Der Fall Mollath: Das Bundesverfassungsgericht hat gesprochen

Rosenkrieg 2Fortsetzung von:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2013/08/18/der-fall-mollath-etappensieg-und-raumgewinn/

Am 26.5.2013 schrieb ich mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht:

„Von der Strafvollstreckungskammer in Bayreuth hört man nichts, ebensowenig von Prof. Dr. Pfäfflin, der gut daran täte, den „Ergänzungsauftrag“ zu seinem Gutachten von Februar 2011, Exploration von November 2010 (!), dankend abzulehnen. Die lediglich die eigene Kränkung dokumentierenden Verlaufsmitteilungen von Dr. Leipziger und dem ›Behandlungsteam‹, das nicht behandelt, liefern keine Basis für Prognoseentscheidungen – jedenfalls keine zu einer künftigen Kriminalität von Gustl Mollath.

Und daß ihm das Gericht auch noch vorschreibt, die Wiederaufnahmeanträge zu ignorieren und unbeirrt an der „Feststellung“ der Straftaten in dem Urteil vom 8.8.2006 festzuhalten, stellt einen Angriff auf die wissenschaftliche Redlichkeit dar. Neue Informationen führen zu neuen Wahrnehmungen, das gilt auch für das Strafvollstreckungsverfahren, und es gilt in gleichem Maße für Psychiater wie für Juristen. Die Kammer hat sich selbst ins Aus katapultiert, und den auserkorenen Gutachter gleich mit. Er wird den Teufel tun, seinem ersten Gutachtenfehler, für den er indirekt eine Verfasssungsbeschwerde kassierte, weil die Kammer die groben Widersprüche zwischen seinem schriftlichem und seinem mündlichem Gutachten nicht evaluierte, einen zweiten hinzuzufügen. Das muß ihr, der Kammer, doch eigentlich klar gewesen sein. Sie hat sich ja nicht grundlos geweigert, dieses unbrauchbare Gutachten zu evaluieren. Wie es nach ihr auch das OLG Bamberg tat. Bayern eben.

http://www.gustl-for-help.de/download/2012-01-11-Kleine-Cosack-Verfassungsbeschwerde.pdf

Sie muß nun, sehr mühsam, mit offenen Augen, ganz von vorn anfangen. Die unbegründeten Routine-Anträge der formularmäßig ankreuzenden Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth (»Bloß nicht rauslassen!«) werden aus dem Dilemma nicht heraushelfen: sie sind per se ein Anschlag auf den Intellekt. Wie eigentlich alles, was im Fall Mollath verantwortlich für dessen Schicksal war.

[…]

Niemand, weder Psychiater (die schon gar nicht) noch Juristen im Dienst der Justiz, will der erste sein, der das Offensichtliche fordert oder veranlaßt: nämlich die rechtswidrige Freiheitsberaubung Gustl Mollaths anzuerkennen und sie schleunigst zu beenden.

[…]

Wenn da nicht die Beharrungskraft eines rechtskräftigen Urteils wäre, die mangelnde Fehlerkultur – und die Abwesenheit von Selbstreinigungskräften in der Justiz, die in Bayern besonders ausgeprägt ist, wo schneidiges Auftreten und schneidige Urteile schließlich mit Beförderung belohnt werden.

Das alles gemahnt langsam an ein Drama antiken Ausmaßes. Warten wir also auf den deus ex machina in Gestalt des Bundesverfassungsgerichts. Die Paralyse, die hier besichtigt werden kann, muß ihr Ende finden. Die Schreckstarre in Bayern kann möglicherweise nur von außen gelöst werden.“

https://gabrielewolff.wordpress.com/2013/05/26/der-fall-mollath-eine-hangepartie/

Glücklicherweise hatte ich mich mit der letzten Einschätzung geirrt: es war der 1. Strafsenat des OLG Nürnberg, der am 6.8.2013 die Schreckstarre der bayerischen Justiz endlich löste und die überfällige Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten von Gustl Mollath anordnete. Gustl Mollath bescherte diese Entscheidung die Freiheit und der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth ersparte sie die Peinlichkeit, nach einem Ausweg aus dem selbstgeschaffenen Dilemma zu suchen, der ohne Gesichtsverlust zu beschreiten wäre.

Die Rolle des Bundesverfassungsgerichts will ich dennoch nicht schmälern, auch wenn es davon absehen konnte, in eigener Entscheidung die Vollstreckung des Maßregelvollzugs wegen Unverhältnismäßigkeit zu beenden. In der am 5.9.2013 bekanntgegebenen Entscheidung vom 26.8.2013 betont die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts:

36

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer aufgrund des Wiederaufnahmebeschlusses des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 6. August 2013 zwischenzeitlich aus dem Maßregelvollzug entlassen wurde. Denn die angegriffenen Entscheidungen waren Grundlage eines tiefgreifenden Eingriffs in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 128, 326 <389>). Der Beschwerdeführer hat daher ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an einer nachträglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung und gegebenenfalls einer hierauf bezogenen Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Grundrechtseingriffs durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 9, 89 <92 ff.>; 32, 87 <92>; 53, 152 <157 f.>; 91, 125 <133>; 104, 220 <234 f.>).

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20130826_2bvr037112.html#abs36

Die Verfassungsbeschwerde war „offensichtlich begründet“, und zwar bezogen auf die mit Verfassungsbeschwerde angegriffenen Fortdauerentscheidungen aus dem Jahr 2011:

Der Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 – StVK 559/11 – und der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 – 1 Ws 337/11 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 – 1 Ws 337/11 – wird aufgehoben. Damit ist der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 9. Dezember 2011 – 1 Ws 337/11 – gegenstandslos.

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20130826_2bvr037112.html

Mit dem letztgenannten Beschluß war eine Anhörungsrüge gegen den nun aufgehobenen Beschluß vom 26.8.2011 abgewiesen worden. Gegenstand der Anhörungsrüge war der Vorwurf, daß sich das Gericht nicht mit dem in sich widersprüchlichen, wissenschaftlichen Anforderungen nicht genügenden, Gutachten von Prof. Dr. Pfäfflin auseinandergesetzt habe.

Mit seinem Beschluß in Sachen Mollath setzt die 2. Kammer des 2. Senats seine Serie von Aufhebungen von Fortdauerbeschlüssen in Maßregelvollzugsangelegenheiten fort. Grundlage ist eine seit langer Zeit gefestigte Rechtsprechung zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes:

Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das sich hieraus ergebende Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutsverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, um so strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges sein.


Beschluß

des Zweiten Senats vom 8. Oktober 1985

— 2 BvR 1150/80 und 1504/82 —

http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv070297.html

Das mußte erwähnt werden, weil die bayerische Justizministerin diese zweite Ohrfeige des Bundesverfassungsgerichts für ihre Gerichte in Bayreuth und Bamberg, deren Beschlüsse in einer gleichlagerten Angelegenheit bereits am 9.10.2012 als verfassungswidrig eingestuft worden waren,

http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/bverfg/12/2-bvr-442-12.php

volksverdummend wie folgt kommentierte:

Es ist wichtig, dass unser höchstes Gericht nun Klarheit geschaffen hat, welche Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen über den lange währenden Freiheitsentzug eines Menschen gelten. Das schafft ein Stück Rechtsklarheit und gibt unseren Gerichten Orientierung.

http://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2013/233.php

Beate Merk bedarf dieser Orientierung in der Tat immer wieder neu, wie ihre eigene Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfassungsgericht schmerzhaft vor Augen führt. Leider aber auch die bayerischen Gerichte, deren Vorsitzende Richter und Chefrichter sie seit zehn Jahren ernennt und die es ihr auch noch übel heimzahlten, als sie im Juli 2013, um ihr Image beim Wahlvolk besorgt, im Zusammenhang mit dem Fall Mollath jenen uralten Satz des Bundesverfassungsgerichts zu erwähnen wagte: „Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, um so strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges sein.“ Das wurde ihr vom 1. Vorsitzenden des bayerischen Richtervereins und Amtsgerichtsdirektor  – zurecht, wie man jetzt sieht! – als unbotmäßige Kritik an der Strafvollstreckungskammer Bayreuth und dem 1. Strafsenat des OLG Bamberg angekreidet und als Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit gerügt. Das Verfassungsverständnis der Kollegen kümmert Herrn Groß ersichtlich weniger.

Was hatte das Bundesverfassungsgericht an den Entscheidungen der bayerischen Gerichte auszusetzen? Nun, eigentlich alles.

50

2. Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben sind die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 sowie des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 nicht zu vereinbaren. Die in den Beschlüssen aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers zu rechtfertigen. Es fehlt bereits an der im Rahmen des verfassungsrechtlich Gebotenen ausreichenden Konkretisierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr künftiger rechtswidriger Taten (a). Den Beschwerdeführer entlastende Umstände finden im Rahmen der notwendigen Prognoseentscheidung keine erkennbare Berücksichtigung (b). Daneben wird in den angegriffenen Beschlüssen nicht ausreichend dargelegt, dass die von dem Beschwerdeführer ausgehende Gefahr das angesichts der Dauer der Unterbringung zunehmende Gewicht seines Freiheitsanspruchs aufzuwiegen vermag (c). Schließlich fehlt auch eine Befassung mit der Frage, ob dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit nicht auch durch den Beschwerdeführer weniger belastende Maßnahmen Rechnung hätte getragen werden können (d).

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20130826_2bvr037112.html#abs50

Mit anderen Worten: nicht einmal die Mindeststandards werden erreicht. Kritiklose Übernahme unzureichender Gutachten und inhaltsloser Stellungnahmen des BKH Bayreuth, ein paar Leerformeln, fertig ist der Routinebeschluß, der ebenso routiniert vom Obergericht gehalten wird. Man ist schließlich seit Jahren ein eingespieltes Team. In aller Deutlichkeit zeigt das Bundesverfassungsgericht die Schwächen des den Entscheidungen zugrundeliegenden, mündlichen wie schriftlichen, Gutachtens von Prof. Dr. Pfäfflin auf, dem die Gerichte nicht hätten folgen dürfen [Hervorhebungen von mir]:

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aa) Das Landgericht beschränkt sich im Rahmen der Gefahrenprognose auf den Hinweis, der Sachverständige habe im Termin zur mündlichen Anhörung – in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern – ausgeführt, dass er im derzeitigen Stadium (d.h. ohne therapeutische Bearbeitung der Anlasstaten) die Wahrscheinlichkeit, dass es zu vergleichbaren Taten – auch gegenüber bis dahin nicht beteiligten Personen – kommen könnte, für sehr hoch halte. Daraus ergebe sich, dass im Falle der Entlassung die Begehung neuer rechtswidriger Taten zu erwarten sei.

53

Dem Erfordernis, die Art und den Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten des Beschwerdeführers eigenständig zu bestimmen und nachvollziehbar darzulegen, ist damit nicht Rechnung getragen. Das Landgericht setzt sich nicht damit auseinander, dass die Darlegungen des Sachverständigen zur Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten im schriftlichen Gutachten vom 12. Februar 2011 und in der mündlichen Anhörung vom 9. Mai 2011 voneinander abweichen. In seinem schriftlichen Gutachten legt der Sachverständige dar, dass sich die Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten nicht sicher quantifizieren lasse. Da der Beschwerdeführer keinen Zugang zu seiner eigenen Aggressivität habe, sei er gefährdet, erneut vergleichbare Handlungen vorzunehmen. Es liege die Annahme nahe, dass der Beschwerdeführer „womöglich wieder den im Einweisungsurteil genannten Taten vergleichbare Taten begehen“ werde. Demgegenüber erklärte der Sachverständige in der mündlichen Anhörung, er habe im Gutachten „vielleicht eine etwas zu weiche Formulierung“ gewählt. Berücksichtige man, dass die Anlasstaten losgelöst von der sonstigen Persönlichkeit des Beschwerdeführers begangen worden seien und dass andererseits eine therapeutische Bearbeitung nicht stattgefunden habe, halte er die Wahrscheinlichkeit vergleichbarer Taten für sehr hoch.

54

Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Einschätzungen durfte das Landgericht sich nicht auf eine bloße Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Anhörung vom 9. Mai 2011 beschränken.

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20130826_2bvr037112.html#abs52

Das Landgericht Bayreuth hat also Rosinenpickerei betrieben: nach den Ausführungen im schriftlichen Gutachten hätte es die Unterbringung beenden müssen, denn die bloße Möglichkeit erneuter Straftaten erfüllt die Voraussetzung einer Unterbringung nicht. Begründungslos zonte Prof. Dr. Pfäfflin in der mündlichen Anhörung die bloße Möglichkeit zur hohen Wahrscheinlichkeit hoch: voilà, das Wunschergebnis war da, man mußte es nur noch übernehmen, ohne auch nur ansatzweise dem Widerspruch nachzugehen und die Beliebigkeit der Prognose zu hinterfragen.

Noch toller trieb es der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts, der sich zurecht auch im Anhörungsrügeverfahren weigerte, das unzulängliche Gutachten zu diskutieren, denn dann hätte er es verwerfen müssen:

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bb) Nichts anderes gilt im Ergebnis für den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 26. August 2011. Dieser nimmt auf das schriftliche Sachverständigengutachten Bezug, aus dem sich gerade keine sehr hohe Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten ergibt. Soweit das Oberlandesgericht ergänzend auf die Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses Bayreuth, in dem der Beschwerdeführer untergebracht war, Bezug nimmt, rechtfertigt dies keine andere Einschätzung, da diese Stellungnahme sich im Wesentlichen auf das Vollzugsverhalten, das als uneinsichtig, kaum kompromissfähig, provozierend und therapieabweisend beschrieben wird, bezieht und daher für die Annahme einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit künftiger erheblicher rechtswidriger Taten des Beschwerdeführers nicht ausreicht.

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20130826_2bvr037112.html#abs55

Dr. Leipziger wird das Stellungnahmewesen des BKH Bayreuth fundamental ändern müssen: seit 2009 bestehen seine Stellungnahmen zu Gustl Mollath aus Negativbewertungen der mangelnden Kooperationsbereitschaft des „Patienten“, der keiner ist, aus Klagen über fehlende Anpassung an die autoritären Betriebsabläufe und aus Befremden angesichts der häufigen schriftlichen Beschwerden und der am Personal geäußerten Kritik. Ja, selbst „böse Blicke“ müssen herhalten – daß diese durch den Untergebrachten hervorgerufene Kränkungen verschriftlicht sein wollen, leuchtet ja noch ein. Daß sie als Anknüpfungspunkte für eine Gefährlichkeit unter den Bedingungen eines in Freiheit gelebten Alltags ausscheiden müssen, sollte auch einem Psychiater klar sein. Gut, daß das Bundesverfassungsgericht daran erinnert hat. Der entsprechende Hinweis von Prof. Dr. Pfäfflin in seinem schriftlichen Gutachten hat ja offensichtlich nicht ausgereicht:

Man mag dieses Verhalten [Verweigerung von Alkoholkontrollen nach Ausgängen] als trotzigen Widerstand gegen Stationsregeln bezeichnen. Hinweise auf eine spezifische Gefährlichkeit lassen sich daraus sicherlich nicht ableiten.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Gutachten-Pfaefflin-2011-02-12.pdf#page=47

Im schriftlichen Gutachten hatte Pfäfflin zudem zahlreiche positive Befunde vermerkt, die seiner Prognose entgegenstanden. Weder er noch die beteiligten Gerichte haben sich mit ihnen und ihrer Bedeutung für die Prognose auseinandergesetzt.

56

b) Daneben bleiben im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigende Umstände außer Betracht. So wird im Sachverständigengutachten ausgeführt, dass das Verhalten des Beschwerdeführers sich inzwischen deutlich unauffälliger und angepasster darstelle, als dies zur Zeit seiner ersten Unterbringung der Fall gewesen sei. Er äußere an keiner Stelle konkrete Rachegedanken oder -absichten gegenüber seiner Frau oder anderen Personen, sondern stelle sein Bedürfnis nach Wahrheit und Gerechtigkeit als sein Hauptanliegen ins Zentrum seiner Ausführungen. Dies spreche dafür, dass die Jahre der Unterbringung nicht spurlos an ihm vorübergegangen seien. Gewährte Lockerungen seien ohne Beanstandungen verlaufen. Anhaltende wahnhafte Störungen könnten zwar, müssten aber nicht in (erneute) rechtswidrige gefährliche Handlungen münden. Empirisch abgesicherte Daten zu entsprechenden Rückfallhäufigkeiten lägen nicht vor. Zu diesen Umständen, die bei der Bestimmung des Risikos künftiger rechtswidriger Taten hätten berücksichtigt werden müssen, verhalten sich die angegriffenen Beschlüsse nicht.

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20130826_2bvr037112.html#abs56

Das ist überhaupt das auffälligste Merkmal des Pfäfflin-Gutachtens: soweit es sich in Diagnose und Prognose kollegialiter schlicht dem Vorgutachter Dr. Leipziger anschließt, bleibt es bei bloßen Behauptungen. Begründet werden allein die diesem Ergebnis widersprechenden Ergebnisse aus Exploration und Vollstreckungsakte. Diesem unwissenschaftlichen Verfahren folgten auch die Gerichte, weil ihnen das Ergebnis recht war. Sicherheit geht schließlich vor Freiheit.

Die vom BKH Bayreuth seit Jahren in Anspruch genommene Leerformel: Nichtbehandlung = Gefahr, erneut Taten aus dem Spektrum der Anlaßtaten zu begehen, die die Gerichte im Gleichklang adaptiert haben, wird ebenfalls abgeräumt:

57

c) Die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers wird sowohl vom Landgericht als auch vom Oberlandesgericht ausschließlich mit dem Hinweis auf die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Körperverletzungsdelikte begründet. Das Landgericht verweist darauf, der Beschwerdeführer habe einen anderen Menschen bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Das Oberlandesgericht stellt darauf ab, dass sich unter den Anlasstaten auch Körperverletzungen zum Nachteil der früheren Ehefrau des Beschwerdeführers befänden, die mit erheblicher Aggressivität und Brutalität begangen worden seien. Die Gerichte setzen sich aber nicht damit auseinander, dass es sich bei den in Bezug genommenen Taten um Beziehungstaten handelt, die der Beschwerdeführer vor rund zehn Jahren begangen haben soll, als er noch verheiratet war und mit seiner Ehefrau zusammenlebte. Unerörtert bleibt, ob und gegebenenfalls wie sich die zwischenzeitliche Scheidung und langjährige Trennung des Beschwerdeführers von seiner früheren Ehefrau auf die von ihm ausgehende Gefahr ausgewirkt hat. Auch insoweit hätte es eigenständiger Darlegung bedurft, ob und in welchem Umfang aktuell die Gefahr besteht, dass der Beschwerdeführer im Sinne des § 63 StGB erhebliche Körperverletzungsdelikte zum Nachteil seiner früheren Ehefrau oder sonstiger Personen begehen werde. Damit fehlt es aber bereits an einer zureichenden Grundlage für die Abwägung zwischen den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers.

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20130826_2bvr037112.html#abs57

In der Tat: eine solche eigenständige Darlegung hätten bereits Dr. Leipziger und die Brixner-Kammer im Jahr 2006 leisten müssen, denn da lag die angebliche Tat der gefährlichen Körperverletzung schon fünf Jahre zurück, die Trennung des Ehepaars vier Jahre und die Scheidung knapp zwei Jahre. Diese war unterblieben und wurde bis 2013 nicht vorgenommen. Einmal Anlaßtat, immer Gefahr. So geht es nicht.

Leider hat das Bundesverfassungsgericht wegen des Erfolgs der Verfassungsbeschwerde schon wegen der Verletzung des Grundrechts auf Freiheit davon abgesehen, auch noch den Verstoß gegen das rechtliche Gehör zu prüfen. Dann hätte es sich nicht nur mit der unzulänglichen Prognose Pfäfflins, sondern mit der noch viel weniger begründeten Wahn-Diagnose auseinandersetzen müssen, die ebenfalls im mündlichen Termin noch einmal inhaltlich abgeändert worden war.

Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts bedeutet, daß bereits im Jahr 2011 gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen wurde; da die Fortdauerbeschlüsse beider Gerichte im Jahr 2012 auf demselben verfassungswidrigen Niveau verharrten wie die von 2011, gilt dies auch für 2012. Der Fortdauerbeschluß der Strafvollstreckungskammer vom 10.6.2013 unterschritt in seiner Begründungslosigkeit (der Sachverständige Pfäfflin hatte dann doch darauf verzichtet, der Kammer erneut unter die Arme zu greifen) noch die vorangegangenen. Auf die eingehende Beschwerde der Verteidigung hob das OLG Bamberg immerhin diese Entscheidung des Untergerichts auf und verwies die Sache zurück.

http://download.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Beschwerdebegruendung-Strafvollstreckung-2013-07-09.pdf

http://download.strate.net/de/dokumentation/Mollath-OLG-Bamberg-Beschluss-2013-07-16.pdf

Die Presseerklärung des bayerischen Justizministeriums, das Mollaths Verfassungsbeschwerde für unbegründet gehalten hatte, schlägt dem Faß den Boden aus. Immerhin werden keine O-Töne Merk verbreitet. Dort heißt es:

Zu der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erklärt das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Das Bundesverfassungsgericht betont die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Freiheitsrechts bei zunehmender Fortdauer einer Unterbringung. In diese Richtung ging auch die Stellungnahme des Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 5. Juli 2013 (vgl. Presseerklärung 180/2013 vom 9. Juli 2013).

http://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2013/233.php

Zunächst wird unterschlagen, daß die Stellungnahme des Ministeriums von Frau Dr. Merk persönlich unterschrieben wurde: damit hat sie sich das Elaborat aus ihrer Strafrechtsabteilung zueigen gemacht und muß es gegen sich gelten lassen. Die Stellungnahme ging keineswegs in die Richtung des BVerfG, sondern eklatant gegen sie. Frau Merk hielt nicht nur die Fortdauer des Maßregelvollzugs von 2011 bis 2012, sondern, wie zu diesem Zeitpunkt durch das Landgericht Bayreuth am 10.6.2013 entschieden, sogar von 2013 bis 2014 und darüber hinaus für verhältnismäßig. An diesem unfaßbaren Statement muß man sie messen, nicht an irgendwelchen Pressemitteilungen ihres Hauses:

Auch wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gerade keiner durch Gesetz vorgegebenen zeitlichen Begrenzung unterliegt, wird der geltenden Höchststrafe von 10 Jahren für die gefährliche Körperverletzung die aktuelle Dauer des Maßregelvollzugs gegenüber zu  stellen sein. Bei einer bereits vorliegenden Unterbringungsdauer von nunmehr 7 Jahren nähert man sich dieser Grenze und damit Schritt für Schritt einer möglichen Unverhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung an.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Stellungnahme-Staatsministerin-2013-07-05.pdf#page=25

So ungefähr ab 2015 nähert man sich dieser 10-Jahres-Höchstgrenze und kann eventuell anfangen, eine mögliche Unverhältnismäßigkeit richtig ernsthaft zu prüfen. In den Zeiträumen davor genügen floskelhafte Befassungen mit Freiheitsgrundrecht und Verhältnismäßigkeit, solange man Gutachter und Staatsmediziner findet, die die gewünschten „sachverständigen“ Ergebnisse liefern.

Eine Justizministerin, die sich traut, dem Bundesverfassungsgericht eine solche Stellungnahme vorzulegen, ist untragbar. Welche Wirkung ein derartiges Spitzenpersonal auf die unabhängigen Gerichte hat, läßt sich an der Reaktion des OLG Bamberg ablesen:

Nürnberger Nachrichten (Print) 6.9.2013, S. 1

Karlsruhe gibt Mollath recht

 Verfassungsgericht rügt Unterbringung in Psychiatrie — Merk unter Druck

[…]

Die Beschwerde richtete sich gegen Beschlüsse der Justiz in Bayreuth und Bamberg aus dem Jahre 2011, die da­für sorgten, dass Mollath eingesperrt blieb. Dabei seien, so das höchste deut­sche Gericht, das Grundrecht auf Frei­heit und der Verhältnismäßigkeits­grundsatz verletzt worden.

Die Gerichte in Oberfranken hätten nicht konkret genug dargelegt, warum von Mollath auch in Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit aus­gehe. Außerdem seien für Mollath ent­lastende Momente nicht erkennbar berücksichtigt worden. Das Ober­landesgericht in Bamberg muss nun erneut entscheiden.

Die dortige Justiz wies den Vorwurf eines fahrlässigen Umgangs mit Mol­laths Grundrechten mit Nachdruck zurück. Erst im Juli habe man ein Urteil über die Fortdauer der Unter­bringung mit Hinweis auf veränderte Umstände und die Verhältnismäßig­keit aufgehoben.

Was ist denn mit dem eigenen aufgehobenen Beschluß vom 26.8.2011? Dem eigenen Fortdauerbeschluß vom 27.9. 2012? Und der hanebüchene Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 10.6.2013 soll mit Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit aufgehoben worden sein? Das liest sich aber extrem anders:

Derzeit kann der Senat schließlich nicht selbst die Maßregel wegen Unverhältnismaßigkeit für erledigt erklären (§ 67 d Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. StGB). Einerseits wird die Maßregel seit 13.02.2007 (nach vorangegangener einstweiliger Unterbringung seit 27.02.2006) vollzogen.

Andererseits stellen die Körperverletzungsdelikte zum Nachteil der geschiedenen Ehefrau des Untergebrachten eine massive Beeinträchtigung eines hochwertigen Rechtsgutes, nämlich der körperlichen Unversehrtheit dar. Sie beinhalteten in der rechtskräftig festgestellten und damit den Senat bindenden Form zugleich ein erhebliches Gefährdungspotential für das Leben des Opfers. Der Freiheitsanspruch des Untergebrachten stößt dort an seine Grenzen, wo es im Hinblick auf die Art der von ihm drohenden rechtswidrigen Taten, deren Bedeutung und deren Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Untergebrachten in die Freiheit zu entlassen (BVerfG, Beschluss vom 21 .01.2010,2 BvR 660/09 bei juris Rn. 22).

Der  Sachverständige Prof. Pfäfflin hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 12.02.2011 ausgeführt, es läge die Annahme nahe, der Untergebrachte werde zukünftig wieder den Anlasstaten vergleichbare Taten begehen. Art, Häufigkeit und Schweregrad der zu erwartenden Delikte könnten allerdings nicht sicher quantifiziert werden. Bei seiner mündlichen Anhörung am 09.05.2011 erläuterte der Sachverständige diese Ausführungen und gab an, im schriftlichen Gutachten eine zu weiche Formulierung verwendet zu haben. Vielmehr halte er die Wahrscheinlichkeit (der Begehung) neuer Straftaten durch den Untergebrachten für sehr hoch. Nach den Berichten des Bezirkskrankenhauses hat sich hieran seitdem nichts geändert.

Nachdem die Prognose auch bei der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine erhebliche Rolle spielt, bedarf es auch insoweit im Hinblick auf den Zeitablauf, die neuen Erkenntnisse im Wiederaufnahmeverfahren und die beschriebenen Veränderungen in den Lebensverhältnissen des Untergebrachten weiterer Aufklärung durch Hinzuziehung eines externen Sachverständigen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-OLG-Bamberg-Beschluss-2013-07-16.pdf#page=13

Noch am 16.7.2013 sah das OLG Bamberg keinen Anlaß für eine Beendigung der Unterbringung aus Verhältnismäßigkeitsgründen, womit es das Unrecht seiner jetzt aufgehobenen Entscheidung vom 26.8.2011 perpetuierte und durch die überflüssige Anregung eines Aktengutachtens (dies vorzüglich zur Entscheidung, ob die Erkenntnisse aus dem Wiederaufnahmeverfahren eine Fehldiagnose von Anfang an beweisen) auch noch verlängerte.

„Wir haben alles richtig gemacht!“ scheint die einzig mögliche Reaktion einer in die Kritik geratenen Justiz zu sein. In diesem Sinn steuert ihre Spitzenvertreterin die ihr unterstellten Generalstaatsanwälte, aktuell den GStA München: nein, eine Strafverfolgung gegen Richter und Gutachter, die im Fall Mollath schwer gefehlt haben, darf es nicht geben. Nicht einmal einen Anfangsverdacht! Nicht einmal wegen uneidlicher Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuß!

Es ist noch ein langer Weg, bis der Rechtsstaat in Bayern zu einer Selbstverständlichkeit wird. Mal sehen, ob auch das OLG München, bei dem ein Ermittlungserzwingungsverfahren gegen die Staatsanwaltschaft Augsburg anhängig ist, der Nachhilfe durch ein höheres Gericht bedarf.

Jetzt hat der Rechtsstaat erst einmal ein Problem: das Bundesverfassungsgericht hat die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG Bamberg zurückverwiesen. Und den Fall gab es wohl noch nie, daß die Wiederaufnahme eines Verfahrens die Vollstreckung faktisch beendet, während zugleich wegen Verfassungswidrigkeit eines zwei Jahre zurückliegenden Fortdauerbeschlusses eine neue Entscheidung verlangt wird. Überhaupt ist noch keine materielle Entscheidung über die Beendigung der Maßregel erfolgt. Das OLG ist ratlos:

Das kritisierte Oberlandesgericht Bamberg hat am Donnerstag (05.09.13) angekündigt, erst einmal den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Wortlaut abwarten zu wollen. Die Entscheidung sei aber “selbstverständlich zu respektieren”, erklärte Gerichtssprecher Franz Truppei dem Bayerischen Rundfunk. Unklar sei allerdings, wie sich die Bamberger Richter noch einmal mit dem Fall Mollath beschäftigen sollen. Das Vollstreckungverfahren habe sich ja mit der beschlossenen Wiederaufnahme des Prozesses erledigt, so Truppei.

http://www.br.de/nachrichten/mittelfranken/mollath-wiederaufnahme-beschwerde-100.html

Eine vertrackte Situation. Da die Wiederaufnahme nur die Rechtskraft des Urteils beseitigt, es aber nicht aufhebt – dies könnte nur das Wiederaufnahmegericht nach durchgeführter Hauptverhandlung – besteht ein Anspruch auf eine rechtlich einwandfreie Entscheidung in der Sache, die nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ein eindeutiges Ergebnis haben muß: die Beendigung der Vollstreckung wegen Unverhältnismäßigkeit.

Analog der Überlegung des BVerfG zum Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses an der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde trotz Anordnung der Wiederaufnahme besteht in gleicher Weise ein Anspruch darauf, daß das Vollstreckungsgericht in der Sache entscheidet. Denn zur Zeit liegt keine abschließende rechtskräftige Entscheidung vor.

Und ansonsten, ganz schlicht: Ober sticht Unter. Wenn das Bundesverfassungsgericht in Kenntnis der Sachlage zur erneuten Entscheidung zurückverweist, da gibt es kein Vertun. Da mag man zwar maulen, aber wat mutt dat mutt. Auch wenn es der erste einschlägige Beschluß sein sollte, in dem mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz operiert wird.

In diesem Sinn also doch ein deus ex machina mit pädagogischer Wirkung, die sich hoffentlich auch auf die Protagonisten der Psychiatrie erstreckt. Deren Produktionen in Sachen Mollath liegen jetzt öffentlich vor. Man wünschte sich, daß es auch in der Psychiatrie eine Instanz wie das Bundesverfassungsgericht gäbe.

Update (7.9.2013):

Gestern hat Rechtsanwalt Strate eine Erklärung der Verteidigung zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht, in der er sich auch zu den Folgen dieser Entscheidung äußert:

Der Tenor der vom Oberlandesgericht Bamberg nun zu treffenden Entscheidung wird allein die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 26.8.2011 und des vorausgegangenen Beschlusses des Landgerichts Bayreuth vom 9.6.2011 sein. In der Begründung muss das Oberlandesgericht retrospektiv die Abwägungsgesichtspunkte mit einstellen, deren mangelnde Berücksichtigung das Bundesverfassungsgericht beanstandet hat. Es wird in der Begründung auch dartun müssen, welche Entscheidung bei einer verfassungsrechtlich ordnungsgemäßen Abwägung der für und gegen die Fortdauer der Unterbringung sprechenden Umstände hätte getroffen werden müssen. Zwar wird es dem Oberlandesgericht grundsätzlich nicht verboten sein, in der Rückschau auch die Fortdauer der Unterbringung als eine damals mögliche Entscheidung zu konstatieren. Angesichts des klaren Widerspruchs zwischen den Darlegungen des Sachverständigen Pfäfflin in seinem schriftlichen Gutachten und in seinem mündlichen Vortrag bei der Anhörung durch Strafvollstreckungskammer ist dies aber nur eine theoretische Möglichkeit. Die Heraufstufung der Gefahrenprognose von einer bloßen Möglichkeit der Begehung von Straftaten zu einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit blieb faktisch ohne jede Begründung. Sie wurde allein darauf gestützt, dass „die Anlasstaten losgelöst von der sonstigen Persönlichkeit des Untergebrachten begangen wurden“ (und die therapeutische Bearbeitung dieser Taten bislang nicht stattgefunden habe).

http://download.strate.net/de/dokumentation/Mollath-LG-Bayreuth-Protokoll-2011-05-09.pdf

(S. 11/12)

Was damit gemeint sein sollte, blieb das nie gelüftete Geheimnis des Sachverständigen, ein Geheimnis, dem die Strafvollstreckungskammer in Bayreuth und das Oberlandesgericht Bamberg ohne Kenntnis seines Inhalts sich jeweils „angeschlossen“ hatten. Das Oberlandesgericht Bamberg wird auch jetzt nicht in der Lage sein, dieses Geheimnis zu dechiffrieren. Es ist deshalb klar, dass das Oberlandesgericht – allein gestützt auf das schriftliche Gutachten Pfäfflins – konstatieren muss, dass eine die Fortdauer der Unterbringung rechtfertigende Gefahrenprognose am 9.6.2011 nicht bestanden hat und deshalb die Maßregel der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB für erledigt hätte erklärt werden müssen. Das Oberlandesgericht wird gut daran tun, bei der Abfassung seiner neuen Entscheidung den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als Linienpapier zu benutzen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Erklaerung-der-Verteidigung-2013-09-06.pdf#page=2

Die in der Anhörung vom 9.5.2011 abgegebene „Begründung“ für die überraschende Aufwertung der bloßen Möglichkeit des Begehens neuer Straftaten zu einer hohen Wahrscheinlichkeit lautet im Zusammenhang wie folgt:

Frage des Verteidigers:

Wenn Sie in Ihrem Gutachten auf S. 46 schreiben, dass die Annahme nahe liege, dass Herr Mollath womöglich wieder, wie die im Einweisungsurteil genannte Tat, vergleichbare Taten begehen wird, sehe ich darin die Anforderungen der obergerichtlichen Rechtssprechung für nicht erfüllt.

[Antwort des Sachverständigen:]

Ich habe da vielleicht eine etwas zu weiche Formulierung gewählt.

Wenn man berücksichtigt, dass die Anlasstaten losgelöst von der sonstigen Persönlichkeit des Untergebrachten begangen wurden und dass andererseits eine therapeutische Bearbeitung dieser Taten bislang gar nicht stattgefunden hat, halte ich die Wahrscheinlichkeit vergleichbarer Taten für sehr hoch.

http://download.strate.net/de/dokumentation/Mollath-LG-Bayreuth-Protokoll-2011-05-09.pdf#page=11

Das ist nun allerdings nicht neu, daß eine therapeutische Bearbeitung der (bestrittenen) Taten nicht stattgefunden hat. Wenn sie allerdings nach Meinung des Sachverständigen, der den Probanden als ruhig, unaggressiv und auf rechtsstaatliche Lösungen bedacht erlebt hat, persönlichkeitsfremd waren, mithin Ausdruck einer krankhaften Störung zu den lange zurückliegenden Tatzeiten, dann müßten konsequenterweise nicht die im Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit begangenen Taten, sondern die Störung therapeutisch bearbeitet werden. Für eine aktuelle Gefährlichkeitsprognose im Jahr 2011 gibt dieser Aspekt jedenfalls gar nichts her.

Nicht minder trägt zur Verwirrung bei, daß sich im schriftlichen Gutachten eine ganz andere Einschätzung (im Rahmen der Bejahung der Voraussetzungen für § 63 StGB) findet: danach waren die Taten nämlich gar nicht persönlichkeitsfremd, der Proband glaubt das nur [Hervorhebung von mir]:

Die im Einweisungsurteil beschriebenen aggressiven Handlungen gegenüber seiner früheren Ehefrau charakterisiert Herr M. ebenso wie die ihm zugeschriebenen gefährlichen Beschädigungen von Fahrzeugen (Reifenaufstechen) als Unterstellungen und letztlich als in Bezug auf sich persönlichkeitsfremd. Geht man vom rechtskräftigen Urteil aus, muss man daher zu dem Schluss kommen, dass er keinen Zugang zu seiner eigenen Aggressivität hat und daher gefährdet ist, erneut vergleichbare gefährliche Handlungen vorzunehmen, was die oben im Kasten abgegebene Beurteilung begründet.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Gutachten-Pfaefflin-2011-02-12.pdf#page=45

Hier also ist es erstaunlicherweise gar nicht die angebliche Wahnsymptomatik, die in eine „maßlose Enttäuschung über den Rechtsstaat“ insgesamt mündet [ebd.] (womit der Proband natürlich vollkommen recht hatte), die ihn gefährlich macht, sondern daß er die ihm zugeschriebenen Taten als persönlichkeitsfremd bezeichnet und damit beweist, daß er seine sehr wohl vorhandene Aggressivität verkennt.

Gut, daß der 1. Strafsenat Gelegenheit erhalten hat, sich erneut mit diesem überzeugenden Gutachten zu befassen. Dann wird ihm eventuell auch auffallen, daß Prof. Pfäfflin nicht nur die Frage (3) nach Art, Häufigkeit und Schweregrad zukünftiger Straftaten nicht beantwortet hat, sondern auch die Fragen (4) und (5) nach Maßnahmen, die das Risiko zukünftiger Straftaten verringern bzw. nach Umständen, die das Risiko von Straftaten steigern könnten, links liegen gelassen hat.

Diese Fragen beziehen sich naturgemäß auf ein Leben in Freiheit und eventuell zu ergreifende Maßnahmen per Bewährungsauflagen oder bei Ausgestaltung der Führungsaufsicht. Stattdessen gibt er dem BKH Bayreuth den guten Rat, im Rahmen der weiteren Unterbringung (!) doch nicht so schroff-bürokratisch mit Herrn M. umzugehen, weil dies, wie auch ein Streiten über Überzeugungen, nur zur Verhärtung der Fronten führe.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Gutachten-Pfaefflin-2011-02-12.pdf#page=48

Dem Ergebnis der vom BVerfG auferlegten Strafarbeit wird jedenfalls mit Interesse entgegengesehen, zumal noch mehr Arbeit auf das OLG zukommen wird, wie die Verteidigung angekündigt hat:

Die Verteidigung wird – im Rahmen der anstehenden „Folgenbeseitigung“ – beim Oberlandesgericht Bamberg beantragen, die Rechtswidrigkeit der im Jahre 2012 ergangenen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg festzustellen. Eine derartige Feststellung dürfte durch die jederzeitige Prüfungsbefugnis des für die Vollstreckung zuständigen Gerichts gemäß § 67e Abs. 1 StGB gedeckt sein. Die beiden Entscheidungen aus dem Jahre 2013 blieben „unvollendet“, bedürfen deshalb nicht einer derartigen Feststellung.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Erklaerung-der-Verteidigung-2013-09-06.pdf#page=2

Update (12.9.2013)

Nachzutragen bleibt die vollständige Stellungnahme des OLG Bamberg zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wie sie offenbar Medienvertretern zugesandt wurde. In meinem Artikel hatte ich lediglich ein Zitat daraus aufgeführt, wie es in der Printausgabe der Nürnberger Nachrichten vom 6.9.2013 veröffentlicht worden war.

Stellungnahme des Oberlandesgerichts Bamberg zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Gustl Mollath

9. September 2013 von Redaktion

Das Oberlandesgericht Bamberg respektiert selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der der Verfassungsbeschwerde des Gustl M. gegen die Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg aus dem Jahr 2011 stattgegeben wurde.

Der in der Öffentlichkeit erhobene Vorwurf eines fahrlässigen Umgangs der bayerischen Justiz mit einem Menschenrecht ist gleichwohl mit Nachdruck zurückzuweisen. Die vom Verfassungsgericht vorgenommenen Beanstandungen beziehen sich in erster Linie auf einen unzureichenden Begründungsinhalt der aus dem Jahr 2011 stammenden Entscheidungen. Gerade die vom Verfassungsgericht herangezogenen Gesichtspunkte hat das Oberlandesgericht Bamberg aber in seinem jüngsten Beschluss vom 16.07.2013 zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Unter Hinweis auf die unzureichende Berücksichtigung veränderter Umstände und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat es die letzte Entscheidung des Landgerichts Bayreuth über die Fortdauer der Unterbringung des Gustl M. daher aufgehoben.

http://www.wiesentbote.de/2013/09/09/stellungnahme-des-oberlandesgerichts-bamberg-zur-entscheidung-des-bundesverfassungsgerichts-in-sachen-gustl-mollath/

Entsprechend abwiegelnd hat sich der Vizepräsident des OLG Bamberg, Ernst Tschanett, (gern gesehener Grußwortsprecher bei den Bayreuther Forensik-Tagungen von Dr. Leipziger) in einem Interview mit Elmar Schatz geäußert, das am 7.9.2013 im Nordbayerischen Kurier erschienen ist (S. 5):

Ist der Spruch des Bundesverfassungsgerichts nicht eine Schelte für Bayreuther und Bamberger Richter?

Tschanett: Natürlich ist es bedauerlich, dass die Entscheidungen des Landgerichts (Bayreuth) und des Oberlandesgerichts (Bamberg) von den Verfassungsrichtern als grundrechtsverletzend bewertet wurden. Daran kann keinem Gericht gelegen sein. Es gehört aber zu den bewährten Mechanismen des Rechtsstaats, wenn Gerichtsentscheidungen von einem übergeordneten Gericht überprüft und gegebenenfalls beanstandet werden. Nichts anderes ist hier geschehen, das hat man zu respektieren und da tun wir auch. Von „Schelte“, „Klatsche“ oder gar einem „Tiefpunkt“ für die gesamte bayerische Justiz als solche zu sprechen, wie dies in einigen Medien der Fall war, halte ich bei allem Respekt vor der verfassungsgereichtlichen Entscheidung nicht für angemessen.

Als ob die Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht wegen eines „offensichtlichen“ Verstoßes gegen ein Grundrecht denselben Charakter hätte wie die Aufhebung des Urteils eines Amtsgerichts durch das Landgericht. Da halte ich es lieber mit Heribert Prantl, der am 6.9.2013 unter der Überschrift: „Fehler, Fehler, Fehler“ in der SÜDDEUTSCHEN (S. 4) u.a. so kommentierte:

Und, niederschmetternd: Mollaths Richter haben entlastende Umstände nicht berücksichtigt. Das ist Fundamentalkritik. Auch der Sachverständige kommt schlecht weg. Die große Schelte aber gilt dem Gericht.

Die Entscheidungen dieser Gerichte waren unhaltbar; sie waren freiheitsberaubend; sie waren verfassungswidrig. Sie sind eine Schande. Mollath ist mittlerweile frei. Die Schande bleibt.

Das sieht der Vizepräsident natürlich ganz anders:

Worum ging es dem Verfassungsgericht?

Tschanett: Übersehen wird, dass das Verfassungsgericht in erster Linie einen unzureichenden Begründungsinhalt der angegriffenen Entscheidungen – nicht das Ergebnis als solches – beanstandet hat.

Soweit das BVerfG nicht ausnahmsweise durchentscheidet, ist genau das seine Aufgabe: die Mißachtung von Verfassungsrechten bei Entscheidungen der Fachgerichte zu rügen. Diese Mißachtung ergibt sich ausschließlich aus den entsprechenden unzulänglichen Begründungen. Wenn der Vizepräsident andeutet, es sei dasselbe Ergebnis wie im Jahr 2011 möglich, man müsse es nur verfassungsfest begründen (wie manche Richter ein Fehlurteil revisionssicher begründen), dann hat er die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht verstanden. Auf diesen Holzweg sollte sich der 1. Strafsenat gar nicht erst begeben. Nachdem das BVerfG das Gutachten von Prof. Pfäfflin zerlegt und die Stellungnahme von Dr. Leipziger zurecht als unbeachtlich abgetan hat, gibt es keine Basis mehr für die Feststellung einer Gefährlichkeit des seinerzeitig Untergebrachten.

Unter Überspringung des Jahres 2012, in dem die Beschlüsse aus 2011 von beiden Gerichten noch einmal routiniert abgeschrieben wurden, fährt Ernst Tschanett fort:

Übersehen wird auch, dass diese Entscheidungen aus 2011 datieren. Die jüngste Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 16. Juli 2013 hat aber gerade die vom Verfassungsgericht ins Feld geführten Kriterien zum Anlass genommen, den letzten Beschluss zum Anlass genommen, den letzten Beschluss des Landgerichts über die Fortdauer der Unterbringung aufzuheben, geht also genau in die Richtung, die vom Bundesverfassungsgericht eingeschlagen wurde.

Will sagen: das Landgericht handelte verfassungswidrig, wir aber nicht. Was ansonsten zu diesem Rechtfertigungsversuch zu sagen ist, habe ich bereits oben gesagt. Die ungute Kombination StVK Bayreuth – 1. Strafsenat Bamberg war ja schon im Oktober 2012 in einer vergleichbaren Angelegenheit vom Bundesverfassungsgericht gerügt und der Beschluß des OLG aufgehoben worden. Da ist man seitens des OLG, das üblicherweise keiner Kontrolle unterliegt, natürlich entsprechend sensibilisiert…

Sanktionen haben die entscheidenden Richter nicht zu erwarten, denn:

Tschanett: […] Gerade im juristischen Bereich hängt vieles von Sichtweisen und Wertungen ab, die in den verschiedenen Instanzen unterschiedlich ausfallen können, ohne dass es ein absolutes Richtig oder Falsch gibt. […]

Ob das auch für „offensichtliche“ Grundrechtsverletzungen gilt, die eine rechtswidrige Freiheitsberaubung von über zwei Jahren bewirken? Da wäre ich nicht so sicher. Die bayerischen Generalstaatsanwälte mögen zwar ihre gütige Hand über bayerische Richter halten, die ruchloserweise der Rechtsbeugung bezichtigt werden. Spielen alle Oberlandesgerichte mit? Oder gar das Bundesverfassungsgericht? Selbst beim BGH geht es jetzt strenger zu, was Rechtsbeugung angeht. Und der für Bayern zuständige 1. Strafsenat hat jetzt einen neuen Vorsitzenden, der sicherlich kein Interesse daran hat, den Ruf des „Kahn“-Senats, der alles hält, zu bestätigen.

Die Gerichte hätten die Prognose über die Gefährlichkeit Mollaths Gutachtern überlassen und keine eigenen Entscheidungen getroffen, heißt es aus Karslruhe. Worauf sollten sich die Richter sonst stützen?

Tschanett: In medizinischen Fragen sind die Gerichte auf die Erkenntnisse von Sachverständigen als tatsächliche Grundlage ihrer rechtlichen Entscheidungen schlichtweg angewiesen. Sie müssen letztendlich aber eine eigene Entscheidung treffen. Auch im vorliegenden Fall wurden sämtliche Entscheidungen auf der Basis von und in Einklang mit psychiatrischen Sachverständigengutachten getroffen. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts sollte uns Richter dazu veranlassen, künftig noch genauer zu herauszuarbeiten, dass ein Gutachten nur eine Tatsachengrundlage für eine Entscheidung ist, nicht jedoch die Entscheidung selbst.

Da hat es ihm der Herr Schatz mit seiner verunglückten Frage natürlich leicht gemacht, den eigentlichen Knackpunkt zu umschiffen. Gerade die Tatsache, daß sich Landgericht und Oberlandesgericht geweigert haben, die Unbrauchbarkeit des Pfäfflin-Gutachtens und der Stellungnahme von Dr. Leipziger zu erkennen und zu kritisieren, obwohl die Verteidigung dies dem OLG sogar auch noch in einer Gehörsrüge dringend anempfahl, ist vom Bundesverfassungsgericht gerügt worden. Die „eigene“ Entscheidung stand sowieso schon fest, und deshalb wurden die nichtbegründeten Prognosen der Psychiater schlicht übernommen. Aus dem schlichten Grund, weil sie eben „paßten“. Diese willkommene Unterstützung hinterfragt man nicht.

Ansonsten ist für Herrn Tschanett alles „völlig offen“ (das Ergebnis des Wiederaufnahmeverfahrens) bzw. „allerdings noch offen“, denn er weiß noch nicht einmal, „Welche Art von Entscheidung ergehen wird, […] nachdem das Vollstreckungsverfahren durch die angeordnete Wiederaufnahme und die Entlassung des Herrn Mollath erledigt ist.“

Das OLG wird also erst einmal an den Formalien zu knacken haben. Ich glaube nicht, daß mit einem schnellen Beschluß zu rechnen ist. Der Spagat, der nun zu leisten ist, ist allzu schmerzhaft. Einerseits gilt es, mögliche Sanktionen wegen der vergangenen Fehlentscheidungen zu vermeiden, andererseits, das Risiko einer erneuten Vorlage beim Bundesverfassungsgericht zu vermeiden, was nur möglich ist, wenn den Vorgaben des höchsten Gerichts penibel gefolgt wird. Am Ende dieses Wegs muß dann aber zwingend eine Entscheidung stehen, die der ursprünglichen diametral entgegengesetzt ist.

Ich lege die Sache auf Wiedervorlage in drei Monaten.

Zur Fortsetzung geht es hier:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2013/09/19/der-fall-mollath-die-irrwege-der-psychiatrie-1/

1.243 Gedanken zu „Der Fall Mollath: Das Bundesverfassungsgericht hat gesprochen

  1. Ich habe einen neuen Beitrag zur Einführung in den Psychiatriekomplex geschrieben, zu dem die weiteren Kommentare gepostet werden sollten. Das hindert uns keineswegs daran, auf den neuesten Schriftsatz von RA Strate im Klageerzwingungsverfahren einzugehen.

    Klicke, um auf Mollath-Klagerzwingung-2013-09-19.pdf zuzugreifen

    Im Gegenteil. Dieses von RiAG Eberl bei der Polizei angeregte aktenmäßige Verfahren, daß er dem Gutachter Leipziger auf dessen Verlangen hin zuspielte, belegt ja nur zu deutlich das „ungute Pingpongspiel“ zwischen Justiz und Psychiatrie.

    Der neue Beitrag befindet sich hier:

    Der Fall Mollath: Die Irrwege der Psychiatrie (1)

  2. Nach dem immer neuen und engeren „Um- und Einkreisen“ von Justiz, Banken, Frauen, Wissenschaft Politik & Psychiatrie, und einer Vielzahl von Aufklaerungen, hier in Anknuepfung an Gabriele Wolffs vorletzten Beitrag zu dem z.T. erstaunlichen Wirken einiger Medien (kurz Lala & Co) – die ja manchmal gerne Mollaths Auseinandersetzung mit HVB & Diehl entweder voellig pathologisieren oder auf einen Privatkrieg um Rosen, Datteln & Seife reduzieren wollten – folgender Wikeipedia-Link zu AP, der aus einem Leserbrief der erstaunlichen Syrienberichterstattung der SZ stammt, und der doch sehr beunruhigt
    https://de.wikipedia.org/wiki/Associated_Press.
    Zur weltgroessten Nachrichtenagentur AP, bezogen auf den dort auch angesiedelten Geheimdienst: „Dort produziere man Wort- oder Bildberichte, die unter falscher Quellenangabe den Medien zugespielt werden. Für 2009 sehe man die Herausgabe von 5400 Pressemitteilungen, 3000 Fernsehspots und 1600 Rundfunkinterviews vor.„
    Irgendwie macht das Angst bezueglich der Zuverlaessigkeit von MedienInformationen.
    In welchem Maße sind wir hier davon beruehrt? Bei der Klimaberichterstattung ist dies ja z.T. bekannt. Vor allem, wie reagieren unsere Zeitungen, bspw. die SZ, wenn Ihnen so ein untergeschobener gefaelschter Bericht auffaellt? Koennte es so etwas auch bei der Mollathberichterstattung geben, gegeben haben? Vielleicht kann jemand auch ueber die mangelnde Seriositaet der Quelle berichten oder die Grundlosigkeit dieser Befuerchtung erklaeren. Oder ist das gar eher „Verfolgungswahn“? Kennt sich da jemand im Blog aus?

    • Gesteuerte Meinungsmache von Staaten und großen Unternehmen ist durchaus ein weit verbreitetes Phänomen:

      https://de.wikipedia.org/wiki/Astroturfing

      Was die Mollath-Berichterstattung betrifft, könnte die Medien-Offensive des letzten Dezembers auf einer koordinierten Aktion beruhen. Da allerdings sowohl Beate Lakotta wie auch Sabine Rückert schon zuvor beste Beziehungen zu Hans-Ludwig Kröber hatten, muß man keine dunklen Mächte im Hintergrund vermuten – der Selbstverteidigungsreflex eines psychiatrischen Establishments, das die Aufdeckung von Fehlleistungen fürchtet und deshalb wohlgesinnte Journalisten mit exklusiven „Informationen“ füttert, reicht als Erklärung aus.

      • @sol1
        Danke. Dennoch die Frage: Machen unsere Geheimdienste das auch als Beitrag zur Foerderung der Demokratie: unter falschen Quellenangaben „5400 Pressemitteilungen, 3000 Fernsehspots und 1600 Rundfunkinterviews“?:
        Ist das akzeptierter Teil unserer demokratischen Kultur in Deutschland, im Westen?. Tolerieren unsere Zeitungen, dass sie derart „gefuettert“ werden. Gibt es da irgendwelche politischen oder medialen Reaktionen?
        Ich habe mich mit der Frage noch nie befasst.

      • Tolerieren unsere Zeitungen, dass sie derart “gefuettert” werden. Gibt es da irgendwelche politischen oder medialen Reaktionen?

        Es widerspricht jedenfalls dem journalistischen Ethos. Dennoch kommt es immer wieder vor.

        In der aktuellen SZ heißt es in einem Artikel von Hans Leyendecker und Tanjev Schultz über Journalisten als Gegner und Gehilfen von Geheimdiensten:

        Zu Beginn der sozialliberalen Koalition ließ sich der damalige Kanzleramtschef Horst Ehmke die Liste aller Journalisten geben, die mit den Geheimen unheimlich verbunden waren. Das Ergebnis: Erste Adressen des deutschen Journalismus standen auf der Gehaltsliste des BND. Ein Nahost-Experte sagte: „Schade, dass ihr so spät kommt. Ich liefere schon für die Franzosen“.

        Die Journalisten schworen, nicht mehr für die Geheimen zu arbeiten. Und die Geheimen erklärten, sie verzichteten fortan auf den Einsatz von Journalisten. Es stimmte nicht. 1988 sickerte durch, dass der niedersächsische Verfassungsschutz seinen Stab durch Journalisten ergänzt hatte. Ende 1993 versuchte der BND, den Mitarbeiter eines Hörfunksenders in Bonn anzuwerben. Eine Aufwandsentschädigung werde ihm garantiert. Zufällig hatte er sein Büro im selben Haus wie die taz. Tiefen Einblick in die Szene brachten dann die Recherchen des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer, der Mitte des vorigen Jahrzehnts als Sonderermittler BND-Operationen analysiert hatte. Jahrelang hatte der BND willfährige Journalisten als Quellen geführt. Ihre Aufgabe war es unter anderem, Informationen über kritische Kollegen zu sammeln. Schäfer ermittelte etwa ein halbes Dutzend Zuträger, die dem Dienst unheimlich behilflich waren. Besonders ein Journalist mit dem Decknamen „Sommer“ war in der Szene sehr aktiv.

        Die Helfer bekamen für ihren Berufsverrat Geld oder Informationen. Win-Win-Situation nennt man so etwas heute. Dabei ist es eigentlich ein Totalverlust für die Öffentlichkeit und das Publikum. Ein totaler Verlust an Vertrauen.

        http://www.sueddeutsche.de/medien/geheimdienste-und-journalisten-totaler-vertrauensverlust-1.1775427

    • @fotobiene @michael bach @sol1
      1. Danke. Erschreckt hat mich, das sogar Habermas hier involviert ist/war.
      Beim Lesen seiner kommunikations-, demokratie-, und staatswiessenschaftlichen Texte hatte ich immer den Eindruck, dass er weniger ernsthaft der schonungslosen Wahrheitsfindung verpflichtet war.
      Die sozialwissenschaftlich-philosophische Frankfurter Schule war die deutsche (z.T. weltweite) post-marxistische, post-fachistische, post-freudianische und post-Oktoberrevolutions-Denkwerkstatt und Vorlaeufer der 68-er Bewegung. Das er womoeglich im Kontext von Geheimdiensten das konsequente, innovative und zukunftsweisende Denken von bspw. Adorno und Horkheimer eingeebnet, eingehegt haette. Was fuer Abgruende.
      2. Ob oder dass hier nicht mehr Gesetze als nur ethische Normen fuer Journalisten Anwendung finden…. Immerhin handelt es sich um die vierte Gewalt, inzwischen arg konzentriert, und eine der vier Grundlagen des Vertrauens in unsere Institutionen. Gedacht als Garant, damit die „Allmacht“ des Staates dem kritischen Blick der Oeffentlichkeit unterliegt. Mir scheint auch hier, der Einfluß von Geheimdiensten muesste sehr viel konsequenter beschraenkt, aufgedeckt, gesetzlicher geregelt (?) und kontrolliert werden.

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