Jenseits des Protokolls: eine Rezension des Bettina Wulff-Buchs

Schwierig schwierig. Ist es überhaupt möglich, das Buch zu rezensieren, wenn das Gerede über das Buch kaum noch auszublenden ist? Kann es überhaupt noch rezensiert werden, ohne die PR drumherum, die angestrebte und die tatsächlich entstandene, immer mitzulesen?

Eines der giftigsten Elemente in der publizistischen Verwertungskette hat mal wieder Alice Schwarzer produziert: nicht nur, daß sie am 11.9.2012 auf ihrem Blog eine uneingeschränkte Verteidigung von Bettina Wulff, dem Medien-, Google- und Gerüchteopfer sexistischer Politiker und Internetmobber, ablieferte, um dann am 17.9.2012 für den STERN wunschgemäß eine Hinrichtung zu schreiben.

Näheres hier:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/09/23/jenseits-von-gut-und-bose-bettina-wulff-die-medien-und-das-internet/

Nein, jetzt brachte sie auch noch einen Emma-Titel heraus, der ermüdenderweise wiederum ihrem hochkatholisch-sittenstrengen Kreuzzug gegen die Prostitution gewidmet ist.

Kann Prostitution wirklich freiwillig sein?

lautet ihre rhetorische Frage auf der hautfarbenen Titelseite. Da lediglich zwei Aussteigerinnen, die sich freiwillig bei ihr gemeldet haben, interviewt werden, ist das Ergebnis dieser extrem repräsentativen Feldforschung absehbar.

Links oben auf dem Titel lächelt Bettina Wulff, im Heft selbst wird Schwarzers STERN-Artikel leicht variiert recycelt.

Die Entblößung der Bettina Wulff

Mit ihrem Buch „Jenseits des Protokolls“ hat Bettina Wulff sich nicht unbedingt einen Gefallen getan. Sie sagt bittere Wahrheiten, aber liefert neue Angriffsflächen.

Es gibt viele gute Gründe, mit Bettina Wulff solidarisch zu sein, angefangen bei den Rotlicht-Gerüchten bis hin zu der Häme so mancher der jetzigen Kommentare. Schade nur, dass sie die nun selber zunichte macht – mit der Veröffentlichung ihres Buches. Der Wiederherstellung der Ehre von Bettina Wulff dient das nicht, im Gegenteil: Die indiskrete Plapperei der ehemaligen First Lady bestätigt den schon vor dem Eklat um Hauskredit und Luxusurlaube dämmernden Verdacht, dass das Ehepaar Wulff die falsche Besetzung war für Schloss Bellevue.

http://www.aliceschwarzer.de/publikationen/aliceschwarzer-artikel-essays/die-entbloessung-der-bettina-wulff/

Netter Nebeneffekt: irgendwann wird bei der Google-Suche unter den Begriffen, gegen die die Buchautorin eine von Alice Schwarzer beklatschte Klage erhoben hat, auch die EMMA auftauchen. Die kostenlose Werbung nimmt man doch gerne mit.

Ich versuche trotz der Hintergrundgeräusche eine Rezension und fange mit der Bestimmung des Genres an: es handelt sich um eine autobiographische Streitschrift, daran lassen die rahmenden Texte »MAMA, HABT IHR GELOGEN?« (S.7 – 9) und »MAMA, ARBEITEST DU EIGENTLICH SCHON IMMER ALS PR-FRAU?« (S. 215 – 217) sowie die Widmung »Für meine Familie« keinen Zweifel. Der Ton ist kämpferisch, das Ziel ist klar:

Wenn es mir egal wäre, dass Leute Gerüchten über meine Person Glauben schenken, wenn es mir egal wäre, dass diese Menschen auch meinen, ich würde bewusst ständig nach einem Profit für mich und meine Familie suchen und ich eine oberflächliche, luxusverliebte und auf Glamour erpichte Frau sei, dann würde ich einfach alles auf sich beruhen lassen und kein weiteres Wort darüber verlieren. Aber es ist mir nicht egal, was Menschen über mich denken beziehungsweise dass in ihren Köpfen möglicherweise ein Bild über meine Person herumspukt, welches mir selbst absolut fremd ist. […] Ich möchte, dass die Menschen mich so sehen, wie ich bin: als eine ziemlich normale Frau und Mutter, die ihr Leben so leben möchte, wie sie es will, und nicht, wie andere es von ihr erwarten. Und die sich verantwortungsvoll für andere, vor allem eben auch für die eigenen Kinder, und für Themen einsetzt, die ihr wichtig sind. So einfach ist das eigentlich …

[S. 9]

Wenn es so einfach wäre – man muß schon PR studiert haben, um glauben zu können, man könne mittels Schrift, Interview, Fotos und Fernsehpräsenz das Selbstbild gegen mediale Fremdbilder durchsetzen. Mit diesen Mitteln läßt sich zwar für eine Sache streiten, aber Kontrolle über Sympathie, Antipathie, Empathie, Projektionen und Phantasmen Dritter über die eigene Person gewinnt man damit nicht. Und wer kann sich sicher sein, ob das eigene Selbstbild überhaupt richtig ist? Denn der Konflikt, der Bettina Wulffs Leben durchzieht, wird bereits in dieser kurzen Passage angesprochen: einerseits will sie nicht so leben, wie andere es von ihr erwarten. Andererseits ist es ihr nicht egal, was andere, weit entfernte Unbekannte, über sie denken. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Freiheit beginnt erst, wenn es einem egal ist, was Unbekannte von einem denken.

Und so ist dieses Buch tatsächlich eine hochinteressante Studie über das Leben einer »ziemlich normalen«, wenig intellektuellen modernen Frau, die zwischen emanzipatorischen Ansprüchen an sich selbst, Erwartungen Dritter, den Rollenspielen, die sowohl die Politik als auch  die Medien abverlangen, und Beruf & Familie laviert und bis zur Erschöpfung an ihrer Selbstoptimierung arbeitet. Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung lautet folgerichtig ihr zukünftiges Ziel (S. 211).

Ich werde versuchen, es selbst zu bestimmen, wie viel ich von meinem Leben preisgebe und zeige und was ich der Öffentlichkeit entziehe, weil mein Leben einfach nur mein Leben ist.

[S. 213]

Doch im Moment ist Offensive angesagt, und da wird naturgemäß erst einmal gezeigt.

Sprachliche Höhenflüge waren von vorneherein nicht zu erwarten; nicht nur, weil mit Nicole Maibaum eine Ghostwriterin ausgewählt wurde, die Liebes-Ratgeber und Bücher über Kinderhilfsprojekte und starke Frauen für die Schauspielerinnen Veronica Ferres und Iris Berben geschrieben hat; die Autorin Wulff selbst ist keine brillante Rhetorikerin, wobei das Buch auf zahlreichen Interviews mit ihr basiert – die stilistische Nähe zur mündlichen Rede ist womöglich zur Erhöhung der Authentizität gewollt, nervt allerdings selbst den geneigtesten Leser: zu viel Jugendsprech, zu wenig Lektorat, und wer wie ich eine Allergie gegen die Formulierung »ein Stück weit« hat, sei vor den Risiken und Nebenwirkungen dieses Gemeinschaftswerks gewarnt. Es hat dem Buch sprachlich nicht gutgetan, daß sein Erscheinen zwei Monate vorgezogen wurde. Hier, als pars pro toto, zwei Beispiele für mißlungene Formulierungen, beide auf S. 82:

Wir schreiben uns Briefe, ganz klassisch noch mit Stift und auf Papier und schicken sie dann per Post los.

Was könnte man sonst mit einem Stift beschriften, wenn nicht Papier? Wer sollte einen klassischen Brief transportieren, wenn nicht die Post? Es fehlt, neben einem Komma, nur noch die Erwähnung von Briefumschlag und Briefmarke, dann wäre die Redundanz komplett…

In Berlin habe ich nie diese Orte gefunden, wo ich einmal wirklich durchatmen und abschalten konnte, nur ich war, wo ich mich nicht beobachtet fühlte, kontrolliert und mit dem Auftrag zu funktionieren, aber in Storkow stellte sich genau diese innere Gelassenheit und Ruhe ein.

Einen Sinn hat dieser Satz nicht. Es ist zwar eher unwahrscheinlich, daß das Buch angesichts der Erstauflage von 100.000 Exemplaren eine 2. Auflage erleben wird; für diesen Fall sollte jedenfalls eine bearbeitete Fassung vorgelegt werden, die die schlimmsten Sprachunfälle abräumt. Nett wäre auch die Klärung von Unstimmigkeiten: befindet sich im Schloß Bellevue nun eine Zweizimmerwohnung (S. 55) oder eine 60 qm große Dreizimmerwohnung (S. 63)?

Das Buch soll also entblößend sein, indiskret, voyeuristischen Bedürfnissen dienend?

Das kann ja wohl nicht ernstgemeint sein. In jeder nachmittäglichen Talkshow gibt es mehr Seelenstriptease als in diesem Buch. Tatsächlich ordnet sich in ›Jenseits des Protokolls‹ jede private Mitteilung, fein säuberlich sortiert, dem erklärten Programm unter, die gehässigen Gerüchte und Unterstellungen, die medialen Bilder von ihr, die ihrerseits jegliche Diskretion vermissen ließen, zu widerlegen. Bettina Wulffs Buch spiegelt geradezu symmetrisch das Niveau wider, auf dem ihr begegnet wurde.

Wie kann sich eine junge Frau in einen Mann wie Christian Wulff verlieben?

wiederholt sie auf S. 11 die Klatschfrage des Boulevards und der mißgünstigen Politikerkollegen ihres Mannes, die natürlich so beantwortet wurde: die hat sich einen Promi geangelt. Dagegen setzt sie Kurzbeschreibungen ihrer vorangegangenen Beziehungen: keiner dieser Männer war reich oder prominent, und warum sollte sie mit Mitte dreißig mit dieser männermordenden Jagd anfangen? Darum im Kapitel »MEIN MANN« die ausführliche Darstellung des Kennenlernens ihres Mannes im April 2006, das durch einige Zufälle begünstigt wenn nicht gar ermöglicht wurde – Bettina Wulff kennt die Internet-Gerüchte und Presseberichterstattungen sehr gut, die ein Kennenlernen zu einem früheren Zeitpunkt in ganz anderen Zusammenhängen insinuieren. Daher auch die Ausführungen zum spießigen Image von Christian Wulff, und wie sehr sie die auch von ihr zunächst abstrakt geteilte Skepsis ihrer Freundinnen Josefine und Stephanie fürchtete, als sie ihnen den neuen Mann an ihrer Seite ›beichtete‹ (S. 85f.).

Was soll daran indiskreter sein als die Zumutungen und Insinuationen des Boulevards? Wie kommt Jürgen Dahlkamp im SPIEGEL 38/2012, S. 34 auf die Idee, hier lägen das Amt entwürdigende ›Enthüllungen‹ vor, wenn Bettina Wulff über die Einschränkungen spricht, die ein von Bodyguards bewachtes Leben auslösen? Walter Kohl darf über derlei verstörende und familienzerstörende Kindheitsverhältnisse schreiben, eine Ehefrau und Mutter nicht?

By the way: demokratisch gewählte Politiker sind Menschen aus Fleisch und Blut, und wenn das Amt endet, dürfen sie auch wieder Menschen sein (eigentlich sollte es uns lieber sein, wenn sie auch zwischendrin Menschen blieben, aber die mediale Dauer-Belauerung und das Niveau der politischen Auseinandersetzung zwingt offenbar zur Schutzpanzerung und Selbstaufgabe – das Buch von Bettina Wulff führt bestens in diese gnadenlose Welt ein). Das Motto des englischen Königshauses: ›Never complain, never explain‹ gilt nicht für demokratisch gewählte Politiker – und schon gar nicht für deren Familienangehörige. Und heutzutage nicht einmal mehr für Royals, die von rüden Paparazzi in vermeintlicher Privatheit befindlich abgeschossen werden.

Bettina Wulff plappert?

Auch das ist eine symmetrische Antwort auf das Plappern des Boulevards, das sich endlos lang an Äußerlichkeiten wie Tattoo und Bekleidung der First Lady abarbeitete.

In der Zeit in Berlin, als Frau des Bundespräsidenten, war ich doch das eine und andere Mal sehr überrascht, welche Bedeutung Banalem beigemessen wird. Dass selbst unwichtigste Dinge für Schlagzeilen in der Presse sorgen …

[S. 101]

Und so gibt es dann eben auch das Kapitel ۛDAS TATTOO‹ (S. 103 – 111) über die Tätowierung, Garderobe, die Schuhe etc., das, zusammen mit den Ausführungen über Leihgaben deutscher Modehersteller (S. 161f.) als Gegenentwurf zu dem Geraune und Gequatsche der Presse angelegt ist. Natürlich ist Mode ein Statement, natürlich ist Mode Repräsentation, natürlich ist das ein Thema – wie sehr, beweist der aktuelle STERN 40/2012 vom 27.9.2012, dem ein Modeheft Herbst/Winter 2012 beigelegt ist:

Politik und Pose

Nichts wirkt schneller als der äußere Eindruck: Die Schauspieler Jan Josef Liefers und Anna Loos zeigen, wie glanzvoll Wahlkampf aussehen kann

In dem dazugehörigen Artikel von Dirk van Versendaal:

Herrschende Mode

Das Outfit von Politikern wird immer wichtiger. Jedes Hemd, jeder Anzug sendet Botschaften

wird den »Botschafterinnen des guten Stils«, Bettina Wulff und Stephanie zu Guttenberg als »Antwort auf Carla Bruni und Michelle Obama«, richtiggehend nachgetrauert. Wer plappert hier? Dagegen sind die Informationen, die Bettina Wulff zur Garderobewahl am Tag des Rücktritts gibt, doch wahre Erleuchtungen:

Es sollte etwas Schlichtes sein, nicht zu edel und aufgesetzt. Es sollte etwas sein, in dem ich mich sicher und wohlfühle. Die Fassade mußte stimmen, das Innenleben ging keinen etwas an. Ich wollte mich als starke Frau präsentieren. Schnell fiel meine Wahl auf eines meiner Lieblingskostüme von Rena Lange. Im Grunde ein ganz klassisches schwarzes Ensemble mit Rock und kurzer Jacke, an den Rändern in Weiß gearbeitet.

[S. 197]

Wie ist das Selbstbild von Bettina Wulff denn nun beschaffen, das sie dem medialen Zerrbild der Glamour-Frau, die einen biederen Politiker ins Unglück stürzt, entgegenhalten will?

Auffällig ist, wie oft sie betont, eine selbständige, eigenständige, emanzipierte Frau zu sein, die ohne eigenen Beruf nicht leben könne:

Ich merkte, dass ich durch die Arbeit eine bessere, ausgeglichenere Mutter war

[S. 18]

die dann aber dennoch sehr plastisch die Mühen schildert, die den Alltag einer alleinerziehenden Mutter mit einer 80-Prozent-Stelle prägen.

Ja, ein Studium muß schon sein, das gehört zur Emanzipation dazu, aber leicht fiel es ihr nicht: zwar schloß sie es nach 10 Semestern mit allen Scheinen ab, schrieb aber die entscheidende Diplomarbeit nicht (S. 163). Durch bezahlte Arbeit ernstgenommen zu werden und ökonomisch unabhängig zu sein, ist wichtig. Aber Karriere?

Natürlich wollte ich arbeiten, natürlich wollte ich einen tollen Job, aber ich wollte nicht nur und nicht zwingend Karriere machen. Seltsamerweise glaubt einem dies ja heute kaum einer, wenn man es sagt. […] Warum ist das so? Warum meinen immer alle, dass man wie selbstverständlich nach großem beruflichen Erfolg strebt?

[S. 116 f.]

Als sie eine Halbtagsstelle nach der Geburt des ersten Sohnes hat und der Kindesvater als wenig erfolgreicher selbständiger Makler mit unstrukturiertem Tagesablauf in der Ernährerrolle ausfällt, macht sie Schluß:

Nicht zu wissen, ob überhaupt und wenn ja, wie viel er zur Miete, zu den Kosten für die Lebensmittel, einfach zu unserem Lebensunterhalt beisteuern kann, hat mich belastet. Permanent hatte ich das Gefühl, dass alles an mir hängt, dass ich bloß nicht krank werden darf, sondern immer perfekt performen muss, um den gesamten Laden zu schmeißen.

[S. 17]

Hätte eine wirklich emanzipierte Frau nicht vorgeschlagen, eine Vollzeitstelle zu übernehmen, während der Mann in der Zeit einer beruflichen Krise sich vorrangig um das gemeinsame Kind kümmert?

Ihre Überlegungen vor der Entscheidung zur Kandidatur ihres Mannes für das Amt des Bundespräsidenten:

Doch mich beschäftigte das Wissen, dass ich dafür meinen Job und somit einen Großteil meiner Unabhängigkeit aufgeben müsste. Ich müsste mich einordnen, ja sogar unterordnen, in das Leben meines Mannes.

[S. 49]

Mir lag und liegt es fern, nur die »Frau von …« zu sein, nur Mutter zu sein, dazu ein eigenes Haus mit Garten zu haben, aber keinen Euro selbst zu verdienen. Ich werde dann unleidlich und das auch meinen Kindern gegenüber. Die Arbeit bei Rossmann stellte für mich einen elementaren Teil meines Lebens dar. Ich brauchte meinen Job, die Gespräche mit Erwachsenen, zu einem Team zu gehören, mich auch mit anderen Themen als Kinderkleidung, Kinderkrankheiten und Kinderspielzeug zu beschäftigen. Die Zeit im Büro war für mich ein wichtiger Ausgleich zum Mutterdasein und ich konnte, wenn ich Leander und Linus gegen 15 Uhr abholte, auch das Zusammensein mit meinen Söhnen mehr genießen und wertschätzen. Ich hatte Angst, meine Selbständigkeit und Unabhängigkeit aufzugeben für etwas, was für mich noch so absolut unvorstellbar war.

[S. 51]

Dann entpuppt sich die unbezahlte Tätigkeit als First Lady als »der pure Stress« (S. 57), insbesondere in der Zeit des Pendelns zwischen Großburgwedel und Berlin bis Dezember 2010, das Abholen der Kinder vom Hort klappt nicht immer, sie muß andere Eltern fragen, ob sie ihre Kinder mit zu sich nach Hause nehmen könnten:

Dieses Bittstellen war mir unangenehm. Auch weil ich mir nicht ausmalen wollte, was möglicherweise der eine oder andere Vater, die eine oder andere Mutter dachte. Von wegen: jetzt ist der Wulff Bundespräsident und schon werden die Kinder aufs Abstellgleis geschoben.

[S. 58]

Wieder und wieder beschäftigt sie, was andere von ihr denken könnten, und so schafft sie es auch nicht, ihre Repräsentationsaufgaben auf ein erträgliches Maß zurückzuschrauben – obwohl das zweifellos möglich gewesen wäre.

Dies bedeutete jedoch, dass ich bis dahin einmal wieder die Alleinerziehende war, dazu der Haushalt an den Hacken und die Pflichten der Frau des Bundespräsidenten. Und als Letztere dann vielleicht zu sagen: »Nee, sorry, liebe Leute, ich kann da heute nicht bei der Gedenkfeier zum Volkstrauertag im Deutschen Bundestag teilnehmen. Mein ältester Sohn hat eine fiese Erkältung, liegt mit Fieber im Bett« – Pustekuchen. Das hätte dann gleich wieder für Gesprächsstoff gesorgt, beispielsweise ob denn die werte Frau Wulff sich über die Aufgaben einer Bundespräsidentengattin  im Klaren sei, und bestimmt hätte der eine oder andere Journalist eventuell auch in Frage gestellt, inwiefern mein Sohn wirklich krank ist und spekuliert, ob es da nicht doch noch ganz andere Gründe geben könnte.

[S. 60f.]

Mein Mann meinte zwar, es wäre bestimmt gegangen, sich ein Stück weit aus der öffentlichen Wahrnehmung, ja fast schon Kontrolle zurückzuziehen, doch ich war und bin fest davon überzeugt, dafür hätte man uns medial zerrissen. Also machten wir weiter wie gehabt und ich schob meine Ängste und  Zweifel beiseite.

[S. 118]

Eine Frau am Rand des Nervenzusammenbruchs – das Über-Ich verlangt Emanzipation und Disziplin bis hin zum miltärischen Tonfall, in dem der Haushalt und auch die Kinder durchgetaktet werden (S. 59), das Ich weiß, daß beides gar nichts nichts mit ihrem Leben zu tun hat, duckt sich aber vor der Meinung einer amorphen Masse, die sich in den Medien kristallisiert – das altmodisches Es reagiert psychosomatisch (Hautreizungen, Magenbeschwerden, Schwindelanfälle) und delegiert jegliche Verantwortung auf den Mann…

Ja, da spricht eine ganz normale Frau, die ihre wahrhaft emanzipierten Freundinnen bewundert und vor charismatischen Frauen auf die Knie geht. Die es als Kompensation auffaßt, daß sie für ihr Anhängsel-Dasein durch Zahlung des entgangenen Gehalts bei Roßmann auf ein eigenes Konto durch ihren Mann entschädigt wird – Emanzipation beschränkt sich allerdings nicht auf den ökonomischen Faktor. Kann es sein, daß die aktuellen feministischen Rollenbilder für Frauen für eine Unfreiheit gesorgt haben, die der femme fatale der vorletzten Jahrhundertwende, Alma Mahler-Werfel, oder der Ikone der Weiblichkeit schlechthin, Marilyn Monroe, noch gänzlich fremd waren? Daß Freiheit bedeutet, sich jeglichen Ansprüchen, die die ›Gesellschaft‹ an einen richtet, zu entziehen? Was für Frauen heute bedeutet: sich auch von jeglicher feministischer Bevormundung zu befreien? Nein, keine Frau muß sich dafür rechtfertigen, keine Karriere machen zu wollen oder Berufe abzulehnen, die sie langweilig findet. Oder sich lieber der Familie widmen zu wollen und den Beruf nur als Ausgleich zu betrachten.

Jegliches Korsett ist abzulehnen, jeder und jede soll nach seiner und ihrer Façon glücklich werden – aber wie soll eine normale Frau das noch können, wenn ihr die feminismusgeprägte öffentliche Meinung wichtiger ist als ihr rebellierender Körper und ihre Schuldgefühle als Mutter? Und sollten wir nicht auch lieber eine Arbeitswelt anstreben, in der auch Männer nicht zu Zombies werden müssen, wenn sie Spitzenämter übernehmen? Es ist ein gutes Zeichen, daß Politiker wie Gabriel und Steinmeier von sich aus auf eine Kanzlerkandidatur verzichten: beide, der eine ein junger Vater, der andere ein sehr verbundener Ehemann, möchten sich wenigstens ein Minimum an Privatleben erhalten. Es sind jene sinnlos zerstörerische Arbeitswelten mit ihren dämlichen Fototerminen, zeitraubenden Meetings und puren Präsenzzeiten, die es anzugreifen gilt…

Aber unter diesem gefühlten Diktat der öffentlichen Meinung stand auch Bettina Wulff. Gut vorstellbar, daß jenes Tattoo die erste Aktion in Bettina Wulffs Leben war, bei der sie nicht daran dachte, was andere wohl davon halten könnten – bezeichnenderweise ist es unvollendet geblieben, denn als Politikergattin ›funktionierte‹ sie wieder. Dieses Buch dürfte für sie ein Befreiungsschritt gewesen sein, ein wahrhaft emanzipatorischer Akt.

Und, das muß man sagen: ihre Breitseiten gegen die Medien sind aller Achtung wert.

Die beiden Rahmentexte, die Kapitel 11, »DIE KINDER«, 12 »Die Vorwürfe«, 13 »DIE GERÜCHTE«, 14 »Die MEDIEN«, 15 »DER RÜCKTRITT« sollten Pflichtlektüre an Journalistenschulen werden.

Ja, das Buch ist in vielen Aspekten interessant und lesenswert. Mittlerweile dürften auch die fiesesten Niedermacher ihres Mannes eingesehen haben, daß absolut nichts an ihren ›Vorwürfen‹ dran war – es war nichts weiter eine reine und ungeheuer selbstgerecht geführte Machtprobe zwischen Presse und Politik. Das sehr klug komponierte Kapitel »DIE VORWÜRFE« müßte manch einem wutschäumend geifernden Oberverfolger die Schamesröte ins Gesicht treiben, wären sie zu Scham überhaupt fähig. Nicht nur Bettina Wulff hat Defizite, was Selbstreflektion angeht. Aber sie ist naiv genug, sie vorzuzeigen.

Einer von einem mithetzenden Springer-Organ hatte immerhin die Größe, Folgendes zu konzedieren:

Ulrich Exner, 11.9.2012:

Die Ermittlungen gegen Christian Wulff wegen möglicher Vorteilnahme drehen sich zentral um einen dreitägigen Aufenthalt der Wulffs im Westerländer Hotel Stadt Hamburg, den der Filmhändler und Wulff-Freund David Groenewold zunächst bezahlte. Dieser Vorgang löste das Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Bundespräsidenten und damit letztlich seinen Rücktritt aus.

In ihrem Buch empört sich Bettina Wulff über diese Vorwürfe, schildert detailliert, wie sie die Schuld bei Groenewold schon vor Ort in bar beglichen hätten und beschreibt auch ganz plausibel, warum der Filmhändler in Vorlage trat. Bei allem Vorbehalt: Wer diese Schilderungen liest, fragt sich in der Tat, was aus den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Christian Wulff – bei allem Hautgout, der die Dinge umweht – eigentlich konkret herauskommen soll.

http://www.welt.de/vermischtes/prominente/article109135429/Lieber-Gott-lass-mich-nicht-bewusstlos-werden.html

Ein speziell von der Journaille erwitterter Hautgoût gegen einen speziellen Amtsträger – nur der trieb Wulff aus dem Amt. Alles andere als eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Christian Wulff würde mich überraschen…

11 Gedanken zu „Jenseits des Protokolls: eine Rezension des Bettina Wulff-Buchs

  1. @ Chomsky:

    Jenseits des Protokolls: eine Rezension des Bettina Wulff-Buchs

    Naja, Dirk Bach war schon mehr als ›Dschungelcamp‹:

    http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/nachruf-auf-dirk-bach-und-dann-kommt-der-tod-a-859054.html#spCommentsBoxPager

    Ich habe seine Art, das Geschehen im Dschungel zu kommentieren, immer auch als subversiv angesehen: sie klärte hochkomisch über die Art der Veranstaltung, seine eigene Rolle inbegriffen, auf. Und RTL kriegte auch sein Fett weg.

    Du schreibst:

    Selbstverständlich darf/soll jeder entscheiden, ob er dort mitmachen will, aber ich bin mir nicht so sicher, ob gewisse Leute dort nicht einfach kein Gespür mehr für sich hatten, dass sie sich quasi noch freiwillig selbst demontieren oder zum öffentlichen Gespött machen, und da hat mir die Sensibilität einfach bei Dirk Bach für solche Dinge gefehlt.

    Dieses Gespür scheint heute generell eher selten zu funktionieren 🙂 (Was wiederum auch auf die Hauptfigur des Artikels zutreffen dürfte.) Aber bei Dirk Bach hatte ich immer das Gefühl, daß er, wenn’s hart auf hart gekommen wäre, den betreffenden Menschen aufgefangen hätte.

    • Selbstverständlich war Dirk Bach mehr als das Dschungelcamp.
      Dass er dort die Personen auffangen konnte, daran zweifle ich auch nicht, nur haben Medien m.E. über den unmittelbaren Kontext weiterreichende Auswirkungen, was man unter das subsumieren könnte, was man Medienopfer nennt. Nun ist per definitionem jemand, der freiwillig in ein solches Camp geht, kein Medienopfer, Medienopfer können nur solche sein, die unfreiwillig in die Medien kommen. Nur da würde ich eben ein Fragezeichen machen – zumindest bei gewissen Personen, die kaum über Ressourcen verfügen (unterschiedlichste Kapitalsorten) und von ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht so richtig abschätzen können, was ihre Teilnahme für weitere medialen Folgen haben könnte und solche medialen Effekte konnte eben auch ein Dirk Bach nicht steuern. Und es ist natürlich die Frage, ob man im Fernsehen das Fernsehen wirkungsvoll kritisieren kann?? Auch da habe ich ein bisschen meine Zweifel! 🙂 Pierre Bourdieu würde sagen: Ja, wenn man die Produktionmittel in der Hand hat, die nötig sind, um eben Fernsehen zu produzieren. Ok, ich schätze hier die Situation anders ein als Du, aber ist ja auch nicht sooooo wichtig.

      Solltest Du mal Zeit und Lust haben: Über das Fernsehen von Bourdieu gibt es ja auch bei Youtube. Mit der weiteren Voraussetzung, Du verstehst die französische Sprache ein bisschen! 🙂

      • Tja, ähm, doch, das Video mit Bourdieu überfordert mich durchaus – sehr interessant ist jedenfalls das Bücherregal, vor dem er sitzt: Links ein Wecker, rechts davon eine Glückwunschkarte in Weihnachtsfarben mit der Aufschrift: ›Joyeux bordel‹ – der Mann versteht was vom Mediengeschäft: Bürgerlichkeit und Signale von Libertinage…

      • Na hömma – hast Du nicht in das Habitus-Konzept von Bourdieu eingeführt? Da achtet man doch auf die Signale: Seidenhalstuch einerseits, Bordell andererseits. Die Anzugärmel etwas zu kurz, die Ordner auf dem Schreibtisch aber rechtwinklig ausgerichtet.
        Mode ist ein Statement (kannst Du bei Bettina Wulff nachlesen… Ist zur Abwechslung mal leicht verständlich geschrieben).

        🙂

  2. @Gabriele

    Habe gerade gesehen, dass Du Dirk Bach betrauerst!
    Nun, für mich war gestern eine andere Koryphäe – oder auch ein lebendes Fossil – gestorben, wo ich nun wirklich zutiefst betrübt bin; ok, vom Alter her war das schon in Ordnung, aber Eric Hobsbawm war nun wirklich einer der letzten grossen kritischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, der nun nicht mehr ist.

    Ein Anti-Spezialist in einer Welt voller Spezialisten

    Eric Hobsbawm wirbelte die Geschichtswissenschaft von links auf: Mit seinem Tod verliert die Welt einen bedeutenden kritischen Intellektuellen.
    http://www.zeit.de/wissen/geschichte/2012-10/historiker-hobsbawm-nachruf

    • Hallo Chomsky,

      nicht so ganz vergleichbar, die beiden, nicht? 🙂

      Aber um wiederum den Bogen zum gerade aktuellen Artikel zu schlagen: was beide Verstorbene eint und heraushebt, ist dieses Lebensmotto ›I don’t care‹, was die größtmögliche Unabhängigkeit im Denken wie im Handeln ermöglicht.

      • Ja, ist richtig, die beiden sind nicht so richtig vergleichbar.
        Zur Dirk Bach: Mir war er natürlich auch super sympathisch und vielleicht gerade, weil er mir super sympathisch war, werde ich dann ab und an ein bisschen zum Pharisäer (im Sinne eines Selbstgerechten). Also wo ich mich dann frage: Muss das sein mit dem Dschungelcamp und solchen Dingen???
        Also Du weisst schon, was jetzt kommt: Kritik an der Spassgesellschaft verbunden mit einem „postmodernen Hedonismus“. Und ich würde ja auch nicht sagen, dass Dschungelcamp Volksverdummung wäre, aber ich bin mir nicht so sicher, ob die Personen, die rein gingen, nicht verheizt wurden. Selbstverständlich darf/soll jeder entscheiden, ob er dort mitmachen will, aber ich bin mir nicht so sicher, ob gewisse Leute dort nicht einfach kein Gespür mehr für sich hatten, dass sie sich quasi noch freiwillig selbst demontieren oder zum öffentlichen Gespött machen, und da hat mir die Sensibilität einfach bei Dirk Bach für solche Dinge gefehlt.

  3. Vor den medialen Auftakt mit Unterlassungserklärungen zu ziemlich alten Fällen und der vorgezogenen Veröffentlichung des Buches war es um das Bundespräsidenten-a.-D.-Paar schon so ruhig geworden, dass einige die Rückkehr in die Öffentlichkeit eher kopfschüttelnd als eine Aktion „wider der persönlichen Unbedeutung“ interpretiert haben. Irgendwie erinnert mich das an Guttenbergs Comeback-Versuch mit seinem Buch, bei dem ja auch beides mehr oder weniger scheiterte. Ich nehme B.Wullf nicht ab, dass es ihr Ziel ist, nicht beachtet zu werden, denn vor ihrem Buch war es schon fast so weit. Und ich fürchte, da könnte möglicherweise auch noch eine Fortsetzung des Gejammers folgen in dem Stil. „Wie ich mit meinem Mann die schwere Zeit danach durchstand“ oder ähnliches.

  4. Ich glaube schon, daß genau das ihr Ziel ist – und daß sie der Auffassung ist, dies ginge nur, wenn sie zuvor, juristisch und publizistisch, gegen die medialen Zerrbilder und Lügen antritt, die über sie in Umlauf sind.
    Das war, so wie es aussieht, eine Fehleinschätzung…

  5. Dieser Artikel ist der einzige über B. Wulff überhaupt, den ich – aufgrund anderer interessanter Artikel hier im Blog – je gelesen habe. Ansonsten reichten schon die Überschriften. Irgendwo las ich dann auch in einer solchen Überschrift den Titel: „Ich, ich, ich“, was dem Inhalt des Buches anscheinend am nächsten kommt. Ganz im Ernst: wenn mir jemand diese „Lebensgeschichte“ auf dem Sofa neben mir sitzend erzählt hätte, wäre ich aufgestanden und mit den Worten: „Hör auf zu jammern“ gegangen.

    Bettina Wulff möchte als normale Frau wahrgenommen werden. Tun wir ihr doch den Gefallen und beachten wir sie, wie wir alle anderen „normalen“ Menschen beachten, die wir nicht persönlich kennen, nämlich gar nicht.

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