt von klaren Grenzen zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten. Wer nichts Strafbares tut, den darf die Justiz nicht verfolgen. Im Fall Edathy wurde diese Regel missachtet –Einspruch eines Bundesrichters von Thomas Fischer

http://www.zeit.de/2014/10/staatsanwaltschaft-fall-edathy

Aber Juristen, die zu Politikern mutieren, vergessen gern ihre nutzlos gewordene Ausbildung.

Nach dreimonatigem ergebnislosen Grübelns, ob die bloßen FKK-Filme nicht vielleicht doch irgendwie den Pornographie-Tatbestand erfüllen könnten – während dieser Zeit haben die kanadischen Behörden eine große und eher verschleiernde als wahrheitsgemäße Pressekonferenz über ihren Fall abgehalten, der betroffene Besteller Edathy hatte zwei Mal das kooperative Gespräch mit der Staatsanwaltschaft gesucht, die wahrheitswidrig so tat, als ob sie gar nicht wisse, was er wolle – bejahte sie ganz plötzlich einen Tatverdacht (denn wer harmlose Sachen hat, hat nach „kriminalistischer Erfahrung“ auch schlimmere). Einen Tag zuvor hatte Sebastian Edathy, der genugsam gewarnt und seit Anfang Januar krankgeschrieben war, notariell auf sein Bundestagsmandat verzichtet. So stellt er die Sachlage, im Einklang mit den bekanntgewordenen Tatsachen, in einem hochnotpeinlich geführten Verhör durch die inquisitorisch agierenden SPIEGEL-Redakteure Medick und Nelles dar, in einem am 17.3.2014 veröffentlichten Interview:

Edathy: Die Seite Azov Films ist vor einigen Jahren vom Netz gegangen. Man konnte damals durch eine einfache Internetrecherche feststellen, dass die kanadischen Behörden, die die Seite jahrelang nicht beanstandet hatten, ihre Position verändert hatten. Es sind daraufhin Maßnahmen in den USA und in Kanada erfolgt. Im Laufe des vergangenen Novembers gab es entsprechende Medienberichte in Deutschland, auf die ich aufmerksam wurde.

SPIEGEL: Es gibt den Verdacht, Sie hätten einen Tippgeber gehabt. Informiert waren nach eigenen Angaben in der SPD-Spitze Parteichef Gabriel, Frank-Walter Steinmeier, Thomas Oppermann und Christine Lambrecht. Haben Sie mit einer dieser Personen über den Fall gesprochen?

Edathy: Nein.

SPIEGEL: Haben Sie mit dem damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich darüber gesprochen, der ebenfalls frühzeitig informiert war?

Edathy: Nein.

SPIEGEL: Haben Sie mit Mitarbeitern des Bundeskriminalamts oder anderer Sicherheitsbehörden darüber gesprochen?

Edathy: Nein.

SPIEGEL: Sie legten am 7. Februar Ihr Mandat nieder. Etwa zur gleichen Zeit wollte die Staatsanwaltschaft den Bundestagspräsidenten über den Plan informieren, gegen Sie zu ermitteln. Auch da besteht der Verdacht, Sie seien gewarnt worden.

Edathy: Ich konnte zwischen November 2013 und Anfang Februar 2014 nicht wissen, ob und in welcher Form tatsächlich staatsanwaltschaftliche Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. Das war eine psychisch sehr belastende Situation. Ich habe mir diese innere Anspannung nicht länger zumuten wollen. Deswegen habe ich das Mandat vorsorglich abgegeben. Das habe ich am 6. Februar gegenüber einem Notar getan, der Termin war bereits Tage zuvor vereinbart worden, ohne Kenntnis davon gehabt zu haben, dass am selben Tag ein Brief der Staatsanwaltschaft auf dem Weg nach Berlin sein würde. Von dem habe ich erst am 10. Februar durch die Staatsanwaltschaft selber erfahren.

SPIEGEL: Warum haben Sie nicht schon im November oder Dezember Ihr Mandat zurückgegeben?

Edathy: Ich bin bis Ende Januar optimistisch gewesen, dass die zuständige Staatsanwaltschaft, wie andere Staatsanwaltschaften in vergleichbaren Fällen, ohne Anhaltspunkte für strafbares Verhalten auch, von Aktivitäten absehen würde. Ich hatte ihr ja frühzeitig über meinen Anwalt Kooperationsbereitschaft signalisiert. Dann aber wurde die Unsicherheit mir schlicht zu groß. Und es gab zeitgleich im Internet Berichte über andere Hausdurchsuchungen. Ich habe dann für mich eine politische Konsequenz gezogen. Meine Hoffnung war, dass mögliche Ermittlungen mit geringerer Wahrscheinlichkeit öffentlich werden würden, wenn ich nicht mehr Abgeordneter bin. Das hat, muss man wohl feststellen, nicht funktioniert.

[SPIEGEL 12/2014, S. 25]

Das alles hat ihm natürlich nichts genutzt, nachdem die Staatsanwaltschaft Hannover am 14.2.2014 eine über einstündige Pressekonferenz zur Rechtfertigung ihres rechtswidrig geschöpften Anfangsverdachts abgehalten und dabei massiv Edathys Persönlichkeitsrechte verletzt hatte. Wer das System kennt, wird nicht mit einem Erfolg der hiergegen gerichteten Dienstaufsichtsbeschwerde Edathys rechnen, obwohl sie begründet ist.

http://www.youtube.com/watch?v=l8-O5uot-Yk

Sein bürgerlicher Tod ist bei der voraussichtlichen Einstellung des Verfahrens eingepreist, was LOStA Fröhlich nicht weiter kümmert. Der schon bekannte GStA Frank Lüttig hält die Hand über ihn, die grüne Justizministerin muß ihn decken, damit sie als Grüne nicht selbst unter Pädophilie-Verharmlosungsverdacht gerät, und die Medien interessiert der Rechtsstaat schlichtweg gar nicht, weil es ihnen auf ihrem falschen Trip allein darum geht, eine politische Seilschaft auszumachen, die Edathy gewarnt haben könnte. Dabei überhören sie geflissentlich, daß LOStA Fröhlich das mediale Gerücht, Edathy habe Festplatten zerstört, diskret widerlegt hat. Man habe Krümel gefunden, die man daraufhin untersuchen müsse, ob sie zu einer Festplatte gehört haben könnten. Ahja.

Der Diebstahl seines Laptops vom 31.1.2014: hochverdächtig. So geht das fort und fort in den Medien und bei ihren Leser-Kommentatoren, die ihr Unwert-Urteil längst gesprochen haben. Aber da alle genau wissen, daß strafrechtlich nichts zu machen ist, setzt sich die Verurteilung auf der moralischen Ebene fort: wer bei einem „Kinderporno-Ring“ bestellt, muß damit rechnen, daß die Kinder, die in harmlosen FKK-Filmen mitwirken, für härtere Produktionen mißbraucht werden.

Auch dieser Vorwurf geht an der Realität vorbei. Azovfilms war eine legale Plattform, die jahrelang unbehelligt existierte und florierte, bis die kanadischen Behörden entdeckten, daß der Betreiber Brian Way daneben auch eine anonyme Seite mit Kinderpornographie betrieb, persönlich eine riesige Menge an kinderpornographischem Material besaß und daß einige der auch über die legale Seite vertriebenen Filme sexuelle Handlungen zeigten.

Wie die legale Seite von Azovfilms tatsächlich aufgebaut war, läßt sich eher zufällig diesem Bericht entnehmen, in dem es um einen Polizeibeamten in Mecklenburg-Vorpommern geht, der im Zuge der Edathy-Berichterstattung als Kollateralschaden ebenfalls, wenn auch noch anonym, ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde:

Obwohl der Beamte nur auf der Liste derjenigen stand, die kein strafrechtlich relevantes Material bestellt hatten, leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein und ordnete eine Hausdurchsuchung an. Die Auswertung der sichergestellten Materialen – darunter Computer-Festplatten und Kontoauszüge – ergab zunächst nichts, was den Verdacht pädophiler Neigungen hätte erhärten können.

Auch die meisten der beim kanadischen Azov-Versand zwischen 2005 und 2008 bestellten Filme hatten mit Kinderpornografie oder Pädophilie angeblich nichts zu tun. Es seien Klassiker der Kinogeschichte darunter gewesen – und Filme, die auf internationalen und nationalen Festspielen gezeigt oder prämiert worden waren. Zwei Werke auf der Liste aber seien „nicht als künstlerisch zu bezeichnen“, wie es in Ermittlerkreisen heißt. Der Beamte soll ausgesagt haben, er habe diese Filme weder gesehen, noch bestellt.

Einstellung des Verfahrens gilt als wahrscheinlich

Auf den kanadischen Filmversand sei er demnach gestoßen, nachdem er in Internet-Suchmaschinen die Titel der ihn interessierenden Filme eingegeben habe. Nichts auf den dann aufgerufenen Webseiten sei ihm schmuddelig oder anderweitig verdächtig vorgekommen. In Justizkreisen gilt eine baldige Einstellung des Verfahrens, mangels hinreichenden Tatverdachts, als wahrscheinlich.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/edathy-affaere-polizist-aus-meck-pomm-auf-kinderporno-kundenliste-a-962095.html

Rechtswidrige Hausdurchsuchungen scheinen in Deutschland mithin üblich geworden zu sein. Das Landgericht Hannover hat am 1.4.2014 Edathys Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluß verworfen.

http://www.n-tv.de/politik/Edathy-scheitert-mit-Beschwerde-article12606881.html

Ganz offensichtlich muß das BVerfG die seinerzeit von Verfassungsrichter a. D. Mellinghoff angestoßene Serie der Aufhebungen derartiger Durchsuchungsbeschlüsse dringend fortsetzen, wie zuletzt am 13.3.2014 geschehen.

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20140313_2bvr097412.html

Denn es wachsen immer wieder neue Richtergenerationen heran, die dahingehend erzogen werden müssen, unsittliche Anträge der Staatsanwaltschaft nicht wegen Arbeitsüberlastung oder fehlender Distanz zur Staatsanwaltschaft mehr oder weniger prüfungslos durchzuwinken. Der Begriff „Richtervorbehalt“ hatte mal einen bedeutsamen Klang. Heute kommt einem eher eher die Assoziation von Schall und Rauch in den Sinn.

Wie immer in derlei moralisierender Skandalisierungsatmosphäre – niemand empört sich über ausgebeutete rumänische Bauarbeiter, selbst wenn ihnen der Lohn vorenthalten wird oder sie Opfer von Arbeitsunfällen werden, viele aber, wenn es um Kinder und deren Persönlichkeitsrechte geht, selbst wenn sie von ihren eigenen Eltern, der Globalisierung sei dank, verkauft werden – wird plötzlich eine strafrechtliche Regelungslücke entdeckt, die zu schließen sei. Daß in einem Rechtsstaat das Schwert des Strafrechts stets nur das letzte Mittel ist, um unliebsames Verhalten abzustellen, gerät in diesem Sog der öffentlichen Empörung unter die Räder. Ebenso die rechtsstaatliche Voraussetzung, daß es um rationale Strafzwecke gehen muß. Politiker sind offenbar, parteiübergreifend, Populisten und keine Rechtsstaatler. Zu der geplanten Strafvorschrift des Verbots eines kommerziellen Handels von FKK-Bildern und Filmen lasse ich daher eine Strafrechtlerin zu Wort kommen.

Der Fall Edathy

Schutzlos?

19.03.2014  ·  Nacktfotos von Kindern: Der Gesetzgeber sollte aus dem Fall Edathy keine vorschnellen Schlüsse ziehen.

Von Tatjana Hörnle

Welche kriminalpolitischen Forderungen sind aus den Diskussionen zu ziehen, die im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Sebastian Edathy entstanden? Für Verfahrensrecht und Medienethik drängt sich eine Folgerung auf: Presse und Justizbehörden sollten vor Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen (solange es Vermutungen, aber keine Nachweise gibt) auf keinen Fall die Namen von Beschuldigten nennen. Im Hinblick auf das materielle Strafrecht steht die Frage im Raum, ob es bei Straftatbeständen Änderungsbedarf gibt. In Meinungsäußerungen war oft zu lesen und zu hören, dass die Strafnormen gegen Kinderpornographie erweitert werden sollten. Der Bundesjustizminister hat umgehend auf öffentliche Empörung reagiert, indem er einen Gesetzentwurf ankündigte, der den gewerbsmäßigen Handel mit Bildern, die Kinder nackt zeigen, unter Strafe stellen soll. Die Schnelligkeit solcher Reaktionen ist politisch nachvollziehbar. Sie ist aber auch Anlass für Warnungen: Der Qualität eines Rechtssystems ist es nicht zuträglich, wenn Kriminalpolitik vorwiegend oder gar ausschließlich in reaktiver Weise am Tagesaktuellen ausgerichtet wird. Zu bedenken ist, dass es in hohem Maße zufallsabhängig ist, auf welchen Einzelfall sich der Scheinwerfer der öffentlichen Aufmerksamkeit gerade richtet.

Nacktaufnahmen von Kindern sind keine Kinderpornographie. Kennzeichen pornographischer Schriften ist, dass diese sexuelle Handlungen zeigen (so § 184b Abs. 1 StGB) – die Betonung liegt auf Handlungen. Die Porträtaufnahme eines nackten Körpers oder die Aufnahme von unbekleideten Kindern am Strand, beim Spielen und so weiter ist keine pornographische Schrift.

[…]

http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/nacktfotos-von-kindern-12854284.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

Kehren wir zurück nach Bayern, wo der Fall Cornelius Gurlitt langsam aber sicher die Absurdität offenbart, die ihn gebar. Bei einer Zugfahrt von Zürich nach München wird im September 2010 ein älterer Herr kontrolliert, der sich mit seinem österreichischen Paß (Wohnsitz Salzburg) ausweist und erklärt, daß er nichts anzumelden habe. Da er einen nervösen Eindruck macht, wird er durchsucht (im Umgang mit Zollbeamten sei also eine gewisse Chuzpe empfohlen), man findet 9.000,- Euro, die tatsächlich unterhalb der meldepflichtigen Grenze liegen. Gurlitt teilt mit:

Das Geld stamme von Bilderverkäufen, die sein Vater während der NS-Zeit mit dem Berner Auktionshaus Kornfeld getätigt habe.

[FOCUS 14/2014, 31.3.2014, S. 45]

Jetzt nehmen wir mal dem FOCUS, der in aller Selbstverständlichkeit, Steuergeheimnis hin, Steuergeheimnis her, strafbare Durchstechereien im Interesse der Strafverfolgungsbehörden an die Presse sind mittlerweile an der Tagesordnung, in demselben Artikel behauptet, „FOCUS konnte erstmals die wichtigsten Ermittlungsakten einsehen“, ab, daß er jene Akten auch lesen kann und daß die zitierte Wiedergabe zutreffend ist. Mit dieser Erklärung Gurlitts gegenüber den Zollbeamten hätte die Sache erledigt sein können, wenn nicht müssen.

Genau an dieser Stelle gibt es ein missing link. War bereits die Kontrolle kein zufälliges Ereignis? Was genau animierte die Zollbeamten, nach diesem banalen Ereignis in Vorermittlungen einzutreten? Ein naheliegender Verdacht wäre die Vermutung eines schweizerischen Schwarzgeldkontos gewesen, dessen Kapitalerträge nicht versteuert werden. Zur Verfolgung dieses Vorwurfs wäre aber weder der Zoll noch die Staatsanwaltschaft Augsburg zuständig gewesen, sondern die für den Wohnsitz des Steuerpflichtigen zuständige Staatsanwaltschaft. Nun war Cornelius Gurlitt in München zwar nicht gemeldet, bezahlte dort aber, was leicht zu überprüfen war, die Grundsteuer für seine dort gelegene Eigentumswohnung. Sonstige leicht zu ermittelnde Datenspuren – Krankenkasse, Rentenversicherung, Steuernummer – hatte er nicht hinterlassen. Völlig unbekannt war zudem, ob der ältere Herr mit zwei Staatsbürgerschaften und angemeldetem Wohnsitz in Salzburg überhaupt in Deutschland einkommensteuerpflichtig war.

Offenbar stieß man im Internet auf seinen Vater Hildebrand Gurlitt, den schillernden Kunsthändler, und ließ der Phantasie auf der Suche nach einem zuständigkeitsbegründendem Delikt freien Lauf. Denn schon im Dezember 2010 kam es zu einem aufschlußreichen Rechtshilfeersuchen an die Schweiz.

In einem Rechtshilfe-Antrag an die Schweiz vom 17. Dezember 2010 äußerten deutsche Ermittler den Verdacht, Gurlitt verfüge in der Schweiz über weitere Vermögenswerte. Es könnten sich rechtswidrig entzogene Kunst- und Kulturgüter in seinem Besitz befinden. Gurlitt bestreite seinen Lebensunterhalt, so vermuteten die Fahnder, zum großen Teil mit Geld, das er aus der Schweiz hole, oder mit „aktuell durchgeführten Verkäufen von Kunstgegenständen in der Schweiz und in Deutschland“. Die Fahnder gehen davon aus, dass Gurlitt „sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart Kunstgegenstände, die in der Schweiz lagerten bzw. lagern, entgegen zoll- und steuerrechtlichen Vorschriften aus der Schweiz einführte oder einführen ließ, um diese dann innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu verkaufen.“

[wie vor, S. 45f.]

Diese Konstruktion wies den zusätzlichen Charme auf, daß die Schweiz, anders als bei bloßer Steuerverkürzung, Rechtshilfe leistet. Insoweit gleichen sich die Fälle Edathy und Gurlitt: ein Anfangsverdacht ist schnell gezimmert, man muß lediglich über kriminalistische Erfahrung, unbekümmerte Vermutungsfähigkeit und ansprechende Formulierungskunst („ist davon auszugehen“) verfügen. Die Staatsanwaltschaft Augsburg, die dieses Verfahren am 20.5.2011 übernahm, gebietet idealerweise auch über die entgegengesetzten Fähigkeiten, die es erlauben, auf die wohlbegründete Strafanzeige Gustl Mollaths wegen Freiheitsberaubung gegen einen Amtsrichter und einen Psychiater in Augen-zu-und-durch-Manier einen Anfangsverdacht abzulehnen. So bleibt sie stets „Herrin des Verfahrens“.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Einstellungsverfuegung-Augsburg-2013-02-26.pdf

Bezeichnenderweise teilt der FOCUS nicht mit, was denn aus diesem uralten Rechtshilfebegehren geworden ist. Kein Wunder, lautet doch der reißerische Titel des Artikels von Krischer/Röll/Spilcker:

Schatz in der Schweiz?

Im Fall Gurlitt wissen die Fahnder von Schließfächern in Zürich. Dort vermuten sie neben Geldvermögen ein Versteck für weitere Kunstwerke

[wie vor, S. 44]

Gurlitts PR-Mann – ja, so etwas braucht ein an die Öffentlichkeit gezerrter „Beschuldigter“, der von der Presse der Presse zum Fraß vorgeworfen wird – Stephan Holzinger winkt per Twitter müde ab:

@promi24 Nein. Kalter Kaffee. Längst von CH-Behörden geprüft. Es gab solche Fächer, aber sie enthielten weder Geld noch Bilder #Gurlitt
Stephan Holzinger (@Holzinger_Assoc) March 30, 2014

Seit dem 4.11.2013 überlagert das vom FOCUS ausgelöste internationale mediale Treiben um den „Nazi-Schatz“ das eigentliche Ermittlungsverfahren, das seit zwei Jahren auf der Stelle zu treten scheint. Warum sollte jemand, der in der EU, nämlich in Österreich und in Deutschland, über umfangreiche Kunstsammlungen verfügt, nun ausgerechnet aus der Schweiz Waren zum Verkauf einführen? Wie kommt die Staatsanwaltschaft auf die eher fernliegende Idee, Cornelius Gurlitt sei ein gewerblicher Kunsthändler, der daher in Deutschland, tatsächlicher Lebensmittelpunkt erst seit 2011, einkommensteuerpflichtig sei? Welche zivilrechtlichen Subsumtionen mögen zu dem nachträglichen Vorwurf von noch zu konkretisierenden Unterschlagungen geführt haben, der die Auftragsvergabe von Provenienzforschung begründete?

c) Unterschlagung

Die Staatsanwaltschaft geht ferner für einzelne Kunstwerke von dem Vorwurf der Unterschlagung (§ 246 StGB) aus. Dem liegt die Annahme zugrunde, bereits der Vater von Cornelius Gurlitt, Dr. Hildebrandt Gurlitt, habe beim Erwerb der Kunstwerke in der NS-Zeit aus Rechtsgründen nicht wirksam Eigentum daran erlangt. Deshalb habe Cornelius Gurlitt auf dem Wege der Erbfolge ebenfalls kein wirksames Eigentum daran erlangen können, weshalb es sich für ihn rechtlich um fremde Gegenstände handele. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Herr Gurlitt sich dieser Umstände auch bewusst war. Die eigentliche Unterschlagungshandlung sieht die Staatsanwaltschaften in dem Angebot dieser Bilder zum Verkauf an ein Auktionshaus. Herr Gurlitt bestreitet diesen Vorwurf; auch die Verteidigung hält ihn für unbegründet.

http://www.gurlitt.info/de/strafrecht.html

Wie im Fall Edathy überlagert die moralische Frage, wie mit Raubkunst umzugehen sei, wenn es keine Rechtsansprüche auf Herausgabe mehr gibt, die rechtliche, wie in einem Rechtsstaat mit Anfangsverdacht, Beschlagnahme, Ermittlungen und deren Öffentlichmachung umzugehen ist. Während der Staatsanwaltschaft Hannover zu Unrecht vorgeworfen wird, sie habe den Anfangsverdacht um drei Monate zu spät gefaßt (tatsächlich hätte sie ihn ablehnen müssen), wird der Staatsanwaltschaft Augsburg fälschlicherweise zur Last gelegt, sie hätte die Provenienzforschung offensiver und öffentlich betreiben sollen (dabei hätte sie die Bilder gar nicht erst sicherstellen dürfen). Und selbstverständlich tut sich auch im Fall Gurlitt eine Regelungslücke auf, die Bayerns Justizminister Prof. Bausback mit einem hastig zusammengeschusterten Gesetzesentwurf schließen wollte: dieser hätte nicht nur das gesamte BGB umgekrempelt, denn um Kulturgut-Rückgewährung ging es nur in der Gesetzesüberschrift, sondern auch im konkreten Fall Gurlitt nichts genutzt. Der Entwurf ist am 14.3.2014 kurzerhand vom Bundesrat versenkt worden und lebt als unverbindliche Prüfempfehlung an die Bundesregierung unter Beteuerung hehrer und weniger hehrer Absichten fort. Denn nun reihen sich auch die öffentlichen Museen unter die NS-Opfer ein und begehren die ihnen vom Nazi-Staat „geraubte“ „entartete Kunst“ zurück.

http://www.justiz.bayern.de/media/pdf/gesetze/kulturgut_rs.pdf

http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2014/0001-0100/94-14%28B%29.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Es blieb dem Betreuer des überforderten und herzkranken Cornelius Gurlitt vorbehalten, ein schlagkräftiges Team von Anwälten und einem PR-Fachmann zu bilden, das die amorphe Struktur des öffentlichen Diskurses kanalisierte und die ruinierte Reputation und Existenz des Mandanten, der bestensfalls als „Sonderling“ und „komischer Kauz“, schlimmstenfalls als „Messie“ und „Hüter des Nazi-Schatzes“ durch den Blätterwald getrieben wurde, wiederherstellte. Zweigleisigkeit, Trennung und Transparenz kennzeichnen das Konzept.

Pressemitteilung

Beschwerde gegen Beschlagnahmebeschluss des Augsburger Amtsgerichts eingereicht – Cornelius Gurlitt weiterhin dialogbereit und sich seiner moralischen Verantwortung bewusst

München, 19.02.2014. Die Strafverteidiger von Cornelius Gurlitt, Professor Dr. Tido Park und Derek Setz, haben am 14.02.2014 beim Amtsgericht Augsburg auf Grundlage des Paragrafen 304 Strafprozessordnung (StPO) Beschwerde gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 23.09.2011 (Az. 61 Gs 5213/11) eingelegt.

Mit dieser Beschwerde ist der Antrag verbunden, den damals ergangenen Beschluss und die auf seiner Grundlage erfolgte Beschlagnahme aufzuheben.

„Herr Gurlitt und ebenso seine Verteidigung sind sich der moralischen Dimension dieses Falls durchaus bewusst. Das Strafverfahren ist jedoch nicht der richtige Ort für moralische Kategorien“ betont Tido Park. Sein Kollege Derek Setz ergänzt: „Wir haben vor dem Hintergrund des immensen öffentlichen Interesses und der politischen Debatten eine begründete Sorge um die Rechtsstaatlichkeit dieses Verfahrens.“

Die Beschlagnahmeanordnung war mit dem Verdacht der Einfuhrumsatzsteuerhinterziehung begründet worden, der aus Sicht der Verteidigung nicht gerechtfertigt ist.

Die ausführlich begründete, 45 Seiten umfassende Beschwerde stützt sich unter anderem auf formelle Mängel des damaligen Gerichtsbeschlusses und die mangelnde Verdachtsgrundlage. Des Weiteren wird bemängelt, dass eine Beweisrelevanz der beschlagnahmten Bilder für den Vorwurf der Einfuhrumsatzsteuerhinterziehung nicht ersichtlich ist und die Beschlagnahme der gesamten Sammlung gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstößt. Dies wiegt nach Ansicht der Verteidigung besonders schwer.

Cornelius Gurlitt weiterhin dialogbereit und sich seiner moralischen Verantwortung bewusst

Obwohl Cornelius Gurlitt selbst in keiner Weise an möglicherweise fragwürdigen Erwerbsvorgängen beteiligt war, empfindet er eine starke moralische Verantwortung. Er strebt deshalb nach wie vor freiwillig und in eigener Verantwortung einvernehmliche Lösungen mit privaten Anspruchstellern bei Kunstgegenständen an, deren Herkunft möglicherweise problematisch ist.

„Gleichwohl ist die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlagnahme des Schwabinger Teils seiner Sammlung für Cornelius Gurlitt insbesondere deshalb von besonderer Bedeutung, weil in einem Strafverfahren Recht und Moral strikt zu trennen sind und ein Strafverfahren auch nicht dazu zweckentfremdet werden darf, Restitutionsansprüche zu klären“ erläutert Tido Park.

http://www.gurlitt.info/de/pressemitteilungen/pressemitteilung-19-02-2014.html

Mit der Beschwerde gegen einen dürren zweiseitigen Beschluß des Amtsgerichts Augsburg – in der SÜDDEUTSCHEN vom 27.3.2014, S. 3, wird sie von den Autoren Leyendecker, Mascolo und Häntzschel als „kleines Kunstwerk dieser juristischen Sparte“ bezeichnet und eingeschätzt, „sie könnte selbst Bundesrichtern etwas abverlangen“ – soll Klarheit in strafrechtlicher Hinsicht erreicht werden. Mit der bevorstehenden Rückgabe des wertvollen Matisse-Gemäldes „Die Sitzende“ an die Erbinnen des beraubten Kunsthändlers Paul Rosenberg ein Zeichen des guten Willens gesetzt werden:

Beitrag vom 27.03.2014

Gurlitt Ein möglicherweise beispielhafter Schritt

Von Stefan Koldehoff

In Salzburg sind wieder neue Bilder der Sammlung von Cornelius Gurlitt gefunden worden. Er hat angekündigt, alle Werke auf ihre Herkunft hin untersuchen zu lassen und sie ihren legitimen Besitzern zurückzugeben. Das könnte Vorbild für private und öffentliche Besitzer von NS-Raubkunst sein, sich dem anzuschließen, kommentiert Stefan Koldehoff im Deutschlandfunk.

[…]

Während bei der Staatsanwaltschaft und bei den kunsthistorischen Erfüllungsgehilfen der eigens eingerichteten „Taskforce“ seit Monaten Funkstille herrscht, werden Cornelius Gurlitt und seine Anwälte nun aktiv: Sie kündigen die Rückgabe eines ersten Bildes von Matisse an die Erben des jüdischen Kunsthändlers Paul Rosenberg an. Weitere sollen folgen: Man sei sich der historischen und moralischen Verpflichtung bewusst, heißt es. Und Gurlitt will alle in Salzburg gefundenen Bilder auf deren Herkunft hin untersuchen – und jene ebenfalls restituieren, die auch zwischen ’33 und ’45 ihren legitimen Besitzern abgepresst oder gestohlen wurden. Sollten sie diese Ankündigungen tatsächlich umsetzen, wäre damit ein Beispiel gegeben, dem sich viele private und öffentliche Besitzer von NS-Raubkunst anschließen sollten.

http://www.deutschlandfunk.de/gurlitt-ein-moeglicherweise-beispielhafter-schritt.720.de.html?dram:article_id=281375

Zum Transparenz-Angebot gehört es auch, ausgewählten Journalisten, sogar einer heftigen Kritikerin wie Ira Mazzoni, einen Blick auf die in einem gesicherten Depot in Österreich lagernden Bilder aus dem Salzburger Haus werfen zu lassen:

http://www.sueddeutsche.de/kultur/fall-gurlitt-gefangene-der-geschichte-1.1922658

Mittlerweile bietet glücklicherweise die Justiz in zweiter Instanz Schutz vor den gewohnheitsmäßigen Verletzern der Privatsphäre von der BILD-Zeitung, die sich hier als Doppel-Agentin für mögliche Anspruchsteller einerseits, als Auflagen-Optimiererin andererseits inszenieren wollte:

München, 28. März 2014

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

– Pressemitteilung –

Schwabinger Kunstfund: kein Auskunftsanspruch der Presse

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat mit Beschluss vom 27. März 2014 einen presserechtlichen Auskunftsanspruch abgelehnt, mit dem der Freistaat Bayern im gerichtlichen Eilverfahren zur Auskunft über alle im Zusammenhang mit dem Schwabinger Kunstfund beschlagnahmten Kunstwerke verpflichtet werden sollte.

Ein Journalist einer deutschen Tageszeitung begehrte vom Freistaat Bayern im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Auskunft über alle in der Münchener Wohnung eines Kunstsammlers aufgefundenen und beschlagnahmten Kunstwerke und zu den bisherigen Bemühungen des Freistaats Bayern um Aufklärung der Eigentumsverhältnisse an diesen Werken. Vor dem Verwaltungsgericht Augsburg hatte der Journalist im Wesentlichen Erfolg (vgl. Pressemitteilung des VG Augsburg vom 31.1.2014, http://www.vgh.bayern.de/vgaugsburg/oeffentl/pm/index.php).

Der BayVGH hat auf die Beschwerden des Freistaats Bayern und des Kunstsammlers die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg abgeändert und den Antrag abgelehnt.

[…]

Die Entscheidung des BayVGH ist unanfechtbar.

(Bayer. Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27.3.2014, Az. 7 CE 14.253)

http://www.vgh.bayern.de/media/bayvgh/presse/pm_2014-03-28.pdf

Hier der aufgehobene Beschluss der Vorinstanz vom 29.1.2014:

http://openjur.de/u/680756.html

Wieviel finanzieller Aufwand erforderlich war und ist, um sich gegen den Freistaat Bayern, die Bundesregierung und die Medien zur Wehr setzen zu können, kann man sich vorstellen. Den ersetzt niemand – wehe dem, der in ein solches Räderwerk gerät…

Wenigstens in der Presse kann man einen wind of change feststellen:

Bild-Rückgabe im Fall Gurlitt

Später Sieg über die Nazis

31.3.2014 15:40 Uhrvon Bernhard Schulz

 

Je ferner die Nazizeit rückt – desto lieber debattieren wir über den Umgang mit ihr. Im Fall Gurlitt läuft dabei allerdings einiges schief.

[…]

Hinsichtlich der Rückgabe von NS-geraubtem Kulturgut hat sich eine eigenartige Dynamik entwickelt. Jede Herausgabe, bildsprachlich als „Rückgabe“ verbrämt, wird insgeheim als später Sieg über Hitler gefeiert. Damit gerät die historische Perspektive in Schieflage. Denn wie viele Bilder auch restituiert werden mögen – sie bleiben die Spitze eines Eisbergs. Des Eisbergs der untilgbaren Tatsache, dass es dieses NS-Regime gegeben hat, mit allen Taten und Untaten.

Die Treibjagd auf Einzelne mindert daran kein Jota. Die Brandmarkung eines Gurlitt entlastet nichts und niemanden. Und der Rechtsstaat mit all seinen, bisweilen als störend empfundenen Schutzrechten ist eine zu kostbare Errungenschaft, um ihn für Stellvertretersiege einer wohlfeilen Moralität zu beschädigen.

http://www.tagesspiegel.de/meinung/bild-rueckgabe-im-fall-gurlitt-spaeter-sieg-ueber-die-nazis/9690064.html

Im Windschatten dieser spektakulären Fälle ereignete sich eher unbeachtet ein weiteres bayerisches Justiz-Debakel in Sachen Gustl Mollath. Man ist es zwar schon gewohnt, daß dort unheimliche Mächte und Kräfte am Werk sind, die eine Einsicht in eigene Fehler verhindern. Aber daß das Oberlandesgericht Bamberg einen klaren Auftrag des Bundesverfassungsgerichts glatt unterlaufen würde, hätte ich mir dann doch nicht träumen lassen. Selbst die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg hatte beantragt, den vom BVerfG als verfassungswidrig gerügten Fortdauerbeschluß des Landgerichts Bayreuth von Juni 2011 aufzuheben, den das OLG seinerzeit mit ebenfalls als verfassungswidrig gerügtem routinierten Bestätigungsbeschluß gehalten hatte. Letzterer war durch das BVerfG aufgehoben worden.

Nun war das OLG zu neuer Sachentscheidung berufen, die es allerdings glatt verweigerte. Ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse des rechtswidrig seit 2011 der Freiheit Beraubten bestünde nicht, behauptete das OLG keck, es reiche aus, die damalige Beschwerde gegen den verfassungswidrigen Beschluß des Landgerichts Bayreuth schlicht für erledigt zu erklären. Denn der (rechts- und verfassungswidrige) mit der Beschwerde angegriffene Beschluß des Landgerichts Bayreuth von Juni 2011 sei gegenstandlos, seitdem Gustl Mollath wegen der Anordnung der Wiederaufnahme am 6.8.2013 entlassen worden sei.

Das BVerfG hatte indes am 26.8.2013 wegen des Rehabilitierungsinteresses von Mollath in der Sache entschieden, obwohl er bereits zu diesem Zeitpunkt aus anderen Gründen bereits freigekommen war.

Angesichts dieser Halsstarrigkeit bleibt einem die Spucke weg. Rechtsanwalt Strate glücklicherweise nicht.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-OLG-Bamberg-Beschluss-2014-03-24.pdf

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-OLG-Bamberg-2014-03-27.pdf

Aber es hilft nichts: gegen eine solche hartleibige Justiz hilft nur ein neuer Geschäftsverteilungsplan beim Oberlandesgericht und, erneut, das Bundesverfassungsgericht. Rechtsstaat muß immer wieder neu erkämpft werden, ganz besonders in Bayern.

Alle diese Verfahren erschüttern das Vertrauen in die Justiz.

Hinzu kommt: die Aufarbeitung des nächsten bayerischen Polizei- und Justizskandals, die erneute Hauptverhandlung im Fall „Peggy“ im Wiederaufnahmeverfahren von Ulvi Kulac ab dem 10.4.2014, steht vor der Tür – und sie wirft ihre unguten Schatten bereits voraus.

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Der Fall Mollath: Politische Eiertänze

Rosenkrieg 2

Es ist grausam, wenn sich die Politik, die sich nie an der Wahrheit, sondern an ideologischen Interpretationen der Wahrheit, vulgo Realität, orientiert, die Regie übernimmt:

Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz
94. Sitzung
Donnerstag, 7. März 2013 9:15 Uhr Saal N 501
Nachtragstagesordnung
Es werden noch folgende TOP aufgerufen:
1. Ergänzender Bericht des Präsidenten des Landesamtes für Steuern zum Thema “Umgang der Finanzbehörden mit Anzeigen und Hinweisen des Herrn M.”
– mit Aussprache –

https://gabrielewolff.wordpress.com/2013/02/28/der-fall-mollath-augsburg-die-blinde-justitia/#comment-4025

Dazu habe ich mir ein paar Gedanken gemacht – und je länger man darüber nachdenkt, umso mysteriöser erscheint die Angelegenheit um den Anruf Brixners und seine Folgen.

Natürlich möchte Herr Jüptner den öffentlichen Eindruck erwecken, daß der Anruf des Vorsitzenden Richters am Landgericht vom 11.2.2004 überhaupt gar nichts mit der Entscheidung der Steufa Nürnberg vom selben Tag, auf die Strafanzeige Mollaths hin die Sache einzustellen, zu tun habe, woran auch den Entscheidungsträgern bei der Steuerfahndung des Jahres 2004 gelegen ist. Schließlich soll ihre Entscheidung ja ohne äußeren Einfluß getroffen worden sein.

Bereits am Freitag hat die Süddeutsche Zeitung von einem Vermerk eines Steuerfahnders berichtet, wonach es sich bei Mollath um einen Querulanten handele. In dem Vermerk, heißt es, wie Telepolis erfahren hat:

„In seiner Anzeige beschuldigt Mollath seine Frau zusammen mit anderen Personen (Bankmitarbeiter und Bankkunden), Geldtransfers ins Ausland vorgenommen zu haben. Ebenso bringt er vor, Richter… habe ihn auf Drängen von Frau M. und anderer Personen auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Bei vielen der genannten Namen handelt es sich um höherrangige Mitarbeiter der HVB und anderer Banken. Da eine Prüfung der Anzeige anhand der vorgebrachten Behauptungen nicht möglich war, wurde Kontakt mit Frau Richterin…aufgenommen. Sie konnte keine Auskunft über den Anzeiger und den Inhalt der Anzeige etc. machen und sagte zu, evtl. Ansprechpartner ausfindig zu machen.

Marcus Klöckner

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153857

Da stutzt man schon. Denn in Gustl Mollaths Strafanzeige vom 9.12.2003 heißt es auf S. 4:

Ebenso [wie bei Richter Blos Anzeige erstattet bei] Richter Huber und dem anwesenden Staatsanwalt vom selben Amtsgericht [Nürnberg] mündlich und schriftlich mit Schreiben vom 24.9.2003 über 106 Blättern mit umfangreichen Beweisen.

Das interresiert die Herren gar nicht. Offenkundig war die Anzeige unbequem und unerwünscht. Richter Huber behauptete er wäre nicht zuständig. Statt dessen beschloß Richter Huber, auf Betreiben meiner Frau mit Unterstützung von Martin M. von der HVB Group, ich müsse auf meinen Geisteszustand überprüft werden.

Noch immer ließ ich mich nicht einschüchtern und machte nochmal Anzeige mit Schreiben vom 3.11.2003 bei Richterin Heinemann, Richterin S., Richter Brixner, Richter von K. vom Landgericht Nürnberg-Fürth […]. Richter Huber und Richter Blos vom Amtsgericht 90429 Nürnberg.

Bis heute habe ich nichts gehört.

http://www.gustl-for-help.de/download/2003-12-09-Mollath-Anzeige-GenStAnw.pdf

Wen von diesen weiteren Adressaten von Anzeigen würde ein findiger Steuerfahnder kontaktieren? Doch wohl den Richter Huber, bei dem diese 106-Seiten-Anzeige „mit umfangreichen Beweisen“ vorliegt. Zum Beispiel die Mitteilung der HypoVereinsbank vom 2.1.2003, daß die Bank auf Mollaths Eingaben hin ein Revisionsverfahren eingeleitet habe.

Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als der Steuerfahnder nun nicht Richter Huber, sondern die beisitzende Richterin der Brixner-Kammer anruft. [Hervorhebungen von mir]:

Daraufhin habe sich Brixner zurückgemeldet. Aufgrund der Angaben des Richters könnten, dem der SZ vorliegenden Aktenvermerk zufolge, die Steuerfahnder davon ausgehen, dass die Anschuldigungen Mollaths zum großen Teil nicht zuträfen und nicht überprüft werden könnten.

Ein zweiter Steuerfahnder – ein Vorgesetzer des ersten – versah den Vermerk mit einer handschriftlichen Notiz. Er schreibt, bei Mollath handele es sich offensichtlich um einen Querulanten, dessen Angaben keinen Anlass für weitere Ermittlungen böten.

Daraufhin wurden die Bemühungen der Steuerfahnder eingestellt.

http://www.sueddeutsche.de/bayern/neue-ungereimtheiten-im-fall-mollath-verraeterischer-aktenvermerk-1.1613709

Was mag der Vorsitzende Richter am LG Brixner denn da bloß erzählt haben, daß der Steuerfahnder nicht nur darauf verzichtete, die Beweismittel in dem 106-Seiten-Konvolut anzufordern, sondern das Verfahren stantepede einzustellen?

Näheres ergibt sich aus diesem Bericht der SÜDDEUTSCHEN:

Aus einem internen Papier des Bayerischen Landesamts für Steuern, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, geht hervor, dass ein Fahnder aus dem Finanzamt Nürnberg-Süd im Februar 2004 nicht nur einen Aktenvermerk über Mollath erstellt hat. Sondern dieser Vermerk auch mit der Notiz „M. = Spinner“ versehen wurde. Erstellt wurde der Vermerk nach einem Gespräch des Dienststellenleiters mit dem Vorsitzenden Richter am Nürnberger Landgericht, Otto Brixner […] Aus einer anderen internen Stellungnahme, die der SZ vorliegt, geht hervor, dass sich Richter Brixner und der Dienstellenleiter, mit dem Brixner telefonierte, gegenseitig kannten. Der Steuerfahnder schreibt, „Brixner, der mir und dem ich bekannt war“, habe ihn in der Sache Mollath angerufen, nachdem die Behörde bei Gericht um Informationen gebeten hatte.

http://www.sueddeutsche.de/bayern/fall-mollath-m-spinner-1.1614370

Wenn also das Substrat dieses Gesprächs zwischen dem Steuerfahndungsleiter und dem ihm persönlich bekannten Richter die Einordnung von Mollath als „Spinner“ war, dann müssen die Eröffnungen Brixners weit über die der Steuerfahndung durch Mollaths Strafanzeige bereits bekannte Überprüfung seines Geisteszustandes, angeordnet durch Richter Huber, hinausgegangen sein.

Diese Kenntnis hatte sie ja angesichts der typischen Insiderkenntnisse Mollaths nicht davon abgehalten, in Vorermittlungen einzutreten.

Und nun noch einmal der Einstellungsvermerk in Gänze:

„In seiner Anzeige beschuldigt Mollath seine Frau zusammen mit anderen Personen (Bankmitarbeiter und Bankkunden), Geldtransfers ins Ausland vorgenommen zu haben. Ebenso bringt er vor, Richter… habe ihn auf Drängen von Frau M. und anderer Personen auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Bei vielen der genannten Namen handelt es sich um höherrangige Mitarbeiter der HVB und anderer Banken. Da eine Prüfung der Anzeige anhand der vorgebrachten Behauptungen nicht möglich war, wurde Kontakt mit Frau Richterin…aufgenommen. Sie konnte keine Auskunft über den Anzeiger und den Inhalt der Anzeige etc. machen und sagte zu, evtl. Ansprechpartner ausfindig zu machen. Am 11.2.04 rief Herr Richter Brixner bei… an und bestätigte diesem, dass bei Gericht ein Verfahren gegen M. vorlag, in dessen Verlauf sei die Untersuchung von M. wegen seines Geisteszustandes veranlasst worden. Das Aktenzeichen sei…Aufgrund dieser Angaben kann davon ausgegangen werden, dass die vorgebrachten Anschuldigungen zumindest zum großen Teil nicht zutreffen und ggf. nicht überprüft werden können.“

Florian Rötzer

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153857

Da sieht man, daß da etwas nicht stimmt: Mollath selbst trägt vor, daß man ihn auf seinen Geisteszustand untersuchen wolle, Richter Brixner bestätigt das lediglich, und plötzlich soll diese richterliche Bestätigung ausreichen, um das Verfahren einzustellen, ohne die 106 Seiten mit Beweisen anzufordern?

Jetzt wird klar, warum der Vorgesetzte diesen widersprüchlichen und nicht überzeugenden Einstellungsvermerk noch ergänzen mußte:

Ein zweiter Steuerfahnder – ein Vorgesetzer des ersten – versah den Vermerk mit einer handschriftlichen Notiz. Er schreibt, bei Mollath handele es sich offensichtlich um einen Querulanten, dessen Angaben keinen Anlass für weitere Ermittlungen böten.

http://www.sueddeutsche.de/bayern/neue-ungereimtheiten-im-fall-mollath-verraeterischer-aktenvermerk-1.1613709

Heute ist es dem Finanzkomplex natürlich peinlich, seinerzeit den Einflüsterungen eines Richters vom Landgericht, der nur ganz oberflächlich mit dem Mollath-Verfahren befaßt gewesen war (Abweisung einer Beschwerde als unzulässig, dafür braucht man in die Akte nicht einmal hineinzusehen) und über die Akten nicht mehr verfügte, erlegen zu sein, nur um sich ein weiteres Banken-Großverfahren zu ersparen.

Denn Brixner muß mitgeteilt haben, daß der Beschluß durch Richter Huber völlig zurecht ergangen sei: anders kann man die Schlußfolgerungen der Steuerfahnder – des Vorgesetzten, der mit Brixner telefoniert hat („Querulant“), und des Sachbearbeiters, der über dieses Gespräch durch seinen Vorgesetzten informiert worden war („Spinner“) – gar nicht erklären.

Die Beiziehung des 106-Seiten-Konvoluts unterblieb aus diesem Grund, und damit entfielen wertvollen Details, so der Hinweis auf die Revisionsuntersuchung der Bank, die jeden Steuerfahnder hellhörig gemacht hätte.

Ein Papier aus dem Landesamt für Steuern dokumentiert überdies, dass die Staatsanwaltschaft Nürnberg den Steuerfahndern erst im Februar 2012 Mollaths Aktenordner zur Verfügung stellte, den dieser neun Jahre zuvor der Justiz übergeben hatte. Die Steuerfahnder hätten diesen Ordner erst telefonisch anfordern müssen.

http://www.sueddeutsche.de/bayern/fall-mollath-m-spinner-1.1614370

Ein Desaster, das die Verrenkungen von Roland Jüptner erklärt. Denn aufgrund von Mollaths Anzeige, seinen Ergänzungen im angeblich wirren Konvolut und dem Bericht der HypoVereinsbank ist trotz zahlreicher Verjährungen auch heute noch werthaltige steuerrechtliche und steuerstrafrechtliche Verfolgung möglich:

Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) hatte die Akte noch im März 2012 vor dem Landtag als „abstruses Sammelsurium“ bezeichnet. Aus dem Papier des Landesamtes für Steuern ans bayerische Finanzministerium geht dagegen hervor, dass zwölf der insgesamt 106 Seiten aus dem Ordner für die Steuerfahnder „brauchbare Informationen“ enthielten. Zusammen mit dem Revisionsbericht der Hypo-Vereinsbank von 2003, den die Staatsanwaltschaft erst neun Jahre nach seiner Entstehung angefordert hatte, sowie Kontoverfügungen von Schweizer Nummernkonten hätten damit seit 2012 „klare Ermittlungsansätze“ zur Einleitung von „Besteuerungsverfahren“ vorgelegen.

Mit Hilfe der Informationen von Mollath und dem Bericht der Hypo-Vereinsbank seien insgesamt 19 Steuerpflichtige zur Ermittlung von Steuerstraftaten „aufgesucht“ worden. Auch seien – so heißt es in dem internen Papier vom Dezember 2012 – schon „einzelne Steuerstrafverfahren“ eingeleitet worden.

http://www.sueddeutsche.de/bayern/fall-mollath-m-spinner-1.1614370

Es bleibt die Frage: wieso beseelte Otto Brixner bereits im Februar 2004 die Überzeugung, Mollath sei geisteskrank? Auf welcher Grundlage beruhte sie? Warum verwies er nicht schlicht auf Richter Huber als denjenigen, der über Informationen verfügte, weil er das Verfahren gegen Gustl Mollath führte?

Letzteres dürfte wohl daran liegen, daß Richter Huber seit Januar 2004 für Zivilsachen tätig war und ab dem 1.4.2004 in den Dienst der Staatsanwaltschaft trat:

http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/staatsanwaltschaften/staatsanwaltschaft/nuernbergfuerth/presse2010/pm01_12_neuer_stellv._pressesprecher.pdf

http://www.vaeternotruf.de/staatsanwaltschaft-nuernberg-fuerth.htm

Klar ist, daß diese frühe Intervention von Brixner im Zusammenhang mit den Wiederaufnahmeanträgen von Verteidigung und Staatsanwaltschaft Regensburg ein vitales Indiz für einen Rechtsbeugungsvorsatz darstellt, der auf die Unterbringung von Gustl Mollath in ein psychiatrisches Krankenhaus gerichtet war. Das ergibt sich schon aus seinen einschlägigen Fehlleistungen, die Rechtsanwalt Strate in seinem Wiederaufnahmeantrag so zusammengefaßt hat:

Bei Fassung des Übernahmebeschlusses vom 27.1.2006 fühlten sich die berufsrichterlichen Mitglieder der 7. Strafkammer merkwürdigerweise bereits „in dem Sicherungsverfahren gegen Mollath Gustl“ (so die Überschrift im Rubrum – Bl. 322 d.A.). Auch der Unterbringungsbeschluss vom 1.2.2006 wurde erlassen „in dem Sicherungsverfahren gegen Mollath Gustl“ (Bl. 324 d.A.), was dann vom Amtsgericht Bayreuth in der ersten Anhörung Mollaths am 17.3.2006 übernommen wurde (Bl. 351 d.A.). Auch die Niederschrift über die nichtöffentliche Anhörung des Mollath durch die 7. Strafkammer am 31.3.2006 trägt in fetten Lettern die Überschrift In dem Sicherungsverfahren gegen Mollath Gustl“ (Bl. 367 d.A.).

Am Tag vor der auf den 8.8.2006 angesetzten Hauptverhandlung wurden die berufsrichterlichen Mitglieder der 7. Strafkammer offenbar plötzlich gewahr, dass über die Anklage vom 6.9.2005 hinsichtlich der angeblich von Mollath begangenen Sachbeschädigungen noch keine Zulassungsentscheidung getroffen worden war. Daraufhin wurde am 7.8.2006 der folgende Beschluss gefasst:

„Die 7. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth erläßt in dem Sicherungsverfahren gegen

M o l l a t h Gustl, …..

wegen Körperverletzung u.a.

ohne mündliche Verhandlung am 07.08.2006 folgenden

 

B E S C H L U S S:

 

1. Die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 06.09.2005

wird zur Hauptverhandlung zugelassen (früher Az: 802 Js 13851/05).

 

2. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird das Sicherungsverfahren vor der 7.

Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth eröffnet (§§ 203, 207 StPO)

Brixner Heinemann Dr. Wachauf“ (Bl. 467 d.A. – meine Hervorhebung)

Der bei erster Lektüre des Beschlusses kurz aufkeimende Verdacht, die Berufsrichter der 7. Strafkammer könnten nur aus einer augenblicklichen Flüchtigkeit heraus von einer „Antragsschrift“, einem „Antrag“ und der Eröffnung des „Sicherungsverfahrens“ gesprochen haben, wird durch das Protokoll der Hauptverhandlung, welche dann am folgenden Tage stattfand, unmittelbar widerlegt, in dem es heißt:

 

„Der Vorsitzende stellte hierzu fest, dass

– ….

– die Anklageschrift vom 06.09.2005 durch Beschluss der 7. Strafkammer des

Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 07.08.2006 zur Hauptverhandlung zugelassen

und das Sicherungsverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft vor der

7. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth eröffnet wurde.“

(Bl. 472 d.A. – meine Hervorhebung)

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Wiederaufnahmeantrag-2013-02-19.pdf

[S. 95 ff.]

Für Brixner stand seit dem Jahr 2004 fest, daß Mollath „verrückt“ war und daß seinen angeblichen Taten als bloßen Anlaßtaten für eine Unterbringung kein besonderes Augenmerk zu widmen war. Der bloße Vorwurf reichte aus. Es ist ausgeschlossen, daß die Staatsanwaltschaft Regensburg den Zusammenhang zwischen dieser frühen Intervention Brixners und seinem späteren rechtsbeugerischen Handeln, wie es Rechtsanwalt Strate in zehn Konkretisierungen erfaßt hat, verkannt hat.

Umso begreiflicher ist der politische Eiertanz, den der Generalstaatsanwalt von Nürnberg, Hasso Nerlich, veranstaltet.

Rechtsanwalt Strate veröffentlichte seinen Wiederaufnahmeantrag vom 19.2.2013 am 20.2.2013.

Darin heißt es auf S. 5:

Dieses Wiederaufnahmegesuch basiert allein auf dem Beweis- und Aktenmaterial, welches dem Landgericht Nürnberg-Fürth bei seinem Urteil am 8.8.2006 zur Verfügung stand oder bei ordnungsgemäßer Aufklärung schon damals hätte zur Verfügung stehen können. Mit Absicht sind in dieser Antragsschrift nicht die zusätzlichen Erkenntnisse verarbeitet, welche die Staatsanwaltschaft Regensburg in neu angestellten Ermittlungen seit Anfang Dezember 2012 gewonnen hat. Diese sind der Verteidigung im Rahmen einer von gegenseitigem Vertrauen geprägten Kommunikation mit den zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft Regensburg Anfang Februar 2013 durch Gewährung von Akteneinsicht mitgeteilt worden. Sie werden von der Staatsanwaltschaft Regensburg in ihrem unmittelbar bevorstehenden Wiederaufnahmeantrag verarbeitet werden, so dass beide Wiederaufnahmegesuche – das der Verteidigung und das der Staatsanwaltschaft – sich wechselseitig ergänzen werden.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Wiederaufnahmeantrag-2013-02-19.pdf

Ähnlich Dégoutantes, nämlich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, muß die Staatsanwaltschaft auch dem General berichtet haben. Denn schon am 23.2.2013 wird von einem Maulkorb des GStA berichtet, der schon in der Woche vom 11.2.2013 – 16.2.2013 verhängt worden sein muß:

23. Februar 2013 17:24

Fall Mollath

Generalstaatsanwalt verdonnert Kollegen zum Schweigen

Hasso Nerlich beschäftigt sich schon lange mit der Causa Mollath – und zählt nicht zu seinen Unterstützern. Schon als Nürnberger Generalstaatsanwalt nahm er Mollaths Anzeigen womöglich nicht ernst genug. Jetzt hat er der Regensburger Staatsanwaltschaft verboten, weiter über den Fall Auskunft zu geben. Ein höchst ungewöhnlicher Schritt.

Von Olaf Przybilla und Uwe Ritzer

Am 23. September 2004 richtete Gustl Mollath einen Brief an Hasso Nerlich, den damaligen Amtsgerichtspräsidenten von Nürnberg. Es war eines von vielen Schreiben, mit denen sich Mollath in dieser Zeit erfolglos an die Justiz in Nürnberg wandte – und der Tenor war immer derselbe: Mollath versuchte, auf dunkle Geschäfte seiner Frau, damals Vermögensberaterin bei der Hypo-Vereinsbank, hinzuweisen.

Dass Mollaths Vorwürfe im Kern stimmten, ist inzwischen bekannt – acht Jahre danach. Liest man heute seine Schreiben, fällt auf, wie der Ton immer verzweifelter wird, aber auch immer konfuser. Hektisch hingeworfen wirken diese Briefe, wie in Panik geschrieben.

Im Brief an den Gerichtspräsidenten Nerlich schreibt Mollath, er habe ihm etliche Anzeigen übermittelt. Habe aber, auch sechs Wochen danach, noch kein Wort darüber gehört, wie damit verfahren werde. Vier Seiten umfasst der Brief, er wirkt wie ein Aufschrei. „Ich bestehe weiterhin auf Gerechtigkeit, auch wenn es meinen Kopf kosten sollte“, schreibt Mollath. Und dass ihn seine Frau „mit ihren Schwarzgeldverschieberfreunden perfide fertigmachen“ wolle. Er fragt, warum Nürnbergs Justiz Anzeigen von ihm einfach ignoriere. Und endet mit der dringenden Bitte an Nerlich, „dass meine Fragen ordentlich, schriftlich beantwortet werden“. Erfolglos.

Nun ist Hasso Nerlich wieder mit der Causa befasst. Sehr eng sogar: Denn letzte Woche hat Nerlich der Staatsanwaltschaft Regensburg untersagt, weiter über den dort derzeit entstehenden Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens Auskunft zu geben. Auskünfte erteile künftig nur noch er selbst, betont Nerlich. Formal darf er das, denn Nerlich ist nicht mehr Amtsgerichtspräsident, sondern Generalstaatsanwalt in Nürnberg. Und damit Dienstherr der Regensburger Staatsanwaltschaft.

Rückschlüsse? Bitte selber ziehen.

Höchst ungewöhnlich ist der Vorgang freilich schon. Denn mit der Pressearbeit sind bei der Anklagebehörde in Regensburg normalerweise gleich zwei Staatsanwälte betraut. Beide, so wird aus mehreren Quellen bestätigt, arbeiten mit Akribie an einem eigenen Wiederaufnahme-Antrag der Staatsanwaltschaft. „Wir dürfen dazu nichts mehr sagen“, sagt einer der beiden, Staatsanwalt Markus Pfaller. Rückschlüsse? „Müssen Sie selber ziehen“, sagt er.

Nerlich selbst kann nichts Anstößiges finden: „Der Generalstaatsanwalt Nürnberg ist die vorgesetzte Dienststelle der Staatsanwaltschaft Regensburg.“ Was ungewöhnlich daran sein soll, dass er nun die Pressearbeit an sich gezogen habe, könne er „nicht nachvollziehen“.

Soweit ihm erinnerlich, habe er Mollaths Briefe damals „ohne weitere Prüfung an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet“. Im Übrigen werde im Moment lediglich geprüft, ob die Staatsanwaltschaft tatsächlich einen eigenen Antrag auf Wiederaufnahme stelle.

Nur geprüft? Rudert der Generalstaatsanwalt schon zurück? Mollaths Anwalt Gerhard Strate reagiert irritiert: Ihm sei stets der Eindruck vermittelt worden, Regensburgs Staatsanwaltschaft werde „auf jeden Fall einen Antrag einreichen“. Auf wichtige Details habe er in seinem Antrag deshalb verzichtet – um Doppelungen zu vermeiden. Würde die Staatsanwaltschaft nun doch keinen Antrag einreichen, wäre „mein Antrag automatisch unvollständig“, sagt er

http://www.sueddeutsche.de/bayern/fall-mollath-generalstaatsanwalt-verdonnert-kollegen-zum-schweigen-1.1607387

Bis zum heutigen Tag hat der GStA keine Auskunft darüber erteilt, ob der mit der Verteidigung abgesprochene Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft Regensburg überhaupt existiert und zur Überprüfung bei ihm anhängig sei – soviel zur aufklärenden Pressearbeit der Generalstaatsanwaltschaft. Zuletzt erfuhr man Folgendes:

Auch der Sprecher des Generalstaatsanwalts winkt ab: Als Dienst- und Fachvorgesetzter der Staatsanwaltschaft Regensburg trage Generalstaatsanwalt Nerlich „Verantwortung für das Handeln der ihm unterstellten Staatsanwaltschaften“.

Dementsprechend sei auch die Prüfung der Wiederaufnahmevoraussetzungen im Fall Mollath „von Beginn an in Abstimmung zwischen der Staatsanwaltschaft Regensburg und dem Generalstaatsanwalt“ erfolgt.

http://www.sueddeutsche.de/bayern/fall-mollath-nuernberger-justiz-prueft-sich-selbst-1.1616578

Weshalb ja auch, total verschreckt von der berichteten Kooperation der Staatsanwaltschaft Regensburg mit der Verteidigung von Mollath, schon vor der Veröffentlichung von Strates Wiederaufnahmeantrag der Maulkorb verhängt wurde. Und weil merkwürdigerweise kein Journalist den Herrn Nerlich fragt, ob und seit wann ihm der Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft vorliegt, kann er weiter politisch eiertanzen.

So, wenn er als stummer Gast im Rechtsausschuß am 28.2.2013 diesen entstellenden Verlautbarungen des Kollegen Jüptner lauscht und ihnen dennoch nicht, trotz besseren Wissens aus der ihm vorliegenden Wiederaufnahmeakte, entgegentritt:

Jüptner hatte dagegen im Landtag den Eindruck erweckt, es gebe gar keinen Vermerk. Man habe die beiden Fahnder „natürlich befragt“. Der Vorgesetzte habe gesagt, „wenn der Inhalt des Gesprächs für seine Entscheidung von Bedeutung gewesen wäre, hätte er das in einem Vermerk niedergeschrieben“, hatte Jüptner gesagt. „Einen solchen Vermerk hat er nicht niedergeschrieben. Weswegen er davon ausgeht, dass das Telefonat für die Entscheidung ohne Bedeutung war.“

http://www.sueddeutsche.de/bayern/neue-ungereimtheiten-im-fall-mollath-verraeterischer-aktenvermerk-1.1613709

Und dieser Pressesprecher-Ausfall zum vermeintlichen Gunsten des Kollegen, der genau wie er durch CSU-Minister-Entscheid zu Amt und Würden gekommen ist, wird ihn nicht erfreut haben:

Das Landesamt für Steuern erklärte am Montagabend, Behördenchef Jüptner habe bei seiner Aussage vor dem Landtagsausschuß auf die Erinnerung des damaligen Leiters der Steuerfahndungsstelle Bezug genommen. Zudem habe Jüptner lediglich behauptet, «dass es keinen Aktenvermerk gibt, in dem eine Einflussnahme auf das Steuerverfahren schriftlich niedergelegt worden ist», heißt es [in] der Erklärung der Landesbehörde. Zudem handele es sich um eine handschriftliche Notiz und nicht um einen Aktenvermerk. Außerdem: «Über das Thema der Sicherungsverwahrung entscheidet die Justiz und nicht die Steuerbehörden.»

http://www.nordbayern.de/region/staatsanwalt-im-mollath-fall-soll-befangen-sein-1.2730412

Zum Fremdschämen. Natürlich haben handschriftliche Notizen die Qualität von Aktenvermerken, wenn sie in der Akte abgeheftet sind oder getippten Vermerken hinzugefügt wurden. „Quod non est in actis non est in mundo“. Um Sicherungsverwahrung ging es im Fall Mollath nie, aber ich verstehe durchaus, daß in der bayerischen Politikerkaste (zu der Generalstaatsanwälte und Präsidenten von jeweiligen Mittelbehörden naturgemäß gehören) Hysterie ausbricht, die sich besonders deutlich in dieser Freud’schen Fehlleistung Ausdruck verschafft:

“Der Zweifel an der mangelnden Objektivität des Generalstaatsanwalts ist an den Haaren herbeigezogen.”
Michael Hammer, Justizsprecher Nürnberg
http://www.br.de/nachrichten/mittelfranken/mollath-generalstaatsanwalt-nuernberg-100.html

Muß man vielleicht zweimal lesen, um die Botschaft, die sich zweifellos einer Freud’schen Fehlleistung verdankt, zu verstehen.

Recht hat der Hammer jedenfalls. Das ist schon ein Hammer.

Update vom 7.3.2013: Nach Löschung des Zitats durch den BR ist es noch hier zu finden:

http://nachrichten.t-online.de/gustl-mollath-gruene-und-freie-waehler-kritisieren-hasso-nerlich/id_62425784/index?news

Zur politischen Hygiene gehörte es, daß sein Chef umfassend über seine Vorbefassung im Fall Mollath Auskunft gäbe:

War er in irgendeiner Art und Weise als Amtsgerichtspräsident und Richter in das Erbschaftsverfahren von Frau Mollath, die einen verheirateten von ihr beratenen Kunden beerbte, in ihr Scheidungsverfahren, in das Zivilverfahren von Gustl Mollath wegen Mängeln an Lackierung des von ihm aufgebauten Oldtimer-Ferrari, an Beschwerden wegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen beteiligt?

Die Stellung von Nerlich ist überdies zweifelhaft. Er ist nicht Beate Merks erste Wahl.

http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.posten-poker-mauschelei-bei-der-justiz-nuernberger-richter-kaltgestellt.1c33ac3a-0bf3-4d4b-a999-e616c8efa1ed.html

Ob er ihr, die einen WA-Antrag angeordnet hat, jetzt schaden oder nutzen will: wie kann das jemand beurteilen, der fernab politischer Intrigen steht?

Um Wahrheit und Gerechtigkeit geht es jedenfalls weder der Ministerin noch ihrem Adlatus, der zwar in der mickrigen R-Besoldung vom Amtsgerichtspräsidenten zum Generalstaatsanwalt einen Schritt nach vorn gemacht hat, aber nun Abschied von der Intellektualität nehmen mußte, falls er sie jemals besessen haben sollte. Denn eigentlich ist sie, die Intellektualität, ein Störfaktor im auf Anpassung getunten Getriebe. Der Richter am BGH Prof. Dr. Thomas Fischer kann ein Lied davon singen.

Am Donnerstag, dem 7.3.2013, werden wir den nächsten politischen Eiertanz erleben. Wohl bekomm`s.

Update (6.3.2013)

Jetzt erfahren wir auch, was die Justizministerin, der Präsident des Landesamts für Steuern und der Generalstaatsanwalt in Nürnberg der Öffentlichkeit und dem Parlament noch verschwiegen haben: daß nämlich die Einstellung der Vorermittlungen der Steuerfahndung in Nürnberg sofort nach dem Anruf Brixners geschah:

Jetzt allerdings ist ein Aktenvermerk der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts München[recte: Nürnberg]-Süd vom 10. Februar 2004 aufgetaucht, in dem über den Anruf B.’s berichtet wird. Aufgrund der Angaben des Richters könne davon ausgegangen werden, „dass die vorgebrachten Anschuldigungen zumindest zum großen Teil nicht zutreffen und ggf. nicht überprüft werden können“.

Ralf Müller

http://www.nordbayern.de/region/fall-mollath-wurde-sogar-der-landtag-belogen-1.2733180

Da der Anruf erst am 11.2.2004 erfolgte, läßt sich das genannte Datum nur so erklären, daß der Vermerk am 10.2. begonnen und am 11.2. fertiggestellt wurde, ohne das Datum zu verändern. Daß wegen des Gesprächs eingestellt wurde, ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Vermerks. Daran können neun Jahre später aufgetretene Erinnerungsschwächen der seinerzeitig Beteiligten nichts ändern.

Update (7.3.2013):

Das war ein sehr guter Tag für Gustl Mollath.

Der mediale und der  politische Druck durch die einzigen beiden Oppositionsparteien im Bayerischen Landtag, den Grünen und den FW, war so groß geworden, daß das Justizministerium die Flucht nach vorn antrat:

Im Rechtsausschuss des Landtags gab der Leiter der Strafrechtsabteilung des bayerischen Justizministeriums, Helmut Seitz, bekannt, dass die Regensburger Staatsanwälte eine Wiederaufnahme des Mollath-Verfahrens beim Nürnberger Landgericht beantragen werden. Über den Zeitpunkt und die Begründung sagte er nichts.

http://www.br.de/nachrichten/mittelfranken/mollath-wiederaufnahmeantrag-anwalt-100.html

Ministerium: Bald Wiederaufnahmeantrag im Fall Mollath

Donnerstag, 07. März 2013, 14:04 Uhr

München (dpa/lby) – Im Fall des seit Jahren gegen seinen Willen in der Psychiatrie untergebrachten Nürnbergers Gustl Mollath wird die Staatsanwaltschaft Regensburg in Kürze die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Das sagte Helmut Seitz, Leiter der Strafrechtsabteilung im Justizministerium, am Donnerstag im Rechtsausschuss des Landtags.

http://www.bild.de/regional/muenchen/muenchen-regional/ministerium-bald-wiederaufnahmeantrag-im-29412644.bild.html

Damit war das eigentliche Ziel des Dringlichkeitsantrags, dem Generalstaatsanwalt wegen Befangenheit die Zuständigkeit für die fachaufsichtliche Begleitung des Wiederaufnahmeantrags zu entziehen, erreicht.

Alle Signale, die bislang von der Generalstaatsanwaltschaft ausgingen, mußten die Befürchtung auslösen, daß von dort angewiesen werden könnte, den Wiederaufnahmeantrag mangels Erfolgsaussicht nicht zu stellen. Diese Gefahr ist jetzt gebannt: das Ministerium hat anders entschieden. Die gestalterischen Möglichkeiten der Fachaufsicht sind damit begrenzt, und die politische Klugheit wird dazu führen, der Staatsanwaltschaft Regensburg größtmöglichen Freiraum in der Gestaltung ihres Antrags zu gewähren – also ergänzend zu Rechtsanwalts Strates Antrag ebenfalls den absoluten Wiederaufnahmegrund der Rechtsbeugung durch Richter Brixner zu behandeln, was ja ein unerhörter Vorgang ist.

Die zweite gute Nachricht des heutigen Tages lieferte nämlich Michael Kasperowitsch von den NÜRNBERGER NACHRICHTEN: sie deutet darauf hin, daß die Staatsanwaltschaft weiterhin aktiv an der Ermittlung des entsprechenden Vorsatzes arbeitet:

Justiz überprüft auch die Rolle der Erlanger Klinik

Im Fall Mollath sind Fragen nach der Rolle von Chefarzt Wörthmüller aufgetaucht – Strafkammer „eingenordet“?

VON MICHAEL KASPEROWITSCH

[…]

Jetzt haben gut informierte Justizkreise gegenüber unserer Zeitung von einer Begegnung Wörthmüllers mit dem Nürnberger Richter Otto Brixner berichtet, der Mollath mit seiner Entscheidung in die Psychiatrie brachte. Das Treffen war 2006, zwei Jahre nachdem Wörthmüller sich für befangen erklärt hatte.

Der Arzt soll, so schildern es diese Kreise, in einer Verhandlungspause anscheinend beiläufig in das Richterzimmer Brixners gekommen sein und in Worten und Gesten deutlich zu verstehen gegeben haben, dass Mollath psychisch gestört sei. Brixner habe darauf zustimmend geantwortet und angemerkt, dem Angeklagten schaue der Wahnsinn aus den Augen. Stunden später sprach Brixner das folgenreiche Urteil. Man habe den Eindruck gewinnen können, die Mitglieder der Strafkammer sollten „eingenordet“ werden, sagen die Justizkreise.

Otto Brixner erklärte jetzt auf Anfrage, er könne sich nicht an eine solche, sieben Jahre zurückliegende Szene erinnern. Michael Wörthmüller gab gegenüber unserer Zeitung eine schriftliche Stellungnahme ab. Darin versichert er, „nie das Gespräch mit einer der mit dem Hauptverfahren gegen Herrn Mollath befassten Personen gesucht“ zu haben. Weitere Auskünfte könne er momentan „leider“ nicht geben, da eine Befragung durch die Staatsanwaltschaft anstehe. „Von dortiger Seite wurde ich darum gebeten, mich nicht weiter vorab gegenüber der Presse zu äußern.“

[Nürnberger Nachrichten vom 7.3.2013]

Der wegen irreführender Aussagen zu dem Anruf Otto Brixners bei der Steuerfahndung im Februar 2004 vor dem Rechtsausschuß in die Kritik geratene Präsident des Landesamtes für Steuern, Dr. Roland Jüptner, entschuldigte sich gar und ruderte zurück (was angesichts der vorgelegten Beweise auch anzuraten war):

Gleich zu Beginn gibt sich der Präsident des Landesamts für Steuern, Roland Jüptner, reumütig. Er wolle sich für missverständliche und unglückliche Äußerungen entschuldigen, sagt er und räumt ein, was bereits unmittelbar nach seinem Auftritt in der vergangenen Woche in der SZ gestanden hatte: dass es den Vermerk zweier Steuerfahnder aus dem Jahre 2004 über Gustl Mollath sehr wohl gegeben hatte.

Das hatte Jüptner vor einer Woche noch bestritten. Er habe sie aus juristischen Gründen geheimhalten müssen, sagt er: „Meine Fachleute sagen mir, dass die Vermerke dem Steuergeheimnis unterlegen haben.“ Dieses allerdings sei nun genau durch die Zeitungsberichte nach seiner Aussage kein Hinderungsgrund mehr, führt Jüptner weiter aus. Was schon in den Medien stand sei öffentlich und dürfe auch durch ihn selbst nun eingeräumt werden.

Schon vor seiner Aussage hat ihn Ausschusschef Franz Schindler (SPD) klar ermahnt. Jüptner solle klarstellen, „wieso ein handschriftlicher Vermerk kein Aktenvermerk sein soll“ und dabei beachten, „dass jedes Wort, wie ich meine zurecht, mittlerweile auf die Goldwaage gelegt wird“. Und um es ganz klar zu machen, kündigt Schindler noch an, von der Sitzung werde anders als sonst, ein Wortprotokoll erstellt.

„Weichgespült“, „herumgeeiert“, „peinlich“

In der Sache bleibt Jüptner aber dabei: Das umstrittene Telefonat mit dem Richter Otto Brixner, das dazu führte, dass Mollath in internen Dokumenten als unglaubwürdiger „Spinner“ und „Querulant“ bezeichnet wurde, sei nicht die Ursache dafür gewesen, auf Mollaths Schwarzgeld-Vorwürfe kein Ermittlungsverfahren zu eröffnen. Jüptner: „Die Einstellung des Verfahrens wäre auch ohne das Telefonat erfolgt.“ Er zitiert auch aus Aussagen seiner Steuerfahnder, das Telefonat sei „lediglich ein Mosaikstein“ gewesen und „wohl nicht“ ausschlaggebend.

Die Opposition überzeugt dies nicht: Jüptner habe „eine weichgespülte Version abgegeben“ und sei „herumgeeiert“, befindet SPD-Frau Inge Aures. „Da lacht sich ja jeder kaputt, das ist peinlich.“ Auch Florian Streibl (Freie Wähler) meint: „Da fühlt man sich als Abgeordneter nicht ernst genommen.“

http://www.sueddeutsche.de/bayern/fall-mollath-justiz-will-schnell-ueber-wiederaufnahme-entscheiden-1.1618621

Natürlich sind allein die seinerzeitigen eindeutigen Vermerke und nicht deren neun Jahre später von deren in die Defensive gedrängten Urhebern vorgebrachten Interpretationen von Bedeutung.

Denn, auch das mußte Generalstaatsanwalt Nerlich entgegen früherem Vorbringen einräumen:

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Mollaths Schwarzgeld-Vorwürfe keine Spinnerei waren. Generalstaatsanwalt Nerlich bestätigte, dass es inzwischen mehrere Ermittlungsverfahren gibt.

http://www.merkur-online.de/aktuelles/bayern/wiederaufnahmeverfahren-fall-mollath-angekuendigt-2787776.html

Und dann soll es auch noch neunzehn Selbstanzeigen gegeben haben:

http://www.br.de/radio/bayern1/sendungen/mittags-in-franken/mollath-landtag-100.html

[Minute 2:30]

Der klägliche Rest eines früher möglich gewesenen Banken-Großverfahrens…

Ansonsten beschränkte sich Hasso Nerlich darauf, seine untergebene Behörde zu verteidigen und diejenigen Äußerungen zu dementieren, die ihm den Vorwurf der Befangenheit eingetragen hatten:

Sie halten ihm vor, dass er sich durch Zitate über Mollaths „wirren Charakter“ und die in der Zeit zitierte Warnung vor einer Freilassung Mollaths als „Katastrophe“ für Bayern diskreditiert habe. Nerlich bestreitet beide Zitate. Landtags-Vizepräsidentin Christine Stahl (Grüne) sagt sogar, sie fühle sich „verarscht“.

http://www.sueddeutsche.de/bayern/fall-mollath-justiz-will-schnell-ueber-wiederaufnahme-entscheiden-1.1618621
Dann wird es noch ein wenig pathetisch-politisch, der Dringlichkeitsantrag wird mit den Stimmen der Vertreter der Regierungsparteien und der SPD abgelehnt – und als Sieger bleiben eine zur Kenntlichkeit gelangte Wahrheit, die angebliche Wahn-Wahrheit des Gustl Mollath, und die Entscheidung zugunsten eines Wiederaufnahmeantrags durch die Staatsanwaltschaft auf der Walstatt zurück.Nun hat Sabine Rückert ein Problem, denn um diese Passage ihres Artikels vom 28.2.2013 ging es:

Ruft man dieser Tage in der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg an, um nach Mollaths Erfolgsaussichten zu fragen, erreicht man reservierte Gesprächspartner. Die Staatsanwälte räumen zwar ein, das Urteil sei mit einer gewissen „Schludrigkeit“ zustande gekommen, bleiben aber bei ihrer Überzeugung, es sei „im Ergebnis richtig“. Werde der Fall jetzt auf politischen Druck hin wegen „Flüchtigkeitsfehlern“ – so heißt es beschönigend – neu verhandelt und komme es zu einem Freispruch, sei das eine Katastrophe für das bayerische Volk, denn die Justiz werde gezwungen, „einen gefährlichen Mann auf die Straße zu entlassen“.

Das mag zutreffen oder nicht – es wäre nicht die Schuld des Verteidigers Strate, sondern allein die der Richter, die keinen Respekt vor diesem Angeklagten hatten und sich offenbar nicht mehr für Diener des Gesetzes halten, sondern für das Gesetz selbst.

http://www.zeit.de/2013/10/Mollath-Prozess-Wiederaufnahme/komplettansicht

Das offizielle Dementi einer Unzufriedenheit mit der Ministerin kam allerdings erst einen Tag vor der Ausschußsitzung, am 6.3.2013:

[…]

Hierzu erklärt Generalstaatsanwalt Nerlich:

Zutreffend sei, dass er gegenüber einer Redakteurin der Zeitung DIE ZEIT geäußert habe, die Begründung des Urteils, mit dem die Unterbringung Mollaths angeordnet worden war, enthalte Unrichtigkeiten. Er habe auch darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrags zu prüfen ist, inwieweit sich diese Unrichtigkeiten auf das Ergebnis der Entscheidung des Landgerichts auswirken.

Weder der Generalstaatsanwalt selbst noch seine Mitarbeiter haben sich aber [in] irgendeiner Weise dahin geäußert, dass auf politischen Druck hin die Justiz gezwungen werde, einen gefährlichen Mann zu entlassen.

Zu den weiteren Vorwürfen, die in dem Dringlichkeitsantrag erhoben werden, wird sich Generalstaatsanwalt Nerlich morgen im Rechtsausschuss des Landtags äußern.

Dr. Michael Hammer
Richter am Oberlandesgericht
Justizpressesprecher

http://www.justiz.bayern.de/gericht/olg/n/presse/archiv/2013/03873/index.php

Daß der Artikel von Sabine Rückert immer noch tendenziös im Tenor ihres unglaublichen Vorgänger-Artikels vom 13.12.2012 „Ein Kranker wird Held“  gehalten ist – so hat sie die Lektüre des Strate-Antrags ab S. 95 offensichtlich eingestellt, sonst wüßte sie, daß das Leipziger-Gutachten dort geradezu atomisiert wird, und daß auch Kröber und Pfäfflin unsaubere Arbeit bescheinigt wird – sei hier nur am Rande erwähnt:

Hans-Ludwig Kröber und Friedemann Pfäfflin wären also unter keinem rechtlichen Aspekt daran gehindert gewesen, die Strafakte, welche in das Urteil des Landgericht Nürnberg-Fürth vom 8.8.2006 mündete, einer sorgfältigen Lektüre zu unterziehen und die Urteilsgründe kritisch zu überprüfen. Das haben sie jedoch nicht getan: Stattdessen werden die Urteilsgründe selbst dort zugrunde gelegt, wo der Akteninhalt dazu hätte drängen müssen, deren Falschheit unmittelbar zu erkennen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Wiederaufnahmeantrag-2013-02-19.pdf

[S. 138]

Noch schlimmer:

Kröber konstatiert in einer „Zusammenfassung und Beurteilung“:

„In einem Strafverfahren wegen dieser Delikte wurde er schließlich vom Landgericht Nürnberg-Fürth am 08.08.2006 wegen Schuldunfähigkeit von den Tatvorwürfen der gefährlichen Körperverletzung, der Freiheitsberaubung und der Sachbeschädigung freigesprochen. Dass er diese Tatbestände objektiv erfüllt hat, wurde rechtskräftig festgestellt und ist im Grundsatz auch nicht streitig.“

(Gutachten, S. 24)

Dass der Gutachter bei dieser letzten Feststellung („im Grundsatz auch nicht streitig“) sich nicht auf eine Einlassung des Gustl Mollath stützen konnte, ergab sich sogar aus den ansonsten von ihm häufig fast wortidentisch übernommen Urteilsgründen (UA S. 18).

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Wiederaufnahmeantrag-2013-02-19.pdf

[S. 139]

Alles deutet darauf hin, daß Sabine Rückert mittlerweile weiß, daß sie auf das falsche Pferd gesetzt hat. Ihr aktueller Artikel, gestern am frühen Nachmittag noch nicht online, wurde wohl irgendwann im Laufe des 6.3. bzw. in der Nacht zum 7.3.2013 online gestellt, allerdings mit dem falschen online-Veröffentlichungsdatum 28.2.2013 versehen. Und so taucht er im heutigen ZEIT-Online-Portal auch nicht auf. Man muß schon über die Suchfunktion gehen, um ihn aufzufinden, da er direkt ins Archiv wanderte.

Vielleicht liegt diese Zurückhaltung nicht nur am Dementi des Generalstaatsanwalts, sondern auch an diesem Termin in Sachen ›Ein Kranker wird Held‹?

Prof. Dr.-Ing. M. Müller

Die Autorinnen von ZEIT und Spiegel sind zur Zeit vielleicht etwas gehemmt. Die nächste Sitzung des Beschwerdeauschusses des Presserates findet am 12.03.2013 statt und wird sich mit den Darstellungen der Autorinnen befassen.

https://gabrielewolff.wordpress.com/2013/03/06/der-fall-mollath-politische-eiertanze/#comment-4333

Wie gesagt: ein sehr guter Tag für Gustl Mollath – und damit für den Rechtsstaat.