Ukraine: Informationskrieg um MH 17 (2)

MH 17 Titelfoto

Fortsetzung von:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2014/09/28/ukraine-informationskrieg-um-mh-17-1/

Wenn es die Rebellen waren, die mittels einer Buk-Abschußrampe das Flugzeug von Malaysia Airlines abgeschossen haben, dann müßten sie logischerweise im Besitz einer solchen Flugabwehrwaffe gewesen sein.

Tatsächlich waren sie das. Am 29.6.2014 „eroberten“ die Rebellen (offensichtlich relativ kampflos) das Hauptquartier der Luftabwehrbasis A 1402 in Donezk, wobei ihnen auch mindestens eine Buk-Abschußrampe in die Hände fiel.

http://en.itar-tass.com/world/738262

Die Kiewer Regierung bestätigte diese Meldung am 30.6.2014, versicherte aber, daß das erbeutete Gerät nicht funktionstüchtig gewesen sei.

Militiamen seize military base in Donetsk – official

KYIV. June 30 (Interfax) – No one was hurt during a takeover of a Ukrainian air defense base in Donetsk, said Andriy Lysenko, a spokesman for the Ukrainian National Security and Defense Council.

„There have been reports that the base in Donetsk has been occupied, the personnel were not injured. Following the commander’s decision, all equipment was disabled and is not working only the territory was left to militants,“ Lysenko said at a briefing in Kyiv on Monday, adding that „militants have occupied the headquarters of the air defense base.“

[…]

„An attack on an air defense base took place this morning. Grenade and mortar launchers were used. The attack was well planned,“ Ukrainian security operation press officer Alexei Dmitrashkovsky was quoted as saying by the Ukrainska Pravda newspaper.

[…]

The militiamen seized two trucks, he said. He also confirmed that the base No. A1402 has a Buk air defense missile system. „But it is not operational. The operational ones are currently at other strategic facilities,“ the press officer added.

http://www.interfax.com/newsinf.asp?id=517080

Da der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat durch seinen Sprecher Andrej Lysenko allerdings kaum weniger Unwahrheiten verbreitet als der ukrainische Geheimdienst SBU, (Desinformation scheint mir generell die einzige Stärke von Geheimdiensten zu sein), könnte man den Wahrheitsgehalt dieser Verlautbarungen anzweifeln. Wenn es nicht die Rebellen selbst gewesen wären, die ihn, vermutlich unbeabsichtigt, bestätigt zu haben scheinen. Denn in einem Tweet von „dnrpress“ vom 29.6.2014 wurde die Einnahme dieses ukrainischen Luftabwehr-Stützpunktes (ohne nähere Details) sogleich verbreitet, dazu aber das Foto einer Buk-Abschußrampe mit vier Raketen gezeigt:

Tweet DPR 29.6.2014Dort ist ein roter Übungsgefechtskopf der ersten Rakete zu erkennen: funktionsfähige Gefechtsköpfe sind weiß. Das Foto wurde später entfernt und eine Nachfrage, ob dort auch Buks erbeutet wurden, nicht beantwortet:

https://twitter.com/dnrpress/status/483237900252098560

Vielleicht wurde das Foto aber auch deshalb entfernt, weil es sich nicht um ein Foto handelte, das am 29.6.2014 auf diesem Stützpunkt aufgenommen worden war. Es war vielmehr bereits im Januar 2011 auf V-Kontakte, dem russischen Facebook, veröffentlicht und von „dnrpress“ schlicht geklaut worden:

http://vk.com/photo-22680516_205618114

So viel zu den allseitigen Lügen in Zeiten des Krieges. Journalisten, die unüberprüft die Lügen der einen Seite übernehmen, verfehlen ihren Job. Man sollte sich beide Seiten anhören und dann abwägen.

Derartige Plausibilitätserwägungen führen allerdings zu dem Schluß, daß das oder die erbeuteten Buk-Systeme nicht funktionstüchtig waren, ansonsten wäre der Luftraum über dem Kriegsgebiet gesperrt worden, wie die nachfolgenden zusammenhängenden Ereignisse zeigen. Selbst der BND, dessen Einschätzungen mir eigentlich gleichgültig sind, weil ein Geheimdienst keine Ermittlungsbehörde ist, schließt eine am 29.6.2014 erbeutete Buk als „Tatwaffe“ aus:

Florian Rötzer am 21.10.2014 über Erkenntnisse von Hans Leyendecker [Hervorhebungen von mir]:

Der BND gehe hingegen wie andere Geheimdienste davon aus, dass Separatisten das Luftabwehrraketensystem erbeutet und dann vermutlich versehentlich die Passagiermaschine abgeschossen hätten. Für die russische Version, dass die Maschine von einem ukrainischen Kampfflugzeug zum Absturz gebracht wurde, gebe es keine Indizien. Schindler habe aber dem Gremium klar gemacht, dass es keine Beweise für eine Version gebe, so dass die Annahme, die Separatisten seien verantwortlich, nur die wahrscheinlichste sei. Dass die Separatisten einige Tage vor dem Abschuss ein Fahrzeug mit dem Buk-System erbeutet haben, gehe aus Fotos hervor. Da eigentlich eine Buk-M1-Batterie aus mindestens drei Fahrzeugen bestehe – neben dem angeblich erbeuteten Start- und Transportfahrzeug ein Kommando- und ein Radarfahrzeug – sei es „ein schrecklicher Zufall“, dass die Maschine getroffen worden sei, so Schindler.

http://www.heise.de/tp/artikel/43/43114/1.html

Die sich zuspitzenden Ereignisse beginnen am Sonntag, dem 13.7.2014.

An diesem Tag gab es nicht nur zahlreiche Luftangriffe der Kiewer „ATO“ auf Ziele in der Ostukraine, sondern es schlugen auch vom ukrainischen Territorium abgeschossene Granaten im russischen Ort Donezk ein, die einen Mann töteten und zwei Frauen verletzten. Es war zwar nicht das erste Mal, daß beim Kampf um Grenzkontroll-Posten Geschosse aus der Ukraine in Rußland einschlugen: es war aber das erste russische Todesopfer, das bei einem solchen Vorfall zu beklagen war.

Granaten fliegen nach Russland

Grenzzwischenfall verschärft Ukraine-Krise

Auf russischem Boden ist ein Russe von einer ukrainischen Granate getötet worden. Moskau droht mit „unwiderruflichen“ Konsequenzen.

13.07.2014

[…]

Kiew: Haben „Epizentrum“ der Rebellen getroffen

Mit einer Serie von Luftangriffen im Osten des Landes hatte die Regierung der Ukraine die Lage am Samstag abermals verschärft. Nach Militärangaben wurden dabei etwa tausend Separatisten getötet. Kampfjets hätten das „Epizentrum“ der Rebellen nahe der Grenze zu Russland getroffen, sagte ein Militärsprecher am Samstag. Insgesamt seien 16 Kampfeinsätze geflogen worden, um Stellungen der Rebellen zu bombardieren. Die Separatisten dementierten auch diese Darstellung. Sie hätten keine großen Verluste erlitten, teilten sie mit.

Die Tötung von tausend Rebellen wäre mit Abstand die höchste Totenzahl im bisherigen Verlauf des Ukraine-Konflikts. Auch von Seiten der internationalen Gemeinschaft wurde auf die extrem hohe Opferzahl offenbar nicht ernstgenommen, denn es blieb jegliche Reaktion aus.

http://www.faz.net/aktuell/politik/granaten-fliegen-nach-russland-grenzzwischenfall-verschaerft-ukraine-krise-13043084.html

Natürlich hat die „internationale Gemeinschaft“ nach den zahlreichen Propagandalügen Lysenkos, der mich an „Comical Ali“ unter Saddam erinnert, gelernt, sich von dessen Übertreibungen zu distanzieren. Hier die russische Darstellung des tödlichen Angriffs, in der auch die früheren Verletzungen seines Territoriums aufgelistet werden:

http://rt.com/news/172404-russian-donetsk-shelled-victims/

Manche Medien neigten dennoch zur Dramatisierung:

Kreml erwägt „punktuelle Antwortschläge“

Nach dem Tod eines Russen durch die Explosion einer Granate, die von ukrainischer Seite auf russisches Territorium abgefeuert worden sein soll, erwägt Moskau „punktuelle Antwortschläge“ gegen das Nachbarland. Diese Möglichkeit werde geprüft, zitierte die Zeitung „Kommersant“ am Montag eine „dem Kreml nahestehende Quelle“. Der Sprecher von Präsident Wladimir Putin wies den Bericht jedoch als „Quatsch“ zurück und sagte, Russland erwäge keine „Schläge“ gegen die Ukraine.

Schon am Sonntag hatte das russische Außenministerium Kiew mit „unumkehrbaren Folgen“ gedroht, für welche  die „ukrainische Seite“ die Verantwortung trage. Am Sonntagmorgen war ein  Bewohner der russischen Grenzstadt Donezk – sie heißt wie die benachbarte ukrainische Millionenstadt – durch eine Granate getötet worden, die im Hof seines Wohnhauses explodiert war. Durch eine weitere Granate wurden zwei Frauen in der Nachbarschaft verletzt.

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ukraine-konflikt-separatisten-schiessen-militaerflugzeug-ab-13044720.html

Dieser Vorfall vom 13.7.2014 verschärfte die Spannungen, erhöhte die Sorge der ukrainischen Regierung vor einem russischen Gegenschlag (was die von russischer Seite behauptete ukrainische Buk-Gefechtsübung am 17.7.2014 begründen könnte) und erklärt das ersichtliche Bedürfnis Kiews, nun seinerseits Rußland der aktiven Teilnahme an dem Krieg zwischen Kiew und den Rebellen zu beschuldigen.

Schon am nächsten Tag, Montag, dem 14.7.2014, war es soweit.

Separatisten schießen Militärflugzeug ab

Im Osten der Ukraine eskaliert die Lage weiter: Eine ukrainische Militärmaschine wurde von einer Rakete abgeschossen. Die Regierung in Kiew behauptet, sie wurde von russischem Territorium aus abgefeuert.

14.07.2014

Ein ukrainisches Militärflugzeug ist nach Angaben der Regierung am Montag in der Ostukraine abgeschossen worden. Das Transportflugzeug sei von einer Rakete getroffen worden, die „wahrscheinlich“ von russischen Territorium aus abgeschossen worden sei, teilte das Verteidigungsministerium auf der Internetseite des Präsidialamtes mit.

Zuvor hatten die Separatisten schon bekannt gegeben ein Militärflugzeug abgeschossen zu haben. Vor dem Aufprall der Transportmaschine auf dem Boden seien drei Fallschirme am Himmel gesichtet worden, das Gebiet werde nun nach Überlebenden abgesucht, erklärten die Separatisten am Montag. Davor hatte die ukrainische Armee ein Flugzeug vom Typ AN-26 als vermisst gemeldet, das bis zu 20 Menschen an Bord nehmen kann.

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ukraine-konflikt-separatisten-schiessen-militaerflugzeug-ab-13044720.html

Andererseits wurde behauptet, die Rebellen hätten das Transportflugzeug AN-26 in einer Höhe von 6,5 km abgeschossen, so daß davon auszugehen sei, daß sie über professionelle Luftabwehr-Technik verfügten, die über die 3,5 km-Reichweite einer schultergestützten Flak („manpad“) weit hinausgehe.

Ukraine: “Latest AN-26 downing more advanced”

AIRheads/MB 2014/07/15

UPDATE 17 JULY 2014 (CASAULTY NUMBERS) | The Ukrainian Air Force Antonov AN-26 that crashed on Monday 14 July was downed by a more powerful rocket than previously fielded by pro-Russian separatists, the Ukrainian Ministry of Defence claims.

According to a press release the transport aircraft was cruising at more than 21,000 feet, which should normally make it out of reach of most small arms and simpler shoulder-launched surface-to-air missiles (MANPADS) used successfully by the separatist forces in the east of Ukraine. Some Ukrainian sources even blame the Russian military to have fired the “more advanced” missile from Russian territory. If true, that would mean the first direct fire from the Russian military in the conflict in eastern Ukraine.

However, a Russian general denies that any of the Russian air defence systems fired accidentally (automatically) or on on purpose at the Ukrainian transport plane. Amongst the speculations about the missile: it could have been shot with the latest version of the Russian-made SA-24, with the relatively slow-moving AN-26 maybe just in reach of this MANPADS effective range.

[…]

http://airheadsfly.com/2014/07/15/ukraine-latest-an-26-downing-more-advanced/

Diese letzte Version wurde sogar von Außenminister Pawlo Klimkin in geneigten westlichen Medien verbreitet und verschärft. In einem vermutlich am Dienstag, den 15.7.2014, von Alice Bota für die ZEIT als hilfreiche Stichwortgeberin geführten Interview behauptete er Folgendes:

„Deutschland ist für uns da“

Ein Gespräch mit dem ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin über den Krieg in seinem Land, Russlands Beteiligung daran und das Nichtstun der EU Interview: Alice Bota

DIE ZEIT Nº 30/2014   17. Juli 2014  08:00 Uhr

[…]

ZEIT: Täglich sterben Menschen, auf beiden Seiten rollen Panzer, am Montag wurde ein ukrainisches Flugzeug aus über 6.000 Metern Höhe abgeschossen. Warum scheuen Sie das Wort Krieg?

Klimkin: Ich scheue nichts, aber wir pflegen eine alte Vorstellung von Krieg. Es gab immer zwei oder mehrere Seiten, die einander bekämpft haben. Jetzt erleben wir etwas anderes. Es gibt keine Truppen, die gegeneinander kämpfen. Wir sehen aber einen klaren Einfluss von Russland auf die Separatisten. Fast alle Separatisten sind Russen mit Verbindungen zu russischen Spezialeinheiten.

ZEIT: Sind auch russische Soldaten beteiligt?

Klimkin: Die Separatisten haben Panzer und Raketenabwehrsysteme. Man kann eine Kalaschnikow auf dem Schwarzmarkt kaufen …

ZEIT: … aber Raketenabwehrsysteme nicht. Haben Sie Beweise, dass es Waffen aus Russland sind?

Klimkin: Absolut. Bei manchen können wir die Herkunft genau nachverfolgen. Und ein Flugzeug aus 6.200 Metern Höhe abzuschießen – das ist für einen Separatisten mit einer normalen Luftabwehrrakete unmöglich.

http://www.zeit.de/2014/30/pawlo-klimkin-ukraine-aussenminister

Es bleibt hinzuzufügen, daß in der Print-Version dieses Interviews auf S. 5 ein Foto von einem Wrackteil abgedruckt ist, das folgende Bildunterschrift ziert:

Abgeschossen aus Russland? Das Wrack der ukrainischen Antonow

Damit hat die ZEIT die von Klimkin nicht explizit behauptete Version eines Abschusses durch Rußland vom russischen Staatsgebiet aus durch die Hintertür auch noch eingeführt. Niemand hat den Super-Gau dieser ukrainischen Propaganda durch den Außenminister bemerkt. Das Interview erschien ausgerechnet am 17.7.2014 – und Klimkin deutet an, daß die Rebellen bereits am 14.7.2014 im Besitz von hochentwickelten Flugabwehrraketen aus einer russischen Lieferung gewesen seien – was die sofortige Sperrung des Luftraums erfordert hätte.

Tatsächlich geschah am 14.7.2014 durch die ukrainischen Behörden bzw. die Regierung aber etwas anderes.

Die Regierung setzte am 14.7.2014 sämtliche Militärflüge aus, um die näheren Umstände des Abschusses der AN-26 zu untersuchen.

http://humanrightsinvestigations.org/2014/07/24/ukraine-suspended-all-military-flights-from-14072014/

Am selben Tag veranlaßte die Flugsicherungsbehörde UkSATSE, daß ab 18 Uhr die seit dem 1.7.2014 für die zivile Luftfahrt geltende Mindestflughöhe über dem Kriegsgebiet von 26.000 Fuß auf 32.000 Fuß heraufgesetzt wurde.

http://www.onderzoeksraad.nl/uploads/phase-docs/701/b3923acad0ceprem-rapport-mh-17-en-interactief.pdf#page=13

Das wäre eine untaugliche Aktion für den Fall gewesen, daß die Rebellen über eine Buk mit einer Höhenreichweite von 25 km verfügt hätten.

Aber offenbar kamen die amtlichen Stellen der Ukraine – woher sollten sie auch wissen, auf welcher Höhe sich die AN-26 befand, als sie abgeschossen wurde? – am 15.7.2014 zu dem Schluß, daß die „Separatisten“ nicht über eine Buk verfügten. Denn am 16.7.2014 erklärte Lysenko, daß das Startverbot für die Luftwaffe aufgehoben worden sei und daß sie heute bereits wieder zwölf Einsätze absolviert habe. Am 17.7.2014 sei natürlich kein Einsatz erfolgt. [sic!]

MH17: A visit at the Crash Site: The locals speak up – ENG SUBS
Exclusive Report from TV Channel 1 (Russia)

https://www.youtube.com/watch?v=_5j5Bpa010Q&feature=youtu.be

[Minute 10:35]

Das entsprach der Wahrheit. Die Einsätze der ukrainischen Luftwaffe am 16.7.2014 waren blutige Realität. Tatsächlich wurde an diesem Tag zwischen 6:10 und 6:30 Uhr die umkämpfte Kleinstadt Snischne von einem Luftangriff erschüttert, der zivile Wohngegenden traf.

USA bereiten weitere Sanktionen gegen Russland vor

16.07.2014 08:07 Uhr

von Nina Jeglinski

UpdateMerkel und Putin fordern aus der Ferne neue Friedensgespräche für die Ukraine – das erzürnt Kiew. Das Gespräch, das die beiden vor dem WM-Finale führten, wird als „Deal von Rio“ verhöhnt.

[…]

Luftangriff mit Folgen

Nachdem am Montag [14.7.2014] ein Militärflugzeug der ukrainischen Armee von Separatisten abgeschossen wurde, hat das Verteidigungsministerium bis auf Weiteres alle Flüge über das umkämpfte Gebiet gestoppt. Trotzdem kam es zu einem neuen Zwischenfall. Aus der seit Wochen umkämpften Kleinstadt Snischne wird ein Luftangriff gemeldet, bei dem vier Zivilisten ums Leben kamen. Die Kiewer Regierung macht Moskau für den Vorfall verantwortlich. „Dieser Flug ist eine zynische Provokation“, sagte Andreij Lyzenko, Sprecher des Sicherheitsrates vor Reportern.

[…]

http://www.tagesspiegel.de/politik/ukraine-krise-usa-bereiten-weitere-sanktionen-gegen-russland-vor/10205688.html

Die Schuldzuweisung für zivile Tote an die Rebellen (oder, wenn sie es mangels Flugzeugen nicht gewesen sein können, an Rußland) gehört zu Lysenkos Standardrepertoire, ebenso wie die Verringerung der Zahl der zivilen Opfer oder der der Gefallenen der ukrainischen Streitkräfte. In diesem Fall sollen es tatsächlich elf Menschen gewesen sein, die in Snischne gestorben sind. Was für eine absurde Vorstellung, daß Rußland einen Luftangriff auf das Wohngebiet einer von Rebellen gehaltenen ukrainischen Kleinstadt durchgeführt haben soll. Aber im Westen gibt es reichlich kritiklose Abnehmer für ukrainische Schuldzuweisungen an Rußland.

Child being rescued from debris: Ukraine bombing civilians in their beds. [Eng Subs]

Veröffentlicht am 16.07.2014
This time the Ukrainian Air Force killed 11 civilians early in the morning when bombing an apartment building in Snezhnoe. A small, crying boy was found alive in the debris and was dug out.

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=zfNhbmcuNXw

[Die englischen Untertitel lassen sich durch Anklicken des zweiten Symbols am unteren Bildrand zuschalten.]

Die weitere Folge der neuen Angriffswelle der ukrainischen Luftwaffe bestand allerdings auch darin, daß die Rebellen am 16.7.2014 eine SU-25 abschossen und eine weitere schwer beschädigten, die aber, laut Regierungsangaben, entkommen konnte.

Natürlich wurde auch dieser Angriff Rußland in die Schuhe geschoben – business as usual:

On Wednesday evening [16.7.2014], a Ukrainian fighter jet was shot down by an air-to-air missile from a Russian plane, Ukrainian authorities said Thursday [17.7.2014], adding to what Kiev says is mounting evidence that Moscow is directly supporting the separatist insurgents. Ukraine Security Council spokesman Andrei Lysenko said the pilot of the Sukhoi-25 jet hit by the air-to-air missile was forced to bail after his jet was shot down.

Russia’s U.N. Ambassador Vitaly Churkin told reporters at U.N. headquarters in New York on Thursday that Russia did not shoot down the Ukrainian fighter jet on Wednesday. „We didn’t do it,“ Churkin said.

Pro-Russia rebels, meanwhile, claimed responsibility for strikes Wednesday on two Ukrainian Sukhoi-25 jets.

http://www.cbsnews.com/news/malaysia-airlines-flight-17-crashes-in-ukraine/

Die westlichen Medien, hier AP – auf diese Presseagentur wird noch näher einzugehen sein – hingen gläubig an Lysenkos Lippen, der immer furchtbarere Details über Rußlands direktes militärisches Eingreifen in den Konflikt zu erzählen wußte [Hervorhebung von mir]:

Ukraine: Air Force jet downed by Russian missile

By PETER LEONARD

— Jul. 17, 2014 10:51 AM EDT

KIEV, Ukraine (AP) — A Ukrainian fighter jet was shot down by an air-to-air missile from a Russian plane and Ukrainian troops were fired upon by missiles from a village inside Russia, a spokesman for Ukraine’s Security Council said Thursday.

The alleged episodes mark what Ukraine says is mounting evidence that Moscow is directly supporting the separatist insurgents in eastern Ukraine who have been seen to have substantial quantities of powerful weapons in recent weeks.

Security Council spokesman Andrei Lysenko said the pilot of the Sukhoi-25 jet hit by the air-to-air missile Wednesday evening was forced to bail after his jet was shot down. He said the rockets launched at Ukrainian troops were fired from the Russian village of Kuibyshevo.

Pro-Russia rebels, meanwhile, claimed responsibility for strikes Wednesday on two Ukrainian Sukhoi-25 jets.

The Defense Ministry said the second jet was hit by a portable surface-to-air missile, but added the pilot was unscathed and managed to land his plane safely

Moscow denies Western charges that is supporting the separatists or sowing unrest in its neighbor. The Russian Ministry of Defense could not be reached for comment Thursday about the latest accusations and Russia’s foreign ministry did not respond to multiple requests for comment.

[…]

http://bigstory.ap.org/article/russia-dismisses-us-sanctions-bullying

Immerhin, das Verteidigungsministerium bestätigt, daß die entkommene SU 25 von einer rebellen-üblichen schultergestützten Luftabwehr-Rakete getroffen wurde. Leider wurde der Ort dieser zweiten am 16.7.2014 getroffenen SU-25 nicht benannt:

The aircraft was hit in the tail section near the town of Amvrosiyivka in the Donetsk region while in a turn. According to Kiev the hostile fire came from Russian territory and not – like in many earlier incidents – from anti-government elements in the east of Ukraine. Russian military spokespersons have not yet commented on the latest accusation.

The Su-25M1 pilot ejected safely and was evacuated by the Ukrainian military. Su-25s (NATO reporting name Frogfoot) are typical ground attack and ground support aircraft, being able to carry a heavy load and a variety of weapons. They are able to sustain hits by most small arms fire.

Earlier on 16 July at least one of a pair of two Su-25s was hit by “portable air defence systems” around 13:00 local time while performing airstrikes on pro-Russian separatist positions in the east of Ukraine. This aircraft made a successful emergency landing on a nearby airbase, according to a Ukrainian military statement.

http://airheadsfly.com/2014/07/17/ukrainian-su-25-downed-near-russian-border/

So explosiv und durch die ukrainische Seite propagandistisch im Sinn einer Internationalisierung des Konflikts ausgeschlachtet stellt sich die Lage einen Tag vor dem 17.7.2014 dar.

Dann ereignete sich der Abschuß des zivilen Flugzeugs der Malaysia Airlines MH 17 am Donnerstag, den 17.7.2014 um 16:20 Uhr Ortszeit, im niederländischen Bericht mit 13:20 Uhr bezeichnet, nach Moskauer Zeit um 17:20 Uhr.

Daß die allseitige Propaganda-Maschine sofort heißlief, nachdem sich ein bedeutsamer Absturz herumgesprochen hatte, versteht sich von selbst.

Als erste waren die Rebellen am Zug, denen Erfolgsnachrichten Lebenselixier sind. Es ist zwar unbekannt, wer die VKontakte-Seite im Namen des seinerzeitigen „Verteidigungsministers“ der „Donezker Volksrepublik“, Igor Strelkow (tatsächlich: Girkin), betrieb. Unter dessen Foto-Logo erschien am 17.7.2014 gegen 17 Uhr jedenfalls dieser Eintrag:

Strelkow MH 17

Ich folge der Übersetzung von Paul Roderick Gregory in Forbes:

“In the Torez region, they have destroyed an AN-26 transport plane. Its wreckage landed near the ‘Progress’ mine. This will teach them: Do not fly in ‘our skies.’ And here is the video confirming the ‘crash of the bird.’ The bird fell on open fields. It did not damage inhabited sectors. Peaceful people did not suffer. And there is information about a second destroyed plane; looks like an SU.”

http://www.forbes.com/sites/paulroderickgregory/2014/07/18/smoking-guns-russian-separatists-shot-down-malaysian-plane/

Der Autor dieser Meldung weiß nur, daß größere Wrackteile in einem von Rebellen beherrschten Gebiet gelandet sind, woraus der Schluß gezogen wird, daß es sich um eine von den Rebellen abgeschossene AN-26 handeln muß. Was auch sonst? Die Erwähnung einer SU könnte darauf hindeuten, daß auch Beobachtungen von Militärflugzeugen durch Anwohner am Absturzort eingeflossen sind.

Das gepostete Video müßte von Einwohnern von Grabowo gefertigt worden sein, wo der größte Teil des Wracks sowie die Turbinen, eventuell auch Tanks, niedergingen. Dort ereignete sich nach dem Aufprall eine Explosion, aus der sich ein Brand entwickelte. Durch den Knall aufgeschreckt, dokumentierte ein Einwohner die dem Knall nachfolgenden Ereignisse, nämlich das Entstehen einer großen Rauchwolke.

Sieht man sich das Video an, das zur Beglaubigung eines AN-26-Abschusses gepostet wurde, erkennt man nicht nur, daß die Absturzstelle kilometerweit entfernt ist, sondern hört auch, daß der oder die Einwohner, die das Video aufnahmen, darüber spekulieren, was denn wohl geschehen sein mag:

http://www.youtube.com/watch?v=gdmM6pWoHso

Das Material, das zur Verkündung einer Erfolgsmeldung der Rebellen benutzt wurde, beweist den geltend gemachten Abschuß nicht.

Nachdem bekannt wurde, daß an dieser Stelle ein ziviles Flugzeug abgestürzt war, wurde die Meldung vom Abschuß einer AN-26 gelöscht.

Entsprechend heißt es später auf der im Namen von Strelkow geführten Seite:

Shortly thereafter, the Strelkov website issued an announcement with capitalized letters:

ATTENTION. This announcement declared that the news of the downing of the AN-26 was not official but came from residents and militia members on the scene. The only official announcements are published under the banner: Strelkov INFORMS. In other words, Strelkov asks his readers to forget the earlier announcement of the successful downing of a fascist Ukrainian plane.

http://www.forbes.com/sites/paulroderickgregory/2014/07/18/smoking-guns-russian-separatists-shot-down-malaysian-plane/

Es gibt habituell nicht nur sogenannte “Knallzeugen”, die erst durch ein Geräusch auf einen Vorgang, wie beispielsweise einen Verkehrsunfall, aufmerksam werden, sich den Hintergrund zusammenreimen und später, nach Gesprächen und weiteren Informationsüberlagerungen des Gedächtnisses, fest davon überzeugt sind, tatsächlich gesehen zu haben, was vor dem Knall geschah. Es gibt darüber hinaus auch Augenzeugen, insbesondere bei Aussagen gegenüber der Presse, die sehen, was sie nicht gesehen haben können.

Ost-Ukraine: Erneut Militärflugzeug laut Augenzeugen abgeschossen

19:15 17/07/2014

DONEZK, 17. Juli (RIA Novosti).

Die Volksmilizen im ostukrainischen Tores haben am Donnerstag nach Berichten von Augenzeugen ein weiteres Transportflugzeug der ukrainischen Luftwaffe abgeschossen.

Eine Antonow An-26 sei gegen 16.00 Uhr über die Stadt geflogen, erzählte ein Augenzeuge RIA Novosti. „Wir haben gesehen, dass eine Rakete das Flugzeug getroffen und eine Explosion ausgelöst hat.“ Die Maschine habe schwarzen Rauch hinter sich hergezogen und sei schließlich auf den Boden gestürzt.

Tores liegt unweit von Saur-Mogila, wo die Milizen am Mittwoch einen ukrainischen Jagdbomber abgeschossen haben. Am Montag hatten die Aufständischen im umkämpften Lugansk bereits ein Transportflugzeug vom Typ An-26 an Bord abgeschossen. Sechs der acht Insassen überlebten, zwei von ihnen wurden gefangen genommen. Zwei weitere werden vermisst.

http://de.ria.ru/politics/20140717/269034633.html

Nun, so war es definitiv nicht, wie der Augenzeuge behauptet.

Manchmal mutiert voreilige Erfolgs-Propaganda zum Bumerang. Denn Kiew und die westlichen Medien benutzten dieses Strelkow-„Bekenntnis“ der Rebellen zum Abschuß einer AN-26 fortan als Beweis für deren Abschuß der MH 17. Tatsächlich kann man aus den vorliegenden Belegen nur auf das Gegenteil schließen. Die Rebellen hatten keine Ahnung, was da geschehen war, reklamierten den Erfolg aber erst einmal für sich.

Der CIA-angeleitete ukrainische Geheimdienst SBU reagierte prompt und bot eine Narration an, die der von Außenminister Klimkin in der ZEIT verbreiteten entschieden widersprach: keinesfalls hätten die Rebellen am 14.7.2014 über eine Buk verfügt. Diese sei erst am 17.7.2014 durch Rußland an die Rebellen geliefert, am selben Tag gegen MH 17 eingesetzt und am nächsten Tag wieder nach Rußland ausgeführt worden. Für diese Deutung der Ereignisse wurden keine Mühen der Beweisfabrikation gescheut und wie üblich hochrangige Regierungsmitglieder zur Unterstützung und Verbreitung in sozialen Netzwerken eingesetzt.

Kurze Zeit nach dem Absturz veröffentlichte der SUB auf seinem YouTube-Kanal ein Video, auf dem sich vom Geheimdienst gefertigte Gesprächsmitschnitte befinden sollen – es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt; die deutsche Version trägt die Nr. 115 der Videoauflistung:

http://www.youtube.com/watch?list=UURxyjhmvBewJIRb2yku5EuQ&v=jb3Y_eWkAmc&feature=player_detailpage#t=16http://www.youtube.com/watch?list=UURxyjhmvBewJIRb2yku5EuQ&v=jb3Y_eWkAmc&feature=player_detailpage#t=16

Zunächst wird ein Mitschnitt eines Gespräches zwischen Igor Bezler, Kommandeur der Rebellen in Gorlowka, mit einem Mann präsentiert, bei dem es sich um einen russischen Oberst der Hauptaufklärungsverwaltung im russischen Generalstab namens Wasyl M. Geranin, den „Kurator“ Bezlers, handeln soll. Eine Bestätigung dieser Personalie „Geranin“ habe ich im Netz nicht gefunden. Das Gespräch soll am 17.7.2014 um 16:40 Uhr, also knapp 16-17 Minuten nach dem Aufschlag, stattgefunden haben.

Bezler erklärt danach:

Wir haben ein Flugzeug abgeschossen. Gruppe von „Miner“. Es fiel nicht weit von Enakijewo.

Auf die in das Gespräch nicht passende Frage:

Flieger? Wo sind die Flieger?

antwortet er:

Sie sind hingefahren, um das Flugzeug zu finden und Fotos zu machen. Es raucht.

Der Abschuß sei vor 30 Minuten geschehen.

Das ist wenig informativ, denn Bezler, der in Gorlowka (Horliwka) stationiert ist, berichtet ebenso vom Hörensagen wie derjenige, der gegen 17 Uhr auf der Strelkow-Seite die Erfolgsmeldung einrückte. Die Abschußzeit stimmt nicht. Nicht einmal der Absturzort wird korrekt bezeichnet:

Foto Entf. Jena - GrabowoQuelle: Google Earth

Die Entfernung zwischen Enakijewo (Jenakijewe) und Grabowo (Hrabove) beträgt demnach ca. 34 km.

Auch die nächste Sequenz dieses Videos hat keinerlei Beweiskraft: da unterrichtet ein vor Ort recherchierender anonymer Rebell mit dem Spitznamen „Major“ einem ebenso anonymen Rebell namens „Grek“ am 17.7.2014 in mehreren Telefonaten zwischen 16:33 Uhr und 17: 32 von seinen Erkenntnissen, nämlich daß es sich um ein ziviles Flugzeug handelt, das abgestürzt ist. „Major“ ist ersichtlich in Petropavlivka unterwegs, wo das Cockpit und viele Leichen zu finden waren.

Beide wiederum wissen auch nur vom Hörensagen, wer für den Abschuß verantwortlich sein soll.

Major SUBDer dort genannte Abschußort „Tschernuhino“ (Chornukhyne) liegt nordwestlich des Absturzortes, wie auf dem zuvor geposteten Google Earth-Foto zu erkennen ist. Das paßt nicht zu der von den USA und der Ukraine vertretenen Version, wonach eine Buk, die am 17.7.2014 südlich von Snischne, also südöstlich des Luftpfades der MH 17, stationiert wurde, für den Abschuß verantwortlich sein soll. Auch nach der russischen Variante, die ein ukrainisches Buk-System bei Zaroshchens’ke ausgemacht haben will, das für einen Abschuß in Betracht kommen kann, befand sich dieses System südlich von der MH 17-Route (zu vgl. das Google Earth-Foto)-

Die letzte Sequenz von einem angeblich abgehörten Telefonat zwischen einem sogar kampfnamenlosen „Rebell“ und einem in Prunkuniform gekleideten, nicht näher bezeichneten „M. Kozitsin“ vom 17.7.2014 um 17: 42 Uhr ist gänzlich inhaltlos: da macht der Rebell Vorhaltungen, weil es einerseits im Fernsehen heiße, eine AN-26 sei getroffen worden, andererseits soll ein Zivilflugzeug getroffen worden sein, woraufhin jener unbekannte „Kozitsin“ antwortet:

KozitsinEs gibt noch weitere SBU-Geheimdienstveröffentlichungen von angeblichen Telefonmitschnitten, deren Anfertigung wohl mehr Zeit in Anspruch genommen haben wird. Die nachfolgende wurde am 18.7.2014 veröffentlicht. Da mag jeder selbst entscheiden, welchen Wert sie haben.

http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=Bg99JtZ7DTE#t=41

Besonders grotesk ist das vom SBU erst am 25.7.2014 hochgeladene Gespräch, das zwei Minuten vor dem Abschuß der MH 17 zwischen einem Kämpfer und Igor Bezler geführt worden sein soll: da wird dem Kommandeur ein eingeflogenes „Vöglein“ gemeldet, das wegen der Wolken leider nicht zu erkennen sei. Klar, daß das sofort gemeldet werden muß. Und von einem Buk-Radar ist natürlich keine Rede. Für wie blöd hält der ukrainische Geheimdienst sein Publikum?

http://www.youtube.com/watch?v=clzcRGvJASE&index=74&list=UURxyjhmvBewJIRb2yku5EuQ

Die Sprecherin des Außenministeriums der USA erklärte am 21.7.2014, nachdem sich ihr Chef weit aus dem Fenster gelehnt hatte:

HARF: Well, we have a great deal of information that the Secretary laid out yesterday, and I can go back through some of it today. But we do know first that Russian-backed separatists were in possession of an SA-11 system as early as Monday, July 14th. This is from intercepts of separatist communications posted on YouTube by the Ukrainian Government.

http://www.state.gov/r/pa/prs/dpb/2014/07/229550.htm#UKRAINE

Keine Ahnung, auf welche SBU-Desinformation sich die schlingernde Marie Harf da bezieht. Vielleicht auf den Außenminister Klimkin in seinem Interview mit der ZEIT? Denn in der SBU-Produktion vom 18.7.2014 soll doch gerade verzweifelt belegt werden, daß die Buk erst am 17.7.2014 von Rußland an die Rebellen geliefert wurde.

Was die US-Regierung am 20.7.2014 durchsickern ließ, klang schon einschränkend, wenn man zwischen den Zeilen las [Hervorhebung von mir]:

Alleged intercepted phone conversations released by Ukraine’s security service of pro-Russian rebels discussing how they shot down Malaysian airliner MH17 are genuine, the US embassy in Kiev said Sunday.

Ukraine’s SBU security agency on Thursday released recordings of what it claimed were phone talks involving rebels and a Russian military intelligence officer admitting that they had hit the passenger jet after mistaking it for a military aircraft.

The recordings were presented as key evidence to back up Kiev’s claims that rebels — supported by Russia — downed the jet while the separatists accused Ukraine’s army of being responsible.

“Audio data provided to the press by the Ukrainian security service was evaluated by Intelligence Community analysts who confirmed these were authentic conversations between known separatist leaders,” the US embassy in Ukraine said in a statement.

http://www.rawstory.com/rs/2014/07/us-says-recordings-of-ukraine-rebels-admitting-mh17-downing-authentic/

Nun ja, wer sich auf die Identifikation von Stimmen “bekannter” Anführer der Separatisten beschränkt, wird mit den Kriegsnamen „Major“, „Grek“, dem unbekannten „Rebellen“, „Naimanets“, „Khmurij“ und den weiteren anonymen Protagonisten der SBU-Videos nichts anfangen können. Bekannt war lediglich der damalige Rebellen-Anführer Igor Bezler, und dessen Aussagen vom Hörensagen sind nicht von Belang. Bezler selbst soll sich laut Itar-Tass zu dem Telefonat so geäußert haben:

Bezler said the talk had really taken place but the he had talked about a Ukrainian attack aircraft shot down by the militia above Yenakiyevo a day before the Malaysian airliner crash.

http://en.itar-tass.com/russia/741521

Bezieht man sich auf die oben aufgeführten regierungsamtlichen Angaben zu dem Abschuß der SU-25 am Abend des 16.7.2014, so fand dieser entweder in Amwrossijiwka oder in Saur-Mogila statt. Beide Orte sind noch weiter von Jenakijewe entfernt als Grabowo (Hrabove).

Foto Entf. Jena - AmwroQuelle: Google Earth

Foto Entf. Jena- Saur-MogilaQuelle: Google Earth

Der Ort des Rebellenangriffs mittels manpads auf zwei bombardierende SU-25 gegen 13 Uhr desselben Tages ist allerdings unbekannt; und ob die getroffene Maschine tatsächlich notlanden konnte, ist angesichts der schönfärberischen Berichte Lysenkos über Verluste der Armee ungewiß. Der Einspruch Bezlers läßt sich daher nicht widerlegen.

Die deutsche Regierung hat sich am 9.9.2014 kurz und bündig über den Geheimdienst-Mitschnitt vom 17.7.,2014 geäußert:

Der Bundesregierung ist auch ein in den Medien veröffentlichter Telefonmitschnitt des ukrainischen Geheimdienstes bekannt. Dessen Authentizität konnte nicht verifiziert werden.

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/025/1802521.pdf#Page=2

Der BND urteilte am 8.10.2014 – so der SPIEGEL – wie folgt:

Der BND kam zu eindeutigen Ergebnissen: Ukrainische Aufnahmen seien gefälscht, sagte Schindler, das lasse sich anhand von Details erkennen. Auch russische Darstellungen, wonach die Rakete von ukrainischen Soldaten abgefeuert wurde und ein ukrainischer Jagdbomber in der Nähe der Passagiermaschine geflogen sei, seien falsch.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/mh17-laut-bnd-waren-separatisten-fuer-absturz-verantwortlich-a-997885.html

Man beachte den feinen Unterschied zwischen gefälschten Aufnahmen und falschen Darstellungen. Man beachte aber auch den feinen Unterschied zwischen dem Begriff „Aufnahmen“ – worunter auch Ton- und Videoaufnahmen verstanden werden können – und dem Begriff „photos“, wie er in der englischsprachigen Version des SPIEGEL verwandt wird:

BND’s Schindler says his agency has come up with unambiguous findings. One is that Ukrainian photos have been manipulated and that there are details indicating this.

http://www.spiegel.de/international/europe/german-intelligence-blames-pro-russian-separatists-for-mh17-downing-a-997972.html

Insoweit ist, womöglich auch wegen fehlender Übersetzerkompetenz beim SPIEGEL, unklarer denn je, was der BND denn überhaupt überprüft hat. Kompetenznachweise dieses Dienstes sind mir bislang ohnehin nicht bekanntgeworden.

Russische Experten haben sich mit dem Video des SUB vom 17.7.2014 technisch beschäftigt:

Kiev’s evidence of militia’s responsibility for airliner crash faked – expert

July 20, 14:37 UTC+4
A group of experts studied the tape and came to the conclusion that it was made up of numerous unrelated recordings

[…]

http://en.itar-tass.com/russia/741521

Natürlich präsentieren Geheimdienste präpariertes Material. Alles andere würde einen verwundern. Wer das aufdecken will, muß allerdings auf der Höhe der Zeit sein. Dieses Argument ging jedenfalls fehl:

But the most indicative moment is that the audio tape clearly shows that it was created almost a day before the airliner crash, the expert said.

http://en.itar-tass.com/russia/741521

Da hat der russische Geheimdienst sich eine Blöße gegeben, denn eigentlich müßte er die Unzuverlässigeit von YouTube, Facebook und Twitter kennen, was die externe wie interne Dokumentation von Ladezeiten angeht.

Hier ein sehr ermüdender Bericht eines Technikfreaks, der zu dem Schluß kommt, daß Youtube wahrscheinlich einen 24-Stunden-„bug“ hat, was das intern angezeigte Upload-Datum angeht:

https://gist.github.com/klaufir/d1e694c064322a7fbc15

Nach seinen Ermittlungen wurde das fragliche „Beweisvideo“ des Geheimdienstes am 17.7.2014 um 19:11:54 Uhr hochgeladen.

Auch der Berater des Innenministers Arsen Awakow, Anton Geraschtschenko, wirkte an der Popularisierung der SBU-Version der Ereignisse mit, indem er in einer Talkshow Rußland für den Abschuß verantwortlich machte und am 17.7.2014 auf seiner Facebook-Seite jenes Foto zeigte, das ich als Titelfoto für die MH 17-Artikel gewählt habe:

MH 17 Titelfoto

Was sieht man auf diesem Foto? Eine Siedlung, Landschaft, blauen Himmel und ein paar senkrecht übereinandergestapelte weiße Wölkchen, die relativ bodennah beginnen. Und was soll man laut Geraschtschenko auf diesem Foto sehen?

Per holperigem Google-Übersetzer aus dem Russischen übersetzt (Russisch-Deutsch schafft er gar nicht):

Advisor Avakova reported shooting start Boeing rocket brought down

According to Anton Gerashchenko launch saw thousands of people

■ 17 July | 21:09

According to the adviser to the Minister of Internal Affairs of Ukraine Anton Gerashchenko Ukrainian military recorded near the Russian border rocket flight, which was hit by a Malaysian Boeing .

He said this on the air channel 112, according to the UNN .

„Yesterday, sanctions were imposed against the Russian Federation – is his (Putin’s) response to the sanctions that have been imposed … Our military fixed fact Departure missiles and shoot down the plane.

In his own Facebook Gerashchenko published photos trace departure missiles.

„This is a photo contrail left as you launch missiles SAM“ Buk „. Made a few minutes after launch missiles with 3 Thorez district of the city from west to east. Thousands of people have seen the launch and flight of the missile,“ – he wrote.

http://vesti.ua/donbass/61554-sovetnik-avakova-soobwil-o-semke-puska-sbivshej-boeing-rakety?utm_medium=referral&utm_source=marketgid&utm_campaign=vesti.ua&utm_term=1308&utm_content=2976008

Tausende hätten in Tores eine von West nach Ost fliegende Rakete gesehen, deren Kondensstreifen wenige Minuten später fotographiert worden sei.

Die paar senkrecht angeordneten Wölkchen sollen demnach die Reste des Kondensstreifens einer Rakete sein, die südlich von Snischne abgeschossen worden sein soll (natürlich in Richtung Westen und nicht umgekehrt, wie behauptet). Man betrachte das erste hier gepostete Google Earth-Foto, das die Lage von Snischne, Tores und Grabowo zeigt. Über Tores müßte sie aber schon so viel an Höhe gewonnen haben, daß sie keinesfalls mehr bodennahe „Spuren“ hätte hinterlassen können. Der Verband der Ingenieure Rußlands versichert:

Kondensstreifen Ing. S. 7Quelle: http://www.tlaxcala-int.org/upload/telechargements/147.pdf#page=7

Auch die meteorologischen Bedingunungen belegen, daß dieses Foto mit dem blauen Himmel nicht am 17.7.2014 aufgenommen worden sein kann. Für Tores, 15 Uhr, wird eine „durchgehende Wolkendecke“ verzeichnet (wie vor, S. 2, dort versehentlich als „17.6.2014“ notiert).

Entsprechende Witterungsbedingungen zeigt das Satellitenbild im niederländischen Untersuchungsbericht vom 9.9.2014 für 12 Uhr:

DSB Wolken, S. 18Quelle: http://www.onderzoeksraad.nl/uploads/phase-docs/701/b3923acad0ceprem-rapport-mh-17-en-interactief.pdf#page=18

Tores liegt im roten Bereich unter hundertprozentiger Wolkenbedeckung.

Außerdem erwies es sich als schwierig, die „Tausende“ zu finden, die in Tores oder Snischne die Flugbahn der Rakete bzw. deren lauten Geräusche bei Start und Flug wahrgenommen hätten…

Innenminister Arsen Awakow steuerte am 18.7.2014 um 3:32 Uhr auf seiner Facebook-Seite das legendäre 13-Sekunden-Video bei, das eine auf einem Hänger befindliche Buk-Abschußrampe, von deren vier Raketen eine fehle, wie es später gemeinhin heißen wird (ich selbst kann nur zwei vorhandene Raketen erkennen) zeigen soll, wie es in der Grenzstadt Krasnodon „zurück“ nach Rußland fahre.

https://m.facebook.com/arsen.avakov.1/posts/670837696339673

In seinem Begleittext heißt es laut Google-Übersetzer:

Arsen Avakov

Covert surveillance units of MIA of Ukraine today, July 18 at 4.50 am registered with the loaded tractor crawler missile system, moving in the direction through Krasnodon, toward the border with the Russian Federation. The video can be seen uncovered missiles. Two missiles at the site – the average is not visible.
There is an analysis of this and other information collected. Presumably this is the missile system „Buk“ that made a last shot at a civilian airplane Amsterdam -Kuala Lumpur ..
Criminals are trying to hide the traces of this heinous crime. Not succeed. Security Service and Interior Ministry of Ukraine has collected and collects more hard facts and evidence, the author points out the tragedy of the terrorist organization, the DNI / LC and its Russian backers Putin.
The investigation of events MIA issue a comprehensive report on the information. This piece I consider it necessary to publish immediately.

Interessant, daß die verdeckt ermittelnden Kräfte des Innenministeriums (MIA) die Kamera schon 5 Sekunden lang draufhalten, bevor der Hänger mit der Buk auftaucht. Da wird ihnen jemand einen Tip gegeben haben. Noch interessanter, daß niemand von den dezidiert antirussischen westlichen Geolocatern die Angabe des grenznahen Ortes „Krasnodon“ des Innenministers überprüfen; das geschieht erst, nachdem auf der Pressekonferenz des russischen Verteidungsministeriums am 21.7.2014 der Köder ausgelegt wird, daß sich aus der im Video ersichtlichen Plakataufschrift ergebe, daß die Aufnahme in Krasnoarmeisk, einem seit dem 11.5.2014 unter ukrainischer Kontrolle stehenden Ort, gefertigt worden sei.

http://youtu.be/4bNPInuSqfs?t=25m3s

Und schon haben am 22.7.2014 „Euromaidan“ et. al. und „Bellingcat“ (Eliot Higgins) herausgefunden, daß die russische Meldung falsch ist und die Aufnahme in Lugansk entstanden ist; daß die Ortsangabe des Innenministers falsch war, der dieses Video als erster gepostet hat (als Arbeitsergebnis seiner verdeckten Ermittler), findet keine Erwähnung:

https://www.bellingcat.com/news/uk-and-europe/2014/07/22/evidence-that-russian-claims-about-the-mh17-buk-missile-launcher-are-false/

Genauer gesagt, wie ein weniger befangener Untersucher herausgefunden hat, wurde die Aufnahme in einem Vorort von Lugansk gemacht, in dem die Kiewer ATO bereits aktiv gewesen war und zum Zeitpunkt der Aufnahme keine Kontrolle durch die Rebellen bestand:

22) (added 7/9/2014) According to an interactive map from Kiev (http://liveuamap.com) this position in Lugansk was not under separatist control on that day:

http://humanrightsinvestigations.org/2014/08/05/mh17-the-lugansk-buk-video/

Dem ukrainischen Geheimdienst unterliefen bei seinem Bemühen, eine stringente Geschichte zu erzählen, peinliche Fehler.

So illustrierte er seine Narration von dem ein- und ausgeführten russischen Buk-Start-Fahrzeug mit einem Foto, das ein Buk-Startfahrzeug mit der Nummer 312 zeigte.

„Humanrightsinvestigation“ fand am 21.7.2014, heraus, daß es sich um eine ukrainische Buk handelt, die am 5.3.2014 bei Gorlowka gesichtet wurde:

http://humanrightsinvestigations.org/2014/07/21/the-mh17-investigation-and-buk-312/

Ein weiterer Blogger fand heraus, daß die Buk-Abschußrampe 312 am 8.3.2014 neben zehn anderen nach Soledar verlegt worden war:

On March 8, Censor.Net, a Ukrainian Nationalist cite, says „Ukraine Defends Donetsk From Russian Incursion: ‚Buk‘ Air Defense Rocket Systems Are Taking Up Positions. PHOTO + VIDEO“

The sub-headline reads: „A resident of Gorlovka, driving to work in Soledar, came across an entire convoy of military equipment. …My coworkers and I counted 11 missile launchers …“

http://globaleconomicanalysis.blogspot.com/2014/07/ukraine-caught-in-third-major-lie-magic.html#doCMHSQlmZVvO8V6.99

Das spezifische Video von März 2014, aus dem der SBU das Foto der Buk 312 geklaut hatte, ist natürlich verschwunden. Nachdem RT am 23.7.2014 die Erkenntnisse der Blogger, nämlich daß der ukrainische Geheimdienst eine ukrainische Buk gezeigt hatte, obwohl doch behauptet werden sollte, die Russen hätten eine aus ihren Beständen geliefert, verschwand das Foto von der Seite des SBU:

Bogus photos of ‘Russian’ air-defense systems in Ukraine debunked by bloggers

Published time: July 23, 2014 10:27
Edited time: July 23, 2014 15:32

Ukraine continues to concoct ‘evidence’ a Russian air defense system brought down Flight MH17. Ukraine’s secret service published as ‘proof’ month–old photos of a Ukrainian BUK-M missile system, claiming it is Russian.

Despite the US admitted it has no evidence Russia is directly involved in the Malaysian Airlines disaster of July 17, Kiev has its own ideas.

On July 19 Kiev’s Security Service (SBU) published photos online it claimed showed ‘Russia’ secretly withdrawing a BUK-M (NATO designation SA-11) surface-to-air missile system from the Ukraine civil war zone.

UPDATE – shortly after publishing this article the photos in question were deleted. Below are screenshots from the SBU site.

[…]

http://rt.com/news/174868-ukraine-buk-falsification-continues/

Der Generalstaatsanwalt der Ukraine, Mitglied der rechtsextremen Swoboda-Partei, unterstützte die Geheimdienst-Fabrikation, indem er am 18.7.2014 erklärte, daß nach Mitteilungen des Militärs keine der Buk-Einheiten der Ukraine fehlen würde (demnach also nur eine russische Buk in Frage komme).

Ukrainischer Generalstaatsanwalt: Volkswehr hat keine Buk-Raketensysteme erbeutet
10:53 18/07/2014
MOSKAU, 18. Juli (RIA Novosti).

Nach Angaben des ukrainischen Generalstaatsanwalts Vitali Jarjoma haben die Volkswehr-Milizen bei den Kampfhandlungen gegen die regulären Kräfte keine Fla-Raketenkomplexe erbeutet.
„Als das Passagierflugzeug abgeschossen wurde, teilten die Militärs dem Präsidenten mit, dass die Terroristen keine Raketensysteme der Typen Buk und S-300 von uns haben. Solche Waffen wurden nicht erbeutet“, erklärte Jarjoma in einem Interview für „Ukrainskaja Prawda“.

[…]

http://de.ria.ru/politics/20140718/269041378.html

http://en.interfax.com.ua/news/general/214197.html

Ebenfalls am 18.7.2014 legte Geraschtschenko emotional nach, indem er auf seiner FB-Seite das Foto einer Baby-Leiche präsentierte::

http://www.dailymail.co.uk/news/article-2697010/Faces-innocent-victims-Melbourne-real-estate-agent-wife-student-leading-AIDS-doctors-confirmed-dead-Flight-MH17-terrorist-attack-killed-298-people-board.html

Am 18.7.2014 wetterte der mittlerweile Ex-Verteidigungsminister Geletej (er hatte zuletzt zu viel gelogen und zu wenig erreicht) gegen die „Terroristen“, die mit russischer Hilfe die MH 17 abgeschossen hätten:

https://news.vice.com/video/exclusive-footage-of-mh17-aftermath-russian-roulette-dispatch-60

[ab Minute 4:35]

Am 18.7.2014 delirierte der SBU (in einer Übersetzung durch die pro-Kiew-Seite „Interpreter“):

On Friday the Ukrainian security services issued a press release in which a Ukraine SBU (Security Service) officer explains Ukraine’s narrative — that three vehicles carrying Buk missiles came from Russia and returned back to Russia after the incident:

“At 2:00, July 18, two movers each with a Buk missile launcher crossed the Russian border in Luhansk region. At 4:00, another three movers: one of them empty, other carrying a launcher with four missiles and the latter allegedly with a control unit, crossed the state border.”

http://www.interpretermag.com/ukraine-liveblog-day-154-heavy-fighting-in-donetsk/#3487

Die verlinkte SBU Seite trägt nun Datum von Samstag, dem 19.7.2014.

http://www.sbu.gov.ua/sbu/control/uk/publish/article?art_id=129099&cat_id=39574

Für alle diese sich teilweise widersprechenden Behauptungen gibt es Null Beweise. Die Indizienkette des SBU ist dünn, alle „Nachrichten“ und „Bilder“ wurden von ihm selbst und der Regierung lanciert. Deren Intentionen waren seit dem 14.7.2014 sichtbar: der Konflikt sollte internationalisiert und Rußland als Kriegsteilnehmer desavouiert werden. Daran ließ Poroschenko am 18.7.2014 keinen Zweifel:

18.07.2014 00:45

Press office of President

Address of the President on the occasion of the crash of Malaysia Airlines aircraft

Today the war has overspilled from the territory of Ukraine.

Over the past months Ukraine was overwhelmed by the events caused by the aggressors and militaries in the East of the country. But the tragedy which took place in the Ukrainian skies today is horrendous.

[…]

The State Security Service of Ukraine has intercepted a conversation in which one of the leaders of the mercenaries boasted about bringing down the plane in his reporting to his Russian supervisor, colonel of the General Intelligence Unit of Russia’s Armed Forces. Other terrorists have also boasted about their success.

In the past couple of days it is the third tragic incident, following two Ukrainian military planes which were shot down.

[…]

In the past couple of weeks, thanks to the courage and heroism of our soldiers, the territory, controlled by the terrorists, bandits and Russian mercenaries has decreased by more than half.

Each and every citizen of Ukraine is fighting for our independence, sovereignty and territorial integrity.

Today, the whole world had seen the real face of the aggressor.

Shooting down a civilian aircraft is an act of international terrorism, targeted against the entire world.

This is a wake-up call for the whole world.

We expect for an adequate response from the international community.

http://www.president.gov.ua/en/news/30787.html

Klarer kann man die Intentionen dieser Kiew-Narration seit dem 14.7.2014 nicht benennen. Da sie im Interesse der USA erfolgte, die auch die Presse an sich zu binden versteht, war sie sogar relativ erfolgreich – gegen jede Vernunft. Wie diese durchsichtige Geschichte überhaupt Karriere machen konnte, läßt sich nur durch die Einflußnahme westlicher Medien erklären.

Im Westen gibt es einen entsprechenden transatlantischen Empfangsraum, und sogar Reporter wie den n-tv und RTL-Korrespondenten Dirk Emmerich, der selbst „Nachrichten“ wie diese twittert:

Dirk EmmerichVerifizierter Account @DEmmerich

#Ukraine: Buk-Rakete samt Personal kam aus Russland. 2 Festnahmen beim Versuch der Rückführung über Grenze > http://zn.ua/UKRAINE/sbu-zaderzhala-dvuh-rossiyskih-korrektirovschikov-ognya-149218_.html … #MH17

https://twitter.com/DEmmerich/status/490133763750260736

Nachtrag: (24.11.2014)

Nun ist klar, wer jener „M. Kositsin“ ist, bei dem sich ein anonymer Rebell laut angeblichen Mitschnitts des ukrainischen Geheimdienstes am 17.7.2014 um 17:42 Uhr über das Informationschaos beklagt, weil das abgeschossene Flugzeug einerseits eine AN 26, anderseits ein Zivilflugzeug sein soll.

Über diesen Mann, Nikolai Kozitsyn, gab es am 11.11.2014 ein Porträt:

Ukraine Rebels: A Disunited Front Run by Warlords

By Associated Press | November 11, 2014

Last Updated: November 11, 2014 8:22 pm

[…]

PEREVALSK, Ukraine—They don’t call Nikolai Kozitsyn “Daddy” for nothing. In this rebel-held eastern Ukrainian town, the mustachioed Cossack lords it over the locals and pays little heed to the bosses of the breakaway movement.

[…]

As armed pro-Russian separatists were seizing one town after another in eastern Ukraine, groups of Cossacks in early May crossed from southern Russia to occupy territories along the border. They claimed they did so to defend the interests of the native Russian-speaking population.

“I’m fighting for this people and together with this people,” said Kozistyn, “defending our rights to own this territory and the riches with which our Lord and forefathers endowed us.”

[…]

Kozitsyn, who leads a Cossack unit calling itself the Great Don Army, claims to rule over four-fifths of the rebel-controlled section of the Luhansk region, with thousands of men under his command. Rival rebels disagree.

[…]

Perevalsk and Alchevsk both participated in a contentious vote in early November to elect separatist deputies and leaders, but it is evident the outcome of the poll means little on the ground.

Kozitsyn, in Perevalsk, said his authority came from a higher power.

“We are an independent organization and we don’t depend on anyone,” he said. “I’m answerable only to President Putin and our Lord.”

http://m.theepochtimes.com/n3/1075445-ukraine-rebels-a-disunited-front-run-by-warlords/

Wie kommt nun ein ungenannter Rebell dazu, den in Lugansk tätigen Kosakenführer Kozitsyn um Aufklärung wegen des Abschusses der MH 17, der in Donezk stattfand, aufzufordern? Den Donezker Rebellen war gerüchteweise zu Ohren zu kommen, daß Kosaken in Chornukhyne ein Flugzeug abgeschossen hätten. Sieht man sich die Landkarte an, dann liegt es nahe, den in Perevalsk stationierten Kosaken Kozitsyn zu befragen:

Perewalsk KozitsynQuelle: Google Earth

Mit einer militärischen Aktion in Chornukhyne hätte er zwar den Verwaltungs- bzw. Republikbezirk überschritten, aber geographisch lagen nur knapp 26 km zwischen seinem Sitz und dem vermeintlichen Abschußort, der von allen anderen Parteien (USA, Ukraine, Rußland) allerdings ganz woanders verortet wird.

Entsprechend ausweichend antwortet Kozitsyn auch (der so eitel ist, sich nicht die Chance entgehen zu lassen, vorzugeben, irgendwie etwas über diesen Abschuß zu wissen).

In einem interessanten Video von Vice News vom 20.11.2014 zu MH 17 wird er zu diesem Gespräch interviewt (ab Minute 6:14); der Reporter legt ihm allerdings die Sätze seines Gesprächspartners in den Mund, und es wird offenbar, daß der ukrainische Geheimdienst offensichtlich ein “Jugendfoto” von ihm ausgesucht hat.
Der Reporter Simon Ostrovsky irrt sich auch, was den Luftangriff auf Snischne mit elf Toten angeht: der fand am 16.7. und nicht am 11.7. statt.

Russian Roulette (Dispatch 87)
November 20, 2014 | 9:41 pm

On July 17, 2014, Malaysia Airlines Flight 17 was shot down over eastern Ukraine, killing 298 innocent people. While investigations continue into exactly what happened, representatives from the Dutch Safety Board are still recovering pieces of the plane that have been lying in fields for four months. In the absence of an official determination, pro-Russia separatists and the Ukrainian government are putting out their own theories.
VICE News correspondent Simon Ostrovsky traveled to the site of the MH17 crash, where Dutch investigators continue their work, and spoke with a Cossack commander as well as a representative from the Ukrainian Security Services about the blame game between the two camps that will likely persist for months to come.

https://news.vice.com/video/russian-roulette-dispatch-87

Auch hier sieht man Ausweichendes: Kozitsyn faßt seine Antwort sinngemäß so zusammen, daß er der Ukraine die Schuld an der Nichtsperrung des Luftraums gibt. Auf die Nachfrage des Reporters, was wohl die Ursache des Absturzes sei, sagt er: „Rakete“ und grinst dabei. Auf die weitere Nachfrage, wer die denn abgeschossen habe, will er nicht antworten.

Ich halte es für falsch, aus den Eitelkeiten einzelner Protagonisten Schlüsse auf Tatsachen ziehen zu wollen. Der abservierte Igor Strelkow (Girkin) ist dafür ein gutes Beispiel.

Nachtrag (6.12.2014)

Die Tagesschau vermeldet:

Schwere Vorwürfe an ukrainische Behörden Luftraum hätte für MH17 gesperrt werden müssen

Stand: 03.12.2014 18:00 Uhr

Die ukrainische Flugaufsicht hätte nach Ansicht von Militärexperten den Luftraum über dem Osten des Landes schon vor dem Abschuss der Passagiermaschine MH17 zwingend sperren müssen. Das ergeben Recherchen von WDR, NDR “Süddeutscher Zeitung” und dem niederländischen Investigativteam “ARGOS”. Hintergrund ist der Abschuss einer Antonov-Militärmaschine wenige Tage vorher. Ein Satz, der auf diesen Zusammenhang hindeutet, wurde aus dem niederländischen Zwischenbericht vor der Veröffentlichung gestrichen. Beim Abschuss des Malaysia Airlines-Fluges waren im Juli 298 Menschen ums Leben gekommen.

[…]

Das Schlüsselereignis fand am 14. Juli 2014 statt, drei Tage vor dem Abschuss von MH17. Eine Rakete zerstörte eine Antonov, ein propellergetriebenes Transportflugzeug der ukrainischen Streitkräfte. Das Besondere an diesem Vorfall: Die Maschine wurde in einer Höhe von 6500 Metern getroffen – der erste Abschuss eines Flugzeugs in dem Konflikt in so großer Höhe.

Die zuständige ukrainische Behörde reagierte: Etwa sieben Stunden nach dem Abschuss der Militärtransportmaschine verbat sie das Fliegen, allerdings nur bis auf 9750 Metern – wenige Hundert Meter von der Standard-Reiseflughöhe der Langstreckenflieger entfernt. Bei ihrem Abschuss war die malaysische Boeing 777 auf etwa 10.050 Metern unterwegs.

Großes Flugabwehr-Raketensystem war im Einsatz

Laut Siemon Wezeman vom renommierten Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI) musste nach dem Abschuss der Antonov jedem klar gewesen sein: Hier wird nicht mehr von der Schulter geschossen. “Mit dem Abschuss der Antonov auf einer Höhe von 6500 Metern war es absolut klar, dass das nicht mit kleinen, sondern nur mit schweren Flugabwehr-Raketensystemen geschehen konnte”, so Wezemann.

“Diese größeren Raketensysteme zur Flugabwehr erreichen normalerweise ohne Probleme Höhen zwischen 10.000 und 13.000 Metern”, so Wezeman. “Dadurch, dass man gewusst hat, dass die Antonov nur durch schwere Flugabwehr-Raketensysteme vom Himmel geholt werden konnte, muss man sich wirklich wundern, warum die ukrainischen Behörden den Luftraum in der Region nicht komplett gesperrt haben“, so Wezeman weiter. Das ukrainische Verkehrsministerium äußert sich nicht zu den Vorwürfen. Man habe gerade einen Ministerwechsel.
[…]
In einer unveröffentlichten Version des niederländischen Zwischenberichts zu den Ursachen des Absturzes wurde auf die Sperrung des Luftraums durch die Ukraine hingewiesen. Das belegen Recherchen von WDR, NDR, “SZ” und dem niederländischen Investigativteam “ARGOS”.
Die Sperrung bis zu 9750 Meter wurde auf dem international üblichen Weg per sogenannter NOTAM (engl. “notice to airmen”) herausgegeben. Auf Seite 14 der unveröffentlichten Version des holländischen Zwischenberichts hieß es: “Die NOTAM mit der Luftraumbegrenzung wurde verfasst als Reaktion auf den Abschuss einer Antonov 24 am 14. Juli auf einer Flughöhe von 6500 Metern.”

Ein heikler Satz, denn er macht das Versagen der ukrainischen Flugaufsichtsbehörde offenbar. Eine Flughöhe von 9750 Meter – ausdrücklich genannt als Reaktion auf den Antonov-Abschuss – verweist genau auf den fatalen Fehler, den 298 Menschen mit dem Leben bezahlten. In der offiziellen Version des Zwischenberichts ist der Satz nicht mehr enthalten. Warum? Das “Dutch Safety Board” lehnt unsere Interview-Anfrage dazu ab und antwortet schriftlich, es sei nicht “100 Prozent” sicher gewesen, dass die Information in dem Satz korrekt sei. Seltsam, denn Fakt ist: Wenige Stunden nach dem Abschuss der Antonov hat die ukrainische Luftaufsicht eine Teilsperrung des Luftraums auf 9750 Meter verhängt.
[…]

http://www.tagesschau.de/ausland/malaysian-airlines-abschuss-101.html

Natürlich hat das Dutch Safety Board recht: den Verlautbarungen ukrainischer Behörden kann man nicht trauen: hinsichtlich des Abschusses der AN 26 (nicht: 24) am 14.7.2014 wurden zwei sich widersprechende propagandistische Nachrichten in die Welt gesetzt: einmal, daß dieses Flugzeug von russischem Staatsgebiet aus abgeschossen wurde, ein anderes Mal, daß diese Maschine in einer Höhe von 6.500 Metern geflogen sei, als sie von Rebellen abgeschossen wurde, die demnach über Waffen verfügt haben müssen, die über die üblichen manpads hinausreichten.

Kiew lügt, und das DSB hat darauf adäquat reagiert.

Daß regierungstreue Internet-Aktivisten die gewünschten Ergebnisse zusammengoogeln, läßt rational agierende Behörden natürlich kalt. In diesem Fall schon deshalb, weil die nachgereichte Beschuldigung durch den notorischen Peter Martin (NL) viel zu spät kam – von der mangelnden Beweiskraft seiner Bilder ganz zu schweigen.

Thursday, November 27, 2014

Unnoticed video of AN-26 downing confirms shot down from Russian territory.

Largely unnoticed video of the downing of Ukrainian AN-26 confirms it was shot down from Russian territory.[…]

http://ukraineatwar.blogspot.de/2014/11/unnoticed-video-of-26-downing-confirms.html

(wird fortgesetzt)

Und zwar hier:

https://gabrielewolff.wordpress.com/2015/01/19/ukraine-informationskrieg-um-mh-17-3/

Der Fall Gustl Mollath: Rosenkrieg und Versagen von Justiz & Psychiatrie III

Rosenkrieg 2

Fortsetzung von

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/12/07/der-fall-gustl-mollath-rosenkrieg-und-versagen-von-justiz-psychiatrie-ii/

Gegen den rechts- und verfassungswidrigen Beschluß des Amtsgerichts Nürnberg vom 22.4.2004, mit dem seine vorläufige Unterbringung zur Anfertigung eines psychiatrischen Gutachtens verfügt worden war, legte Gustl Mollath Beschwerde ein – während er noch am selben Tag, dem 22.4.2004, seinen Pflichtverteidiger Thomas Dolmany ablehnte, woraufhin das Gericht stantepede den Entbindungsantrag ablehnte. Es ist zu bedauern, daß sich aus der Chronologie des  Unterstützerkreises von Gustl Mollath weder ergibt, ob sein vom Gericht beigeordneter Verteidiger die Beschwerde begründete oder ob es Mollath selbst tat, noch, ob es wiederum die 7. Kammer des Vorsitzenden Richters am Landgericht Otto Brixner war, die die Beschwerde am 26.5.2004 ablehnte.

http://www.gustl-for-help.de/chronos.html

Rechtsanwalt Dolmany war dem unverteidigten Angeklagten am 3.12.2003 beigeordnet worden, und ein Verteidiger, dessen Geschäftsbetrieb auf Beiordnungen durch ein örtliches Gericht angewiesen ist, ist geneigt, ein Gericht nicht zu verärgern. So geriet Dolmany schon während einer unergiebigen Dezembersitzung 2003 beim Amtsgericht Nürnberg mit seinem für ihn ungeeigneten Mandanten aneinander: Thomas Dolmany hat diesen generellen Konflikt zwischen gerichtsaffinem Pflichtverteidiger und ausgesprochen schwierigem Mandanten so beschrieben:

Hatte Mollath denn keinen Anwalt?

Doch: den Pflichtverteidiger Thomas Dolmany, mit dem Mollath aber kaum redete, weil er ihm offenbar misstraute. Dolmany sagt, Mollath habe sich ihm gegenüber nicht geöffnet. Nicht einmal von dem Einsatz im Anwesen Mollaths habe er, soweit er sich erinnern könne, etwas gewusst. Der Anwalt wird von damaligen Prozessbeobachtern kritisiert, er habe sich kaum spürbar für Mollath eingesetzt. Dolmany erwidert im SZ-Gespräch, Mollath habe das Amtsgericht im Jahr 2003 „provoziert“. Er habe sich kaum in der Lage gesehen, seinem Mandanten zu helfen.

Ja, natürlich provoziert ein Angeklagter, der ein Gericht auf strafprozessuale Fehler hinweist. Der allzu stur (wenn nicht gar querulatorisch-fanatisch) auf Recht und Ordnung bis hin zur Erfüllung der Dienstmützenpflicht von Polizeibeamten besteht. Natürlich wagt kein Pflichtverteidiger eine Konfliktverteidigung, wie sie in diesem Fall allerdings angemessen gewesen wäre. Rechtsanwältin Andrea Combé hat vom Landgericht Mannheim nach ihrer engagierten Verteidigung von Jörg Kachelmann keine Pflichtverteidigeraufträge mehr bekommen. Such is life: Gerichte wünschen sich kooperative Anwälte, die Einsicht in das jeweils Machbare haben (und sei das jeweils Machbare auch nur auf Überzeugungen des Gerichts gegründet) und die systemimmanent funktionieren.

Mollath dagegen, ein Mensch, der verquer war, verstörend, grundsätzlich denkend, historisch und politisch einer fundamentalen Kapitalismuskritik verpflichtet, die die Verantwortung für die ganze Welt immer mitbedenkt, in seinen ethischen Grundsätzen so rigide, daß er zu keiner Diplomatie und zu keinen opportunistischen Zugeständnissen fähig war, wie es heutzutage von Menschen als Ausweis von Normalität erwartet wird: ein solcher Mensch, auch wenn er nicht pathologisiert wird, hat vor Gericht schon verloren. Denn im Gerichtssaal findet ein Ritual statt, innerhalb dessen Macht ausgeübt wird. Wer sich verhält wie Mollath, der die Spielregeln weder kennt noch akzeptiert, gleichwohl aber pingelig an der Strafprozeßordnung klebt, wird scheitern. Zusammengekettet an einen durch das Gericht als kooperativ konnotierten Verteidiger sowieso.

Gustl Mollaths Leben war seit 2002 aus den Fugen geraten. Ehekrise nach vierundzwanzig Jahren gemeinsamen Lebens, das Verlassenwerden durch die Ehefrau, finanzielle Probleme, das Scheidungsverfahren, im Februar 2003 der erste existenzielle Schock, nämlich die ergebnislose Hausdurchsuchung aufgrund von unzutreffenden Angaben der getrennt lebenden Ehefrau:

Möglicherweise entscheidend für die totale Verunsicherung aber dürfte – nach Beobachtung eines ehemaligen Nachbarn – ein Polizeieinsatz im ehemals gemeinsam bewohnten Anwesen der Mollaths in Nürnberg-Erlenstegen gewesen sein. Nach diesem Polizeieinsatz im Februar 2003 habe Mollath „in großer Panik gelebt, man wolle ihm offenkundig etwas anhängen“, erinnert sich der Nachbar im SZ-Gespräch.

Tatsächlich wurde eine Waffe im Haus Mollaths gefunden, das dieser nach dem Auszug seiner Frau alleine bewohnte. Es handelte sich um ein Luftdruckgewehr. Die damalige Ehefrau hatte bei der Kriminalpolizei angegeben, sie habe im zweiten Obergeschoss des Hauses „ein Gewehr“ gesehen.

Überdies gab die Frau an, ihr Mann habe angeblich davon geredet, „im Besitz einer Pistole“ zu sein, wie die Staatsanwaltschaft auf SZ-Anfrage erklärt. Daraufhin habe das Amtsgericht Nürnberg einen Durchsuchungsbeschluss erwirkt. Es habe der Verdacht bestanden, dass Mollath „die tatsächliche Gewalt über nicht näher bekannte Schusswaffen“ ausübe. Mollath erinnert sich, dass mehrere Polizeibeamte in seiner Wohnung aufgetreten seien. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft lassen sich anhand der Akten „keine Einzelheiten zum Ablauf des Einsatzes“ feststellen. Gefunden wurde: Ein nach Angaben Mollaths verrostetes, gar nicht mehr funktionstüchtiges Luftgewehr, das seine Eltern – die zuvor in dem Anwesen gewohnt hatten – angeschafft hätten. Laut Staatsanwaltschaft lassen sich keine Aussagen über den Zustand dieses Luftgewehrs machen. Es sei aber nicht eingezogen worden, denn es sei nicht genehmigungspflichtig gewesen.

Das Wichtigste aber: Eine Pistole fand sich nicht. Nach Angaben eines Nachbarn habe die Durchsuchung bei Mollath den Verdacht erhärtet, dass ihm nun mit allen Mitteln etwas angehängt werden sollte. Und dies möglicherweise von Personen, die er dunkler Geldgeschäfte bezichtigt hatte – unter anderem seiner damaligen Ehefrau. Diese will auf SZ-Anfrage nichts zu den Vorwürfen sagen.

Justizministerin Dr. Beate Merk legte sich am 6.12.2012 vor dem Rechtsausschuß schwer ins Zeug, was die Unschuldsvermutung zugunsten von der Steuerhinterziehung Verdächtigten und eines Richters angeht, der im Verdacht steht, strafvereitelnd und unzuständigerweise in eine schwebende Untersuchung der Finanzbehörde eingegriffen zu haben:

Nachzulesen und zu sehen hier:

http://de.scribd.com/doc/116448037/Beate-Merk-Rechtsausschuss

Aber gegenüber haltlosen Vorwürfen einer in Scheidung lebenden Ehefrau gilt keine Unschuldsvermutung zugunsten des Ehemannes, denn sie waren ja ›konkret‹ – da zieht man ersichtliche Falschbelastungsmotive natürlich nicht in Erwägung, so wie es allerdings umgekehrt bei der Steueranzeige von Mollath, die ja nur eine Retourkutsche gegen die reichlich verspätete Körperverletzungsanzeige seiner Frau von November 2002 war, durchaus gewürdigt worden war.

Anzuschauen hier (›Münchner Runde‹, Sendung vom 11.12.2012 in BR III, ab Minute 24):

http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/muenchner-runde/Podcast-Mollath-102.html

Am 16.5.2003 der Strafbefehl wegen der völlig haltlosen Anzeige des Schwagers wegen Briefdiebstahls  von November 2002 (hier erfolgte Freispruch wegen Tatbestandslosigkeit), am 23.5.2003 die Anklage wegen einer behaupteten gefährlichen Körperverletzung von August 2001 und einer einfachen Körperverletzung zum Nachteil der Ehefrau vom 31.5.2002 – das sind Schicksalschläge, die auch einen durchschnittlichen Menschen aus der Bahn geworfen hätten. Am selben Tag, dem 23.5.2003, dann auch noch die Erfahrung, daß sich die Ehefrau schnell getröstet und einen adäquaten neuen Partner (mit gleicherweisen guten Beziehungen, wie sie sie als Vermögensanlageberaterin gut betuchter Kunden in Nürnberg hatte) gefunden hatte, der ihn als Mann ausstach:

2003-05-23 Petra Mollath versucht gemeinsam mit dem befreundeten Rechtsanwalt Dr. Woertge und einer weiteren Person (die GM als Möbelpacker deutet) in das Haus von Gustl Mollath zu gelangen, um mögliche Beweise zu den Schwarzgeldverschiebungen verschwinden zu lassen.

Es stellt sich im Weiteren heraus, es sich bei dem „Möbelpacker“ um den Liebhaber von Frau Mollath handelt, einem Manager der Immobiliensparte der HypoVereinsbank-Group (die dann zur Hypo Real Estate ausgegliedert wurde). Bis zu diesem Zeitpunkt wollte Gustl Mollath seine Frau schützen.

http://www.gustl-for-help.de/chronos.html

Die normalpsychologisch nachvollziehbare Kränkung durch diese schnelle neue Partnerwahl schlägt sich noch in Mollaths bereits behandeltem Schreiben vom 3.11.2003 nieder, in dem es in einem P.S. heißt:

Der in den Unterlagen beschriebene Immobilienbereich der HVB Group , wo besagter Martin M…. in permanenter Sonnenbankbräune als Direktor arbeitet , wurde als AG an die Börse gebracht .

http://www.gustl-for-help.de/download/2003-2005-Mollath-Dokumente.pdf

Er mußte es erleben, daß seine Frau aufgrund ihrer Beziehungen eine Ferndiagnose einer veritablen Psychiaterin vom Erlanger Klinikum am Europakanal, Dr. Gabriele Krach, erlangte, die ihn allein aufgrund der Angaben seiner in Scheidung lebenden Frau für krank und gefährlich erachtete.

Es ist geradezu erstaunlich, wie sehr Mollath dennoch an Recht und Gerechtigkeit glaubte und nimmermüde, trotz ständiger Nackenschläge durch die Justiz, bis zum heutigen Tage, wenn auch skeptischer geworden, daran festhielt und -hält. Und in allen seinen Schreiben wie auch in seinem Auftreten, Höflichkeit bewahrt.

Seine Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen den Schwager Robert M. von November 2002 wurde auf den Privatklageweg verwiesen, seine Strafanzeige gegen seine Ehefrau und andere Mitarbeiter der Hypovereinsbank vom 9.12.2003 u.a. wegen bankentypischer Beihilfe zur Steuerhinterziehung (Verschleierung von Vermögensübertragungen in die Schweiz, deutsche Verwaltung der dortigen Kundenkonten) trotz präziser Auflistung von Verdächtigen, die Insiderkenntnis bewies, wurde nicht bearbeitet… Die ergänzenden Kontobelege und Buchungsanweisungen aus seiner Verteidigungsschrift vom 24.9.2003, auf die er verwiesen hatte, wurden so wenig ausgewertet wie die dort vorhandene Mitteilung der HypoVereinsbank vom 2.1.2003 an ihn, daß man aufgrund seiner Angaben eine Untersuchung eingeleitet habe. Eine Bank nimmt seine Hinweise ernst, die Staatsanwaltschaft nicht. Das gibt zu denken.

http://www.welt.de/regionales/muenchen/article111848062/Merk-verteidigt-ihr-Verhalten-im-Fall-Mollath.html

In Wirklichkeit steht die Ministerin nicht mehr vor dieser unzulänglichen Staatsanwaltschaft Nünberg-Fürth: die Rolle des Weißen Ritters, der bis zur Selbstdemontage die Fehler der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zu verteidigen hat, überläßt sie dem hierfür verantwortlichen Nürnberger Generalstaatsanwalt, Hasso Nerlich. Am Rande der ›Münchner Runde‹ vom 11.12.2012 hat sie, wie Bayern III im Rahmen der Sendung ›Kontrovers‹ vom 12.12.2012 dokumentiert hat, die Nichtanforderung des Revisionsberichts durch die Staatsanwaltschaft im Jahr 2004 jedenfalls kritisiert.

http://www.br-online.de/podcast/video-download/bayerisches-fernsehen/mp3-download-podcast-kontrovers.shtml

[ab Minute 3:54]

Die Brisanz des Revisionsberichtes der HypoVereinsbank, die die Staatsanwaltschaft, mit Rückendeckung durch die Generalstaatsanwaltschaft, zuvor verschleiert hatte, ist ihr nach dessen Kenntnisnahme seit dem 9.11.2012 selbstverständlich aufgegangen.

Der bestätigte nämlich genau das, was Mollath angezeigt hatte: daß die Bank bis 1998 die von ihm beschriebene Beihilfe zu Steuerhinterziehung durch klandestine Verbringung deutscher Vermögen in die Schweiz und Bearbeitung von Schweizer Konten deutscher Kunden durch eigene Mitarbeiter oder durch anreisende Mitarbeiter der Schweizer Tochterbank vollzogen hatte – und daß auch für die Bank der begründete Verdacht bestand, daß nach bankseitiger Abstellung dieser Praxis Frau Mollath und andere Mitarbeiter diesen Kundenservice, unter Abziehung von  Nürnberger Kundenvermögen in Höhe von 18,5 Millionen von der Schweizer Tochterbank,  gemeinsam mit der Schweizer Bank Leu, auf eigene Kappe fortgesetzt hatten. Es ging ja nicht darum, daß deutsche Kunden in Deutschland nicht versteuertes “Schwarzgeld” in die Schweiz verbracht haben sollen, das ist eine laienhafte Wertung der Vorgänge. Es geht darum, daß versteuertes Vermögen auf eine Art und Weise, die eine Nachvollziehbarkeit unmöglich macht, in die Schweiz verbracht wurde, um die dort erzielten Erträge dem deutschen Fiskus zu entziehen. Das war und ist Sinn und Zweck der Übung dieser speziellen ›Kundenpflege‹.

Überprüfbar war dieser Verdacht für die HypoVereinsbank, die über keine staatsanwaltschaftlichen Mittel verfügt, natürlich nicht, weil die Mitarbeiter die Vorwürfe selbstverständlich bestritten – sogar dann, wenn, wie im Fall Petra Mollath, ihr eine Vollmacht über das Schweizer Konto einer Kundin, von Mollath übermittelt, entgegengehalten werden konnte. Immerhin hat die Schweizer Bank Leu Provisionszahlungen nicht nur an Petra Mollath bestätigt – wodurch sich ein zwingender Anfangsverdacht ergeben mußte. Insgesamt gab es genug Anhaltspunkte dafür, daß die Vorwürfe stimmten (die nachgewiesene Zusammenarbeit mit der Schweizer Bank Leu einschließlich der Zahlung von Provisionen, die natürlich auf ein Schweizer Konto flossen und nicht auf das persönliche in Deutschland, sonst hätte es die Revision ermittelt; die Vollmacht für die Ehefrau, für eine Kundin Vermögen in der Schweiz zu verwalten; nachweisbare jährliche Schweizaufenthalte; die hohen Bargeldeinzahlungen auf ihr Konto; beim Mitarbeiter D. das spätere Eingeständnis, in der Schweiz Fremdkonten zu verwalten, seine Geldwäsche hinsichtlich eingestandenen Schwarzgeldes (Schweizer Franken und 1000,- DM-Scheine) für die besagte ›allgemein bekannte Persönlichkeit‹ über das eigene Konto).

http://www.swr.de/report/-/id=10583092/property=download/nid=233454/1t395cp/index.pdf

Und während die Staatsanwaltschaft, seit dem 29.12.2011 endlich,  nach Anforderung, im Besitz des Revisonsberichts, ihn am 5.1.2012 gleich an die Steuerfahndung weiterleitete, weil er in Kombination mit den Mollath-Vorwürfen vom  24.9.2003 und  9.12.2003 auch aktuell noch interessant ist und werthaltig sein könnte, will die eigene Fachabteilung nichts von dessen Brisanz mitgekriegt haben?

http://de.scribd.com/doc/116448037/Beate-Merk-Rechtsausschuss

Unsinn. Da sitzen Einser-Juristen, die ihr gesagt haben werden, daß sie jetzt die Flucht nach vorn antreten müsse, um wenigstens die bislang uninformiert gebliebenen Strafvollstreckungsgerichte und den etwaigen neuen Gutachter über die bislang unzulängliche Diagnosegrundlage eines paranoiden Wahns bei Gustl Mollath zu informieren. Denn die Ferndiagnose des für die Einweisung verantwortlichen Dr. Klaus Leipziger, Bayreuth, der als Vollstrecker des Maßregelvollzugs auch weiterhin Einfluß auf die Fortdauer der Maßregel hatte, war ja bis 2010 immer nur wieder fortgeschrieben worden. Und die tatsächliche Verfolgung, die Mollath erlitt und gegen die er sich wehrte, als mangelnde Krankheitseinsicht und verschwörungstheoretisches Konstrukt gewertet worden, wobei der Aspekt einer reaktiven Verengung seines Fokus‘ gerade durch die Unterbringung und deren Zustandekommen zu wenig gewürdigt wurde.

Auf Merks Einfluß hin wurde der Revisionsbericht der HypoVereinsbank durch die Staatsanwaltschaft Nürnberg am 20.11.2012  den mit der Maßregelvollstreckung befaßten Gerichten übersandt und am 29.11.2012 ein weiteres psychiatrisches Gutachten beantragt, obwohl die letzte Fortdauerentscheidung erst im September 2012 getroffen worden war, wie sie den Rechtsausschuß ebenfalls wissen ließ.

Aber die folgenreiche Abweisung von Mollaths Strafanzeige vom 9.12.2003 war nicht die einzige Fehlbehandlung, die seine Eingaben erfuhren.

Mollaths Petition war am 27.5.2004 im Rechtsausschuß abgelehnt und seine nach Erledigung der Petition angebrachten Schriftsätze von der Landtagsverwaltung schlicht nachgeheftet und weggelegt worden. Die allerdings waren offenbar so informativ, daß die Ministerin am 6.12.2012 vor dem Rechtsausschuß einräumte, daß sie sie nach Kenntniserlangung durch ihr Ministerium unverzüglich der für den Wiederaufnahmeantrag zuständigen StA Regensburg zugeleitet habe:

Ich habe am vergangenen Freitag [30.11.2012] den Generalstaatsanwalt in Nürnberg gebeten, einen solchen Antrag von Amts wegen bei der hierfür zuständigen Staatsanwaltschaft anzuordnen.

Sie wissen, dass es für eine Wiederaufnahme hohe gesetzliche Hürden gibt. Und deswegen möchte ich auch nochmal ganz klar betonen, weil das oftmals auch in der Diskussion im Plenum immer wieder nicht so gesehen wurde, und ich das deswegen nochmal sehr klar sagen möchte: Es war mir erst jetzt möglich, tätig zu werden. Unmittelbarer Anlass war nämlich der Bericht der Nürnberger Nachrichten vom vergangenen Freitag, der die Besorgnis der Befangenheit des für die Unterbringung zuständigen Richters möglich erscheinen ließ. Zuständiges Wiederaufnahmegericht ist das Landgericht in Regensburg. Zuständige Staatsanwaltschaft ist die Staatsanwaltschaft in Regensburg.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Staatsanwaltschaft wertet seither die Akten mit Nachdruck aus. Sie prüft den Sachverhalt umfassend, unter allen Gesichtspunkten, auf die Wiederaufnahme des Verfahrens. Zu den Akten gehören jetzt auch die Schreiben des Herrn Mollath an den Landtag aus dem Jahr 2004. Diese Schreiben sind beim Landtag nach der Behandlung seiner Petition im Rechtsausschuss eingegangen. Wir haben diese Unterlagen erstmals am Dienstag [4.12.2012] bekommen und sofort an die Staatsanwaltschaft in Regensburg weitergeleitet. Ich fasse zusammen: Die Wiederaufnahme des Verfahrens Mollath ist eingeleitet.

http://de.scribd.com/doc/116448037/Beate-Merk-Rechtsausschuss

Nur am Rande: selbstverständlich ist eine Zeitungsnachricht keine neue Tatsache, auf die sich ein Wiederaufnahmeantrag stützen ließe…

Natürlich war auch Mollaths diesbezügliches Schreiben vom 8.4.2004 an Edmund Stoiber erfolglos geblieben, obwohl er explizit auf eine Bankbestätigung über ein von seiner Frau verwaltetes Schweizer Nummernkonto mit einer Einlage von 780.000,- DM Bezug genommen und auf Eingaben an die verfahrenseinstellende Staatsanwältin verwiesen hatte, die von der StA Nürnberg offenbar nicht einmal als Beschwerde behandelt worden waren.

http://www.gustl-for-help.de/download/2004-04-08-Mollath-Brief-Stoiber.pdf

Was sodann in der Zeit vom 30.6.2004 bis 7.7.2004 geschah, nämlich die Festnahme und der Aufenthalt in der forensischen Psychiatrie in Erlangen, zerrüttete Mollaths ohnehin fragilen psychischen Zustand weiter. In einem Schreiben an den Präsidenten des Amtsgerichts Nürnberg und den Richter am Amtsgericht Eberl vom 23.9.2004 schilderte er erregt:

Durch den Beschluß von Richter Huber und Eberl randaliert Nachts um 4 Uhr, die übelste Truppe der Polizei von der Erlenstegenwache, an meinem Haus und reisst Nachbarn aus dem Schlaf.

Dann sprechen sich diese sogenannten Ordnungshüter, mit Kreisen der Schwarzgeldverschieber ab und nehmen mich unter skandalösen Umständen fest .

http://www.gustl-for-help.de/download/2003-2005-Mollath-Dokumente.pdf

Zwischenzeitlich hatte er sich allerdings vor der Polizei in einem Zwischenboden hinter einer Kiste versteckt, wie im landgerichtlichen Urteil auf S. 9 ausgeführt wird, das diese Festnahme allerdings unzutreffend als die Festnahmesituation bei Vollstreckung der vorläufigen Unterbringung vom 27.2.2006 beschreibt – das ist beileibe nicht die einzige sachliche Unrichtigkeit in diesem Urteil.

http://www.gustl-for-help.de/download/2006-08-08-Mollath-Urteil-Landgericht.pdf

Aus einem Interview von Oliver García und dem seinerzeitigen Schöffen Heinz Westenrieder:

Etwas Verwirrung herrscht hinsichtlich der Umstände der Festnahme Mollaths zur vorläufigen Unterbringung: Im Urteil steht, daß er sich auf dem Dachboden seines Hauses versteckt habe und dort festgenommen worden sei. Ein Polizeiprotokoll belegt aber, daß er sich selbst bei der Polizei gestellt hat. Kam dazu etwas in der Hauptverhandlung zur Sprache?

Ja. Der Polizist […] hat ausgesagt, er habe Herrn Mollath wegen des Unterbringungsbeschlusses festgenommen und er hätte sich auf dem Dachboden hinter irgendeinem Verschlag versteckt. Das ist, wie wir jetzt wissen, falsch. Die Festnahme im Dachgeschoß ist offensichtlich erfolgt, als Mollath das erste Mal zur Begutachtung in die Psychiatrie eingeliefert werden sollte. Nicht bei der Vollstreckung des Unterbringungsbeschlusses der Kammer.

Hat es denn eine Bedeutung, bei welcher Festnahme Mollath sich zu verstecken versuchte?

Wenn in der Hauptverhandlung nicht nur dieser Polizist ausgesagt hätte, sondern auch die beiden Polizisten, bei denen sich Mollath zur Vollstreckung des Unterbringungsbeschlusses freiwillig gestellt hatte – an der Lorenzkirche in Nürnberg -, dann hätte das ein ganz anderes Bild vom Geisteszustand Mollaths gezeigt. Ich weiß nicht, wer die Auswahl der jeweiligen Zeugen getroffen hat, die Staatsanwaltschaft oder der Vorsitzende.

Jetzt verstehe ich Sie. Sie meinen, daß der Polizist, der zu der “Dachbodenverhaftung” ausgesagt hatte, geladen wurde, um den Geisteszustand Mollaths zu unterstreichen?

Nein, nein. So weit will ich nicht gehen, da bin ich vorsichtig und ich will hierzu auch keine Verschwörungstheorien aufstellen, um Gottes willen. Aber die Aussage dieses Polizisten hat den Eindruck verstärkt, daß Mollath wirr ist oder nicht alle Tassen im Schrank hat, um es so auszudrücken.

Die Situation eskalierte, als Mollath gefesselt wurde und miterlebte, daß zeitgleich der Gerichtsvollzieher Hösl und Rechtsanwalt Dr. Woertge, dem er schon mehrfach Hausverbot erteilt hatte, erschienen, um genau zu dem Zeitpunkt, in dem er verhaftet wurde, das Haus nach pfändbaren Gegenständen zu durchsuchen. Das, so meinte er, könne kein Zufall sein. Die Polizei wollte ihm nicht gestatten, ein Telefonat zur Zuziehung eines Zeugen zu führen, was der Gerichtsvollzieher dann aber ermöglichte. Weiter aus Mollaths Strafanzeige vom 5.8.2004, adressiert an den Präsidenten des Amtsgerichts Nürnberg:

Die Polizeibeamtin legte mir Handschellen auf dem Rücken an.

Extra, um mir Schmerzen zu verursachen, hat die Beamtin dann mehrmals die Handschellen, so fest sie konnte, nachgedrückt, damit diese schmerzhaft auf Spannung sitzen .

[…]

Als ich bei Dr. Wörthmüller eingeliefert wurde , hatten sich tiefe rote Spuren an meinen Handgelenken gebildet. Im Eingang der Pforte habe ich dies Dr. Wörthmüller gezeigt und mich Beschwert . Wie vorher bei den Beamten .

Zeugen : […]

http://www.gustl-for-help.de/download/2003-2005-Mollath-Dokumente.pdf

Zu einer Begutachtung durch Dr. Michael Wörtmüller kam es nicht. Schon am Tag nach der Einlieferung, am 1.7.2004, begründete er seine Befangenheit wegen Vorbefassung mit der Angelegenheit; in der Woche zuvor hatte er bereits mit Mollath, der Wörthmüllers befreundeten Nachbarn aufsuchen wollte, gesprochen, und sich von diesem Nachbarn ausführlich dessen Sicht der Angelegenheit Mollath schildern lassen.

Befangenheitserklärung Dr. med Wörthmüller [PDF-Datei]

Was hätte daraufhin zwingend geschehen müssen?

Der amtsrichterliche Beschluß vom 22.4.2004 rechtfertigte eine zwangsweise Unterbringung lediglich zur Vorbereitung eines Gutachtens und schrieb vor:

Er [der Angeklagte] ist zu entlassen sobald der Untersuchungszweck erfüllt ist.

Beschluss zur Gutachtenerstellung [PDF-Datei]

Gleiches gilt, wenn der Untersuchungszweck wegen eigener Ablehnung des Gutachtenauftrags nicht mehr erfüllt werden kann. Mollath hätte sofort, noch am 1.7.2004, entlassen werden müssen. Dies geschah aber nicht.

Mollath protestierte mit Schreiben vom 12.7.2004  an Dr. Michael Wörtmüller und den ärztlichen Direktor Dr. Schneider gegen diese rechtswidrige Behandlung (und monierte zudem zutreffend, man habe ihm bei Entlassung am 7.7.2004 seinen Rasierapparat nicht ausgehändigt – wie sich später herausstellte, fehlte auch noch ein Gürtel). Die Überschrift des Schreibens in großer Schrift lautete:

Isolationshaft gegen meinen Willen vom 30.6.04 bis 7.7.04 in Ihrer Einzelzelle

[…]

–       Sie meinten am 2-ten Tag meiner Haft , Sie müssten sich selbst für befangen erklären .

Da Sie gegenüber von Bernhard R… wohnen der wiederum Vorstand der Fortis Finanz Vermögens Anlage AG […] in Nürnberg ist . Wie die Arbeitskollegen meiner früheren Frau , die weiteren Vorstände, Wolfgang D… und Udo S… Das alles steht in umfangreichen Zusammenhang mit der

Größten Schwarzgeldverschiebung in die Schweiz [in Großbuchstaben]

Wann und wo haben Sie sich für befangen erklärt und warum blieb ich trotzdem eine Woche in Isolationshaft in Ihrer Einzelzelle ?

http://www.gustl-for-help.de/download/2003-2005-Mollath-Dokumente.pdf

Gute Frage. Eine Antwort von Dr. Wörthmüller ist nicht überliefert.

Wenn sich nun auch diese Vermögensberatungsfirma ein wenig anders schreibt, als hier angeführt, so hat Mollath im Kern aber wieder einmal recht: in dieser im Sommer 2003 gegründeten Aktiengesellschaft fungierte neben Bernhard R… im Vorstand auch Wolfgang D., jener Mitarbeiter, der von Mollath ebenfalls belastet worden war. Im Revisonsbericht der HypoVereinsbank steht er an ganz besonderer Stelle: auch er sollte, wie Frau Mollath, außerordentlich gekündigt werden, kündigte jedoch am Tag der Kündigung von Petra Mollath, am 25.2.2003, selbst, um sich wenige Monate später selbständig zu machen.

Zusammen mit Udo S…, ebenfalls im Vorstand der neuen eigenen Aktiengesellschaft. Dieser  betreute seit 1994 vermögende Privatkunden bei der HypoVereinsbank in Nürnberg. Anschließend betreute Udo S… vermögende Kunden bei der Bethmann Vermögensbetreuung (HVB Gruppe) und war ab 2001 in leitender Funktion bei der Schmidt-Bank in Nürnberg tätig, über die Frau Mollath arbeitsrechtlich unerlaubte Geschäfte mit DAX-Futures durchgeführt hatte, wie sie im Rahmen der Sonderrevison gestand.

Es ist leicht nachvollziehbar, was Bernhard R… seinem Nachbarn Dr. Michael Wörtmüller über Mollath erzählt haben dürfte: die Befangenheitserklärung von Dr. Wörthmüller erscheint ebenso berechtigt wie das Mißtrauen, das Mollath ihm und dem Klinikum gegenüber hegte, von dem ja schon die erste, ihn belastende, Ferndiagnose stammte. Welche Erklärung also könnte es dafür geben, daß Mollath rechtswidrig in der forensischen Abteilung festgehalten wurde?

Mollath selbst schilderte in seiner Strafanzeige vom 5.8.2004 folgendes Szenario:

Da ich die Verbindung von Dr. Wörthmüller zu den Schwarzgeldverschieberkreisen aufgedeckt habe und nachweisen kann , mußte sich Dr. Wörthmüller letztlich für befangen erklären.

Trotzdem versuchte Dr. Wörthmüller vorher tagelang mich zu folgender Abmachung zu bewegen :

Er macht ein angeblich „harmloses“ , für mich passendes , Gutachten , dafür muß er sich nicht für befangen erklären und die Verbindung zu den Schwarzgeldverschiebern bleibt unter uns .

Als ich über Tage , auch unter seelischer Folter , nicht auf den Handel einging , blieb ihm nichts anderes übrig Als sich doch nachträglich für befangen zu erklären.

Beweis : Schreiben von Dr. Wörthmüller datiert auf den 1.7.2004, aber erst am 5.7.2004 gefaxt an das Amtsgericht Nürnberg Richter Eberl . Plus Fax Empfangsbericht des Amtsgerichts v.5.7.04 .

http://www.gustl-for-help.de/download/2003-2005-Mollath-Dokumente.pdf

In seinem weiteren Schreiben, wegen der Nichtreaktion auf seine Strafanzeige schon sehr erregt, führte er hierzu weiter aus:

Rechtsanwalt Ophoff konnte von Dr. Wörthmüller bewegt werden  samstagmittag [3.7.2004] in die Klinik zu kommen , dennn ich bestand auf eine Rechtsberatung , weil ich sonst mit Ihm nicht über seinen Vorschlag verhandeln kann: er schreibt ein für mich passendes Gutachten , dafür bleibt seine Beziehung zu den Schwarzgeldverschiebern in Form von Bernhard R… (was ich ihm kurz vorher nachwies) unter uns .

Als er  Rechtsanwalt Ophoff hörte der Rüstungs – Familien Diehl clan spielt in meinem Fall eine Rolle sagte er kreidebleich : „Die schrecken ja auch vor Mord nicht zurück“, sprang auf und wollte gehen . Bei einem späteren Gespräch in der Kanzlei ( Dr. Wörthmüller hatte sich zu spät für befangen erklären müssen, da ich auf sein Geschäft, auch unter Folter, nicht ein ging ), meinte Rechtsanwalt Ophoff: „seien Sie doch froh  als ich sie besuchte , hätten Sie doch auch blödgespritzt sein können“.

http://www.gustl-for-help.de/download/2003-2005-Mollath-Dokumente.pdf

Auf die Weiterung in Sachen der beherrschenden Nürnberger Größe, des Rüstungskonzerns Diehl,

http://www.diehl.com/

einzugehen, fehlt hier der Raum. Was den angeblichen Vorschlag von Dr. Wörthmüller angeht, läßt sich zumindestens verifizieren, daß Mollath im Oktober 2004 tatsächlich über einen Wahlverteidiger verfügte:

2004-10-08 Die Beschwerde von Gustl Mollath und seinem Wahlverteidiger gegen diese Anordnung wird verworfen.

http://www.gustl-for-help.de/chronos.html

Im landgerichtlichen Urteil wird auf S. 7 ausgeführt, daß sich Rechtsanwalt Ophoff am 6.7.2004 unter Vorlage einer Vollmacht als Wahlverteidiger angezeigt habe.

Es besteht also eventuell die Chance einer Aufklärung. Aus der Aktenlage ergibt sich jedenfalls, daß es Dr. Michael Wörthmüller darauf ankam, das ihn beauftragende Gericht nicht zu verärgern. Gutachtenaufträge sind, das darf man nicht vergessen, begehrte Einnahmequellen, auch für die Klinik. Und sie erhöhen die Reputation.

Am Montag, dem 5.7.2004, verschickte er um 11:53 Uhr zwei Faxe an das Amtsgericht Nürnberg – Richter Eberl.

Als erstes dieses hier:

Sehr geehrter Herr Richter Eberl,

um eine kurzfristige Bearbeitung des bereits eingeleiteten Unterbringungsverfahrens nach § 81 StPO zu ermöglichen, habe ich Herrn Dr. Leipziger vom Bezirkskrankenhaus Bayreuth angesprochen, der sich bereit erklärte, den Gutachtensauftrag und Herrn Mollath kurzfristig zu übernehmen. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, könnte der Angeklagte somit bereits in den nächsten Tagen dorthin überstellt werden, so dass eine wesentliche Verzögerung der Erledigung des Gutachtensauftrages vermieden wird.

http://www.gustl-for-help.de/download/2003-2005-Mollath-Dokumente.pdf

Als zweites Schreiben folgte das vom 1.7.2004, mit dem er seine Befangenheit erklärte, das mit folgender Klausel endete:

Ich bedaure, dass ich den von Ihnen freundlicherweise übermittelten Auftrag somit nicht erfüllen kann. Ich hoffe, Ihnen hiermit nicht zu viele Unannehmlichkeiten zu bereiten und verbleibe mit dem Wunsch nach weiterhin guter Zusammenarbeit und freundlichen kollegialen Grüßen

http://www.gustl-for-help.de/download/2004-07-01-Mollath-Forensik-Befangenheit.pdf

Deutlicher kann man gar nicht ausdrücken, daß man sich die Gewogenheit des Gerichts trotz des objektiv wie subjektiv begründeten „Ausfalls“ erhalten möchte. Da verlängert man entgegen der Beschlußlage die Freiheitsentziehung und bietet Ersatz durch einen Kollegen an, quasi die Entscheidungskompetenz des Gerichts übernehmend.

Insofern erscheint mir die Behauptung von Mollath über den vorgeschlagenen Deal plausibel. Dr. Wörthmüller kam es auf eine reibungslose Kooperation mit dem Gericht an. Und harmlos ist Mollath eh, daran ändert auch keine Pathologisierung seiner heutzutage nur noch Künstlern zugestandenen Absolutheit des Urteils, die Selbstüberhebung, die Durchlässigkeit für das Leid der Welt etwas. Da hatte er durchaus recht, und in der ex post-Betrachtung ist es doch sehr schade, daß Mollath auf dieses Angebot nicht eingegangen ist. Das war ihm schlicht nicht möglich. Dazu war er zu aufrecht und zu ver-rückt.

Wörthmüllers Faxe lösten allerdings bei der Justiz Entsetzen aus. Faxe mögen schnell sein, aber Richter haben keine Präsenzpflichten, und so nahm Richter Eberl erst am 7.7.2004 von dem Fax Kenntnis. Und notierte handschriftlich auf dem Fax mit der Miteilung über die eigenmächtige rechtswidrige Verlängerung der Freiheitsentziehung durch Dr. Wörthmüller:

M.A. [mit Akten] per Boten unter eilt sehr! [doppelt unterstrichen]

an die StA Nbg./Fürth – Hrn. StA Engels (Zi 5.13)

z.K., Stellungnahme u. evt. w.V.

http://www.gustl-for-help.de/download/2003-2005-Mollath-Dokumente.pdf

für Nichtkenner der juristischen Floskeln  übersetzt:

Zur Kenntnis, Stellungnahme und eventueller weiterer Veranlassung.

Wenigstens die Staatsanwaltschaft war über die Grenzen der Unterbringung gemäß § 81 StPO informiert – und veranlaßte noch am 7.7.2004 Mollaths sofortige Freilassung aus dieser rechtswidrigen Unterbringung.

Angesichts der heutigen rein emotionalen Litigation-PR von Beate Lakotta in SPON

und der von Anita Blasberg, Kerstin Kohlenberg und leider auch Sabine Rückert in der ZEIT 51/12, 13.12.2012, S. 2-3,

kann man gar nicht genug auf die Rechtsfehler hinweisen, die dieses Verfahren prägen und zu einem Skandal machen.

Es stimmt mich dann doch sehr fröhlich, wie Frau Mollaths in der ZEIT ausgebreitete tränenselige und den Rosenkrieg fortführende Erklärung, wieso sie »aufgrund der befürchteten weiteren Angriffe« ihres Mannes das zeitnah ausgestellte Attest bei ihrem Auszug im Mai 2002 nicht habe mitnehmen können, weshalb sie sich das Attest am 3.6.2002 neu habe ausstellen lassen, durch die SPIEGEL-Recherche komplett widerlegt wird.

Danach gab es nämlich nur ein einziges Attest, nämlich das am 3.6.2002 ausgestellte – blöd, da haben sich die angegriffen gefühlten Parteien nicht clever genug abgesprochen:

Das Attest stammt laut Stempel aus der Praxis der Nürnberger Allgemeinärztin Madeleine R. Die Illustrierte „Stern“ hatte vor drei Wochen berichtet, die Ärztin habe sich auf Anfrage nicht an eine Patientin namens Petra Mollath erinnern können. Zudem arbeite eine Freundin von Mollaths Frau in der Praxis als Sprechstundenhilfe. Alles klar. Als Verschwörungstheoretiker zählt man eins und eins zusammen und landet beim Komplott, in das die Ärztin verstrickt sein muss.

Hätten die Verschwörungstheoretiker recht, wäre das fatal. Dann wäre das Nürnberger Landgericht im Jahr 2006 einer gewissenlosen Rosenkriegerin aufgesessen, und das Urteil, das zu Mollaths Einweisung führte, wäre ein Fehlurteil.

Doch es gibt eine einfache Erklärung für die fehlende Erinnerung der Ärztin: Laut Attest findet sich Gustl Mollaths Frau Petra am 14. August 2001 zur Untersuchung ein. Aber nicht Madeleine R. führt diese durch, sondern ihr Sohn Markus, ebenfalls Arzt, der zu der Zeit als Assistent in der Praxis arbeitet. Das Attest trägt deshalb den Stempel der Praxis mit seiner Unterschrift.

Keine Beweise für Schwarzgeldgeschäfte

Er erinnert sich an die Patientin, ihre Angaben und die Verletzungen hat er dokumentiert. Noch heute sind sie in der Praxis-EDV nachzuvollziehen: Demnach gab Petra Mollath an, ihr Mann habe sie zwei Tage zuvor mehrfach mit der flachen Hand geschlagen, bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und sie gebissen. Sie sei in diesem Jahr schon zweimal von ihm misshandelt worden.

Als Petra Mollath sich ein Jahr später im Zuge der Trennung entschließt, ihren Mann wegen Körperverletzung anzuzeigen und den Arzt um ein entsprechendes Attest bittet, stützt er sich auf seine Aufzeichnungen: „Die bei uns durchgeführte Untersuchung am 14.08.01 um 11:30 zeigte folgende Befunde: Prellmarke und Hämatom der rechten Schläfe von 3×5 cm Durchmesser, handbreite Hämatome an beiden Oberarmen, Hämatome an beiden Unterschenkeln, am linken Oberschenkel, Würgemale am Hals unterhalb des Kehlkopfes, Bisswunde am rechten Ellenbogen mit Abdruck von Unter- und Oberkiefer (…). Die erhobenen Befunde und Verletzungsmuster decken sich mit der Anamnese, die Schilderungen der Patientin sind durchaus glaubhaft.“

Es sei nicht ungewöhnlich, sagt der Arzt dem SPIEGEL, dass Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden, erst nach längerer Zeit Anzeige erstatten und dann um ein Attest bitten. Auch in diesem Fall sei es so gewesen, er könne dies vor Gericht bezeugen.

Doppelt froh muß man sein, weil es nun erwiesen ist, daß Brixner in seinem Urteil bewußt die Tatschilderung des Attestes unterschlagen hat: denn die „ohne Belastungseifer“ aussagende Ehefrau hatte vor Gericht keine Schläge mit der flachen Hand, sondern zwanzig Faustschläge bekundet. Daß das Attest die Tatschilderung gerade nicht stützt, ist leider auch dem BGH nicht aufgefallen.

SPON und ZEIT kann man nur raten, sich nicht instrumentalisieren zu lassen, nicht mit Unterlassungen zu arbeiten und sich ansonsten auf den verfügbaren Akteninhalt zu stützen. Ob dazu, liebe ZEIT, Angaben aus dem Unterbringungsgutachten von Prof. Dr. Klaus Leipziger gehören, die der verfassungswidrigen Beobachtung des Angeklagten entspringen, wage ich doch arg zu bezweifeln.

Update (14.12.2012):

Wie schnell andere Staatsanwaltschaften einen Anfangsverdacht wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch eine Bank bejahen, zeigt dieser aktuelle Fall:

8.11.2012

Steuerhinterziehung

Deutsche Staatsanwälte ermitteln gegen UBS

Die Mannheimer Anklagebehörde ermittelt gegen Mitarbeiter und Kunden der deutschen UBS-Tochter. Das Verfahren dürften die Beziehungen zur Schweiz belasten.

[…]

Die Staatsanwaltschaft Mannheim ermittelt erneut gegen Verantwortliche der Deutschland-Tochter der Schweizer UBS-Bank wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Mitarbeiter der Bank sollen Kunden dabei geholfen haben, Geld am Finanzamt vorbei in die Schweiz zu bringen. Der Einzelfall eines badischen Kunden habe die Ermittlungen ausgelöst, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Im Mai hatten Fahnder in dem Fall die Deutschland-Zentrale in Frankfurt durchsucht.

Der Stuttgarter Zeitung zufolge richtet sich das Verfahren zum einen „gegen noch unbekannte Verantwortliche bei der UBS Deutschland AG“. Zum anderen seien auch die entsprechenden Kunden der Bank wegen Steuerhinterziehung im Visier. Das Geld soll über ein internes Verrechnungskonto der Bank in die Schweiz verschoben worden sein. Die Vorgänge reichten bis weit in das Jahr 2012 hinein.

Die UBS wies die Vorwürfe zurück: Eine interne Abklärung habe „keinerlei Hinweise auf ein Fehlverhalten von UBS Deutschland“ ergeben, sagte ein Sprecher. „Wir bieten Kunden keine Unterstützung bei Handlungen, die der Umgehung ihrer Steuerpflichten dienen.“

http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2012-11/ubs-steuerhinterziehung-schweiz-ermittlungen

Update (14.12.2012):

Oliver García hat (neben einer lesenswerten Analyse der ZEIT- und SPIEGEL-Artikel zum Thema Mollath vom 13.12.2012) eine weitere überraschende Erkenntnis zu dem Attest vom 3.6.2002 geliefert:

Ausgerechnet eines der neuen Fakten, die von den Journalistinnen zusammengetragen wurden, könnte nun das Wiederaufnahmeverfahren zugunsten Mollaths beschleunigen: Die neue Erkenntnis über das Zustandekommen des dem Urteil zugrundeliegenden Attests über die Verletzungen (die angeblich von dem Ehemann herrühren – hier kam es zu einer Überführung allein aus einer nicht hinreichend gewürdigten Aussage-gegen-Aussage-Situation heraus).

Dieses Attest war laut Erklärung des Sohnes der Ärztin Dr. Reichel von diesem selbst ausgestellt. Dieses Attest – es liegt mir in Kopie vor – beginnt mit dem Briefkopf “Dr. med. Madeleine Reichel”, enthält im wesentlichen die im SPIEGEL-Artikel wörtlich wiedergegebenen Befunde und endet mit einem unleserlichen Namenszug, über den ein Stempel “Dr. med. Madeleine Reichel” aufgedrückt ist und dessen Unterzeile lautet “Dr. med. Madeleine Reichel”. Damit handelt es sich im Sinne des Urkundenbegriffs des § 267 Abs. 1 StGB und des § 359 Nr. 1 StPO um eine Urkunde, deren Aussteller im Rechtssinne Dr. med. Madeleine Reichel war (sog. “Geistigkeitstheorie”, siehe etwa OLG Hamm, Beschluß vom 24.09.2002 – 1 Ss 743/02). Wenn tatsächlich aber ihr Sohn das Attest geschrieben hat, dann spricht einiges dafür, daß es sich um eine zumindest objektive Urkundenfälschung handelt. Die Herstellung einer Urkunde unter fremden Namen kann zwar in bestimmten Fällen zulässig sein (“verdeckte Stellvertretung”), doch würde dies hier an der Unechtheit der Urkunde nichts ändern, da der Sohn gerade nicht eine Erklärung seiner Mutter über eine Untersuchung durch sie dokumentieren wollte (die es nicht gab), sondern eine tatsächlich durch ihn durchgeführte.

Falls das Verhalten des Sohnes – wegen Erfüllung auch des subjektiven Tatbestands – eine Straftat darstellen sollte, so stünde § 364 StPO einer sofortigen Wiederaufnahme nicht im Wege, da jedenfalls Verjährung eingetreten ist. Fraglich kann allein sein, ob die Kausalität der Urkundenfälschung für das Urteil auszuschließen ist (§ 370 Abs. 1 StPO). Bei dieser Prüfung, die nun zunächst der Staatsanwaltschaft obliegt, kommt es entscheidend auf die gesetzliche Sonderregelung für diese Art von Urkunden in § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO an. An ein Dokument von solcher Bedeutung, daß es eine sonst zentrale Zeugenaussage erübrigt, müssen hohe Anforderungen gestellt werden. Die Person des Ausstellers ist zumindest abstrakt von Bedeutung für seine Beweiskraft. Den Verfahrensbeteiligten, einschließlich dem Verteidiger, muß es in und außerhalb der Hauptverhandlung möglich sein, aufgrund der Merkmale Inhalt und Aussteller der Urkunde Schlüsse zu ziehen für das weitere Vorgehen im Verfahren (weitere Erkundigungen, Beweisanträge). Allein schon dieser Gesichtspunkt könnte eine hypothetische Erwägung, ob nicht ein Attest mit richtiger Angabe des Ausstellers gleich behandelt worden wäre, ausschließen.

In jedem Fall handelt es sich um eine gewichtige neue Erkenntnis für das Wiederaufnahmeverfahren, die hinzutritt zu den meiner Meinung nach für sich schon ausreichenden Gründen für eine Wiederaufnahme.

http://blog.delegibus.com/2012/12/14/fall-mollath-wenn-die-welle-des-journalismus-bricht/

Update (15.12.2012)

Nun hat sich also auch der TAGESSPIEGEL urplötzlich in die Gilde derjenigen Presseorgane eingereiht, die Faktenverweigerung und Emotionalisierung betreiben:

Fast scheint es so zu sein, dass es einem an Wahnvorstellungen leidenden Mann gelungen ist, die Wahrheit zu benutzen, um größtmöglichen Schaden und Verwirrung anzurichten.

Natürlich können Tagschreiber sich nicht die Mühe machen, in die Dokumente zu schauen:

http://www.gustl-for-help.de/chronos.html

http://www.gustl-for-help.de/download/2003-2005-Mollath-Dokumente.pdf

da wird lieber weggelassen, fabuliert, „Unterstützerkreise“ als durchgeknallte Verschwörungstheoretiker diskreditiert – zugegeben, da gibt es einige, aber sie stellen nicht die Mehrheit –, der Leiter einer forensischen Psychiatrie bedauert, der erneut Ermittlungen wegen Freiheitsberaubung erleiden muß, und aber leider nicht sagen darf, wie furchtbar dieser Patient Mollath wirklich ist, denn da gibt es ja ein Schweigegebot des Behandlers, der seit Jahren am Behandeln des Krankheitsunsichtigen gehindert wird. Und, übel, übel, im Jahr 2011 hat das Bundesverfassungsgericht auch noch die Zwangsbehandlung von Patienten im Maßregelvollzug so gut wie unmöglich gemacht…

Im Rahmen dieses viel zu späten Stürmchens gegen den Mainstream von Presse, Öffentlichkeit und Politik wird auch vor krassen Unwahrheiten nicht zurückgeschreckt. So Patrick Guiton am 15.12.2012 im TAGESSPIEGEL, der eine nicht vorhandene Kluft zwischen Presse und Internet-Foren und Blogs aufmacht:

In welche Schieflage, in wie viel Polemik, Beleidigung und Verschwörungstheorie das Thema abgeglitten ist, zeigt die überbordende Diskussion in Internet-Foren. Was Zeitungen wie der Tagesspiegel weiterhin schützen – etwa den heutigen Namen von Mollaths Ex-Frau, ihre derzeitige Tätigkeit, die Namen der angegriffenen Psychiatrie-Gutachter oder des Vorsitzenden Richters in der umstrittenen Verhandlung 2006 – all das verbreitete sich im Internet innerhalb von Stunden und wird seither mit dementsprechender Häme kommentiert.

Bis auf den aktuellen Namen von Petra Mollath haben alle anderen Presse-Medien die von ihm beanstandeten Einzelheiten ebenfalls gebracht. Und der aktuelle Name von Petra Mollath einschließlich ihrer Geistheiler-Website wurde unbeanstandet in den Foren herkömmlicher Medien verbreitet. Und überhaupt: warum sollten die beteiligten Richter und Psychiater anonym bleiben dürfen?

Gut, daß es im Internet unabhängige, kritische Autorinnen wie Ursula Prem gibt, die das urplötzliche Vorgehen von ZEIT, SPIEGEL und TAGESSPIEGEL brillant unter die Lupe nimmt:

Der Fall Gustl Mollath – die Stunde der Hyänen

Eine kritische Medienbetrachtung von

Ursula Prem


Zwischen dem 13. und 15.12.2012 erschienen in großen Medien drei Artikel mit offensichtlich gleicher Zielsetzung: Das in der Öffentlichkeit über Gustl Mollath bestehende Bild zu »korrigieren« und klarzustellen, dass er kein Justizopfer, sondern tatsächlich ein gefährlicher Wahnsinniger sei. Noch kein Problem, möchte man sagen, denn in Zeiten steigenden Kostendrucks, mieser Bezahlung und daraus resultierender fehlender Recherchezeit macht gegenseitiges Ab- und Umschreiben von Inhalten auch vor großen Redaktionen nicht Halt. In diesem Fall jedoch sollten wir sehr aufmerksam sein, denn alle drei Medien vollführten eine schlagartige, fast zeitgleiche Kehrtwendung in ihrer Betrachtung des Falls.

[…]

Im Gegensatz zu mir (ich bin doch etwas sehr altmodisch und nicht gerade technik-affin) richtet sie ihren Blick auch auf Twitter und online-Petitionen: und findet Belege für klassische bezahlte Litigation-PR:

Nur kurz nach dem Erscheinen des SPIEGEL-Artikels schlug die Stunde der neuen Gesichter in der Timeline zum Hashtag #Mollath auf Twitter: Der Link zum Artikel wurde über zahlreiche Accounts in Minutenschnelle verbreitet, deren Inhaber sich zum größten Teil bis zu diesem Zeitpunkt zumindest auf Twitter in keiner Weise um den Fall Mollath gekümmert hatten. Ihre Arbeitsanweisung muss in etwa gelautet haben: »Setze einen provokanten Tweet mit dem Hashtag #Mollath und verlinke auf den SPIEGEL-Artikel«, so sehr ähnelten sich die neuen Nachrichten. Viele der Accounts ähnelten sich auch in ihrer Struktur: Wenige Followers im Verhältnis zu der Menge abgesetzter Tweets (Beispiel: 69 Followers bei über 12.000 (!) Tweets, was aufgrund der Funktionen von Twitter schon ein Kunststück für sich darstellt). Klar: Diese Accounts dienen nicht der persönlichen Kommunikation. Wir dürfen sie als Lautsprecher betrachten, die kraft ihrer Masse Autorität vermitteln sollen. Selbstverständlich ließ sich die überwiegende Zahl der neuen Gesichter auf keine weiterführende Diskussion ein und interessierte sich auch nicht für tatsächliche Fakten. Der Auftrag lautete demgemäß: Link abkotzen und raus aus der Nummer. Wer sich seine eigenen Gedanken darüber machen möchte, findet hier eine schnelle Übersicht.

Frage an alle Lautsprecher:

Wie viel bekommt man für so einen Nachrichtentweet? 2 €? Oder auch 5 €? Lohnt sich das Geschäft tatsächlich? Oder handelt es sich um Praktikantenjobs mit unsicheren Aussichten und mieser Bezahlung? Und was haben A. Affen-P.enis, Alf Ar.sch-Fi.cker und Anton After-Lutscher aus Aachen bekommen, um sich zeitgleich (!) mit dem medialen Sturm und kurz hintereinander in die Mollath-Petition einzutragen, auf deren erster Seite der Unterstützernamen sie nun ganz oben prangen?

Ja, das ökonomische und psychiatrische Establishment (einschließlich feministischer Kreise, schließlich wird das gesellschaftlich anerkannte Opfer ›Frau‹ mal wieder völlig unberechtigt zum Täter gemacht) ist aufgewühlt angesichts des bevorstehenden Wiederaufnahmeantrags.

Daß es konkret an Fakten nichts beizusteuern vermag, hat es bereits bewiesen. Was es an widersprüchlichen Fakten rund um das Attest beizusteuern vermochte, hat dem Wiederaufnahmeantrag Material geliefert. Man sollte vielleicht einmal hier nachsehen, auch wenn es, wie schrecklich, sehr juristisch wird:

Und an den von mir ausgesprochen geschätzten Prof. Dr. Hans-Ludwig Kröber

https://gabrielewolff.wordpress.com/2012/11/12/gewalt-kitas-psychotrauma-falschbeschuldigung-klartext-von-hans-ludwig-krober/

kann ich nur appellieren, die Größe zu beweisen, die potentielle Fehlerhaftigkeit von Gutachten zu offenbaren, die den Mindestanforderungen der Voraussetzungen eines Gutachtens nicht entsprechen. Da würde ihm kein Zacken aus der wohlverdienten Krone brechen, sondern ihm im Gegenteil einer zuwachsen.

Update (18.12.2012):

Ich gebe es zu: ich bin so überheblich, zu glauben, daß jeder Leser mit Sinn und Verstand Beate Lakottas SPON-Bericht als die haltlose Propaganda auffaßt, die sie ist. Und daß man ihr dankbar sein muß, daß sie hinsichtlich des Attestes nachgefragt, es als unechte Urkunde entlarvt, ihre ZEIT-Kolleginnen düpiert und dem Wiederaufnahmeantrag neue Nahrung zugeliefert hat – und das alles ganz unfreiwillig.

Niemals hätte ich Gehirnschmalz auf Lakottas SPON-Artikel, der sich erkennbar auf BILD-Niveau bewegt, verwendet – man fragt sich wirklich, wozu jemand Germanistik studiert hat, um von diesen Berührungen mit Literatur fürderhin keinen Gebrauch mehr zu machen.

Jetzt hat mich jemand auf diese brillante Analyse des Lakotta-Murkses aufmerksam gemacht, der wirklich nur einer Frau Merk gefallen kann. Ich ziehe meinen Hut vor dieser Analyse, die dieser Artikel eigentlich gar nicht verdient hat: