Der Fall Gustl Mollath: Das Urteil

Rosenkrieg 2

 

Der Urteilstenor lautet:

Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil:

  1. Im Umfang der durch Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 6. August 2013 angeordneten Wiederaufnahme wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 08.08.2006, Aktenzeichen 7 KLs 802 Js 4743/03 aufgehoben.

 2.  Der Angeklagte wird freigesprochen.

3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich des wiederaufgenommenen Verfahrens des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Aktenzeichen 7 KLs 802 Js 4743/03, die Kosten der Revision, die Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens einschließlich des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last..

4. Der Angeklagte ist für die Zeiträume der Unterbringung zur Beobachtung vom 30.06.2004 bis 07.07.2004 und 13.02.2005 bis 21.03.2005, dem Zeitraum der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vom 27.02.2006 bis 12.02.2007 und dem Zeitraum der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 08.08.2006 vom 13.02.2007 bis 06.08.2013 aus der Staatskasse zu entschädigen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 1]

Eine klare Sache, sollte man meinen. Aber warum zeigte sich die Presse so verwirrt, sprach von Freispruch wegen des im Wiederaufnahmeverfahren geltenden Verschlechterungsverbots, was ganz falsch war? Oder vom „Freispruch dritter Klasse“ (Lakotta), den es so wenig gibt wie einen Freispruch erster oder zweiter Klasse? Warum meinten andere, daß nun der Rechtsstaat gesiegt habe, weil ein Unrechtsurteil aus der Welt geschafft und für die von Anfang an unberechtigte Psychiatrisierung des Angeklagten, beginnend mit der ersten Unterbringung zwecks Erstellung eines Gutachtens, eine Entschädigung ausgesprochen worden sei?

Eine erste Einordnung des Urteils durch Prof. Dr. Henning Ernst Müller schaffte Klarheit:

http://blog.beck.de/2014/08/14/salomonisches-urteil-mit-schalem-beigeschmack-finale-im-prozess-gegen-gustl-mollath

Sie erklärt, wieso dieses Urteil von den verschiedensten Interessevertretern als Beleg für den jeweils eigenen Standpunkt herangezogen werden kann, und sie erklärt auch, warum Gustl Mollath mit diesem Urteil nicht zufrieden sein konnte; zwar wurde er von den Vorwürfen der Freiheitsberaubung und Körperverletzung zum Nachteil der Ehefrau vom 31.5.2002 und vom Vorwurf der neunfachen Sachbeschädigung von Januar 2005 aus tatsächlichen Gründen freigesprochen; aber in einem der drei Anklagepunkte, der gefährlichen Körperverletzung vom 12.8.2001 zum Nachteil der Ehefrau, hielt ihn das Gericht für überführt, unterstellte jedoch zu seinen Gunsten, daß eine Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen sei und sprach aus Rechtsgründen frei. Da ein bloßes Nicht-Ausschließen-Können einer Schuldunfähigkeit die Voraussetzung für eine Unterbringung nicht erfüllt – dafür ist die positive Feststellung einer erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit oder einer Schuldunfähigkeit erforderlich –, blieb es beim Freispruch ohne Ausspruch einer Maßregel der „Sicherung und Besserung“.

Diese Konstruktion des Landgerichts führt dazu, daß grundsätzlich eine Revision nicht eingelegt werden kann: der Urteilstenor begünstigt den früheren Angeklagten, er enthält keine Beschwer. Und auf eine zutreffende Urteilsbegründung im Fall des Freispruchs besteht kein Anspruch. Ein Rechtszustand, der Opfer von Falschbeschuldigungen rechtlos zurückläßt, wenn sie nur in dubio pro reo freigesprochen werden.

Aber wo ein Grundsatz besteht, gibt es auch Ausnahmen – bislang sind sie zwar Theorie geblieben. Gustl Mollaths neuer Anwalt Dr. Adam Ahmed will diese Möglichkeit jedenfalls prüfen und hat Revision eingelegt:

„Es handelt sich um eine außergewöhnliche und rechtlich einzigartige Fallkonstruktion, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass man auch ein freisprechendes Urteil juristisch angreifen kann“, sagte der Münchner Strafverteidiger Dr. Adam Ahmed am Freitag gegenüber der Mittelbayerischen Zeitung.

[…]

Der Jurist bezieht sich vor allem auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes aus den Jahren 1970 und 2004. Im ersten Fall urteilte der 1. Senat, dass gegen einen Freispruch im Strafverfahren eine Verfassungsbeschwerde des Angeklagten nicht schlechthin ausgeschlossen sei, da das freisprechende Urteil durch die Art seiner Begründung Grundrechte verletzen könne. Im zweiten Fall befand der 1. Senat, dass man im Falle eines gegebenen Rehabilitationsinteresses ein freisprechendes Urteil durchaus angreifen könne.

Nachdem das schriftliche Urteil vorliegt, hat Ahmed einen Monat Zeit, die Revision zu begründen. „Ob und inwieweit wir diesen Schritt gehen, werden wir intensiv zu prüfen und zu beraten haben“, sagte Ahmed. Über die Zulässigkeit und deren Begründetheit entscheidet der Bundesgerichtshof.

http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/oberpfalz-bayern/artikel/mollath-will-vollstaendige-rehabilitation/1110201/mollath-will-vollstaendige-rehabilitation.html

Oliver García ist dieser schwierigen Frage, gründlich und belesen wie immer, nachgegangen:

Daß Mollath im ersten, dem schwersten Anklagepunkt trotzdem freigesprochen wurde, beruhte lediglich auf der Annahme des Gerichts, in dubio pro reo sei davon auszugehen, daß er diese Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hatte. An dieser Stelle mußte die Vorsitzende Richterin Elke Escher in ihrer mündlichen Urteilsbegründung selbst erst einmal stutzen (Wortprotokoll, Seite 28): “pro reo” – ist diese Variante tatsächlich günstiger für Mollath? Die Rehabilitierung, die Mollath in diesem Verfahren erklärtermaßen anstrebte, war die Klärung, daß er die Taten nicht begangen hatte und daß eine psychische Störung bei ihm nie vorlag. War es bereits ein Schlag für ihn, als Oberstaatsanwalt Wolfhard Meindl in seinem Plädoyer ihn in allen drei Anklagepunkten für überführt hielt (dafür aber immerhin seine Schuldfähigkeit bejahte), so ging das Gericht noch darüber hinaus, indem es dieser Einschätzung folgte und Mollath wie einen schuldunfähigen “Wahn”-sinnigen behandelte.

[…]

Ein dritter Fall einer erfolglosen Verfassungsbeschwerde (Beschluß vom 21. April 2004 – 2 BvR 581/04) kam dieser Konstellation am nächsten, denn dort beruhte der Freispruch auf dem Zugutehalten eines Irrtums, den das Gericht als vorsatzausschließend gewertet hatte. Interessant war hier, daß das BVerfG erstmals auf ein “Rehabilitierungsinteresse” abstellte.

[…]

Was bleibt, ist die Annahme des Gerichts, eine Person mit einem besonders rigiden Gerechtigkeits- und Friedensfimmel könne sich in diese Grundhaltung so hineinsteigern, daß er alle Hemmungen verliert und gerade deshalb eine gefährliche Körperverletzung begeht. Während bei RAF-Terroristen Gerechtigkeitsidealismus als schuldfähigkeitsrelevant (geschweige denn -ausschließend) nie ernsthaft diskutiert worden ist, bedurfte es schon eines Mollaths, damit ein Gericht die Schuldfähigkeits- und Zweifelsdogmatik neu schreibt. Daß es solch eine Ausdehnung des Zweifelssatzes schon einmal gab oder noch einmal geben wird, darf bezweifelt werden.

Es ist naheliegend, daß die Entscheidung in diesem Punkt Willkür im verfassungsrechtlichen Sinne ist. Es handelt sich um eine Sachverhaltswürdigung, bei der “der rationale Charakter der Entscheidung verlorengegangen scheint” (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 2 BvR 2045/02). Das Willkürverbot ist verletzt, wenn Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluß aufdrängt, daß die Entscheidung auf sachfremden und daher willkürlichen Erwägungen beruht (BVerfG, Beschluß vom 28. September 1999 – 2 BvR 1897/95). Unerheblich ist, ob das Gericht tatsächlich in diesem Punkt so entschieden hat, wie gemutmaßt wird, um Mollath die Revision zu nehmen und/oder um eine größtmögliche Schonung des Urteils des LG Nürnberg-Fürth aus dem Jahr 2006 zu erreichen (das in diesem Punkt identisch ist: Freispruch aufgrund nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit – allerdings auf der Grundlage des Gutachtens von Klaus Leipziger, der dem Gericht seine Annahme einer Wahnerkrankung Mollaths noch mit Zauberwörtern wie “mit Sicherheit” und “ohne Zweifel” schmackhaft gemacht hatte). Denn der verfassungsrechtliche Willkürbegriff begnügt sich mit objektiven Kriterien und bedarf keiner subjektiven Feststellungen (BVerfG, Beschluß vom 28. September 1999 – 2 BvR 1897/95; Beschluß vom 27. Februar 2014 – 2 BvR 261/14).

[…]

http://blog.delegibus.com/2014/08/28/fall-mollath-zum-freispruch-verurteilt/

Über diese Verknüpfung eines besonderen Rehabilitierungsinteresses mit der Begründung, das nicht Ausschließenkönnen einer Schuldunfähigkeit sei willkürlich, könnte man zu einer verfassungsrechtlich relevanten Rechtsverletzung kommen, die ausnahmsweise zur Zulässigkeit einer gegen einen Freispruch gerichteten Revision führt.

García hat sich auch kritisch zur Beweiswürdigung des Gerichts geäußert, soweit es zur Überzeugung des Vorliegens einer gefährlichen Körperverletzung gelangt ist. Dem könnte ich noch einiges anfügen, tue dies aber nicht. Das Bestreben des Gerichts ist ohnehin nach Einlegung der Revision auf die Verfassung eines revisionssicheren schriftlichen Urteils gerichtet – da wäre es kontraproduktiv, auch noch Hilfestellung zu geben. Prof. Nedopil hat jedenfalls erkannt, wo der Hase im Pfeffer liegt:

Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen wurden aufgrund einer Untersuchung am 14.8.2001 mit einem Attest vom 3.6.2002 Verletzungen bei Frau Mollath festgestellt. Dieses Attest wurde als Beweisgrundlage im ersten Strafverfahren so gewertet, wie es da stand. Über die Herkunft und das Zustandekommen des Attests und den Realitätsgehalt sind damals keine Einschätzungen vorgenommen worden. Wenn ich Eisenmenger richtig verstanden habe, ist es nicht so eindeutig, wie es zunächst schien.

Weiter ist festzustellen, dass dieses Attest problematisch ist, das war in der ersten Hauptverhandlung nicht bekannt.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 8]

Ich will mich daher auf die Frage beschränken, ob die zugunsten Gustl Mollaths für nicht ausgeschlossen gehaltene Schuldunfähigkeit während der Tat vom 12.8.2001 tatsächlich willkürlich angenommen wurde. Erstes Indiz für diese Annnahme ist der Umstand, daß Strafgerichte allgemein, aber in Bayern ganz besonders, ausgesprochen knauserig mit Zweifeln an der Schuldfähigkeit umgehen, wenn sich hieraus für den Angeklagten ausschließlich günstige Folgen ergeben, also etwa eine Strafmilderung oder, wie hier, sogar ein Freispruch.

Die Kammer begründete ihre Zweifel mit folgendem Gedankengang:

Die Kammer weiß vorliegend nicht, ob beim Angeklagten im Jahr 2001 tatsächlich eine solche wahnhafte Störung vorhanden war. Allerdings liegt es nicht fern, eine solche damalige Störung für möglich zu halten. Es finden sich zunächst Anhaltspunkte für eine sensitive Persönlichkeit, wie von Prof. Nedopil beschrieben. In dem vehementen Eintreten des Angeklagten für den Frieden und gegen Waffen und überhaupt gegen die Ungerechtigkeit in dieser Welt sind deutliche Anzeichen für eine hohe Empfindsamkeit des Angeklagten zu sehen. Der Angeklagte kann nicht wegschauen, und das ist vom Grundsatz her auch durchaus begrüßenswert. In diesem Sinne ist auch sein Kampf gegen mögliche Schwarzgeldverschiebungen bei der HypoVereinsbank zu würdigen. Diese Empfindsamkeit verbindet sich allerdings mit einem außerordentlichen Beharren – der Sachverständige hatte es Rigidität und Übernachhaltigkeit genannt – und mit einem ungewöhnlich hohen Selbstanspruch

bzw. mit einer Selbstüberschätzung. Deutlich wird dies in vielen Schreiben, die der Angeklagte verfasst hat. In Briefen an über 600 Bundestagsabgeordnete, an WolfgangThierse und auch an Papst Johannes Paul II schon in den Jahren 1999 und 2000 sowie in vielen weiteren Briefen in den folgenden Jahren, zum Beispiel an Gerhard Schröder oder an Kofi Annan, prangert der Angeklagte die Missstände auf dieser Welt an und meint, hierauf beträchtlichen Einfluss nehmen zu können – Zitat aus dem Schreiben „Was mich prägte“, der Verteidigungsschrift des Angeklagten vom 24.09.2003: „Inzwischen musste versucht werden, einen Krieg zu verhindern.“

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 24]

Exakt: bis auf die ersten drei genannten Schreiben stammen alle anderen aus Jahren deutlich nach dem 12.8.2001, auch die nachfolgend aufgezählten seltsamerweise „verdächtigen“ Schreiben wurden erst viel später verfaßt. Was hat das Gericht sonst noch im Angebot?

Die Zeugin Simbek beschrieb ein Nachspionieren und Fotografieren des Angeklagten in der Arztpraxis Reichel, des Weiteren ein fortwährendes Verdunkeln der eigenen Wohnung und einen Vorfall nach der Trennung von Petra Müller,

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 25]

Das sind Vorfälle nach der Trennung vom 31.5.2002. Und gewiß keine außergewöhnlichen, denn die normalpsychologische Verzweiflung nach einer abrupten Trennung von einer 24-jährigen Verbundenheit durch Partnerschaft und Ehe ist überwältigend.

Der frühere Pflichtverteidiger Dolmany beschrieb eine Situation, in der der Angeklagte, der zuvor jeden Kontakt mit ihm verweigert hatte, spätabends an einem Freitag vehement an der Tür der Kanzlei hämmerte, sodass der Zeuge Dolmany erhebliche Angst bekommen habe.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 25]

Die Situation war im Jahr 2005, und es ist unerfindlich, inwiefern diese Szene psychiatrisch bedeutsam sein sollte.

Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Jedes einzelne Verhalten für sich genommen kann natürlich keine wahnhafte Störung belegen. Es sind allerdings Auffälligkeiten im Verhalten, einzelne Bausteine, die in ihrer Gesamtheit die Einschätzung eines nicht ausschließbaren Wahns durch den Sachverständigen Prof. Nedopil begründen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 25]

Das exakte Gegenteil ist der Fall. Auf Prof. Nedopil kann sich das Gericht bei dieser „Gesamtschau“ nicht berufen.

Nedopil:

Dazu gehört zB. zu den Auffälligkeiten das Verdunkeln der Zimmer, in denen er lebte, irgendwo auch das Verstecken auf dem Zwischenboden, als ihn die Polizei habe festnehmen wollen und auch die Teilnahme und Bewertung dieser Montagsdemonstration in Nürnberg, die zusammen mit Jugendlichen erfolgt ist und die im Grunde als wesentlich größer und bedeutsamer angesehen wurde als vom Umfeld angesehen. Auch das Nachspionieren von Menschen aus dem vermuteten

Umfeld der Ehefrau und der Frau.

 

Das sind Auffälligkeiten, die der psychiatrischen Erklärung bedürfen. Diese Auffälligkeiten führen aber zu keiner Diagnose. Auch das ausgeprägte Misstrauen und die Verweigerungshaltung ist allein kein untrügliches Zeichen für irgendeine psychiatrische Erkrankung, sondern kann durchaus auch die Folge sein von Verbitterung eines Menschen, der keinen psychischen Leidensdruck verspürt, sich also nicht krank spürt und sich zu Unrecht der Psychiatrie ausgeliefert fühlt und sich dann mit den zur Verfügung stehenden Kräften gegen eine Einweisung und Unterbringung wehrt.

Für einen Psychiater wirkt die Situation jedoch dann psychopathologisch und pathologisch, wenn sich das Denken des Betroffenen in einem geschlossenen System bewegt, in dem alle Erlebnisse, alle Vorkommnisse und Verhaltensweisen, die er in der Umwelt erfährt, mit Hilfe dieses Systems erklärt werden. Entscheidend ist für die damals gestellte Diagnose aus retrospektiver Sicht nicht, dass Herr Mollath Geldverschiebungen seiner Frau in die Schweiz behauptete oder dass sie die HVB, ihren Arbeitgeber, hinterging, sondern dass diese Geldverschiebungsmachenschaften nahezu alle Ereignisse, die Herrn Mollath widerfuhren, erklären konnten und dass er für andere Erklärungsmodelle

praktisch nicht mehr zugänglich gewesen ist. Eine solche Einengung könnte man annehmen im Umgang mit der Befangenheitsanzeige des Dr. Wörthmüller.

[…]

Allerdings kann aus diesem Denken allein auch noch kein Wahn belegt werden, zumal im Vorfeld der Ereignisse eine Reihe von Initiativen von Seiten seiner Frau ausgegangen sind, die eine Unterbringung von Herrn Mollath in einem psychiatrischen Krankenhaus zum Ziel hatten, dass also durchaus Maßnahmen gegen ihn in die Wege geleitet wurden, gegen die er sich nicht wehren konnte und die auch jeden anderen Menschen hätten misstrauisch machen können.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 9 f.]

Ich will hier nicht darauf eingehen, daß Nedopil den Sachverhalt im Zusammenhang mit der Befangenheitsanzeige von Dr. Wörthmüller im Jahr 2004 nicht einmal ansatzweise erfaßt hat. Es steht jedenfalls fest, daß Nedopil kleine Indizien für die bloße „klinische“ Verdachtsdiagnose „Wahnstörung“, die weiter abzuprüfen wäre, aber mangels Exploration nicht abgeprüft werden konnte, erst ab der Krisensituation 2004/2005 sieht, als die Maschinationen der Ehefrau Gustl Mollath in die Defensive und erstmals – in auch noch rechtswidrige – Unterbringungen in die forensische Psychiatrie brachten.

Nedopil:

Gleichzeitig muss auch festgestellt werden, dass die Schreiben von Herrn Mollath in sich nicht unlogisch sind, dass sein Vortragstil bei allen Vorwürfen zumeist sachlich bleibt, dass seine Darstellungen formal gegliedert und nachvollziehbar sind, so dass aus den Schriftsätzen nicht auf Denkstörungen geschlossen werden kann und diagnostische Hypothesen aufgrund der Schreiben von Herrn Mollath aus Sicht des Unterzeichners nicht gerechtfertigt sind, auch nicht aufgrund seines Auftretens vor Gericht. Diese Aussage bedeutet nicht, dass bei Herrn Mollath diagnostische Überlegungen prinzipiell verfehlt wären, sie lassen sich jedoch nicht anhand der mir vorliegenden Unterlagen und auch seines Auftretens verifizieren oder falsifizieren. Selbst eine diagnostische Hypothese, die über die Persönlichkeitsbeschreibung hinaus geht und die Annahme einer Persönlichkeitsstörung begründen würde, wäre dadurch nicht gerechtfertigt.

Der Inhalt der Schriftsätze geht jedoch in den Jahren 2004 und 2005 über das hinaus, was aufgrund des allgemeinen Menschenverstandes und auch aufgrund psychiatrischer Überlegungen als realitätskonform zu bezeichnen ist. So ist es nicht mit der Realität zu vereinbaren, dass ein Arzt zu Schwarzgeldschieberkreisen gehört, nur weil er der Nachbar eines Mitarbeiters einer Bank ist, bei der möglicherweise Schwarzgeld verschoben wird, und es ist auch nicht mit dem allgemeinen Erfahrungshintergrund zu vereinbaren, dass ein Arzt im Sinne einer Bank begutachten würde, weil er ein Konto bei dieser Bank hat. Herr Lippert hat das in der Hauptverhandlung verneint.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 11]

Auch im Fall Lippert geht Nedopil am Sachverhalt vorbei; erstmals hat Mollath gegenüber Dr. Simmerl im Jahr 2007 eine Erklärung abgegeben, aus welchen Gründen er die Termine des bestellten Gutachters Lippert Ende 2003/Anfang 2004 nicht wahrgenommen habe. Hierbei unterlag er der Fehlerinnerung, daß Lippert ein Konto bei der HVB gehabt habe, und sagte zu diesem Thema:

Schließlich sei es dann in der Verhandlung so weit gekommen, dass der Richter beschlossen hätte, er müsse auf seinen Geisteszustand hin untersucht werden. Es sei ein Beschluss gemacht worden, dass ein Dr. Lippert aus Nürnberg als Gutachter bestellt werde. Seiner Meinung nach sei das Ganze ein abgekartetes Spiel gewesen.

Er sei dann zu dem Dr. Lippert nicht hingegangen, weil er zunehmend die Angst entwickelt hätte, dass der mit seiner Frau unter einer Decke stecke. Es sei ihm auch verdächtig vorgekommen, dass dieser Dr. Lippert auf seinem Anschreiben ein Konto der Hypo Vereinsbank angegeben hätte. Er wisse, dass dies vielleicht als paranoid ausgelegt werde, er habe aber kein Vertrauen mehr zu Leuten, die eventuell zu den Kunden seiner Frau gehört haben könnten.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Gutachten-Simmerl-2007-09-26.pdf

[S. 20]

Es geht natürlich nicht an, aus einer ersichtlichen Erinnerungsrekonstruktion im Jahr 2007 ein Indiz für ein geschlossenes Denksystem in den Jahren 2004/2005 zu basteln. Es verbleibt vielmehr bei Nedopils Erklärung, daß Gustl Mollath zurecht mißtrauisch gewesen war, nachdem seine Frau ersichtlich auf seine Psychiatrisierung hingearbeitet hat, was sich in jener Hauptverhandlung vom 25.9.2003 erstmals offenbarte. Zwei Tage vor dieser Hauptverhandlung hatte seine Ehefrau die listig erwirkte rechtswidrige ärztliche Stellungnahme der damals noch Frau Dr. Krach vom 18.9.2003 dem Gericht zukommen lassen, das daraufhin den „gefährlichen“ Angeklagten noch vor Sitzungsbeginn durch eigens bestellte Polizei auf Waffen durchsuchen ließ. Und das, nachdem der unbegründete Vorwurf der Nebenklägerin, ihr Mann besitze scharfe Waffen, bereits widerlegt worden war. In dieser Hauptverhandlung erging der Beschluß, den Angeklagten durch den Hausgutachter des Amtsgerichts Nürnberg,Thomas Lippert, dessen auschließliches Geschäftsfeld öffentlich-rechtliche Gutachten sind, hinsichtlich seiner Schuldfähigkeit untersuchen zu lassen.

Unbegreiflicherweise war Prof. Nedopil bei der aufschlußreichen Vernehmung der heutigen Frau Krach-Olschewsky nicht anwesend. Da wären ihm die Augen aufgegangen, hätte er mitbekommen, mit welchen Tricks die Vermögensberaterin Petra Mollath ihre Kundin, die Psychiaterin, eingewickelt hat, bis sie das erwünschte Papier in Händen hielt. Mit der sie Anfang 2002, schon auf dem Absprung zu dem neuen Lebensgefährten, bereits ein entsprechend trauliches Frau-zu-Frau-Gespräch bei einer Tasse Kaffee über Eheprobleme geführt und sich dabei als Kümmerin profiliert hatte.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-10.pdf

[ab S. 42]

Die Unterrichtung Prof. Nedopils über die Vernehmung der Kollegin war unzulänglich:

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-17.pdf

[S. 36]

Wie die Ehefrau vorgegangen ist, läßt sich im Plädoyer der Verteidigung nachlesen:

VRiinLG Escher: Der Klarstellung wegen, war das klar, dass das Attest in ein Strafverfahren eingeführt werden kann oder wird? Oder in die Scheidung?

Strafverfahren, Hauptverhandlung, war nicht Thema?

 

Krach-Olschewsky: Nein.

 

Hier ist mehreres bemerkenswert:

Frau Mollath berichtet nicht, was sie schon am 15.5.2003 dem Amtsrichter in Berlin gegenüber erklärt hat:

Er (d.i. Mollath) hat durch Denunziation dafür gesorgt, dass ich meine Arbeitsstelle verliere.“

 

Sie berichtet auch nicht, dass am Tag zuvor der Verlust des Arbeitsplatzes durch den beim Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich endgültig geworden ist. Stattdessen stellt sie ihre berufliche Situation so dar,

dass der Mann versucht habe, an ihrem Arbeitsplatz den Arbeitgeber zur Kündigung zu bewegen, indem er beschuldigende Briefe schreibt, …“

 

Auf keinen Fall will Petra Mollath bei der Ärztin den Eindruck erwecken, ihr Besuch und das erwünschte Attest habe irgendetwas mit Ranküne oder gar mit Rache zu tun. Hierzu gehört auch, dass sie den Gegenstand des anstehenden Gerichtsverfahrens verändert. Dass der bevorstehende Gerichtstermin mit den Körperverletzungsvorwürfen zu tun hat, die Petra Mollath selbst gegen ihren Ehemann erhebt, verschweigt sie ebenso. Stattdessen ginge es in diesem Verfahren um folgendes:

Sie hat erzählt, dass Herr Mollath in das Haus, in dem sie wohnt, eingedrungen ist, da habe der Bruder mit drin gewohnt, der muss wohl den Zugang verwehrt haben, da habe es wohl eine Rangelei im Treppenhaus gegeben, das war das, was sie als Zeugin bestätigen sollte.

 […]

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Plaedoyer-Verteidigung.pdf

[S. 23]

Was hat das Landgericht Regensburg sonst noch als Indiz für eine nicht ausschließbare Wahnstörung aufzubieten?

Aber auch das Verhalten des Angeklagten in den Hauptverhandlungen vor dem Amtsgericht Nürnberg und dem Landgericht Nürnberg-Fürth, so wie von den damaligen Verfahrensbeteiligten beschrieben, zeigt Auffälligkeiten, die den Schluss

nahelegen, dass sich der Angeklagte deutlich verrannt hatte, wie es auch der Zeuge Simmerl ausdrückte, und der Angeklagte deshalb in bestimmten Situationen nicht mehr in der Lage war, angemessen zu reagieren.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 26]

Das sind „Auffälligkeiten“ von April 2004 und August 2006, die von Prof. Nedopil mangels Erheblichkeit nicht eigens erwähnt wurden. Nicht Simmerl bewertet irgendetwas als „verrannt“, er gibt in seinem Gutachten lediglich die Selbsteinschätzung seines Probanden wieder, was nun gerade nicht auf eine progrediente Wahnstörung à la Dr. Leipziger schließen läßt:

Herr Mollath schilderte bei der ausführlichen Exploration umfangreich, detailversessen, aber jederzeit nachvollziehbar u. geordnet seine subjektive Sicht der in den letzten Jahren vorgefallenen Ereignisse, die schließlich zur Unterbringung im Maßregelvollzug führten. Er wirkte dabei psychomotorisch ruhig, im Affekt adäquat u. ließ auch kritische Nachfragen zu.

Er war ebenso dazu in der Lage einige seiner Thesen kritisch zu hinterfragen u. einzuräumen, dass er sich in gewissen Ausnahmesituationen in seinen Überzeugungen „etwas verrannt“ haben könnte.

Mit absoluter Gewissheit blieb er allerdings bei seiner Darstellung der tatsächlichen oder vermeintlichen Schwarzgeldkonten seiner geschiedenen Ehefrau in der Schweiz, die er als Ausgangspunkt sämtlicher folgender Ereignisse sieht.

Der Unterzeichner vermag nicht mit letzter Sicherheit den Wahrheitsgehalt der Aussagen des Herrn Mollath zu beurteilen. Ob es sich dabei tatsächlich um Wahneinfälle, um verzerrt wahrgenommene Begebenheiten mit „gewissem realistischen Kern“ oder tatsächlich um die Wahrheit handelt, vermag der Unterzeichner nicht mit Sicherheit zu sagen.

Es kann allerdings festgestellt werden, dass die Schilderungen des Betroffenen nicht bizarr, völlig unrealistisch oder „kulturfremd“ waren. Diese Kriterien, die für schizophrenietypische Wahnideen genannt werden, sind mit Sicherheit nicht erfüllt.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Gutachten-Simmerl-2007-09-26.pdf

[S. 34]

Damit unterschied er sich ja schon einmal angenehm von Dr. Leipziger, der weder seine zugrundegelegte Definition von Wahn (davon gibt es in der vagen Wissenschaft der Psychiatrie, die sich lediglich in ihrer Pharma-Therapie auf „Naturwissenschaft“ beruft, viele) erklärt noch erläutert hatte, wieso er den Schwarzgeldkomplex für wahnhaft hielt. Nedopil ist mit keinem Wort auf Dr. Leipzigers absurde Alternativ-Pathologisierung „Schizophrenie“ eingegangen. Das ist wohl die Höchststrafe unter Kollegen.

Das Regensburger Gericht weiter:

Die Kammer sieht damit die Möglichkeit einer wahnhaften Störung beim Angeklagten, und zwar auch für das Jahr 2001.

Zwar sind die dargestellten Verhaltensauffälligkeiten weitgehend erst für den Zeitraum ab dem Jahr 2002 beschrieben worden, jedoch ist der zeitliche Zusammenhang zum Tatzeitpunkt August 2001 doch sehr eng, und es liegen auch bereits zig Schreiben aus den vorangegangenen Jahren vor.

So hat auch der Sachverständige Prof. Nedopil ausdrücklich den Schluss gezogen, dass eine wahnhafte Störung beim Angeklagten bereits im Jahr 2001 vorgelegen haben kann. Eine solche wahnhafte Störung ist dem vierten Eingangskriterium des § 20 StGB zuzuordnen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 27]

Diese Passage belegt die Willkür des Gerichts zur Genüge. Mag Nedopil auch noch so nebulös formuliert haben in seinem Bemühen, die grob fahrlässig vorbegutachtenden Kollegen zu schonen: an keiner Stelle seines Gutachtens kann sich die Kammer wirklich auf ihn berufen. Es sei denn, daß sie die Anforderung an ein Gericht, ein ihm vorgelegtes Gutachten kritisch zu würdigen, komplett aufgegeben hat.

Wenn Nedopil, im Widerspruch zu seinen vorangegangenen Findungen, plötzlich Theorien zum Schutz von Dr. Leipziger, wie die nachfolgende, von sich gibt, dann muß ein unabhängiges Gericht derartige logische Fehler juristisch bewerten, wie es immerhin der Staatsanwaltschaft gelungen ist, die zurecht von einer vollen Schuldfähigkeit von Gustl Mollath ausgegangen ist (und zu Unrecht von dessen Täterschaft – welche Persönlichkeit muß man haben, um ein derartiges neben der Sache liegendes Plädoyer zu halten, und das nach Erwirken der Wiederaufnahme zugunsten des Angeklagten?)

Ich verstehe dieses Phänomen nicht. Als Staatsanwalt, schon gar nicht als Oberstaatsanwalt am üblichen Ende der Karriere, ist man doch frei und kein Mietmaul.

Aber lauschen wir weiter den psychiatrischen Kaffeesatz-Erwägungen.

Aber es bleibt die Unsicherheit. Die forensische Zuordnung und deren Auswirkung würden aus meiner Sicht heute anders erfolgen als im Jahr 2006. Aus meiner Sicht ist aufgrund der Tatsache, dass eine Rekonstruktion der Motivationskette unmöglich war, weil sich Herr Mollath einer Exploration entzog, nicht nachweisbar, dass die möglicherweise vorhandene psychische Störung für sein Verhalten ausschlaggebend war. Somit ist eine positive Annahme einer erheblich beeinträchtigten oder aufgehobenen Steuerungsfähigkeit nicht zu belegen. Allerdings ist die Annahme einer wahnhaften Störung zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Taten nicht abwegig – wobei ich sagen muss im Hinblick auf die Krisensituation nicht dauerhaft – das bezieht sich auf die Aussage des Verranntseins. Deshalb kann eine verminderte oder aufgehobene Steuerungsfähigkeit nicht mit Sicherheitausgeschlossen werden. Allerdings lässt sich – auch bei der Beurteilung im Jahr 2005 – eine solche Annahme nur in Bezug auf die Übergriffe auf die Ehefrau rechtfertigen, da hier das Handeln möglicherweise in einem motivationalen Zusammenhang mit den damals vermuteten Falschüberzeugungen gestanden hat. Die Annahmen von Herrn M. hatten dann retrospektiv einen realen Kern, so dass aus heutiger Sicht ein Handeln aus einer wahnhaften Motivation heraus kaum angenommen werden kann.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 15]

Man muß das übersetzen. Anhaltspunkte für eine Verdachtsdiagnose „Wahnstörung“, die mangels Exploration weder verifiziert noch falsifiziert werden kann, (Dr. Leipziger verifizierte auch ohne Exploration mit „Gewißheit“) gab es laut Nedopil erst in der Krise 2004/2005, als seine Ex-Frau erfolgreich die Psychiatrisierung ihres Mannes betrieb. Insoweit ist ein Rückschluß auf den 12.8.2001 nicht möglich. Daß Nedopil sich überhaupt der abstrakten Frage widmete, inwieweit sich die Verdachtsdiagnose auf die Schuldfähigkeit ausgewirkt hat, liegt daran, daß insbesondere der Vorgutachter Dr. Leipziger sich mit diesem forensischen Problem überhaupt nicht beschäftigt hat.

Er sprang vielmehr nach selektiver Auswertung der Akten sowie derjenigen der verfassungswidrigen Beobachtungen Dritter während der Freiheitsberaubung in seiner Forensik (letztere wurden in dem neuen Verfahren als Anknüpfungstatsachen wegen rechtlicher Unverwertbarkeit ausgeschieden) unter Umgehung eines Befundes unmittelbar auf drei sich ausschließende Diagnosen, die mit Gewißheit auch zu den Tatzeiten vorgelegen hätten, und entwickelte anhand einer bloßen polizeilichen, juristisch noch gar nicht ausgewerteten, Akte mit zwanzig Sachbeschädigungsvorwürfen, die ihm unzuständigerweise vom auftraggebenden Richter zugespielt worden war, eine Gefährlichkeitsprognose. Inwieweit sich die unterschiedlichen unterstellten Krankheitsbilder auf die Unrechtseinsicht oder Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit ausgewirkt haben könnten, Kernstück eines forensischen Gutachtens, blieb ununtersucht.

Man lese sich dieses oberflächliche Gutachten im Lichte der Ausführungen Nedopils noch einmal durch:

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Gutachten-Leipziger-2005-07-25.pdf

Just diese angeblich raffiniert-gefährlichen Sachbeschädigungen, die die Gefährlichkeitsprognose stützen sollten, gab es überhaupt nicht, wie der Sachverständige Rauscher hervorhob. Da seinerzeit kein einziger Reifen in Augenschein genommen worden war und seinerzeit entweder gar keine oder nur oberflächliche Zeugenaussagen über die Art der Beschädigungen vorlagen, war es ihm aus wissenschaftlich-technischer Sicht nicht einmal möglich, von mutwilligen Sachbeschädigungen auszugehen, da sich natürliche Ursachen für Druckverluste nicht ausschließen ließen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-23.pdf

[S. 6 ff.]

Der von der Ex-Ehefrau, ihrem neuen Lebensgefährten und von zwei Anwälten aus deren Lager geschürte Tatverdacht hatte sich in keiner Weise bestätigt – die diesbezügliche Verurteilung von 2006 war ein ersichtliches Fehlurteil, und die maßgeblich hierauf gestützte Gefährlichkeitsprognose, die Gustl Mollath über sieben Jahre Psychiatrie verschaffte, ebenso.

Nedopil kommt bei der abstrakten Prüfung eines möglichen Zusammenhangs von Diagnose und Taten zu diesem erschütterndem Ergebnis [Hervorhebung von mir]:

Nedopil:

Bei den Übergriffen auf die damalige Ehefrau, sofern sie denn vom Gericht zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden sollten, stand Herr Mollath in einer massiven ehelichen Krise, die zur Trennung der Ehefrau führte. Es bestand ein sich über mehrere Jahre hinziehender massiver Streit, der auf einer realistischen Grundlage basierte und zu offensichtlich sehr verhärteten Fronten geführt hatte, z.B. Wegsperren der Autos etc.. In Anbetracht der von Herrn Dr. Simmerl beschriebenen Persönlichkeit des Herrn Mollath, die sich mit der Beschreibung der anderen Gutachter deckt, dürfte eine Kompromissfindung auch dann nicht einfach gewesen sein, wenn man die anderweitige Orientierung der damaligen Ehefrau außer Acht lässt. Mangelnde Kompromissbildung in einer Ehekrise führt in aller Regel zu einer raschen Trennung oder zu einer Eskalation, zumal wenn einer oder beide Ehepartner übernachhaltig auf seinen Einstellungen beharrt. Diese Eskalation könnte ein rationales, für andere nachvollziehbares Denken und Handeln verhindert und auch ein ausgeprägtes Misstrauen bedingt haben. Aus meiner Sicht ist es notwendig zu prüfen, inwieweit durch einen Wahn, sofern er gehandelt haben sollte, das Steuerungsvermögen über das hinaus in Mitleidenschaft gezogen sein sollte, was aufgrund der kritischen ehelichen Situation ohnehin zu erwarten gewesen wäre.

 

Vergleichbare Überlegungen müssen auch in Bezug auf das Aufstechen von Autoreifen angestellt werden, wenn diese Taten weiterhin Herrn Mollath zugeordnet werden sollten. In keinem Gutachten wurde begründet, inwiefern diese Taten wahnhaft motiviert gewesen sein könnten, oder inwieweit ein Wahn die Schuldfähigkeit oder Einsichtsfähigkeit tangiert haben sollte. Das fällt auch insofern schwer, als Autoreifen von Personen angestochen waren, die Herr Mollath als Gegner sehen konnte – und dazu gehören auch Psychiater, die einen Menschen einweisen, wie auch Menschen, die nicht in die Kategorie der Gegner fallen wie der Manager aus München.

Wenn aber ein Zusammenhang zwischen Wahn und Handlung nicht hergestellt werden kann, ist es wenig nachvollziehbar, warum für diese Handlung eine verminderte Steuerungsfähigkeit angenommen werden müsste. Es ist dann auch nicht schlüssig, warum aus dem Wahn eine Gefährlichkeit abzuleiten ist. Das bedeutet nun wiederum nicht, dass die Annahme eines Wahns und auch die Annahme von Gefährlichkeit widerlegt wären, es bedeutet nur, dass eine angenommene Gefährlichkeit nicht aufgrund einer psychischen Störung bestand, die bei Herrn Mollath diagnostiziert wurde.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 13]

Das heißt: ist es schon angesichts der realen Ehekrise schwierig, einen tatauslösenden oder die Schuldfähigkeit tangierenden Zusammenhang zwischen Verdachts-Diagnose und Körperverletzung der Ehefrau zu konstruieren, so scheidet dieser hinsichtlich der Reifenstechereien aus. Damit fehlt es an der maßgeblichen Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß § 63 StGB, nämlich an der Gefährlichkeit, die sich aus dem Zustand des Täters ergeben muß.

Dr. Leipzigers Gutachten ist widerlegt. Warum Prof. Nedopil in diesem Zusammenhang nicht darauf eingeht, daß Dr. Leipziger auch hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Ehefrau eine konkrete Auswirkung der angenommenen Krankheitsbilder auf die Schuldfähigkeit nicht untersucht hat, läßt sich nur mit kollegialer Rücksichtnahme erklären. Herrn Prof. Kröber, der sich desselben Fehlers befleißigt hatte, widerspricht er dagegen offen:

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 59]

Festzuhalten bleibt, daß Nedopil für den abstrakten Fall, daß die Kammer eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit positiv feststellen sollte, zur Gefährlichkeitsprognose, bezogen auf die Körperverletzungsvorgänge, zu folgendem Ergebnis kam:

Wenn man die Voraussetzungen für aufgehobene oder verminderte Schuldfähigkeit nicht positiv annimmt, dann entfallen schon die formalen Voraussetzungen.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 16]

Dies galt auch schon für die Zeit der Gutachtenerstattung von Dr. Leipziger (Juli 2005 und August 2006): eine Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Körperverletzungsvorwürfe schied aus – genau aus diesem Grund erkundigte er sich nach einem neuen Verfahren, das ihm dann auf dem Silbertablett serviert wurde. Nach der gründlichen Hauptverhandlung in Regensburg blieb von diesen „aktuellen“ Sachbeschädigungsvorwürfen nichts übrig außer der Gewißheit, daß die Verurteilung im Jahr 2006 einen eklatanten Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellt.

In Prof. Nedopils mündlicher wie schriftlicher Stellungnahme gibt es einen Satz, den die Kammer mit großer Aufmerksamkeit registriert hat; kennt man das Ergebnis der Urteilsberatung dieser Kammer, fällt einem auch ein, wieso ihr dieser Satz nicht gefallen konnte. Hier hakt zunächst die Vorsitzende nach [Hervorhebungen von mir]

VRiinLG Escher: Dann doch gleich im Zusammenhang. Bl. 109 sind wir uns nicht ganz sicher, wie wir den Satz, der ist etwa in der Mitte Bl. 109, verstehen sollen: Die Annahmen von Herrn Mollath hatten einen realen Kern, so dass ein Handeln aus wahnhafter Motivation kaum angenommen werden kann?

 

Prof. Nedopil: Also: erstens hatten die einen realen Kern, in dem Sinn, dass Frau Mollath ja tatsächlich wiederholt an die Justiz herangetreten ist, an dieStA, an das Gericht, wann bringt ihr den denn endlich unter. Das ist ein realer Kern, der ist nicht zu bestreiten. Der zweite: Dass im Revisionsbericht steht, es könnte sein, wenn Herr Mollath an die Öffentlichkeit tritt, dass dies Konsequenzen für die Bank hat. Das ist auch ein realer Kern. Das sind auch die Kerne, die Grundlage seiner Überzeugungen sind. Das wussten aber zumindest in Bezug auf die Bank der damalige Gutachter und der damalige Psychiater nicht. Dieser Revisionsbericht ist ja erst später in die Öffentlichkeit gekommen, obwohl er schon vorher da war.

 

VRiinLG Escher: Deshalb kann eine verminderte oder aufgehobene Steuerungsfähigkeit nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Und jetzt tu ich mir hart, dass es jetzt hier heißt: dass ein Handeln aus wahnhafter Motivation heraus kaum angenommen werden kann. Bedeutet das, dass § 20/21 offen geblieben ist?

 

Prof. Nedopil: Ja. Also kaum – also nicht angenommen werden kann. Aus meiner

Überzeugung: das Handeln hat so viel realen Hintergrund, dass ich aus heutiger Sicht und zwar mit dem Wissen um den Revisionsbericht sagen würde, da ist so viel mehr an realen Grundlagen da, dass ich eine wahnhafte Motivation gar nicht mehr wirklich annehmen kann, obwohl er durchaus wahnhafte Aspekte drin hat wie bspw. die Übertragung, dass Wörthmüller Teil des Systems ist, dass Lippert Teil des Systems ist. Das sind sicher Sachen, die die Realitätsbasis verlassen. Aber der Kern – ok – übermäßiges Misstrauen, wo die Grenze überschritten ist, kann man nicht sagen aus der Ferne. Ich würde sagen, dass es bzgl. Wörthmüller und Lippert die Grenze überschritten hat, aber nicht bzgl. der Auseinandersetzungen der Frau.

VRiinLG Escher: Offen geblieben? Aber Wahrscheinlichkeit?

Prof. Nedopil: Offen geblieben. Es heißt kaum, also es ist eine geringe Wahrscheinlichkeit da, aber bei weitem nicht überzeugend. Und das auch nochmal: aus retrospektiver Sicht.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 18]

Gell, Frau Dr. Merk, jetzt geht sogar Ihnen wohl der Zusammenhang zwischen dem Sonderrevisionsbericht der HVB und der Wahndiagnose auf?

Damit blieb von dem ohnehin nur rein hypothetischen Wahn praktisch nichts mehr übrig. Unmöglich, auf dieser Basis sogar eine komplette Schuldunfähigkeit, und dann auch noch für die Tatzeit 12.8.2001, nicht ausschließen zu können. Man muß den Schluß ziehen, daß das Gericht nicht ausschließen wollte und ergebnisorientiert vorging.

Hier noch einmal ein Statement von Nedopil auf Frage des Gerichts:

Also insofern richtig, dass ich sage: ich kann keine dieser beiden Störungen positiv belegen, ich kann aber auch nicht ausschließen, dass die Persönlichkeitsstörung vorhanden ist und ich kann auch nicht ausschließen, dass zum Zeitpunkt dieser Krise, dass sich das so zugespitzt hat, dass eine wahnhafte Störung vorgelegen haben könnte.

VRiinLG Escher: Zum Zeitpunkt der Ehekrise. Zum Zeitpunkt der andern Vorwürfe?

Prof. Nedopil: Eher nicht. Das war ja 2004/2005.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 17]

Da mißversteht die Vorsitzende die mehrfach von Nedopil erwähnte Krise von 2004/2005, als Gustl Mollath zwangsweise mit der forensischen Psychiatrie Bekanntschaft machen mußte, prompt als Ehekrise, so sehr denkt sie schon an das Wunschergebnis.

Die beisitzende Richterin Koller versucht danach noch zu retten, was eigentlich nicht mehr zu retten ist:

RiinLG Koller: S. 109 zurück. Wenn Sie sagen, dass ein Handeln aus wahnhafter Motivation kaum anzunehmen ist – dann ist es Ihre Einschätzung aus Ihrer heutigen Sicht. D.h. aber nicht, dass eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit gleichwohl ausgeschlossen werde könnte?

Prof. Nedopil: Richtig. Es sind ja zwei Quantifizierungen, die in diesem Satz enthalten sind. Eine: wie weit geht die Beeinträchtigung und die zweite wie wahrscheinlich ist sie? Und die eine Quantifizierung, also wie weit geht die Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit, da würde ich sagen: das kann man rückblickend und ohne Exploration nicht wirklich beurteilen. Es könnte sein, dass sie auch aufgehoben wäre. Ich halte das für nicht wirklich wahrscheinlich, aber ich kann es auch nicht mit letzter Sicherheit ausschließen. Die Verminderung der Steuerungsfähigkeit ist aus unterschiedlichen Gründen eher wahrscheinlich, aber auch nicht sehr wahrscheinlich und zwar deswegen – will nicht sagen aus welchen Gründen, das würde es verkomplizieren – dass er damals in einer tatsächlichen Ehekrise war, dass es zu Auseinandersetzungen kam, dass es auch aus der affektiven Belastung zu einer Beeinträchtigung hätte kommen können, die nicht zur Aufhebung führt. Das ist wahrscheinlich – das ist aber auch nicht so, dass ich davon überzeugt bin, wie ich auch – das muss ich auch sagen – wie ich auch von der Diagnose des Wahnes auch nicht wirklich überzeugt bin. Das habe ich, glaube ich, deutlich genug gesagt.

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf

[S. 19]

Dieses vage Herumschwimmen in Meinungen, Überzeugungen, Wahrscheinlichkeiten und letzten Sicherheiten ohne auch nur einen einzigen validen tatsächlichen Anknüpfungspunkt, dazu noch kontaminiert durch den logischen Bruch, eine hypothetisch vorliegende Wahnstörung in die Zeit der Krise 2004/2005 zu verlegen, bietet nicht die geringste Basis für das von der Kammer gefundene Ergebnis, für den 12.8.2001 eine Schuldunfähigkeit nicht ausschließen zu können.

Die Transkriptionen, die RA Strate ermöglicht hat, offenbaren einen unmittelbaren Einblick darin, wie sich sogar ein zurecht gelobter Ausnahme-Psychiater in einer Situation, in der er nichts weiß, um Kopf und Kragen redet.

Die Zunftvertreter von der DGPPN sollten ihre sachlich falsche Presseerklärung vom 19.8.2014 dringend überarbeiten:

Presseinformation

19. August 2014

Nach dem Fall Mollath: Bundesweite Reform des Maßregelrechts konsequent vorantreibenGustl

 

Mollath war zunächst aufgrund angenommener Gefährlichkeit in die Forensische Psychiatrie eingewiesen worden. Man hatte ihn für schuldig befunden, seine damalige Ehefrau im Rahmen von Ehestreitigkeiten gewürgt und zahlreiche Autoreifen jener Personen aufgestochen zu haben, die er im Zusammenhang mit den (mittlerweile nachgewiesenen) unlauteren Finanzgeschäften seiner damaligen Ehefrau und der Scheidung gesehen hatte.

 

Das Schicksal des Gustl Mollath sorgte auch deshalb für Aufsehen, weil Symptome einer psychischen Störung und völlig sachgemäße Aussagen dicht beieinander lagen. Kritisiert wurde außerdem, dass die Sachverständigen Gutachten nach Aktenlage fertigten, nachdem Herr Mollath von seinem Recht Gebrauch machte, sich nicht untersuchen zu lassen.

 

Die Wiederaufnahme des Falles, der als Lackmusprobe für die Forensische Psychiatrie gelten kann, hat nun als Ergebnis erbracht, dass Herr Mollath seine Frau tatsächlich misshandelt haben soll. Das Gericht ging erneut von einer möglichen wahnhaften Störung mit Realitätsverlust bei Gustl Mollath zur Tatzeit aus und sprach ihn deswegen von seiner Tatschuld frei im Sinne des § 20 StGB. Da das Gericht jedoch gleichzeitig die im ursprünglichen Urteil angenommene Gemeingefährlichkeit verneinte, welche zur Unterbringung in der Forensischen Psychiatrie geführt hatte, steht Gustl Mollath nun eine Entschädigung zu.

http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/pressemitteilungen/2014/2014-08-19-DGPPN-Pressemitteilung-Ma%C3%9Fregelvollzug.pdf

Urmutter solcher Desinformation ist natürlich die Pressestelle des Landgerichts Regensburg, die das Urteil auf eine Art und Weise verkaufte, daß sowohl die Justiz als auch die ihr zuarbeitende Psychiatrie maximal geschützt wurde.

Zum Freispruch kam es insofern dennoch, weil der Angeklagte nach Einschätzung des Gerichts zur Tatzeit möglicherweise schuldunfähig war. Die Kammer schloss sich diesbezüglich der Beurteilung des hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen an.

Letzterer habe Anhaltspunkte für eine beim Angeklagten eventuell bestehende wahnhafte Störung festgestellt und mangels hinreichend aussagekräftiger gegenteiliger Anknüpfungstatsachen, vor allem aber mangels Mitwirkung des Angeklagten an einer Exploration, nicht ausschließen können, dass dessen Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat krankheitsbedingt aufgehoben gewesen sei.

[…]

Anlass zur erneuten Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus sah die Kammer, wiederum ausgehend von den Ausführungen des in der Hauptverhandlung zu Rate gezogenen psychiatrischen Sachverständigen, nicht. Dessen Gutachten habe verdeutlicht, dass eine Diagnosestellung und ein Gefährlichkeitsnachweis mit den heute noch zur Verfügung stehenden, vom Vorprozess abweichenden Erkenntnismöglichkeiten nicht zu leisten seien.

http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/gerichte/landgerichte/regensburg/pressemitteilung2014-5/pressemitteilung_2014_5_urteil.pdf

Diese Mitteilung stellt nicht nur das Nedopil-Gutachten, sondern auch die mündliche Urteilsbegründung der Kammer auf den Kopf; ich will nicht hoffen, daß das schriftliche Urteil sich dieser Presseeerklärung annähern wird. Man muß es allerdings befürchten, was die ohnehin geringen Chancen des Erstreitens einer Zulässigkeit der Revision weiter schmälern wird.

Hier die mündliche Urteilsbegründung, in der die Stellungnahme von Prof. Nedopil bereits durch Weglassungen verunklart wird:

Da nicht nur die Möglichkeit der Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden konnte, sondern auch die Möglichkeit der vollen Schuldfähigkeit bei Tatbegehung nicht ausschließbar war, so der Sachverständige, das heißt, letztlich die Frage, ob der Angeklagte zur Tatzeit 12.08.2001 schuldunfähig, vermindert schuldfähig oder voll schuldfähig war, nicht geklärt werden konnte, wie Prof. Nedopil nachvollziehbar ausgeführt hat, kam die Anordnung einer Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus nach § 63 StGB von vornherein nicht in Betracht. Hierfür müsste eben zumindest positiv feststehen, dass der Angeklagte die Tat vom 12.08.2001, diese rechtwidrige gefährliche Körperverletzung, im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Das ist nicht der Fall.

Im Übrigen ist auch eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit – eine weitere Voraussetzung des § 63 StGB – nicht gegeben.Eine solche Gefährlichkeit stellt der Angeklagte nicht dar. Hierfür spricht nichts, so auch der Sachverständige Prof. Nedopil. Insbesondere ist diesbezüglich auch festzuhalten, dass seit der Entlassung des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug keinerlei strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen zu verzeichnen sind.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 41]

Ähnlich desinformiert die Presseerklärung über die Gründe des Freispruchs aus tatsächlichen Gründen wegen des Vorwurfs der Ehefrau wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung vom 31.5.2002:

Nachdem durch eine Zeugenaussage in der aktuellen Hauptverhandlung Hinweise erkennbar geworden seien, dass die Nebenklägerin den Angeklagten auch in Gesprächsabsicht aufgesucht habe, hätte es nach Auffassung der Kammer einer ergänzenden Befragung der Nebenklägerin zum Verlauf ihres damaligen Aufenthalts im Tatortanwesen bedurft.

Eine solche sei jedoch nicht durchführbar gewesen, da sich die Nebenklägerin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen habe. Der Freispruch gründete sich in diesem Anklagepunkt also auf einen nicht vollständig geführten Tatnachweis.

http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/gerichte/landgerichte/regensburg/pressemitteilung2014-5/pressemitteilung_2014_5_urteil.pdf

Das ist schon eine Frechheit, den Begriff „Tatortanwesen“ zu benutzen, wenn gerade Freispruch erfolgt ist. Den seinerzeit erhobenen Körperverletzungsvorwurf hatte die Nebenklägerin bereits in der Hauptverhandlung vom 8.8.2006 unter Berufung auf Erinnerungslücken fallengelassen, weshalb dieser tateinheitliche Vorwurf zur Freiheitsberaubung von vorneherein indiskutabel war. Zum Vorwurf der Freiheitsberaubung hatte die Nebenklägerin derartig inkonstante Angaben gemacht, daß sie sie auch bei einem Erscheinen in der Regensburger Hauptverhandlung nicht hätte reparieren können.

Aus der mündlichen Urteilsbegründung zur Freiheitsberaubung:

Was haben wir noch? – Wie bereits gesagt: Unklare bis widersprüchliche

Schilderungen in den Äußerungen der Nebenklägerin sind zu verzeichnen hinsichtlich der Tatörtlichkeit, Arbeitszimmer festhalten, im Schlafzimmer festhalten, im Arbeitszimmer und im Schlafzimmer festhalten, und auch hinsichtlich des Geschehensablaufs, insbesondere ob insoweit die Nebenklägerin lediglich durch körperliche Präsenz des Angeklagten oder durch ein Versperren des Schlosses am Gehen gehindert worden sei. Im letzteren Falle, also im Fall des Zusperrens wäre

das Nutzen einer Schrecksekunde des Angeklagten, die die Nebenklägerin gegenüber verschiedenen Personen geschildert hat und die sie in die Lage versetzt haben soll, aus dem Zimmer zu gelangen, ohnehin nicht nachvollziehbar.

 

Darüber hinaus sind die Äußerungen auch schon zur Frage, ob die Nebenklägerin zusammen mit der Zeugin Simbek zur früheren Ehewohnung gefahren ist oder die Zeugin Simbek nachgekommen ist, nicht einheitlich. Darüber hinaus gibt es auch teilweise Widersprüche zwischen der Aussage der in der Hauptverhandlung ausführlich vernommenen Zeugin Simbek und eben diesen früheren Äußerungen der Nebenklägerin.

 

[…]

 

Die Gesamtschau der gesamten Umstände lässt es zwar als möglich erscheinen, dass der Angeklagte die Nebenklägerin am Verlassen der Wohnung gehindert hat; sicher feststellbar ist dies angesichts der unerklärlichen Angaben der Nebenklägerin

aber nicht.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[ S. 31 ff.]

Diese “unerklärlichen” Angaben reichten 2006 zur Verurteilung wegen Freiheitsberaubung aus, wobei der tateinheitlich erhobene Vorwurf der Körperverletzung, hübsch versteckt, ohne Mitteilung einer Einstellung gemäß § 154 a StPO oder eines offiziellen Teilfreispruchs aus tatsächlichen Gründen (wie hinsichtlich des unbegründeten Vorwurfs der Ehefrau, ihr Mann habe im November 2002 einen an sie gerichteten Brief stehlen (wollen) geschehen, fallen gelassen wurde.

Der Vorwurf war von Anfang an nicht begründet, und das Landgericht Regensburg weiß das. Niemals hätte die Nebenklägerin in einer aktuellen Aussage all diese Widersprüche reparieren können. Auf die Widerlegung der Aussage ihrer hilfreichen Schwägerin kam es überhaupt nicht an.

Den Höhepunkt der Desinformation erreicht der Pressetext des LG Regensburg verständlicherweise in der Darstellung, aus welchen tatsächlichen Gründen wegen der Sachbeschädigungsvorwürfe freigesprochen wurde, denn ein Rechtsbeugungsvorwurf gegenüber dem LG Nürnberg, das am 8.8.2006 beweislos verurteilte, mußte unbedingt abgewehrt werden:

Zwar deuteten mehrere Indizien, unter anderem der enge zeitliche und inhaltliche Zusammenhang mit einem Schreiben, in dem der Angeklagte einen Großteil der geschädigten Fahrzeugbesitzer mit dem von ihm gezeichneten Verschwörungsszenario in Verbindung gebracht habe, auf eine Verursachung durch den Angeklagten hin.

Es fehlten jedoch wichtige, im Ausgangsverfahren noch vorhandene Sachbeweise. Zudem sei das Erinnerungsvermögen der Zeugen aufgrund des langen Zeitablaufs meist erheblich getrübt gewesen, so dass sich die Verdachtsmomente nicht einmal mit Hilfe des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen für Verkehrsunfallanalyse und Kfz-Schäden hätten erhärten lassen.

Von den erhobenen Sachbeschädigungsvorwürfen wurde der Angeklagte infolge dessen wegen eines nicht ausreichend sicheren Tatnachweises freigesprochen.

http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/gerichte/landgerichte/regensburg/pressemitteilung2014-5/pressemitteilung_2014_5_urteil.pdf

Es trifft zwar zu, daß sich das Landgericht Regensburg sämtlicher Hinweise auf die Inszenierung dieser Sachbeschädigungsvorwürfe durch entschlossene Mollath-Gegner im Lager der Ex-Ehefrau entschlagen hat, wie es nun einmal in Bayern Brauch ist. Ein kleiner Seitenhieb gegen die Ex-Ehefrau findet sich dennoch in der mündlichen Begründung::

Der Zeuge Grötsch hat bekundet, die Videoaufnahmen seien damals Petra Mollath vorgelegt worden. Diese habe ausgesagt, Statur und Bewegungsabläufe könnten auf den Angeklagten zutreffen; sie könne das aber nicht sicher sagen. Brillenträger sei ihr Mann jedenfalls nicht gewesen. Jedenfalls: Die vorhandenen Screenshots, von denen der Zeuge Grötsch sagt, diese seien die besten der Aufnahmen gewesen, lassen eine gesicherte Zuordnung auf den Angeklagten nicht möglich erscheinen, zumal er laut Angabe der Zeugin Mollath gegenüber Grötsch kein Brillenträger war, aber jedenfalls alle Ausdrucke den 29.01.2005 betreffend eine Brille an der Person, die sich auf dem Gehweg und dann beim Alfa Romeo der Geschädigten Greger befindet, auszumachen ist. Außerdem trug diese Person dieselbe Kleidung wie auf den Aufnahmen vom 01.02.2005, sodass man sicher davon ausgehen kann, dass es sich bei diesen beiden Tagen um dieselbe Person handelt.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[S. 36]

Da streut die Ex-Ehefrau einen vagen Verdacht gegen den Ex-Ehemann, obwohl auf dem Video ein Brillenträger erkennbar ist, bei dem es sich nicht um ihren Mann handeln kann.

Die gezielte Inszenierung einer Mollath-Serie aus den alltäglichen Reifenbeschädigungen in Nürnberg ergibt sich aus den Aussagen des POK Grötsch:

http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-15.pdf

[S. 3 ff.]

Ebenso aus Aussagen von RA Dr. Woertge:

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-10.pdf

[S. 64 ff.]

sowie aus den Findungen des Sachverständigen Rauscher, die ich schon angeführt hatte.

Die Verteidigung hat hierzu ein spannendes, genaues und zutreffendes Szenario erstellt, das die Wahrheit sein muß, sonst hätte der Pressetexter die Urteilsbegründung des LG Regensburg nicht derartig verfälscht.

Zweiter Teil:

Plädoyer Rechtsanwalt Johannes Rauwald

 Meine Ausführungen sind als Ergänzung zum Vortrag von Herrn Dr. Strate zu verstehen. Sie befassen sich im Kern mit den Sachbeschädigungsvorwürfen.

Um es vorwegzunehmen: Herr Dr. Strate hatte die Herrn Mollath vorgeworfenen Sachbeschädigungen als absurd bezeichnet. Dem schließe ich mich an. Eine Beschädigung von Kraftfahrzeugen durch Herrn Mollath gab es nicht. Die unserem Mandanten zur Last gelegten Handlungen sind erfunden und konstruiert. Das Ziel dieses Konstrukts ist bekannt. Es ging darum, den früheren Ehemann von Frau Mollath zu psychiatrisieren.

Zunächst jedoch zu den Reifenschäden: Alles, was uns hierzu vorliegt sind die Behauptungen der vermeintlich Geschädigten. Feststellungen über die Ursachen der berichteten Luftverluste an den Reifen ihrer Fahrzeuge sind im gesamten Verfahrensverlauf zu keinem Zeitpunkt getroffen worden. Kein einziger der betroffenen Reifen wurde fotographisch festgehalten, geschweige denn durch die Behörden sichergestellt.

Die Vorwürfe stützen sich allein auf die Mitteilungen dieser Personen, die im Übrigen mit Frau Müller in Verbindung standen. Die Schilderungen der Beschädigungen sind dabei so unkonkret, dass auch der Sachverständige Rauscher sich auf deren Grundlage nicht in der Lage sah, eine verlässliche Aussage darüber zu treffen, ob die behaupteten Luftverluste auf ein Zerstechen von Reifen zurückzuführen sind (S. 8 des Protokolls vom 24.07.2014). Dem Vorwurf der Sachbeschädigung ist damit die Grundlage entzogen. Dies bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Dennoch ist es aus der Sicht der Verteidigung nicht angezeigt, den Komplex der Sachbeschädigungen gänzlich auszuklammern. Aufschlussreich ist die Auseinandersetzung hiermit, sofern man das Augenmerk auf Frau Müller und die Akteure aus ihrem Umfeld legt. Diese hatten sich zum Ziel gesetzt, eine strafrechtliche Verfolgung von Herrn Mollath wegen der Sachbeschädigungen von Fahrzeugen zu erreichen. Exemplarisch möchte ich dies an drei Beispielen darlegen: den Lichtbildaufnahmen aus der Nacht zum 1. Februar 2005, den Schreiben der Rechtsanwälte Greger und Woertge und den Aussagen von Martin Maske.

Weil sich früh abzeichnete, dass verlässliche Anhaltspunkte für eine Täterschaft Gustl Mollaths anhand der bloßen Mitteilung von Reifenschäden nicht zu erreichen sein würde, galt es, andere Wege zu finden, um eine Verbindung zu Herrn Mollath zu zeichnen. Die Einrichtung einer Kameraüberwachung kam da sehr gelegen.

Eher am Rande sei hierzu angemerkt, dass über die Umstände, unter denen es zu den Aufnahmen gekommen ist, auch im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens keine wirkliche Aufklärung stattgefunden hat. Offen ist weiterhin, auf wessen Veranlassung die Kamera aufgestellt wurde und wer sie bediente. Die Akten schweigen hierzu. Und auch der Zeuge Grötsch konnte Näheres dazu nicht berichten. Allein, seine Begründung für das Ergreifen der Maßnahme stimmte nicht. Danach gefragt, erklärte der Zeuge Grötsch in der Hauptverhandlung

(S. 8 HVT 7):

„Im Normalfall [kommt es bei Reifenbeschädigungen] nicht [zur Kameraüber-wachung], aber nachdem beim RA und auch bei der zweiten RA Familie […] ein Zusammenhang da war und auch das mit der Fahrt nach München, wo es schlimmer ausgehen kann, dann haben wir uns entschlossen. Ich habe es nicht entschieden, angefragt, ob es machbar ist, war machbar, dann durchgezogen […]. [Der] Chef […] hat gesagt, wir haben Kapazität frei, machen wir es halt.“

Dem polizeilichen Schlussbericht zufolge wurden die Bildaufnahmen ab dem 16. Januar 2005 gemacht. Von gefährlichen Situationen bei Fahrten mit platten Reifen berichtete Herr Greger dem Zeugen Grötsch jedoch erst mit Schreiben vom 21. März 2005, also über zwei Monate später. Darin beschreibt er, dass erstmalig am 19. Januar 2005 bei einer Fahrt ein rascher Druckverlust aufgetreten sei. Zu diesem Zeitpunkt dauerten die Aufnahmen jedoch bereits 3 Tage an. Der Bericht gefährlicher Fahrtsituationen konnte für den Entschluss, nächtliche Bildaufnahmen vor dem Anwesen der Familie Greger zu machen, daher nicht ausschlaggebend gewesen sein. Die Begründung dafür muss in etwas Anderem gelegen haben.

[…]

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Plaedoyer-Verteidigung.pdf

[S. 31 ff.]

Hierauf ging das LG Regensburg zwar nicht ein.

Aber es stellte in seltener Klarheit fest, daß es niemals einen Sachbeweis gegen Gustl Mollath gegeben hat:

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-14.pdf

[ S. 33 ff.]

Das Gericht nahm sozusagen einen Mittelweg ein. Es tat das, was rechtens war, nämlich das Unrechtsurteil aufzuheben und Gustl Mollath Entschädigung für die schrecklichen siebeneinhalb Jahre in der forensischen Psychiatrie zuzusprechen. Es sprach aus tatsächlichen Gründen frei, wo es wegen des offenkundigen Fehlurteils des LG Nürnberg Reparaturinteresse haben mußte.

Da aber nicht alles schlecht sein durfte, was die bayerische Justiz angerichtet hatte, kam es dem Gericht zupaß, daß Gustl Mollath, von dritter Seite schlecht beraten, sich nur teilweise und daher nicht überzeugend, zu dem umstrittenen Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Ehefrau vom 12.8.2001 einließ. Falls es eine weitere Instanz geben sollte, wird die Zukunft zeigen, ob die richterliche Beweiswürdigung trägt.

Meine Meinung zu dem Urteil?

Ich sehe das halbvolle und nicht das halbleere Glas…

434 Gedanken zu „Der Fall Gustl Mollath: Das Urteil

      • Nun Ja, die Beförderung hatte der ehrenwerte H. Meidl schon länger in der Tasche. Man hat es halt noch nicht publizieren wollen und ewig geheimhalten geht auch nicht. Wer (eigene) Wiederaufnahmeanträge in großen Teilen auch wieder umschreiben kann ist halt ein toller Hecht. Der Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft war eben nicht wie der von H. Straate von Überzeugung getragen. Niemals hätte H. Meindl hierfür eine Beförderung erhalten.

      • Bewundernswert jedenfalls die Eleganz, mit der er die (auch nach seiner Ansicht) von Anfang an ungerechtfertigte Unterbringung nicht der Psychiatrie und der Justiz, sondern dem verstorbenen RA Greger anlastet:

        Hat der Angeklagte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder gar grob fahrlässig verursacht? – Mit dieser Frage muss sich das Gericht beschäftigen. Und jetzt wird Ihnen möglicherweise auch klar, warum ich vorher erklärt habe, was der eigentliche Schlüssel der Anordnung der Maßregel ist: nämlich dieses Schreiben des Rechtsanwalts Greger. Und wenn Sie genau zugehört haben, müssen Sie auch zu dem Ergebnis kommen: Nein, der Angeklagte hat die Strafverfolgungsmaßnahme weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verursacht. Für die Strafverfolgungsmaßnahmen, also die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, ist keinerlei Kausalbeziehung zwischen dem Angeklagten und diesem Ausspruch gegeben, sondern die Kausalbeziehung liegt eindeutig auf der Ebene Schreiben des Rechtsanwalts Greger, Dienstaufsichtsbeschwerde gegenüber dem Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Ich glaube, es war Herr Schorr, der dann das Verfahren wieder aufgenommen hat. Das ist die Kette. Und deswegen habe ich es vorher erwähnt, weil es für die Strafkammerentscheidung von Bedeutung ist, wo
        eigentlich die Ursache, der Schlüssel für die 63er-Anordnung liegt.

        Klicke, um auf Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-08-v2.pdf zuzugreifen

        [S. 122]

        Ein paar Seiten davor bedauert er es allerdings, daß niemand den falschen Behauptungen Gregers über gefährliche Situationen bei Autobahnfahrten nachgegangen ist. Ja, Greger ist von der Brixner-Kammer noch nicht einmal als Zeuge vernommen worden, so wenig wie RA Dr. Woertge, obwohl beide neben Martin Maske maßgeblich zur Verdachtsbildung gegen Gustl Mollath beigetragen haben.

  1. Falsche Geständnisse von geistig Behinderten, massive Fehler der Polizei, ein Fehlurteil – das gibt es nicht nur in Deutschland:
    […]
    Der 50-jährige McCollum und der vier Jahre jüngere Brown seien 1984 auf Grundlage „falscher Geständnisse“ verurteilt worden, erklärten ihre Anwälte. Die Polizei habe die Ermittlung von Anfang an verpfuscht.

    Das elfjährige Mädchen war 1983 nach einer Vergewaltigung tot auf einem Feld aufgefunden worden, umgeben von leeren Bierdosen und Zigarettenkippen. Die Polizei verhörte die damals 19- und 15-jährigen Halbbrüder. Obwohl McCollum zunächst nichts über den Vorfall wusste, präsentierte die Polizei nach einem fünfstündigen Verhör ein unterschriebenes Geständnis. Auch Brown erklärte sich für schuldig. Wie die Geständnisse zustande kamen, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Damals waren die Ermittler noch nicht zu Ton- oder Videomitschnitten von Geständnissen verpflichtet.

    Heute ist klar: Die Schuldbekenntnisse der beiden afroamerikanischen Jugendlichen enthielten Fakten, die den Halbbrüdern unmöglich bekannt gewesen sein konnten. McCollum und Brown wurden zum Tode verurteilt, Browns Strafe wurde später in lebenslange Haft umgewandelt. McCollum war bis Dienstag North Carolinas am längsten im Todestrakt einsitzender Häftling.

    „Es ist erschreckend“

    Knapp einen Monat nach dem Mord an der Elfjährigen war damals in derselben Stadt die Leiche einer ebenfalls vergewaltigten und getöteten 18-Jährigen auf einem Feld gefunden worden. Dafür wurde ein heute 74-Jähriger als Täter verurteilt. Obwohl der Mann nur hundert Meter vom Fundort der Leiche der Elfjährigen entfernt wohnte, wurde er 1983 nicht dazu verhört. DNA-Proben von einer Zigarettenkippe führten nun auf seine Spur.

    „Es ist erschreckend zu sehen, dass unser Justizsystem zwei geistig behinderte Kinder ins Gefängnis geschickt hat für ein Verbrechen, das sie nicht begangen haben“, sagte McCollums Anwalt Ken Rose. McCollum und Brown hätten niedrige Intelligenzquotienten, sie könnten kaum lesen und schreiben.
    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/usa-geistig-behinderte-halbbrueder-nach-30-jahren-aus-haft-entlassen-a-989640.html

  2. Frau Wolff schreibt in ihrem neuen Beitrag zum Fall Mollath „Das Urteil“:

    „Ich will mich daher auf die Frage beschränken, ob die zugunsten Gustl Mollaths für nicht ausgeschlossen gehaltene Schuldunfähigkeit während der Tat vom 12.8.2001 tatsächlich willkürlich angenommen wurde.“
    (https://gabrielewolff.wordpress.com/2014/09/02/der-fall-gustl-mollath-das-urteil/)

    Es spricht viel für diese Willkürlichkeit, so wie sie von Frau Wolff sehr detailliert herausgearbeitet worden ist.
    Gleichwohl hat es Richterin Escher geschafft, aus Nedopil die erwünschten Zweifel an der Schuldfähigkeit auch zum Tatzeitpunkt am 12.08.2001 quasi herauszukitzeln – in dubio pro reo natürlich. Auch das hat Frau Wolff aufgezeigt.

    Die Frage, die sich mir stellt, ist: Wie viel Wahrscheinlichkeit braucht es zur Feststellung der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB, ohne dass es zur Anwendung des § 63 StGB kommt?
    2%, 5%, 10% oder 20 %? – Ich weiß natürlich, dass sich das so nicht quantifizieren lässt, aber: Wie hoch müssen die Zweifel an der Schuldfähigkeit sein?

    Oliver Garcia – auch Frau Wolff zitiert ihn ausführlich – hat dazu einiges Prinzipielle ausgeführt:
    „Für die Anwendung des Zweifelssatzes im Strafrecht gilt, daß solche Zweifel außer Betracht bleiben müssen, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich lediglich auf die Annahme einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (BGH, Urteil vom …).“
    Und weiter – gerade für die hier anliegenden Fragestellungen wichtig:
    „Das gilt auch für die Tatsachen, die der Entscheidung über die Schuldfähigkeit zugrunde gelegt werden (BGH, Urteil vom 22. Juni 2006 – 3 StR 89/06)“
    (http://blog.delegibus.com/2014/08/28/fall-mollath-zum-freispruch-verurteilt/)

    In diesem Urteil des BGH (Urteil vom 22. Juni 2006 – 3 StR 89/06) heißt es in den Leitsätzen:
    „Der Tatrichter darf die Anwendung des Zweifelssatzes nicht auf Zweifel an einer dem Angeklagten nachteiligen Tatsache stützen, die auf der Unterstellung einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen Möglichkeit beruhen, die realer Anknüpfungspunkte entbehrt. Andernfalls überspannt er die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung.“
    (http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/06/3-89-06.php)

    Nachteilig (im Sinne des Grundsatzes in dubio pro reo) wäre es für Mollath gewesen, wenn das Gericht eine Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB verneint hätte und ihn bei Feststellung der Tat nicht freigesprochen hätte – Mollath allerdings hätte das als Vorteil gesehen, darauf komme ich später zurück.

    Fazit:
    Die reine, denkmögliche Nichtausschließbarkeit der Schuldunfähigkeit reicht also zur Anwendung des § 20 StGB in dubio pro reo nicht aus – und in diesem Paragraphen selbst ist ja auch von Nichtausschließbarkeit gar nicht die Rede. Reale Anknüpfungspunkte jenseits bloßer Spekulation im unendlichen Horizont des denkbar Möglichen sind also notwendig, und die fehlen nun mal im Urteil bei der Unterstellung der Schuldunfähigkeit insbesondere zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Tat am 12.08.2001.

    Oliver Garcia hebt aber noch auf einen anderen wichtigen Aspekt ab und zitiert diesbezüglich den ehemalige BGH-Richter Jürgen Kuckein (Zur Beschwer des Angeklagten bei einem Freispruch wegen Schuldunfähigkeit, in Gedächtnisschrift für Rolf Keller, 2003, S. 137, 143) – (ebd.):
    „Die einen Freispruch tragende Feststellung des Gerichts, der Angeklagte sei “unzurechnungsfähig” gewesen – oder dies sei nicht auszuschließen – ist eine solche unzumutbare Beeinträchtigung seiner durch Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde und Entfaltungsfreiheit. Denn wenn dem Angeklagten mit der Feststellung – oder dem Fürmöglichhalten – seiner “Zurechnungsunfähigkeit” der Besitz seines Persönlichkeitswertes “Zurechnungsfähigkeit” (=Verantwortlichkeit), wenn auch nur für den Zeitpunkt der Tat, (richterlich) abgesprochen wird, so wird der Wesenskern seiner Persönlichkeit tangiert. Der Angeklagte trägt damit das Stigma des “Geisteskranken”, das er – ohne Anfechtungsmöglichkeit – nicht hinnehmen muß.“

    Das würde bedeuten – so verstehe ich das (als jemand, der als Nicht-Jurist versucht, das Juristische zu verstehen):
    Jedes Tatgericht hätte erstens nicht nur in dubio pro reo eine Schuldunfähigkeit und den daraus folgenden Freispruch aus rechtlichen Gründen zu erwägen
    – Prof. Müller spricht davon, ein Angeklagter habe „im Rahmen des § 20 StGB ein (unverzichtbares) Recht [manche würden gerne verzichten – Anm. HR] darauf, dass Zweifel an seiner Schuldfähigkeit zur Tatzeit zu seinen Gunsten berücksichtigt werden“ – http://blog.beck.de/2013/12/12/die-neue-hauptverhandlung-gegen-gustl-mollath-ausblicke –,
    sondern zweitens auch das berechtigte (ggf. explizit geäußerte – so von Mollath) Interesse des Angeklagten in Rechnung zu stellen (Frage an die Juristen: ist das ein Recht im juristischen Sinne? – wohl schon, wenn es sich um ein Menschenrecht im Sinne des GG handelt), dass, zumindest wenn nur geringe Zweifel an seiner Schuldfähigkeit bestehen, seine Zurechnungsfähigkeit (= Verantwortlichkeit als Ausdruck seiner Menschenwürde und seines Persönlichkeitswertes) festgestellt und er nicht unter das (ggf. lebenslang) stigmatisierende Verdikt einer Geisteskrankheit oder einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ gestellt werde.

    Wenn also Jürgen Kuckein – und Oliver Garcia folgt ihm hierin – Recht hätte, dann hätte m.E. schon das Tatgericht in Bezug auf die Anwendung des § 20 StGB nicht nur
    (1) begründete, auf realen Anknüpfungspunkten beruhende und nicht bloß denkmögliche oder theoretisch mögliche Zweifel an der Schuldfähigkeit des Angeklagten ins Feld zu führen,
    sondern auch
    (2) die oben zitierten Ausführungen Kuckeins zu berücksichtigen
    und gerade innerhalb dieser gegenläufigen Ambivalenz seine Entscheidung zu fällen und zu begründen (auch Richterin Escher tippt ja diese Ambivalenz mal kurz an).

    Ich fürchte, das ist nicht Rechtspraxis – insbesondere was Punkt (2) betrifft.

    Abschließend noch eine Anmerkung zu § 20 StGB:

    Schon die Entstehungsgeschichte ist interessant und spiegelt Auseinandersetzungen innerhalb der Psychiatrie und dieser mit der Psychologie und der Psychoanalyse in den 60-er und der ersten Hälfte der 70-er Jahre des letzten Jahrhunderts wider – siehe dazu einen Beitrag der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld:
    http://www.jura.uni-bielefeld.de/lehrstuehle/schild/nomos___20#6.

    Hier wird auch erklärt, wie der unsägliche Begriff der „schweren seelische Abartigkeit“ (dem ja auch die „wahnhafte Störung“ und die „Persönlichkeitsstörungen“ zuzurechnen sind) ins deutsche Strafgesetz kam (der ganz ähnlich strukturierte § 11 des österreichischen StGB verzichtet darauf).
    Das alles ist auch sehr interessant im Rahmen der in diesem Blog öfters geführten Diskussion um das somatische Substrat psychischer Erkrankungen …

    Ich habe mich weiter gefragt, worin denn dieser Begriff der „schweren seelische Abartigkeit“ wiederum seinen Ursprung hatte und habe folgendes in einer Dissertation gefunden (http://d-nb.info/1019868619/34 – S. 9, Fußnote):
    „Schwer nachvollziehbar ist allerdings, dass bei der Schaffung des Begriffs „schwere andere seelische Abartigkeit“ auf eine Formulierung der „Musterungsvorschriften der Deutschen Wehrmacht im Kriege” vom 1. April 1944 zurückgegriffen worden ist.“

    Auch vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der § 20 StGB nicht auch reformiert werden müsste – was sehr schwer werden wird, weil natürlich wiederum wie in den fast zwei Jahrzehnten vor der Strafrechtsreform von 1975 sehr grundsätzliche Fragestellungen bezüglich der Psychiatrie und ihrer Diagnosen zu beantworten wären. Das macht es wahrscheinlich, dass man das Problem nicht angehen wird …

    • NACHTRAG zu
      https://gabrielewolff.wordpress.com/2014/09/02/der-fall-gustl-mollath-das-urteil/comment-page-1/#comment-42506 :

      Ich schrieb:
      „Wenn also Jürgen Kuckein – und Oliver Garcia folgt ihm hierin – Recht hätte, dann hätte m.E. schon das Tatgericht in Bezug auf die Anwendung des § 20 StGB nicht nur
      (1) begründete, auf realen Anknüpfungspunkten beruhende und nicht bloß denkmögliche oder theoretisch mögliche Zweifel an der Schuldfähigkeit des Angeklagten ins Feld zu führen,
      sondern auch
      (2) die oben zitierten Ausführungen Kuckeins zu berücksichtigen
      und gerade innerhalb dieser gegenläufigen Ambivalenz seine Entscheidung zu fällen und zu begründen (auch Richterin Escher tippt ja diese Ambivalenz mal kurz an).“

      @Oliver Garcia:
      Könnte diese Ambivalenz und dieser Punkt (2) irgendwie in den § 20 StGB eingearbeitet werden — so, dass dieser Gesichtspunkt von vorn herein vom Tatgericht verbindlich zu berücksichtigen wäre? — Wird wohl kaum so kommen, aber: wäre dies prinzipiell juristisch möglich und sinnvoll?“

      • @Horst Richard

        Ich fürchte, ich verstehe nicht genau, was Ihre Frage ist.

        Sowohl in Kuckeins Beitrag als auch in meinem geht es um die Frage der Beschwer: Können grundrechtliche Positionen zur Bejahung der Beschwer und damit zur Anfechtbarkeit des Urteils führen? Davon unabhängig ist die Frage, ob das Urteil Rechtsfehler hat oder nicht (zum Beispiel, ob § 20 StGB oder der Grundsatz „in dubio pro reo“ richtig angewendet wurde). Das ist die materiell-rechtliche Seite. Die Staatsanwaltschaft oder die Nebenklage können solche Rechtsfehler bei einem Freispruch ohne weiteres klären lassen, ob es auch der Anklagte kann, ist die prozessuale Frage der Beschwer.

        Bei jeder Anwendung des Rechts sind die Grundrechte zu beachten, also auch bei § 20 StGB. Das wird niemand anders sehen. Die Frage, welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, ist aber weder Thema bei Kuckein noch bei mir (außer eben, daß jedenfalls die Grenze der Willkür – als Rechtsbegriff verwendet – nicht überschritten werden darf).

        Allgemein zur Bedeutung der Grundrechte bei der Anwendung von Strafrechtsnormen BVerfGE 96, 245 (http://dejure.org/1997,66):

        Jede Strafnorm enthält ein mit staatlicher Autorität versehenes, sozial-ethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise, das durch den Straftatbestand und die Strafandrohung näher umschrieben wird. Konkretisiert wird dieses Unwerturteil im Einzelfall durch das strafgerichtliche Urteil, das den Angeklagten wegen einer bestimmten Tat schuldig spricht und daran die im Strafgesetz vorgesehene Sanktion knüpft. Vor allem dieses sozial-ethische Unwerturteil berührt den in der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) wurzelnden Wert- und Achtungsanspruch des Verurteilten.

        • @Oliver Garcia

          Der Fall Gustl Mollath: Das Urteil

          Danke für Ihre Antwort – ich bitte um Nachsicht als Nicht-Jurist für vielleicht manche Ungenauigkeiten oder ggf. gar falsche Schlussfolgerungen.

          Ich versuche im Folgenden nochmals zu erklären, was ich meinte.

          Zu Ihrem ersten Absatz:
          So habe ich das auch verstanden. In Kuckeins Beitrag (und das von Ihnen gewählte Zitat) geht es um die Frage der Beschwer. Beschwert wäre der Angeklagte dann nach Kuckeins und Ihrer Ansicht, wenn das Tatgericht die in Kuckeins Zitat zum Ausdruck kommenden und auf das GG gegründeten Rechte und das subjektive Interesse des Angeklagten an ihrer Berücksichtigung nicht berücksichtigt hätte. – Und die Frage ist jetzt, ob der BGH oder ggf. das BVerfG das genauso sehen wird, also ob darin eine Beschwer zu erkennen sein wird, und zwar dann auch in den Urteilsgründen selbst und nicht nur im Tenor (Tenorbeschwer).
          Wenn es eine Beschwer sein sollte, so folgt daraus, dass das Tatgericht in seinem Urteil das, was Kuckein in seinem Zitat zum Ausdruck bringt, nicht oder nicht genügend berücksichtigt habe oder zumindest haben könnte.
          Daher ist dann klar, dass schon jedes Tatgericht das zu berücksichtigen hat, was Kuckein zum Ausdruck gebracht hatte.

          Zu Ihrem zweiten Absatz:
          Klar ist mir in diesem Zusammenhang natürlich auch, dass bei jeder Anwendung des Rechts die Grundrechte zu beachten sind, also auch bei § 20 StGB. – Die Frage ist nur: Wird das auch in der Praxis hinreichen getan, findet dort das, was Kuckein schreibt, hinreichend Beachtung? – Offensichtlich hat es ja jetzt im Regensburger Mollath-Verfahren gerade nicht hinreichend Beachtung gefunden, sonst bräuchten Sie das nicht alles zu thematisieren und bis in die letzte Konsequenz hinein zu durchdenken suchen. Hier geht es ja um ein sehr prinzipielles Problem, in dem juristischen Neuland zu entdecken ist.

          Wenn das alles stimmt, dann muss das gelten, was ich wie folgt formuliert habe:
          „Wenn also Jürgen Kuckein – und Oliver Garcia folgt ihm hierin – Recht hätte, dann hätte m.E. schon das Tatgericht in Bezug auf die Anwendung des § 20 StGB nicht nur
          (1) begründete, auf realen Anknüpfungspunkten beruhende und nicht bloß denkmögliche oder theoretisch mögliche Zweifel an der Schuldfähigkeit des Angeklagten ins Feld zu führen,
          sondern auch
          (2) die oben zitierten Ausführungen Kuckeins zu berücksichtigen
          und gerade innerhalb dieser gegenläufigen Ambivalenz seine Entscheidung zu fällen und zu begründen (auch Richterin Escher tippt ja diese Ambivalenz mal kurz an).“

          Frage: Ist das richtig oder falsch?
          Ich gehe hier davon aus, dass das richtig ist, und fahre fort:

          (a) § 20 StGB definiert ein „(unverzichtbares) Recht“ (Prof. Müller) des Angeklagten, dass ein auf Tatsachen (und nicht nur auf Spekulationen theoretischer Möglichkeiten) gegründeter Zweifel an der Schuldfähigkeit zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen sei mit der Folge eines Freispruchs: das war gewissermaßen mein Punkt (1).
          (b) Die Zweifel in Punkt (2) laufen aber gegenläufig zu den Zweifeln in Punkt (1), was zu einem gewissen Konflikt zwischen den beiden Punkten und ihren jeweiligen Gesichtspunkten führt.
          Bezüglich Punkt (2) hat der Angeklagte ein grundgesetzlich begründetes Recht darauf, möglichst von dem Unwerturteil einer bloß möglichen aber nicht sicheren psychiatrischen Diagnose und der bloß möglichen aber nicht sicheren Feststellung seiner Schuldunfähigkeit (= Nichtzurechnungsfähigkeit = Nichtverantwortlichkeit) verschont zu bleiben (Sicherheit wird ja diesbezüglich nur in § 63 StGB gefordert, und gerade deswegen war dessen Anwendung im Regensburger Mollath-Urteil nicht möglich).
          Die hier zu bearbeitenden Zweifel gehen also auf die für den Angeklagten negativen Folgen einer bloß möglichen (nicht ausschließbaren) aber nicht sicheren psychiatrischen Diagnose und einer bloß möglichen (nicht ausschließbaren) aber nicht sicheren Feststellung seiner Schuldunfähigkeit, so dass diese Zweifel in die zu (a) entgegengesetzte Richtung wirken müssten: nämlich in Richtung auf eine mögliche Verneinung und Vermeidung der Feststellung einer bloß möglichen aber nicht sicheren psychiatrischen Diagnose und einer bloß möglichen aber nicht sicheren Feststellung seiner Schuldunfähigkeit – auch hier zu Gunsten des Angeklagten.

          Die Punkte (1) und (2) bzw. (a) und (b) befinden sich also im Zustand einer gegenläufigen Spannung, in der die zu bearbeitenden Zweifel und Unsicherheiten jeweils in entgegengesetzte Richtung wirken und anschließend zu vermitteln wären.

          Wiederum die Frage: Ist das richtig oder falsch? Habe ich das richtig verstanden?
          Wenn Ja, dann fahre ich so fort:

          Die Frage besteht ja nun darin, ob die Nichtbeachtung des Gesichtspunkts (2) resp. (b) in der Tatverhandlung und im Urteil (einschließlich Begründung) eine Beschwer darstellen kann, die eine Revision zu begründen vermag.
          Wenn dies keine Beschwer darstellen sollte und keine Revision begründen könnte – und das ist ja offenbar die Haltung der Mehrheit der Juristen in ihrer Fokussierung auf die Tenorbeschwer (und auch die von Ihnen zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen klären das Problem ja noch nicht in eindeutiger und sicherer Weise, sondern schaffen nur Möglichkeitsräume für das weitere Vorgehen in Sachen Mollath) –, dann fragt man sich, wie denn die Beachtung des Gesichtspunkts (2) resp. (b) in der Tatverhandlung und im Urteil (einschließlich Begründung) gesichert werden könne ohne Rechtsmittelmöglichkeit. Vor diesem Problem steht doch hinsichtlich einer Revisionsmöglichkeit Gustl Mollath und sein neuer Anwalt Adam Ahmed: Wird diese Beschwer [aus Punkt (2) resp. (b)] vom BGH oder ggf. vom BVerfG anerkannt werden oder nicht? Und die meisten Stimmen dazu sind ja eher skeptisch bis pessimistisch.

          Hier wiederum die Frage: Habe ich das richtig verstanden?

          Daran anschließend habe ich die (vielleicht für einen Juristen naive?) weitere Frage gestellt – die sicherlich nicht Thema bei Kuckein noch bei Ihnen gewesen ist:
          Könnte dieser Punkt (2) resp. (b) irgendwie vom Gesetzgeber in den § 20 StGB eingearbeitet werden dergestalt, dass dieser Gesichtspunkt vom Tatgericht zukünftig verbindlich und ganz explizit zu behandeln, zu prüfen und zu berücksichtigen wäre?
          Ich halte es für unwahrscheinlich, dass das kommen wird, aber rein prinzipiell gefragt: Wäre dies juristisch möglich und sinnvoll, um der Rechtspraxis im Verfahren wie in der Urteilsfindung unmittelbare und explizite Orientierung zu geben jenseits der heute noch ungeklärten (ggf. auch verfassungsrechtlichen) Fragen? Dann wären daraus auch die Revisionsmöglichkeiten klar zu erkennen.

          Ich hoffe, dass nun klar geworden ist, was ich meinte und was diese letzte Frage war – und harre Ihrer (hoffentlich nicht allzu heftigen) Klarstellung und Kritik …

        • Jura ist viel leichter, als Sie anzunehmen scheinen.

          Lediglich bei der Frage, ob Rechtsmittel eingelegt werden können, geht es darum, ob ein Verurteilter beschwert ist. Grundsätzlich wird er durch einen positiven Tenor – hier Freispruch ohne Maßregel der Sicherung und Besserung – nicht beschwert. Ausnahmsweise könnte er aber durch die Begründung in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sein, was ihn beschweren könnte. Hierzu ist noch nie eine entsprechende positive Entscheidung ergangen, lediglich Entscheidungen des Inhalts, daß so eine Konstellation nicht ausgeschlossen sei.

          Insoweit betritt RA Dr. Ahmed also Neuland.

          In der Sache selbst (nach Statthaftigkeit der Revision) kann natürlich die Beweiswürdigung (Überführung angeblich gelungen) und die für nicht ausschließbar gehaltene Schuldunfähigkeit mit dem Argument angegriffen werden, daß für eine solche Bewertung die Tatsachengrundlage fehlt, weil auch der Gutachter hierfür keine hatte.

          Komischerweise dachte ich bislang, daß ausschließlich Juristen dazu neigen, schlichte Dinge zu verkomplizieren. 😉

          Sie müssen die Sachlage abstrakter fassen und vom konkreten Fall absehen, denn Gesetze und verfassungsrechtliche Grundsätze gehen von einer noch unbekannten Vielzahl und Vielfalt von Fällen aus, die der generellen Regelung bedürfen. Und generell wird sich kaum jemand gegen einen tenorierten folgenlosen Freispruch wehren, mag er auch in der Begründung mit „überführt, aber schuldunfähig“ konkretisiert worden sein.

          Das liegt in diesem individuellen Fall, in dem es – deshalb habe ich den Artikel geschrieben – auch um die Irrwege der Psychiatrie geht, offenkundig anders.

        • @Gabriele Wolff:

          „Jura ist viel leichter, als Sie anzunehmen scheinen.“
          Nebenbei bemerkt: Das gilt auch für die Mathematik. 🙂
          Ist aber hier nicht so wichtig …

          Ich verstehe durchaus, was Sie meinen — und kann dem auch größtenteils zustimmen.
          Aber ich sehe darin keine Antwort auf meine Ausführungen und Fragestellungen.
          Ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich nur vom konkreten Fall ausginge und darin verharrte, ohne abstrakte Fragen zu stellen, ja prinzipielle Fragen.
          Dass Gesetze und verfassungsrechtliche Grundsätze von einer noch unbekannten Vielzahl und Vielfalt von Fällen ausgehen (tja, die Zukunft ist halt offen …), die der generellen Regelung bedürfen, ist mir auch völlig klar — ich wüßte nicht, dass ich hier irgend ewas dagegen gesagt hätte, das ist so selbstverständlich, dass es eigentlich keiner gesonderten Erwähnung bedürfte. Offensichtlich meinen Sie, dass ich es nötig hätte … 😉

          Weiter schreiben Sie:
          „Und generell wird sich kaum jemand gegen einen tenorierten folgenlosen Freispruch wehren, mag er auch in der Begründung mit “überführt, aber schuldunfähig” konkretisiert worden sein.“
          Stimmt, aber das ist keine juristische Frage, sondern einer Frage dessen, wie die juristische Praxis der Gerichtsverfahren in der empirisch fassbaren sozialen Menschenwelt normalerweise funktioniert — und dann wird sich auch die (Rechts-)Politik damit nicht beschäftigen …

          Aber fest steht doch: Gerade rechtliche Einzelfälle sind immer wieder dazu geeignet, allgemeine, grundsätzliche und abstrakte Rechtsfragen aufzuwerfen (das tut ja nun m.E. insbesondere Oliver Garcia, wenn ich ihn richtig verstehe), die eben weit über den konkreten juristischen Fall hinausgehen. Und das führt ab und zu zu Grundsatzurteilen, die auch in ihrer Bedeutung und Relevanz über den konkreten juristischen Fall weit hinausgehen und von ganz prinzipieller Bedeutung sind. So wird nicht selten Rechtsgeschichte geschrieben …

          Was ich gelernt habe ist: Das Abstrakte ohne Beschäftigung mit dem Konkreten ist nichts, ist leer; das Konkrete ohne Abstrahierung verläuft sich im Beliebigen.

          Ich bin kein Mathematiker, aber ich liebe die Mathematik und kann da auch was, das weit über die Gymnasialmathematik in naturwissenschaftlichen Gymnasien hinausgeht. Und dann weiß man, dass es mathematische Behauptungen und Vermutungen gibt, die jeder Elftklässler versteht in ihrer Konkretheit und ganz elementaren Einfachheit (etwa: Großer Fermat’scher Satz — formuliert etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts), die aber der allerabstraktesten Mathematik und allgemeinster und komplexester mathematischer Theoriebildungen bedürfen, um bewiesen zu werden (Beweis von Andrew Wiles im Jahre 1995).

          Ich bin auch kein Hegelianer, aber ich schätze gerade Hegels Rechtsphilosophie, weil sie das Konkrete und das Abstrakte in faszinierender Weise wechselseitig auf sich zu beziehen sucht.

          Naja, ich weiß nicht, ob Sie mich und mein Anliegen verstehen …

          Fest steht jedoch wohl: In meiner Liebe zur Mathematik und ihren Abstraktionen habe ich es mir wohl endgültig mit Ihnen verscherzt … 😉

          ______________________

          PS: Auch ich wollte auf die Irrwege der Psychiartei hinaus, als ich — mit Hilfe eines Links — die Entstehungsgeschichte des § 20 StGB vor der Strafrechtsreform 1975 angesprochen habe. Da gäbe es für Psychiatrie wie Jusispudenz viel aufzuarbeiten, konkret wie abstrakt …

        • @Horst Richard

          Gut, daß Sie noch einmal nachfragen. Sie haben Kuckeins Position falsch verstanden, wenn Sie schreiben:

          Beschwert wäre der Angeklagte dann nach Kuckeins und Ihrer Ansicht, wenn das Tatgericht die in Kuckeins Zitat zum Ausdruck kommenden und auf das GG gegründeten Rechte und das subjektive Interesse des Angeklagten an ihrer Berücksichtigung nicht berücksichtigt hätte.

          Nach Kuckeins Meinung (und meiner) ist schlicht jeder Freispruch, der auf (festgestellter oder nicht ausschließbarer) Schuldunfähigkeit beruht, mit Berufung oder Revision anfechtbar. Die Beschwer ist in diesen Fällen aufgrund der verfassungsrechtlichen Wertungen immer zu bejahen (abstrakt, siehe Frau Wolffs Antwort). Es kommt für die Beschwer nicht darauf an, was das Gericht in der Urteilsbegründung konkret berücksichtigt hat oder nicht.

          Ist erstmal die Zulässigkeitshürde genommen, findet in der Revision eine volle Rechtsprüfung des Urteils statt, die sich grundsätzlich (Ausnahme etwa § 339 StPO) nicht von der ohnehin zulässigen Revision der Staatsanwaltschaft unterscheidet.

          Zur Klarstellung: In meinem Beitrag beleuchte ich zwei verschiedene Ansätze, mit denen die Zulässigkeit der Revision bejaht werden kann. Die eine ist die „große Lösung“, wie sie Kuckein vertritt und deren Richtigkeit ich mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung zur „prozessualen Überholung“ zu belegen versuche. Nach ihr ist ein solcher Freispruch, wie gesagt, immer anfechtbar. Die „kleine Lösung“ baut hingegen auf der Rechtsprechung des BVerfG auf, wonach auch ein Freispruch durch die Art seiner Begründung verfassungswidrig sein kann. Nur für diese Lösung bedarf es einer genauen Analyse der Entscheidungsgründe.

          Die „große Lösung“ ist zwar die richtige, aber praktisch sollte man pessimistisch sein, daß sie sich in absehbarer Zeit durchsetzt.

          Nach alldem noch der Versuch einer Beantwortung Ihrer Frage: Aus Kuckeins Aufsatz ergeben sich keinerlei Vorgaben für die Tatgerichte bei ihrer Rechtsprechung. Damit befaßt sich Kuckein nicht. Er setzt es hier als selbstverständlich voraus, daß die Gerichte mit bestem Wissen und Gewissen und unter Beachtung auch der Grundrechte zu dem Freispruch gekommen sind (wie sie auch zu einer Verurteilung kommen würden).

          Nochmal: Nach Kuckein ist ein Freispruch der hier diskutierten Art immer eine Beschwer. Nach meiner Alternativlösung ist er eine Beschwer, wenn das Gericht auf dem Weg zu ihm gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot verstoßen hat. So ein „Unfall“ kann in verschiedener Weise passieren, eben auch in Anwendung von § 20 StGB oder des Zweifelssatzes. Es gibt aber m.E. über das Willkürverbot hinaus keine besonderen verfassungsrechtlichen Regeln für diese strafrechtlichen Fragestellungen. Deshalb läßt sich m.E. aus allgemeinen Überlegungen zu § 20 StGB im Rahmen dieser Lösung keine Beschwer herleiten. In Ihren Worten: Die Beachtung dieses Gesichtspunkt kann dann durch den Angeklagten nicht gesichert werden (wohl aber durch die Staatsanwaltschaft und Nebenklage). Aber das ist keine Besonderheit unserer Konstellation. Daß ein Urteil rechtsfehlerhaft ist, bleibt immer unkorrigiert, wenn niemand, der rechtsmittelbefugt ist, ein Rechtsmittel einlegt.

          Ich hoffe, das kommt der Beantwortung Ihrer Frage wenigstens ein bißchen nahe.

        • @ O. Garcia: Ihr Vorschlag wäre nur dann etwas gegenüber dem „Vorschlag Kuckein“ Selbständiges, wenn Sie wirklich die Ansicht vertreten wollten, Willkür in der Urteilsbegründung berechtige unabhängig von irgendeinem in dieser Urteilsbegründung liegenden Nachteil zur Urteilsanfechtung (also: Berufung/Revision eines Angeklagten, der infolge willkürlicher Beweiswürdigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen wurde). Das werden aber selbst Sie nicht im Ernst vertreten wollen.

        • @“RA Christian Jacoby“

          Richtig. Aber worauf wollen Sie hinaus?

          Die „kleine Lösung“ enthält Elemente der „großen Lösung“, ohne ganz so weit zu gehen (weshalb sie auch nicht die Vorlagepflicht auslöst). Wie Sie herausgelesen haben werden, besteht die „kleine Lösung“ darin, daß die Revision auf den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab beschränkt bleibt.

        • @ O. Garcia: Ich will darauf hinaus, dass Ihr Vorschlag auf der Zulässigkeitsebene – Beschwer – keinen der gegen Kuckeins Vorschlag denkbaren Einwände ausräumt (insofern also eine „gleichgroße“ und gleichermaßen unrealistische Lösung darstellt) und auf der Begründetheitsebene dann eine schwer einsehbare zusätzliche Beschränkung einzieht.

          Der Grund, warum Kuckeins Vorschlag sich nicht durchsetzen wird, besteht im Übrigen in keinem der bei ihm angesprochenen Aspekte, sondern in seiner nicht näher begründeten Prämisse, dass die Feststellung eines der in § 20 StGB genannten Tatbestände eine negative Wertung enthalte. Das trifft schlicht nicht zu – Kranksein ist nun einmal nicht vorwerfbar – , und es würde das geltende Schuldstrafrecht gehörig aus dem Lot bringen, wollte die Praxis sich auf sowas einlassen.

        • – Kranksein ist nun einmal nicht vorwerfbar –

          Es wäre schön, wenn sich diese Einstellung gesellschaftlich durchsetzen könnte. Andererseits ist es tatsächlich ein Angriff auf die Menschenwürde, wenn jemand zu Unrecht als nicht verantwortlich für seine Handlungen abgestempelt wird.

        • @RA Christian Jacoby

          Vorweg: Schön, daß Sie wieder da sind. Es macht Spaß, mit Ihnen zu diskutieren.

          Die sogenannte kleine Lösung ist im Grunde die Lösung des BVerfG (ob im konkreten Fall tatsächlich ein Verstoß gegen das Willkürverbot vorliegt, darüber kann man dann streiten). Einwände gegen diese Lösung müßten Sie deshalb an das BVerfG adressieren.

          Auch ich finde es bemerkenswert, daß Kuckein den Grundrechtseingriff vor allem an der Feststellung der (tatsächlichen oder nicht auszuschließenden) Unzurechnungsfähigkeit festmacht. Denn ich sehe den Schwerpunkt der Beschwer in der Feststellung, daß der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht hat. Wenn eine solche amtliche Feststellung nicht das Bild des Betroffenen in der Öffentlichkeit (den „sozialen Geltungsanspruch“) negativ beeinflußt, dann weiß ich auch nicht. Nicht umsonst habe ich Beate Lakotta zitiert, die in folgenden Formulierungen schwelgte: “Mollath war ein Pleitier und gewalttätig”, ein “prügelnder Ehemann”, “der seine Frau trat, biss und würgte, womöglich im Wahn”. Aber ich freue mich über Kuckeins abweichenden Schwerpunkt, denn so wird das Dogma von der Tenorbeschwer in einer Zangenbewegung attackiert.

          Was sind denn die „denkbaren Einwände gegen Kuckeins Vorschlag“? Vielleicht können Sie mir helfen, den Systembruch zu verstehen, daß Ihr Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage vor dem Verwaltungsgericht bejaht wird, wenn der Bürgermeister oder ein Minister – ganz ohne Entscheidungstenor – Ihnen ein Fehlverhalten vorwirft und/oder sich dahin äußert, Sie seien nicht ganz dicht, dieselbe Einschätzung aber keine Beschwer haben soll, wenn sie mit Brief und Siegel von einem Gericht kommt.

          Letztlich glaube ganz pragmatisch, daß dem Dogma von der Tenorbeschwer früher oder später das Genick gebrochen wird durch den Automatismus der BZR-Eintragung.

        • Herr Jacoby,

          klar, enthalten Feststellungen zu 20 StGB negative Wertungen zur Verantwortlichkeit des Angeklagten für das, was er gesagt oder getan habe. Zumal sie eben nicht isoliert sind von den zwingend vorhergehenden Feststellungen, er habe eine rechtswidrige Straftat begangen. Das Schuldprinzip steht dem nicht entgegen. Deswegen müssen diese Wertungen nicht als positiv oder neutral beschönigt werden.

          Sagen Sie bloß doch mal zu einem Ihrer Kollegen, dass er nicht wüsste, was er sage, die Tragweite dessen nicht erkennen könnte und Sie ihn deswegen nicht ganz erst nehmen könnten. Auch ohne Vorwurf einer rechtswidrigen Straftat oder Geisteskrankheit können Sie damit testen, ob Ihr Urteil bei ihm neutral oder gar positiv ankommt.

        • Dass es Leute gibt, die jemanden wie Ulvi Kulac für minderwertig halten, ist nicht zu bestreiten. Die Rechtsordnung kann sich einen solchen Standpunkt aber unmöglich zu eigen machen.

        • Ihr Vergleich mit dem Bürgermeister oder Minister, Herr Garcia, ist schon deswegen problematisch, weil die Rechtsweggarantie des 19 IV GG die Überprüfung durch den Richter gewährleistet und nicht gegen ihn. Das ist immer noch die ganz h.M. Ich glaube, das hatten wir schon mal angesprochen. Nichts anderes bedeutet das daraus abgeleitete Gebot des effektiven Rechtsschutzes in Zusammenhang mit Zugang zur Rechtsmittelinstanz. Es geht darin immer noch um den Rechtsschutz durch Gerichte. Die Gewährleistung einer Überprüfung der richterlichen Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz setzt auch keine Rechtsverletzung i.S.v. 19 IV durch die Vorinstanz voraus.

          Gewiss greifen Feststellungen zur Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldfähigkeit in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein. Das liegt aber in der Natur der Sache in einem Strafverfahren. Verletzen können sie den Angeklagten aber nur dann, wenn sie fehlerhaft bzw. willkürlich sind. Das festzustellen ist aber niemand anders befugt als die Rechtsmittelinstanz. Das BVerfG kann das nicht. Die Begründung der Beschwer damit, dass der Angeklagte durch die Feststellungen in den Urteilsgründen in seinen Grundrechten verletzt sei, erscheint mir daher sehr schwach. Denn in der Regel wird er ohne Überprüfung in der Rechtsmittelinstanz das nicht sein.

          Sinnvoller erscheint es mir daher, nach einer einfachgesetzlichen Begründung der Beschwer zu suchen, was aber nicht ausschließt, dass die eine oder andere Gesetzesregel möglicherweise einer verfassungskonformen Auslegung bedarf.

        • @Waldemar Robert Kolos

          Ihr Vergleich mit dem Bürgermeister oder Minister, Herr Garcia, ist schon deswegen problematisch, weil die Rechtsweggarantie des 19 IV GG die Überprüfung durch den Richter gewährleistet und nicht gegen ihn. Das ist immer noch die ganz h.M. Ich glaube, das hatten wir schon mal angesprochen.

          Das hatten wir in der Tat schon einmal angesprochen. Mit dem Ergebnis, daß es diese ganz h.M. nicht gibt, sondern es umgekehrt ständige und mittlerweile selbstverständliche Rechtsprechung des BVerfG ist, daß Art. 19 Abs. 4 GG auch für den Rechtsschutz durch eine vorhandene weitere Instanz gilt. Das können Sie, mit Nachweisen, in meinem Beitrag nachlesen.

          Davon abgesehen ist mein Vergleich auf einer abstrakteren Ebene angesiedelt. Bei der Beschwer handelt es sich um eine Unterform des Rechtsschutzinteresses, das Voraussetzung ist für jedes gerichtliche Verfahren (mit Ausnahme von bestimmten Normenkontrollverfahren) ist.

          Verletzen können sie den Angeklagten aber nur dann, wenn sie fehlerhaft bzw. willkürlich sind. Das festzustellen ist aber niemand anders befugt als die Rechtsmittelinstanz. Das BVerfG kann das nicht. Die Begründung der Beschwer damit, dass der Angeklagte durch die Feststellungen in den Urteilsgründen in seinen Grundrechten verletzt sei, erscheint mir daher sehr schwach. Denn in der Regel wird er ohne Überprüfung in der Rechtsmittelinstanz das nicht sein.

          Ich weiß nicht, wie ich Sie hier verstehen muß. Die verschiedenen Prüfungsmaßstäbe des BVerfG und der Revisionsgerichte bei ihrer üblichen revisionsrechtlichen Prüfung habe ich in meinem Beitrag dargestellt. Ihre Annahme, das BVerfG könne Verstöße gegen das Willkürverbot nicht feststellen, ist schlicht falsch. Das macht es dauernd.

        • @O.Garcia

          Das aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz abgeleitete Willkürverbot ist etwas ganz anderes als das, was ich mit willkürlicher Feststellung gemeint habe. Gemeint sind damit die aus richterlicher Beweiswürdigung gewonnene Feststellungen, die sich nicht nachvollziehen lassen. Sie können am Willkürverbot schon deswegen nicht scheitern, weil sie dafür überhaupt nicht denkbar sein müssten. Was soll aber an den Feststellungen des LG Regensburg nicht denkbar sein?

          Ja, Sie haben vollkommen recht, wenn Sie schreiben, es sei „ständige und mittlerweile selbstverständliche Rechtsprechung des BVerfG …, daß Art. 19 Abs. 4 GG auch für den Rechtsschutz durch eine vorhandene weitere Instanz gilt“. Nur hat das nicht im Geringsten etwas damit zu tun, dass die Rechtsprechung nach ganz h.M. nicht zur „öffentlichen Gewalt“ des 19 IV gezählt wird, weil die Rechtsweggarantie im Umfang eines effektiven Rechtsschutzes eben durch den Richter und nicht gegen den Richter gewährleistet wird.

        • @ O. Garcia ( https://gabrielewolff.wordpress.com/2014/09/02/der-fall-gustl-mollath-das-urteil/comment-page-1/#comment-42639 ):

          Modifizieren Sie jetzt peu à peu Ihre im delegibus-Blog vertretenen Ansichten? Dort schien Ihnen doch gerade die gerichtliche Aussage zur Schuldunfähigkeit und gerade nicht die Aussage zur Verwirklichung des Straftatbestands mit Aussicht auf Erfolg anfechtbar.

          Dass Sie sich für Ihre Ansicht, die Geltendmachung von Willkür könne einen an sich (mangels Beschwer) nicht gegebenen Rechtsbehelf zulässig machen, in Übereinstimmung mit dem BVerfG fühlen dürfen, ist sehr zu bezweifeln. Das BVerfG hebt ja mit schöner Regelmäßigkeit unanfechtbare Urteile mit der Begründung auf, das Fachgericht habe irgendeine evident einschlägige Vorschrift unangewendet gelassen und deshalb “objektiv willkürlich” gehandelt. Wenn Sie recht hätten, könnte und müsste das BVerfG solche Verfassungsbeschwerden mangels Rechtswegerschöpfung zurückweisen, weil dann primär versucht werden müsste, mittels eines auf die Willkür gestützten “außerordentlichen” Rechtsmittels bei den Fachgerichten eine Aufhebung der Entscheidung zu erlangen.

          Soweit Sie sich im delegibus-Blog auf den neuen § 358 II 2 StPO stützen, übersehen Sie, dass hier schlicht der Fall geregelt wird, dass der Angeklagte mit der Revision erfolgreich die verhängte Maßregel angreift: Auch wenn er den Freispruch als solchen nicht angreift (und angreifen kann), kann er jetzt zu Strafe verurteilt werden. Da läuft also nichts leer.

          § 11 BZRG ist ein Problem – vielleicht muss man das ändern. Als eine außerhalb des Strafverfahrens liegende Nebenfolge kann das aber nicht zur Fortsetzung des Strafprozesses zwingen.

        • @RA Christian Jacoby

          Modifizieren Sie jetzt peu à peu Ihre im delegibus-Blog vertretenen Ansichten? Dort schien Ihnen doch gerade die gerichtliche Aussage zur Schuldunfähigkeit und gerade nicht die Aussage zur Verwirklichung des Straftatbestands mit Aussicht auf Erfolg anfechtbar.

          Sie vermischen zwei Ebenen. Die eine Frage ist, woraus sich die materielle Beschwer ergibt, die (sowohl bei der großen als auch die kleinen Lösung, darauf hatten wir uns schon geeinigt) erforderlich ist für eine revisionsrechtliche Kontrolle (welchen Umfangs auch immer). Sie ergibt sich sowohl aus der amtlichen Täterschaftszuschreibung als auch aus der amtlichen Unverantwortlichkeitszuschreibung. Ich persönlich halte die erste für schwerwiegender, während für andere – wie Kuckein – letzteres das Evidenzargument ist. Die zweite Ebene ist, wo im konkreten Fall bei der dann eröffneten Rechtskontrolle der Fehler gefunden wird. „Anfechtbar“ ist nach meiner Minimallösung im Blogbeitrag beides. Die unterschiedlichen Ergebnisse sind eine Frage der Begründetheit, nicht der Zulässigkeit.

          Dass Sie sich für Ihre Ansicht, die Geltendmachung von Willkür könne einen an sich (mangels Beschwer) nicht gegebenen Rechtsbehelf zulässig machen, in Übereinstimmung mit dem BVerfG fühlen dürfen, ist sehr zu bezweifeln.

          Meine Argumentation geht gerade dahin, daß die Beschwer zu bejahen ist, im Einklang dem auch von der BGH-Rechtsprechung anerkannten Prinzip der materiellen Beschwer. Die „große“ und die „kleine Lösung“ unterscheiden sich nur darin, wieviel der Betroffene hinnehmen muß, d.h. wo das „verfassungsrechtliche Minimum“ ist.

          Ihr Vergleich mit der Verfassungsbeschwerde gegen unanfechtbare Entscheidungen geht an der Sache vorbei, denn hier gibt es gerade einen gesetzlichen Rechtsbehelf, nämlich die Revision.

          Ihre Frage, warum Willkür geeignet sein soll, eine sonst nicht zu bejahende Beschwer plötzlich doch zu bejahen, könnten Sie übrigens an den BGH richten, der gegenüber dem BVerfG in http://dejure.org/1997,36 erklärte: „Der Senat bejahe auch im Fall der prozessualen Überholung einer Durchsuchungsanordnung des Ermittlungsrichters das Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde dann, wenn die objektive Willkür dieser Entscheidung oder die Gefahr der Wiederholung des beanstandeten Eingriffs geltend gemacht werde.“

          § 11 BZRG ist ein Problem – vielleicht muss man das ändern. Als eine außerhalb des Strafverfahrens liegende Nebenfolge kann das aber nicht zur Fortsetzung des Strafprozesses zwingen.

          Na hoppla, Ihr Zugeständnis, daß § 11 BZRG ein Problem ist, ist ein Paukenschlag. Haben Sie das überhaupt durchdacht? Denn § 11 BZRG kann hier eigentlich keine andere Rolle spielen als die eines Arguments für die Anerkennung der Beschwer. Was ist denn – separat betrachtet – an § 11 BZRG Ihrer Meinung nach problematisch? Wieso sollten die dort geregelten Fälle nicht ins BZR eingetragen werden? Wenn das Urteil materiell-rechtlich korrekt und prozeßordnungsgemäß ergangen ist, sehe ich da kein Problem. Wofür plädieren Sie? Für die Abschaffung des Automatismus? Schon jetzt könnte man an eine Anfechtbarkeit der Eintragung nach § 23 EGGVG denken, aber selbst ein als zulässig gedachter Antrag wäre immer unbegründet, da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Eintragung ja vorliegen. Plädieren Sie für die gesetzliche Schaffung einer Anfechtbarkeit mit eigenständiger Prüfung? Das wäre ja witzig: Das Dogma von der Unanfechtbarkeit eines Freispruchs ist Ihnen so selbstzweckhaft heilig, daß Sie es lieber sehen würden, wenn ein Gericht sich in einem anderen Verfahren mit den Feststellungen des erkennenden Gerichts im Strafverfahren nicht einverstanden erklären und deshalb eine Eintragung untersagen kann.

          Deshalb bin neugierig, von Ihnen zu erfahren, worauf Ihr „vielleicht muss man das ändern“ gerichtet ist.

          Ich habe bewußt in meinem Beitrag § 11 BZRG nur im Rahmen eines Referats des Kuckein-Beitrags angesprochen und das Argument nicht weiter vertieft. Das wäre mir zu einfach gewesen. Es ist ja wie ein Elfmeter vor einem leeren Tor. 🙂

        • @ O. Garcia ( https://gabrielewolff.wordpress.com/2014/09/02/der-fall-gustl-mollath-das-urteil/comment-page-1/#comment-42684 ):

          Sie wollen offenbar darauf hinaus, die Beschwer aus der Urteilsbegründung zur Verwirklichung des Straftatbestands zu entnehmen, um damit auf der Begründetheitsebene gar nicht diese, sondern vielmehr die Feststellung zur Schuldunfähigkeit zu kippen. Das geht natürlich nicht – wenn man regelwidrig eine Beschwer durch einzelne Begründungselemente bejaht, muss sich hierauf auch der Prüfungsumfang auf der Begründetheitsebene beschränken.

          Zu § 11 BZRG: Richtig, was das Unbehagen angeht, die Registereintragung auf Feststellungen zu gründen, gegen die ein Rechtsmittel nicht eröffnet ist, bin ich ganz bei Ihnen. Ich halte deshalb § 11 BZRG für rechtsstaatlich bedenklich, vielleicht für verfassungswidrig. Ich halte aber – ohne zu erkennen, was daran “witzig” sein soll – daran fest, dass dies nicht weitere Instanzen für die Anfechtung eines Freispruchs eröffnen sollte.

        • @RA Christian Jacoby

          Sie wollen offenbar darauf hinaus, die Beschwer aus der Urteilsbegründung zur Verwirklichung des Straftatbestands zu entnehmen, um damit auf der Begründetheitsebene gar nicht diese, sondern vielmehr die Feststellung zur Schuldunfähigkeit zu kippen. Das geht natürlich nicht – wenn man regelwidrig eine Beschwer durch einzelne Begründungselemente bejaht, muss sich hierauf auch der Prüfungsumfang auf der Begründetheitsebene beschränken.

          Wie schon gesagt, sehe ich unter beiden Gesichtspunkten (Feststellung zur Täterschaft und zur Unverantwortlichkeit) die Beschwer. Daß ich – anders als Kuckein – ersteres schwerwiegende finde, ändert daran nichts.

          Ich gebe Ihnen grundsätzlich recht, daß die Begründetheit mit der Zulässigkeit korrespondieren muß, von „Flaschenhals“-Fällen wie § 47 VwGO abgesehen. Aber selbst wenn ich vertreten würde, nur die Täterschaftsfeststellung begründe die Beschwer, bin ich mir nicht sicher, ob ich zu dem von Ihnen empfohlenen Ergebnis kommen würde. Die Beschwer bedeutet ja den Anspruch, daß der behauptete Rechtsfehler geprüft wird. Wenn dieser Anspruch vom Gericht in objektiv willkürlicher Weise vereitelt wird (und sei es auch durch einen Ausspruch, der inhaltlich für sich keinen Grundrechtsbezug hat), dann haben wir hier einen Fall der Vorenthaltung des gesetzlichen Richters, die der Betroffene nicht hinnehmen muß (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

          Gut, daß wir das noch ergänzend herausgearbeitet haben. 🙂

          Zu § 11 BZRG: Richtig, was das Unbehagen angeht, die Registereintragung auf Feststellungen zu gründen, gegen die ein Rechtsmittel nicht eröffnet ist, bin ich ganz bei Ihnen. Ich halte deshalb § 11 BZRG für rechtsstaatlich bedenklich, vielleicht für verfassungswidrig. Ich halte aber – ohne zu erkennen, was daran “witzig” sein soll – daran fest, dass dies nicht weitere Instanzen für die Anfechtung eines Freispruchs eröffnen sollte.

          Naja, was ich „witzig“ finde, habe ich ja genau beschrieben: Nicht daß Sie § 11 BZRG für rechtsstaatlich bedenklich, vielleicht für verfassungswidrig halten, sondern daß Sie – im Wege des „vielleicht muss man das ändern“ – möglicherweise fordern könnten, daß ein anderes Gericht (hier wohl das für das BZR gem. §§ 23 ff. EGGVG zuständige Gericht, sei es das OLG Köln oder das KG) in einem anderen Verfahren darüber befinden soll, ob den aufgrund öffentlicher Hautpverhandlung getroffenen Feststellungen (denen man sonst Bindungswirkung zuschreibt: § 464 Abs. 3 Satz 2 StPO, § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG) zu folgen ist oder nicht. Damit würden Sie sogar die Rechtsschutzmöglichkeiten erweitern im Vergleich zu einer Revision. Und dieser Riesenaufwand nur, um zu verhindern, daß „massive Unordnung in das gesetzliche Rechtsmittelsystem“ kommt (diese Formulierung des Diskutanten St. Ivo auf http://www.zpoblog.de/olg-muenchen-bindungswirkung-und-willkuerlichkeit-eines-verweisungsbeschlusses/#comment-225 gefällt mir, weil sie den Beschützerinstinkt des Dogmatikers spürbar macht – ich kann das gut nachfühlen).

          Aber vielleicht habe ich Sie falsch verstanden und Sie wollen die Eintragung nach § 11 BZRG einfach komplett abschaffen. Die Eintragung wäre zwar in Ordnung, wenn es ein Rechtsmittel gegen den zugrundeliegenden Freispruch gäbe. Da aber dieses Rechtsmittel systemwidrig wäre und es nicht geben darf, müssen eben die Stellen, die Führungszeugnisse heranziehen (zum Beispiel Behörden bei Beamteneinstellungen), ohne die Information auskommen, daß der Betroffene Strafgesetze verletzt hat.

        • Ich bin Praktikerin und halte diesen akademischen Streit für sinnlos.

          Die Eintragungen gemäß § 11 BZRG haben den Sinn, daß für die Staatsanwaltschaften bundesweit ersichtlich ist, daß es woanders schon einmal Verfahren gab, die wegen Schuldunfähigkeit eingestellt wurden. Dann fordert man die entsprechenden Verfahren an und stellt fest, ob es ein nicht länger als 5 Jahre zurückliegendes dementsprechendes Gutachten gab und stellt das eigene Verfahren analog ein.

          Das ist eine schnelle Erledigung, und nur so können unterbesetzte Staatsanwaltschaften überhaupt nur funktionieren. Staatsanwaltschaften agieren ja in einem Dampfkessel: die ihnen personalmäßig weit überlegene Polizei, die wiederum für rechtsstaatlich erforderliche Ermittlungen zu unterbesetzt ist, liefert Schrott an, der zu 70% von den Staatsanwaltschaften eingestellt wird, weil sie der Flut nicht anders Herr werden. Bei Gericht sieht es nicht anders aus.

          Vielleicht kommen wir langsam auf den Boden der Realität deutscher Rechtspflege zurück. Der Fall Gustl Mollath begann als simpler Strafrichterfall, wo die Urteile in 30-Minuten-Intervallen purzeln. Und wenn eine Partei eine Schuldfähigkeits-Problematik aufwirft, dann gibt man eben ein Gutachten in Auftrag, das die Akte zuverlässig für Monate versenkt. Wenn der Richter dann noch weiß, daß er danach für den Fall nicht mehr zuständig sein wird, umso besser.
          Ab Januar 2004 war dann ein Vertreter zugange, ab April ein Familienrichter, der von Strafrecht keine Ahnung hatte und erhebliche Rückstände geerbt hatte.

          Mit diesen Phänomenen müßte man sich auseinandersetzen, nicht mit irgendwelchen abstrakten Begründungen für die abstrakte Zulässigkeit von Revisionseinlegungen. Rechtsanwälte sind Praktiker: wenn die schriftliche Urteilsbegründung keine Möglichkeit eines revisionsrechtlich beschränkten Angriffs auf die Beweiswürdigung bietet und die Ablehmung von Befangenheits- und Beweisanträgen ebenfalls nichts für formelle Rügen bietet, dann wird die Revision nicht durchgeführt.

          Von diesem Ergebnis gehe ich als Praktikerin aus.

        • @ gabrielewolff: Akademisch nennt man eine Diskussion, die sich nur auf die Begründung oder theoretische Einordnung eines bestimmten Ergebnisses bezieht. Ergebnisrelevante Diskussionen sind per definitionem nicht “akademisch”. Wenn O. Garcia recht hätte, wäre für G. Mollath (und weitere von dieser nicht ganz seltenen Konstellation Betroffene) der Weg zum Revisionsgericht eröffnet. Das IST ein relevantes Ergebnis.

          (Jetzt könnten Sie natürlich einwenden, der BGH werde sich wohl kaum um unsere Diskussion hier scheren. Da ist natürlich was dran. Ich bin aber auch nicht sicher, wieviel Gehör Ihre Ukraine-Diskussion bei Merkel & Co. findet.)

        • Sie irren sich.

          Oliver Garcías akademische Erörterungen eröffen, praktisch betrachtet, den neuen Rechtsweg nicht. Denn der außergewöhnlichen Zulässigkeit, die hier erstmals begründet werden soll, muß die klassische Revisionsbegründung zur Seite stehen, ansonsten lohnte sich die Erstreitung einer abstrakten Revisionsmöglichkeit nicht. Das Gericht wird sich wiederum alle Mühe geben, eine revisionssichere Begründung zu schreiben.

          Meine Stellungnahmen zur Ukraine-Krise sind praktisch, aber eben klassisch „unnützlich“, wie ich meinen Blog von Anfang an betitelt habe. Ich möchte nur dokumentieren, daß es auch Stimmen gegen den Mainstream in Justiz, Politik und Medien gibt. Die Vorstellung einer „Wirkung“ habe ich mir von vorneherein abgeschminkt. Da bin ich illusionslos. Deswegen schreibe ich auch keine Literatur mehr, die ich immer als Vehikel verstanden habe. Ich habe sehr spät verstanden, daß Literatur Ware ist, und will mit diesem Betrieb nichts mehr zu tun haben.

    • Die „schwere seelische Abartigkeit“ des § 20 StGB ist eine diskriminierend formulierte juristische Prämisse, in die alle gesellschaftlich unerwünschten Abweichungen eingeordnet werden, die psychiatrischerseits, insbesondere durch deren Allheilmittel Nr. 1, die Pharmazie, nicht behandelbar sind, also Psychophatie, Soziophatie, Persönlichkeitsstörung, Wahnstörung, die nicht behandelbar sind.

      Ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, als die Psychiatrie sich dagegen wehrte, diese unbehandelbaren Fälle in ihre Forensiken übernehmen zu müssen, nur weil die Justiz den § 63 StGB benutzte, um gefährliche Straftäter dauerhaft abzuschieben. Das ist lange her, und heute findet seitens der Psychiatrie eine hemmungslose Ausweitung von Krankheitsdefinitionen statt, die wiederum die juristische Seite ablehnt. Weshalb eine genaue Prüfung stattfinden muß, inwiefern sich eine der mittlerweile beliebigen psychiatrischen Diagnosen auf die Schuldfähigkeit – Unrechtseinsicht oder Steuerungsfähigkeit – ausgewirkt hat.

      Dazu hat Dr. Leipziger kein Wort verloren, und er hat Glück, daß Prof. Nedopil seine abwegige alternative Schizophrenie-Diagnose konsequent beschwiegen hat. Nachzutragen bleibt, daß Nedopil in seinem schriftlichen Gutachten auch Dr. Leipzigers Prognose-Behauptung angreift:

      Vor diesem Hintergrund wäre im Jahr 2006 eine sorgfältige psychiatrische Exploration und Analyse zur Beurteilung der Rückfallgefahr sinnvoll gewesen, um 4 Jahre nach dem ursprünglichen Delikt zu einer verlässlichen Einschätzung zu kommen.

      Klicke, um auf Mollath-Hauptverhandlung-2014-07-25.pdf zuzugreifen

      [S. 66]

      Nedopil selbst führt zwar vor, daß man sich ohne Exploration im Status des „Ich weiß, daß ich nichts weiß“ befindet, was bedeutet, daß Dr. Leipziger, der ebenfalls nicht exploriert hat, grob fahrlässig zu seinen „Gewißheiten“ gekommen ist. Nedopil selbst kann es allerdings auch nicht lassen, trotz eingestandenen Nicht-Wissens bloße Meinungen zu kultivieren.

      Als Jurist kann man solch basisloses Dafürhalten niemals zur Grundlage eines Urteils machen. Es handelt sich um beliebiges Geschwätz, das auch durch den Status des Schwätzenden nicht in den Rang eines Beweispartikels erhoben werden kann.
      Ich hatte mir in Vorbereitung des aktuellen Artikels die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft abgespeichert, die jetzt im komplettierten Dokument der Hauptverhandlung vom 8.8.2014 integriert ist.
      In ihrer Klarheit des gesunden Menschenverstands, die man immer gegen die Psychiatrie in Stellung bringen muß, heißt es dort:

      Aber all diese Dinge entwickeln sich erst ab dem Jahr 2003. Wir müssen aber auf die Jahre 2001 und 2002, 12.08.2001 und 31.05.2002, schauen und müssen schauen, ob der Angeklagte zu diesen Zeitpunkten unter einer psychischen Krankheit gelitten hat, die in §20 StGB genannt ist und von denen allenfalls nach Auffassung von Prof. Nedopil eine wahnhafte Störung in Betracht ziehen.
      Hohes Gericht! Ich sehe das zu den Tatzeitpunkten nicht. Erst später! Zum Zeitpunkt der Taten gibt es für mich keinerlei Hinweise, dass die Taten von wahnhaften Vorstellungen des Angeklagten bedingt oder begleitet waren. Ich sehe keine.
      Petra Mollath berichtet hierüber selbst nichts. Weder Petra Simbek noch Markus Reichel noch Martin Maske als Arbeitskollege noch Frau Krach-Olschewsky haben uns hierüber etwas erzählt. Es wird nur ganz diffus davon gesprochen, Herr Mollath habe sich in dieser Zeit verändert. Petra Mollath denkt an eine Vergiftung oder Ähnliches mehr. Aber es gibt keine Beschreibungen, die es rechtfertigen, dem Angeklagten zum Zeitpunkt der Begehung dieser Taten eine wahnhafte Störung zu attestieren.
      Für mich hat der Angeklagte die Taten nicht im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen. Er war nicht krank im Sinne des § 20 StGB.

      http://strate.net/de/dokumentation/Mollath-Hauptverhandlung-2014-08-08-Meindl.pdf#page=51

      Diese Passage würde ich als lucida intervalla in einem ansonsten verheerenden Plädoyer der Staatsanwaltschaft bezeichnen, die sich wieder einmal als Karikatur der „objektivsten Behörde der Welt“ erwiesen hat. Als nicht mehr ernstzunehmende politisch gelenkte Behörde schlechthin. Ordnet Ministerin Merk einen Wiederaufnahmeantrag an, erfüllt man den. Wird er übererfüllt durch den Wiederaufnahmegrund Rechtsbeugung, so kuscht man vor dem General, der ohnehin den ministeriellen Auftrag mißbilligt hatte. Ist die Ministerin Merk weg, so vergißt man den Auftrag und agiert wiederum, am Ergebnis der Hauptverhandlung komplett vorbei, politisch, indem man alle Anklagepunkte für erwiesen hält.

      OStA Meindl ist es offensichtlich egal, wie er außerhalb Bayerns betrachtet wird, nämlich als politischer Wendehals, den eine korrekte juristische Wertung des Inbegriffs der Hauptverhandlung nicht interessiert. Mit Beförderung darf er gewiß rechnen, irgendwo wird sich doch wohl der Posten eines stv. LOStA auftun…

      Aber wo er recht hat, hat er recht. Der Verstoß gegen die Logik in Prof. Nedopils Stellungnahme, die im mündlichen Gutachten immer mehr ins basislose Meinen zerfaserte, hätte vom Gericht zerlegt werden müssen.

  3. Der Überschrift in Professor Müllers blog „Salomonisches Urteil mit schalem Beigeschmack..“ ist zu widersprechen:
    Das Urteil des Salomo zeichnet sich genau durch das Gegenteil aus: Der Richter Salomo vermochte durch die Klugheit seiner Verhandlungsführung sich Sicherheit in der strittigen Frage (welcher Frau das Kind gehört) zu verschaffen und konnte damit ein gerechtes Urteil finden.
    Wenn man in diesem Verfahren Klugheit (wobei ich eher von Schlauheit sprechen möchte) finden will, dann liegt sie darin, einen Prozess, der zwar seine formalen Zwänge hat(Nedopil, das Raushalten des Schwarzgeldsache..), allem Anschein nach fair zu führen, aber ein Urteil zu fabrizieren, das sich in der Öffentlichkeit so darstellt:
    • Es war unangemessen den Mollath so lange wegzusperren, aber ein bißchen wahnhaft und ein bißchen kriminell war er schon.
    • Die Bayrische Justiz hat etwas überreagiert, aber ganz danebengelegen ist sie nicht.
    • Ähnlich bei den Psychiatern: Ist zwar eh´eine seltsame Zunft, aber „ a bissal an Schatten“ hat der Mollath schon.
    • Vor allem: Die Bayrische Justiz hat gezeigt, daß sie mit Fehlurteilen umgehen kann.
    Seehofer kann zufrieden sein.
    Die eigentlichen Skandale, das Instrumentalisieren von Teilen der Justiz, die Schwarzgeldverschiebungen, die gewerbsmäßige Hilfestellung zum Steuerbetrug durch Banken fielen unter den Tisch. Das Argument, daß die Kammer sich aus mit Hinweis auf Strafprozessordnung damit nicht beschäftigen durfte, ist albern. Sie durfte es aus offensichtlich anderen Gründen nicht.
    Das haben wir Bayern bedauerlicherweise mit den Italienern zu Zeiten Berlusconis gemeinsam, daß (freundlich formuliert) politisches Bazi-Gehabe vom Wahlvolk honoriert wird. Italien hatte die unabhängigere Justiz.

    • @ Heinz

      Das Argument, daß die Kammer sich aus mit Hinweis auf Strafprozessordnung damit nicht beschäftigen durfte, ist albern. Sie durfte es aus offensichtlich anderen Gründen nicht.

      Eine Behauptung ins Blaue hinein, der ich widersprechen muß.
      Es ist allgemein in der Justiz und in der Psychiatrie der Fall, daß eine Fehlerkultur nicht existiert und Selbstkorrekturen als schmerzlich empfunden werden, weshalb man sich dagegen stemmt. Da bedarf es keiner Winke von oben.

      An welcher Stelle bei der Aufklärung der angeklagten drei Taten hätte denn großartig etwas zur bankseitigen Beihilfe zur Steuerhinterziehung aufgeklärt werden können? Soweit es möglich war, wurde ein entsprechender Beweisantrag ja auch gestellt und als wahr unterstellt. Und Nedopil hat die Bedeutung des Sonderrevisionsberichts ja auch erkannt: wenig bis nix, das für „Wahnstörung“ sprach, wenn die Bank sich wegen der Konsequenzen besorgt zeigt, sollte Mollath an die Öffentlichkeit gehen. Diese Sorge bezog sich natürlich nicht auf „arbeitsrechtliche Verfehlungen“ einzelner Mitarbeiter, sondern auf den nur oberflächlich „untersuchten“ Bereich der bankseitigen Beihilfe zur Steuerhinterziehung der Kunden.

      Mehr war nicht drin.

      • Diese Sorge bezog sich natürlich nicht auf “arbeitsrechtliche Verfehlungen” einzelner Mitarbeiter, sondern auf den nur oberflächlich “untersuchten” Bereich der bankseitigen Beihilfe zur Steuerhinterziehung der Kunden.

        http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-09/johann-lafer-verdacht-steuerhinterziehung-ermittlungen :

        „Etwa 45 Beamte durchsuchten am Montag Lafers‘ Restaurant im rheinland-pfälzischen Stromberg […] Anlass für die Ermittlungen sind offenbar zwei arbeitsrechtliche Prozesse, die frühere Mitarbeiter Lafers gegen den Koch führen.“

        Demgegenüber war von der Vorstellung, daß 45 Beamte bei der HypoVereinsbank eine Hausdurchsuchung machen könnten, die Abteilung von Oberstaatsanwalt Dr. Heusinger („Jetzt haben Sie auch eine Anzeige vom Herrn Mollath, na ja, schauen Sie mal, was Sie damit machen“) ganz weit weg. 🙂

        • 2003/2004 war das gesellschaftliche Klima für „Steuersünder“ aber auch noch viel angenehmer. 😉

          Soweit ich weiß, wurde im Rahmen der auf die Anzeige Mollaths im Jahr 2012 endlich aufgenommenen Ermittlungen auch die HVB und die Bethmann-Bank durchsucht. Wegen des Steuergeheimnisses hört man davon aber nichts mehr…

        • Bis zu einer Entscheidung des BGH im August 2000 (BGH 5 StR 624/99) war in der Rechtswissenschaft umstritten, ob sich Bankmitarbeiter, die ihren Kunden bei (steuerbezogenen) Kapitaltransfers ins Ausland unterstützen, überhaupt strafbar machen. Insbesondere der spätere Bundesverfassungsrichter Hassemer (kürzlich verstorben) hat sich in dieser Frage – aus meiner Sicht – nicht mit Ruhm bekleckert: er hielt es für „professionelle Adäquanz“, wenn Bankmitarbeiter ihren Kunden helfen, Vermögen zu transferieren, um dieses dem deutschen Fiskus zu entziehen; seine Ausführungen sind in der genannten Entscheidung des BGH neben anderen zitiert. Seine Argumentation ist rechtsdogmatisch allerdings ziemlich schwach. An den damaligen Diskussionen erkennt man übrigens auch, wie wichtig dieses Thema (seit der Einführung der Quellensteuer im Jahr 1993) war – fast alle Banken machten da mit. Es war aus Sicht der Banken als „adäquat“ anzusehen, wenn sie einfach das taten, was sie als Bankentugend ansahen: ihre Kundenvermögen vor dem Fiskus zu schützen. Erst nach der oben genannten BGH-Entscheidung wurde es richtig heikel, denn die bisherige Position konnte nicht aufrecht erhalten werden. Nunmehr gingen Bankmitarbeiter ein gewisses Risiko ein, jedenfalls konnte ihr Arbeitgeber sie nicht mehr offiziell decken.

      • Als ich im Frühjahr in Oberfranken zu Besuch war und das Gespräch auf den Mollath Fall kam, wurden mir sofort Namen genannt von ortsbekannten Persönlichkeiten, die als in diesen Fall verwickelt gehandelt wurden. Das ist normal, dem wäre keine Bedeutung beizumessen, wenn sich daraus nicht eine so schöne und glatte Geschichte entwickeln ließe.
        Unterstellen wir einfach mal als wahr(was in Wirklichkeit natürlich niemals zuträfe), daß wichtige Persönlichkeiten einer Partei, die durch Lügen, die mit einem Meineid glaubhaft gemacht wurden, an die Macht kam und sie seither nicht mehr loslässt („Old Schwurhand“ wurde, weil er für den Zeitpunkt des Eides eine verminderte geistige Leistungsfähigkeit aufgrund einer Unterzuckerung hatte, letztendlich freigesprochen), unterstellen wir also, Persönlichkeiten dieser Partei seien in irgendeiner Form in Geschäfte verwickelt gewesen ( was sie in Wirklichkeit natürlich nie tun würden), die sie bei einer Veröffentlichung nicht gut dastehen ließen. Was würden diese wichtigen politischen Persönlichkeiten tun? Unterstellen wir weiter als wahr, daß sie sich dieser Justiz bedienten, die, wie verleumderische Menschen behaupten, ihnen schon des Öfteren aus der Patsche geholfen hatte, -dann machte die ganze Mollath Affäre einen Sinn. Man müsste nicht mehr darüber nachgrübeln, welcher unselige Zufall diese Häufung an „Fehlern“, Inkompetenz und Böswilligkeit bewirkt hat, die zufälligerweise einen Mann aus dem Verkehr zog, der einen kleinen Einblick in Zusammenhänge des großen Bankgeschäfts bekam und begann Schlussfolgerungen zu ziehen. Das war noch nicht so schlimm. Kritisch wurde es, als dieser Mann unnachgiebig darauf beharrte, daß da etwas nicht in Ordnung sei und darauf bestand dies sei zu untersuchen und abzustellen. Möglicherweise war es der Gestus dieses Mannes, der in seiner Sturheit manchmal etwas an Don Quichotte, den aus der Zeit gekommenen Ritter, erinnert, der Ängste aufkommen ließ, daß er irgendwann eine Öffentlichkeit fände. Besser wäre er dann an einem Ort, an dem er eine eingeschränkte Öffentlichkeit hätte.
        Eine Phantasiegeschichte, eine Verschwörungstheorie. Aber phantasieren wir noch etwas weiter: Wäre es tatsächlich so gewesen, gäbe es eine Justiz in Bayern, die das aufklären könnte und wollte? Hat die deutsche Presse Leute vom Kaliber eines Bob Woodward und Carl Bernstein? Könnte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss so etwas aufklären?
        Bleibt man im Reich der Phantasie, könnte man mit „möglicherweise“ antworten.

  4. Bei ergebnisorientierten Urteilen sind die Grenzen zur Rechtsbeugung gelegentlich fließend. Aber selbst im Fluß gibt es hin und wieder klare Positionen…..

  5. Mollath antwortete auf den Wunsch der Richterin Escher, sich in Bezug auf die „Notwehrsituation“ zu äußern, das stünde bereits alles in den Akten. – Kann es sein, dass die aus seiner Sicht geschilderte Notwehrsituation irgendwo schriftlich vorliegt. – Mir ist sie nicht bekannt.

  6. Liebe Frau Wolff!

    Sie haben mal wieder großartige Arbeit geleistet. Beeindruckend, wie Sie die Ergebnisorientiertheit der Kammer herausarbeiten.

    RA Dr. Ahmed dürfte angesichts Ihres und des Beitrags von Oliver García auf die Knie fallen.

    Nur in einem Punkt stimme ich nicht mit Ihnen überein: Ich sehe das Glas eher halb leer als halb voll …

    • @ A. Hirsch

      Praktisch ist mein Artikel eher nicht zu gebrauchen – er bezieht sich ja nur auf „inoffizielle“ Hauptverhandlungsprotokolle, dazu noch auf eins über die mündliche Urteilsbegründung. Wer weiß, wie die schriftliche aussehen wird.

      • @gabrielewolff

        Da bin ich nun wieder weniger skeptisch als Sie. Die Kammer wird das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten (und nicht ausschließlich die schriftliche Stellungnahme) im schriftlichen Urteil zu würdigen haben und zu diesem Zweck auch mitteilen müssen, ob und wie weit Prof. Nedopil sich mündlich abweichend von oder erläuternd zu seinem Schriftstück geäußert hat. An den Wortmitschriften ist da schwer vorbeizukommen, glaube ich. Und auch sonst werden sich nicht sämtliche von Ihnen aufgespießte Punkte mit Vorliegen des schriftlichen Urteils in Luft auflösen. Glaube ich 😉

        Im Übrigen setze ich ohnehin weniger auf den BGH als auf das BVerfG.

    • Schliesse mich dem Lob vollumfänglich an.
      Das Glas mussten sie zumindest halbvoll machen, dass sie nicht gezwungen waren, es ganz voll zu machen, daran ist Herr GM wohl doch selber schuld. Letzlich hat sich Mollath in der Verhandlung selbst ein Bein gestellt und dem Gericht die Möglichkeit zu dieser Entscheidung geliefert, weil er sich nicht zu der Körperverletzung geäußert hat. „Damit will ich Sie nicht belasten.“ Was für ein Blödsinn und zwar ein Blödsinn, für den er eigentlich zu intelligent ist. Seine Intelligenz war offenbar von anderen Dingen blockiert.
      Dass er dazu nichts gesagt hat, konnte gegen ihn verwendet werden, weil er eben insgesamt doch ausgesagt und nicht vollkommen geschwiegen hat. Ich bin überzeugt, dass Strate ihm das vorher alles erklärt hat, aber er wusste es wahrscheinlich mal wieder besser.
      Ich hatte nach dem Urteil ein langes Telefogespräch mit Frau Prem und war erstaunt zu erfahren, wie wenig er offenbar doch das Machtthema verstanden hat, obwohl er es nun über sieben Jahre so extrem am eigene Leib erfahren hat. Er wollte „die Puppen tanzen lassen und sagen, wo’s lang geht“ – ja mei, wenn er das noch nicht verstanden hat, dass es darum für ihn überhaupt nicht geht – und nicht nur für ihn nicht, sondern für niemand -, hat er halt wirklich noch nicht begriffen.

      • @ Rain Schön:

        Wer wird hier

        Er wollte “die Puppen tanzen lassen und sagen, wo’s lang geht”

        eigentlich genau zitiert?
        GM? Sprich, soll er das so zu U.Prem gesagt haben?
        Oder U.Prem, mit einem, nach ihrem letzten Wort in ihrem Blog nun quasi wirklich, aller-letztem Wort?

        Und was genau meinen Sie mit:

        wie wenig er offenbar doch das Machtthema verstanden hat, obwohl er es nun über sieben Jahre so extrem am eigene Leib erfahren hat

        ?

        • Ich hatte Frau Prem angerufen, weil ich ihr noch einmal persönlich für ihre viele Arbeit in Sachen Mollath-Prozess danken wollte. Und natürlich haben wir auch noch einmal über Mollath – Strate gesprochen. Ich konnte wirklich kaum glauben, dass Mollath wirklich wusste, was er da tat. Dazu hat sie aber eine sehr dezidierte Meinung, die auf vielfältigsten Erfahruengen mit Herrn Mollath im letzten Jahr beruht. Sie sagte: Er weiss, genau was er tat und ihm ging es vor allem darum, seinen Willen durchzusetzen. Ich glaube nicht, dass sie ihm da etwas unterstellt, was nicht stimmt, dennFrau Prem war sehr lange eine sehr wohlwollende Unterstützerin, die sehr viel tat, neben der Kommentrierung des Porzesses, um ihm zu helfen.

          Ich habe früher schon mal geschrieben, dass ich Strate wegen seiner Langmut sehr bewundere, denn ich lege seit einigen Jahren sehr konsequent ein Mandat nieder, wenn ein Mandant/in es nicht für nötig findet, mit mir während der heissen Phase des Mandats nach meinen Bedrüfnissen zu kommunizieren. Das ist auch meist für den rechtlichen Ausgang der Sache schädlich. Nein, ich habe nach über dreißig Jahren als RAin, keine Lust mehr, mich von Mandanten schlecht behandeln zu lassen. Und da Herr Mollath ja zurechnungsfähig ist, ist er eben auch für sein Verhalten voll verantwortlich.

          Wenn Sie nicht verstehen, was ich mit dem mangelnden Verständnis des Machtthemas meine, zeigt mir das, dass Sie selbst noch keine innere Arbeit gemacht haben. Um es auf dieser Basis zu erklären, müsste ich zu weit ausholen, wozu ich jetzt keine Lust habe.

        • Ich kann es kurz abhandeln, soweit ich Ihren Beitrag richtig verstanden habe.

          Das Machtthema ist nicht nur in der Psychiatrie, sondern auch in der Justiz relevant. Was bedeutet, daß man sich effektiv nur bei Anerkennung des von den Macht-Ausübenden konstituiertem Regelwerks wehren kann. Da die forensische Psychiatrie, gerade in Bayern, in einem schwarzen Loch fehlender Rechten und Pflichten agiert und erst durch das BVerfG seit 2010/2011 an Zwangsbehandlungen mit nebenwirkungsreichen und lebensverkürzenden Neuroleptika gehindert wurde, sind gegen diese „Dunkelkammer des Rechts“ (Prantl) alle Formen des Widerstands eröffnet. Gegen diesen bislang unkontrollierbaren Bereich hilft Öffentlichkeitsarbeit, keine Frage. Und politische Zuspitzung. Und natürlich gehört dieses gesamte forensische System, nach dem, der zu Kreuze kriecht, Lockerungen und letztlich positive Prognosen bekommt, auf den Prüfstand. Denn in diesem System wird lediglich eine Anpassungsbereitschaft honoriert, die auch auf Durchschauen des Systems und einer reinen äußeren Unterwerfung basieren kann. Umso schlechtere Karten haben zu Unrecht Verurteilte wie Gustl Mollath, zumal dann, wenn über Jahre genau jener Dr. Leipziger über sein Schicksal verantwortlich ist, dessen Eingangsgutachten durch Prof. Nedopil nun als unzulänglich demaskiert wurde. Obwohl er viel dafür tat, dieses Urteil nicht allzu deutlich zu fällen.

          In diesem Bereich des Vagen der Psychiatrie und der psychiatrischen Forensik halte ich alle Formen des Widerstands für angebracht, um notwendige Reformen anzustoßen.

          Aber wenn man einem Straferfahren unterworfen ist, das seine gesetzlichen Spielregeln hat, sollte man die realistischerweise anerkennen. Und demjenigen trauen, dessen grandiose Klaviatur diese Spielregeln sind.

          Und nicht dem unprofessionellen, auf eigene Publicity abzielenden, Berater vertrauen, der dem Wunschtraum Nahrung gab, daß man aus diesem streng reglementierten Raum ein Happening-Event-Center machen könnte.

          Ich hoffe, daß ich Sie richtig verstanden habe.

        • @ Rain Schön:

          Hmmm, also bei der WAV in Regensburg wurde ja belegloses Meinen anhand von Hörensagen noch massiv kritisiert.

          Wie schnell jemand „erkannt“ und analysiert wird, den man im Leben noch nicht gesehen hat, lässt sich ja bereits hier deutlich ablesen:

          Wenn Sie nicht verstehen, was ich mit dem mangelnden Verständnis des Machtthemas meine, zeigt mir das, dass Sie selbst noch keine innere Arbeit gemacht haben.

          Was die „innere Arbeit“ betrifft, ich habe nun einige Zeit überlegt, ob mir eine noch schwammigere, aussagelosere Floskel aus dem Bereich Psychologie / Psychiatrie einfällt, leider war die Mühe umsonst 😉 Insofern bleibt es reine Theorie, ob man mit dieser Unterstellung auch nur in der Nähe irgendeiner Realität gelandet sein könnte.

          Unabhängig davon denke ich, dass man, gerade in einem sachlichen Diskurs, (der sich als solcher vielleicht auch nicht primär auf die Beurteilung fremder Menschen stützen sollte) durchaus glauben kann, zu verstehen, was ein anderer meint, aber, um diesem nicht vorschnell etwas zu unterstellen, nachfragen kann, was derjenige denn nun genau damit sagen wollte.

          Netterweise hat Frau Wolff ja nun versucht, dieses Vakuum mit einem sinnvollen Inhalt zu füllen 🙂

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